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Johann Wolfgang Goethe
Sämtliche Gedichte

Geniezeit
Volksballaden aus dem Elsass

Das Lied vom Pfalzgrafen

Es fuhr ein Fuhrknecht über den Rhein,
Er kehrt beym iungen Pfalzgrafen ein.

Gott grüs dich Pfalzgraf hübsch und fein,
Wo hast dein adlich Schwesterlein.

Was hast du nach meiner Schwester zu frag'n,5
Sie ist dir viel zu adelich.

Soll sie mir viel zu adlich seyn
Sie hat führwahr ein Kindlein klein.

Hat sie fürwahr ein Kindlcin klein,
So soll sie nimmer mein Schwester seyn.10

Es stund nicht länger als drey Tag an,
Die iunge Gräfinn gefahren kam.

Als nun die Gräfinn gefahren kam,
Der iung Graf ihr entgegen sprang.

Gott grüs dich Schwester hübsch und fein,15
Wo hast dein artlich Kindlein klein.

[...] Hier fehlt die Strophe worinn sie das Kind ableugnet.

Er nimmt sie an ihrer schneeweisen Hand,
Und führt sie nach Holland zu dem Tanz.

Er tanzt am Winter die lange Nacht,20
Biss dass ihr die Milch zur Brust naus brach.

Ach Bruder hör auf denn es ist gnug
Daheime weint mein Fleisch und Blut.

Er nimmt sie an ihrem schneeweisen Arm,
Und führt sie in die Kammer. Dass Gott erbarm.25

Er tritt sie am Winter die lange Nacht,
Biss dass man Lung und Leber sah.

Ach Bruder hör auf dann es ist gnug
Es gehört dem König von England zu.

Ach Schwester hättst du mirs eh gesagt,30
Es wär mir ein lieber Schwager gewest.

Es stund kein halbviertel Jahr mehr an,
Der König von England geritten kam.

Gott grüs dich Pfalzgraf hübsch und fein
Wo hast dein adlich Schwesterlein.35

Was hast nach meiner Schwester zu fragen,
Sie ist ietzt todt lebt nimmermehr.

Ist sie ietzt todt lebt nimmer mehr,
So hast du sie ums Leben bracht.

Was zog er aus? sein glitzrig Schwerdt,40
Er stach’s dem Pfalzgraf durch sein Herz.

Gelt Pfalzgraf gelt ietzt hast dein Lohn,
Warum hast deine Schwester nicht leben lohn.

Er nahm das Kind wohl auf den Arm
Jetzt haben wir keine Mutter, dass Gott erbarm.45

Er wiegt das Kindlein in süsse Ruh,
Und ritt mit ihm nach England zu.

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