LYRIKATLAS
Der Kompass im Lyrikdschungel

Hans Aßmann von Abschatz

Gedicht 51 aus dem Zyklus
Anemons und Adonis Blumen

Ich finde mich im Mittel meiner Schmertzen1
Bey Amaranthen wieder ein/2
Ein süsser Blick kan meinem kranken Hertzen3
Vergelten die erlittne Pein.4

Jedoch was soll für Hülffe meinen Schmertzen5
Durch ihrer Augen Glantz geschehn:6
Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen7
Bereits nur allzuviel gesehn.8

Vers-für-Vers-Kommentar
Strophe 1

Ich finde mich im Mittel meiner Schmertzen1
Bey Amaranthen wieder ein/2
Ein süsser Blick kan meinem kranken Hertzen3
Vergelten die erlittne Pein.4

1 Ich finde mich im Mittel meiner Schmertzen

Analyse

Der Vers setzt mit einem Ich-Einsatz ein und etabliert sofort eine subjektive, affektiv gefärbte Perspektive. Das Verbgefüge ich finde mich … wieder ein (s. V. 2) ist vorbereitet: finden ist hier reflexiv-lokativ, ein Sich-Orientieren und Sich-Sammeln in einer Situation starker Affizierung.

Der Ausdruck im Mittel meiner Schmertzen ist doppeldeutig und produktiv vielschichtig: Mittel kann (1) räumlich-situativ inmitten bedeuten (heute: in der Mitte), und (2) barocksprachlich ein Heil-Mittel (Medikament, Abhilfe) benennen. Der Vers hält beide Lektüren offen.

Semantisch wird damit eine Spannung aufgespannt: Entweder spricht das lyrische Ich aus dem Epizentrum des Leidens (inmitten), oder es greift bereits nach dem pharmakologischen, ja soteriologischen Mittel gegen die Schmertzen.

Klanglich dominieren die schweren Nasal- und Zischlaute (Mittel, meiner, Schmertzen), die eine dumpfe, drückende Atmosphäre evozieren und die Schwere des Leidens iconisch mittragen.

Poetologisch typisch barock ist die medizinale Bildwelt (Leid/Heilmittel), die sowohl petrarkistisch-galenische Liebespathologie (Amor als Krankheitsursache) als auch moraltheologische Heil-Semantik (Gnade/Trost als Medizin) aktiviert.

Interpretation

Der Vers markiert die Ausgangslage: ein Ich, von Liebespein ergriffen, das sich gleichzeitig im Kern seines Leidens verortet und—möglicherweise—schon den Weg zur Heilung ins Auge fasst. Die Ambiguität von Mittel inszeniert den Übergang vom Passiv des Erleidens zum Aktiv des Suchens.

Wird Mittel als Heilmittel gelesen, steht am Anfang nicht bloß Klage, sondern bereits ein Akt der Selbsttherapie: das Ich findet sich zu einem Ort/Objekt der Tröstung.

Wird Mittel als Mitte gelesen, steigert sich die Dramatik: gerade im Zentrum der Schmerzen setzt die Bewegung ein, die den restlichen Satz (V. 2–4) entfaltet—eine Dramaturgie vom Dunkel in Richtung Linderung.

Die semantische Schwebe erlaubt, dass Heilung nicht als bloß äußerliche Intervention erscheint, sondern als inneres Sich-Ausrichten: das Ich findet sich—eine Rückgewinnung von Selbstgegenwart im Leiden.

2 Bey Amaranthen wieder ein/

Analyse

wieder ein[finden] komplettiert das in V. 1 begonnene Verbgefüge: Das Ich kehrt an einen vertrauten Ort zurück. wieder markiert die zyklische Struktur barocker Liebeserfahrung—Leid und Trost sind wiederkehrende Stationen.

Bey Amaranthen führt die emblematische Floralik ein. Der Amaranth (griech. amarantos = unwelkbar) ist im 17. Jh. ein geläufiges Emblem für Dauer, Unvergänglichkeit, Treue, auch himmlische Glorie. Die Pluralform (Amaranthen) lässt an ein Beet, einen Hortus conclusus oder eine ganze Sphäre der Beständigkeit denken.

Syntaktisch ist Bey Amaranthen die lokative Bestimmung des Zielortes der seelischen Rückkehr; metrisch bildet die Wortgruppe eine weiche, gleitende Kadenz, die die Bewegung des Einfindens nachvollzieht.

Rhetorisch öffnet der Vers den allegorischen Raum: Blumen stehen als Chiffren für Qualitäten der Liebe; der Amaranth kontrastiert implizit die flüchtigen Blumen des Adonis-Mythos (Anemone) durch seine Unverwelkbarkeit.

Interpretation

Das Ich sucht Trost in einem Bereich, der ikonisch Unvergänglichkeit repräsentiert. In der Logik des Zyklus (Anemons und Adonis Blumen) tritt hier die Gegenfarbe zur Vergänglichkeit hervor: Beständigkeit als Heilfaktor gegen die Schmertzen.

Wieder lässt auf eine eingeübte, erprobte Praxis schließen: Das Einfinden bei den Amaranthen ist ein ritualisiertes Heilverfahren der Seele—eine Liebesfrömmigkeit, die immer wiederkehrt.

Ob Amaranthen einen realen Garten, eine allegorische Topik oder metonymisch die Geliebte bezeichnet, bleibt offen—gerade diese Offenheit erlaubt, dass das Heil-Mittel (V. 1) als Ort, Symbol und Person zugleich lesbar ist.

Indem Beständigkeit als Ort imaginiert wird, erhält der Trost eine Topographie: Das Leiden ist unterwegs zu seiner Linderung.

3 Ein süsser Blick kan meinem kranken Hertzen

Analyse

Der Vers benennt nun das konkrete Heil-Agens: der süsse Blick. Der Gebrauch des unbestimmten Artikels (Ein) macht aus dem Blick eine exemplarische, ja archetypische Gestalt der Liebeswirkung.

Sinnesüberblendung (süss = gustatorisch) beschreibt einen visuellen Reiz synästhetisch—barocke Rhetorik der Sinnesvermischung als Zeichen überreicher, überströmender Qualität.

mein kranken Hertzen medicalisiert Liebesaffekt: das Herz als Sitz des passio amoris ist nicht nur betrübt, sondern pathologisch affiziert.

Modalität kan (kann) zeigt Potenzialität, keine mechanische Zwangsläufigkeit: Heilung ist Gabe, nicht Automatismus.

Die syntaktische Spannung bereitet V. 4 vor: Das Prädikat vergelten folgt erst dort—der Blick ist das Mittel, die Ökonomie (Ausgleich/Entgelt) wird anschließend terminiert.

Interpretation

Die Heilung geschieht nicht abstrakt durch Beständigkeit, sondern konkret durch das Gnadengeschehen eines Blicks—ein barockes Mikro-Sakrament der Liebe.

Der süße Blick ist zugleich Zuwendung (ethisch), Schönheit (ästhetisch) und Gnade (theologisch konnotierbar). Er transformiert das Leiden, indem er Nähe stiftet.

In der Perspektive petrarkistischer Liebessemantik wirkt der Blick der Geliebten als medicina cordis—die Geliebte wird zur Heilerin, Liebe zur Apotheke.

Die Möglichkeit (kan) hält eine asketische Restspannung: Heil ist zugesagt, aber bleibt Gabe, die empfangen—nicht erzwungen—wird.

4 Vergelten die erlittne Pein.

Analyse

vergelten ruft die Semantik des Ausgleichs auf: Nicht bloß Linderung, sondern Kompensation. Das Leid wird nicht ungeschehen, aber aufgewogen.

Die Phrase erlittne Pein betont die zeitliche Dimension (Perfektivität): Es handelt sich um bereits ertragenes, historisch gewordenes Leiden—die Rechnung liegt vor, der Ausgleich kann nun erfolgen.

Die Kadenzen der Verse 2 und 4 (ein / Pein) bilden Paarreim; zusammen mit (1/3) entsteht ein regelmäßiges Reimschema, das thematisch Ordnung und Ausgleich spiegelt.

Das Verb in Infinitivform (ohne explizites Subjekt—syntaktisch zu V. 3 gehörig: Ein süsser Blick kan … vergelten) macht den Blick grammatisch zum Handelnden; die Geliebte bleibt als Urheberin des Blicks diskret verschleiert.

Interpretation

Der Text denkt Liebe im Modus einer affektiven Ökonomie: Leid und Trost sind Salden, die durch Zuwendung ausgeglichen werden. Das ist nicht kalt-kaufmännisch, sondern eine Ethik des Gegengeschenks—Gnade antwortet auf Geduld.

Vergelten unterstreicht, dass Trost das Leiden nicht auslöscht, sondern ihm Sinn und Gewicht verleiht—eine barocke Dialektik von Mangel und Fülle.

Damit wird das Verhältnis zur Geliebten als gerechte, ja billige Ordnung gefasst: der süße Blick ist die angemessene, angemessene Antwort auf das erlittene—ein zartes Recht der Herzen.

Zusammenfassende Untersuchung
Strophe 1

Dramaturgie und Bewegung: Die Strophe schildert eine kleine Heilsgeschichte der Liebe: Aus dem Zentrum/Heil-Mittel des Leidens (V. 1) bewegt sich das Ich zu einem emblematischen Ort der Beständigkeit (V. 2), findet in der konkreten Geste des Blicks die wirksame Arznei (V. 3) und erfährt schließlich nicht nur Linderung, sondern Kompensation (V. 4).

Emblematische Tiefenschicht: Mit den Amaranthen ruft der Text ein starkes barockes Emblem auf—Unverwelkbarkeit, Treue, Himmelsglanz—und kontrastiert implizit die flüchtigen, adonidischen Blumen des Zyklus. Die Strophe positioniert sich damit auf der Seite des Dauerhaften, das dem Schmerz eine überzeitliche Antwort entgegenstellt.

Ambiguität als Methode: Die Schlüsselworte Mittel (Mitte/Heilmittel) und Blick (Sinnes-, Gnaden-, Liebesakt) sind bewusst mehrdeutig. Diese Ambiguitäten verschränken medizinische, ethische, ästhetische und theologische Diskurse, wie es barocker Liebesdichtung eigen ist.

Affektökonomie: Die Reimordnung und die lexikalische Ökonomie (vergelten, erlittne Pein) gestalten eine Poetik des Ausgleichs: Leid bleibt real, aber wird in eine Ordnung der Gegenseitigkeit eingebunden. Der Trost ist nicht anonym, sondern personal—ein Blick, der als Gabe geschieht.

Ton und Klang: Weiche Kadenzen, die Mischung aus s- und k-Lauten, die wiederkehrende Herz-/Schmerz-Semantik erzeugen einen Klang, der zwischen Süße und Schwere pendelt—ikonisch für die Dialektik von Pein und Trost.

Ergebnis: Die Strophe verdichtet ein barockes Liebeskonzept: Treue (Amaranth) und Gnade (Blick) erscheinen als Heilmittel gegen die pathologische Liebespein—nicht indem sie die Zeit rückgängig machen, sondern indem sie das Ertragene vergelten und so in Sinn verwandeln.

Vers-für-Vers-Kommentar
Strophe 2

Jedoch was soll für Hülffe meinen Schmertzen5
Durch ihrer Augen Glantz geschehn:6
Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen7
Bereits nur allzuviel gesehn.8

5 Jedoch was soll für Hülffe meinen Schmertzen

Analyse

1. Der adversative Einsatz Jedoch markiert eine deutliche Volte: Der Sprecher bricht mit einer zuvor (implizit) erwogenen Hoffnung und leitet rhetorisch in die Negation derselben über. Das Signalwort steht am Versanfang und setzt eine Gegenbewegung in Gang.

2. Die Frageform (was soll für Hülffe…?) ist eine rhetorische Aporie: Sie fragt nicht nach realer Hilfe, sondern stellt ihre Aussichtslosigkeit aus. Grammatisch erzeugt die Fügung was soll für Hülffe (frühneuhochdeutsch) eine Steigerung: was für eine Art von Hilfe – um dann gleich anzudeuten, dass es solcher Art gar keiner gibt.

3. Die enge Kopplung von Hülffe und meinen Schmertzen (Dativ) schafft eine Antithese im Keim: Hilfe wäre das semantische Gegenmittel, Schmerz der unaufhebbare Zustand. Bereits in der Syntax liegt das Scheitern des Heilanspruchs an.

Interpretation

1. Der Vers stellt einen Einsichtsmoment aus: Die Liebe hat einen Zustand erzeugt, in dem Heilung nicht mehr aus derselben Quelle zu gewinnen ist, die den Schmerz hervorgerufen hat. Der Ton ist resignativ, nicht suchend.

2. Theologisch-moralisch (barocke Tiefenschicht): Das Begehren nach weltlicher Schönheit erweist sich als hinderlich oder trügerisch—es betäubt kurz, heilt aber nicht. Hülffe bleibt als Heilssemantik leer, wenn die Ausrichtung des Begehrens falsch ist.

3. Poetologisch verweist die Aporie auf den barocken Topos der Liebeswunde: Der Sprecher weiß, dass Liebesleid nicht durch dieselbe Leidenschaft kuriert werden kann; seine Frage ist Selbstentlarvung des Irrwegs.

6 Durch ihrer Augen Glantz geschehn:

Analyse

1. Der Vers schließt syntaktisch die in Vers 5 begonnene Frage: Die mögliche Hilfe sollte durch ihrer Augen Glantz geschehen. Das Enjambement verschiebt das Prädikat (geschehn) ans Ende—die Frage hängt und entlädt sich erst jetzt in der Negation durch die nachfolgende Logik.

2. ihrer Augen Glantz (Genitiv) personifiziert bzw. metonymisiert die Geliebte über das Augen-Motiv, ein petrarkistischer Kern: Augen als Quelle von Licht, Pfeilen, Strahlen. Glantz evoziert Licht- und Glimmermetaphorik, die im Barock oft ambivalent zwischen Offenbarung und Blendung oszilliert.

3. Semantisch entsteht eine Heilsmetaphorik des Lichts (Hülffe durch Glantz), die zugleich prekär ist: Licht kann aufklären, aber auch blenden; beides wird im Vers mitgeführt.

Interpretation

1. Der Sprecher verwirft die Idee, dass die Schönheit (das Licht) der Geliebten therapeutisch wirken könne. Ästhetische Evidenz (Glanz) hat keine heilende, sondern eine reiz-verschärfende Kraft.

2. In mythopoetischer Tiefenschicht korrespondiert der Glanz mit dem Adonis-Komplex des Zyklus: Schönheit ist lebensmächtig, aber verletzend; sie verheißt und verzehrt zugleich.

3. Ausdruckslogisch wird das Auge zum Medium des Affekts: Es vermittelt den Schmerz nicht nur symbolisch, sondern kausal (durch). Der Vers bereitet damit den Gedanken vor, dass die Hilfe aus derselben Quelle käme wie die Verwundung—ein logischer Widerspruch.

7 Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen

Analyse

1. Jetzt tritt das Ich als aktives Subjekt auf: Ich habe sie… gesehn. Die Verantwortungsachse verschiebt sich – nicht nur die Augen der Geliebten wirken, auch der Blick des Sprechers handelt.

2. Die Fügung zu Schaden meinem Hertzen (Dativ des Nachteils) ist juristisch-ökonomisch gefärbt: Das Sehen wird als Handlung mit Schadensfolge bilanziert. Barock typisch: Affekte werden in Kategorien von Nutzen/Schaden, Gewinn/Verlust verbucht.

3. Die Stellung von zu Schaden zwischen Verb und Dativ betont die Kausalität: Die Handlung (Sehen) zeitigt unmittelbar den Nachteil. Der Vers funktioniert damit wie eine Affekt-Kausalgleichung.

Interpretation

1. Der Sprecher übernimmt Mitschuld: Nicht nur passives Erleiden, sondern selbstverschuldete Exposition gegenüber dem Reiz. Der Liebesschmerz ist nicht allein zugestoßen, sondern auch herbeigesehen.

2. Ethisch lenkt der Vers auf barocke Mäßigungslehre: Ungebändigter Blick ist unkluge Selbstaussetzung. Der leidende Liebende ist zugleich sein eigener Versucher.

3. Psychologisch entsteht Ambivalenz: Der Schaden ist real und beklagt, aber er setzt ein Begehren voraus, das den Blick immer wieder sucht. Gerade darin liegt das Paradox der Leidenschaft.

8 Bereits nur allzuviel gesehn.

Analyse

1. Bereits setzt einen endgültigen Zeitpunkt: Die schädigende Dosis ist überschritten; Umkehr wäre zu spät. Temporaldeixis und Endgültigkeit fallen zusammen.

2. Die Intensivpartikel nur allzuviel bündelt Hyperbel und Selbstvorwurf. Das Maß wurde wissentlich oder ahnungsvoll überschritten—quantitatives Übermaß formuliert qualitative Irreversibilität.

3. Der Schlussvers verkürzt rhythmisch-semantisch: Das starke Partizip gesehn schließt den Motivkreis Blick/Glanz/Schaden; die Kette endet nicht in Trost, sondern in einer Bilanz der Überreizung.

Interpretation

1. Der Vers liefert die Pointe der Strophe: Gerade weil der Blick zu häufig war, kann Hülffe aus demselben Blick nicht mehr kommen. Das Heilmittel ist durch Übergebrauch zum Gift geworden—klassische barocke Umkehrung (pharmakon-Motiv).

2. Das zu viel ist ästhetisch-asketische Diagnose: Schönheit verlangt Distanz; ohne sie kippt Kontemplation in Konsumtion.

3. Existenziell klingt Resignation an: Der Sprecher rechnet nicht mehr mit Rettung, sondern akzeptiert die Chronik eines angekündigten Schmerzes.

Zusammenfassende Untersuchung
Strophe 2

1. Logische Struktur und Volte: Die Strophe setzt mit einer rhetorischen Frage ein, die eine erhoffte Heilkraft der Geliebten (Licht ihrer Augen) ins Spiel bringt, um diese Hoffnung sofort zu dekonstruieren. Der adversative Anstoß Jedoch und die übergreifende Frageform entfalten eine Aporie des Heilens durch das Verletzende: Hilfe kann nicht aus jener Quelle kommen, die das Leiden stiftet.

2. Affekt-Kausalität und Verantwortung: Durch den Übergang zum Ich-Satz (Ich habe sie… gesehn) verlagert sich das Zentrum von der passiven Verblendung zur aktiven Komplizenschaft des Begehrens. Der Schaden entsteht nicht nur durch die fremde Macht des Glanzes, sondern durch die Selbstexposition des Blicks. Barocke Moraldidaxe (Maß, Mäßigung) steht hinter der Semantik von zu Schaden und allzuviel.

3. Topik und Bildlichkeit: Der petrarkistische Augen-Topos (Blick als Pfeil/Lichtstrahl) wird barock zugespitzt: Licht, das eigentlich heilend oder erleuchtend sein könnte, wirkt als blendendes Gift. Die Schlusshyperbel nur allzuviel transformiert die Schönheit in ein Pharmakon, das je nach Dosis Heil oder Schaden wäre—hier eindeutig Schaden.

4. Zeitlichkeit und Endgültigkeit: Mit Bereits kodiert die Strophe eine zu späte Einsicht. Der Prozess der Verletzung liegt hinter dem Sprecher; die Frage nach Hilfe ist nur noch rhetorisch. Das Liebesverhältnis erscheint als irreversibel überreizt.

5. Poetologische Konsequenz: Die Strophe reflektiert nicht nur ein Liebesaffekt, sondern Selbsterkenntnis im Medium des Verses: Sprache bilanziert, was der Blick verschuldet hat. Der Schluss auf gesehn rahmt die Strophe mit der Handlung, die alles ausgelöst hat, und entzieht jeder tröstenden Auflösung den Boden.

Kurzresümee: Die vier Verse entwerfen ein geschlossenes Paradoxon barocker Liebessemantik: Das Auge, das verheißen hatte zu heilen, hat durch Übermaß verletzt. Die Strophe verlegt das Leiden vom Außenreiz in die Dynamik des subjektiven Begehrens und schließt mit einer nüchternen, fast buchhalterischen Bilanz des zu viel. Damit gewinnt der Text seine besondere Schärfe: Er ist weniger Klage über die Grausamkeit der Geliebten als Einsicht in die Selbstverstrickung des Liebenden.

Gesamtschau
Organischer Aufbau und Verlauf

1. Einführung in den Schmerz und seine Mitte

Das Gedicht beginnt mit der Selbstverortung des lyrischen Ichs: Ich finde mich im Mittel meiner Schmertzen / Bey Amaranthen wieder ein. Schon dieser Anfang schafft einen doppelten Raum — den inneren Schmerzraum und den äußeren Ort der Begegnung (bey Amaranthen). Amaranth symbolisiert die unvergängliche Blume, ein traditionelles Sinnbild der Liebe, aber auch der Unsterblichkeit. Der Sprecher befindet sich also im Zentrum seiner Leiden und zugleich an einem Ort, der die Möglichkeit des Trostes oder der Verklärung andeutet.

2. Bewegung vom Leid zur Hoffnung

In den Versen 3–4 tritt eine zarte Wendung ein: Ein süsser Blick kann das kranke Hertzen heilen oder wenigstens den Schmerz vergelten. Der Schmerz erfährt so eine Art ästhetisch-emotionaler Kompensation — der Blick der Geliebten erscheint als heilsame Gegenkraft. Hier öffnet sich der Text zu einem Moment des Lichts und der möglichen Erlösung durch Schönheit und Zuwendung.

3. Ernüchterung und Selbsterkenntnis

In der zweiten Strophe folgt der Rückschlag: Das lyrische Ich fragt sich selbst, was eine solche Hülffe wirklich nützen könne, durch ihrer Augen Glantz geschehn. Die Hoffnung wird relativiert, ja ironisch gebrochen. Die Erkenntnis: Gerade der Blick, der zu trösten scheint, ist zugleich die Quelle des Schmerzes.

4. Schlusswendung zur Paradoxie der Liebe

Der letzte Vers fasst diese innere Bewegung in einen paradoxen Schluss: Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen / Bereits nur allzuviel gesehn. Das Gedicht endet also nicht in Heilung, sondern in der Einsicht, dass das Heilmittel zugleich das Gift ist. Der Verlauf beschreibt damit einen geschlossenen inneren Kreis: Schmerz → Hoffnung → Selbsterkenntnis → erneuter Schmerz, jedoch auf höherer Reflexionsstufe.

Psychologische Dimension

1. Ambivalenz von Begehren und Selbstschutz

Das lyrische Ich steht im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und der Erfahrung von Verletzung. Der Blick der Geliebten ist zugleich ersehnt und gefürchtet. Psychologisch spiegelt sich hier ein Mechanismus emotionaler Projektion: das Ich verlagert seine Heilung auf den Anderen, erkennt aber, dass dieser Andere zugleich seine Schwäche verursacht.

2. Selbstbeobachtung und Bewusstwerdung

Bemerkenswert ist die psychologische Selbstreflexivität. Der Sprecher erkennt, dass sein eigenes Sehen — nicht bloß das Angesehenwerden — den Schaden bewirkt hat: Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen … gesehn. Damit kehrt die Verantwortung in das Subjekt zurück. Schmerz ist keine reine Opfererfahrung, sondern das Resultat der eigenen, sehnsüchtig-widerstreitenden Wahrnehmung.

3. Innere Dialektik von Lust und Leid

Der Text entfaltet eine barocke Psychologie der Affekte: Freude und Schmerz, Hoffnung und Enttäuschung sind untrennbar verschränkt. Der süsse Blick ist zugleich Gift und Arznei. In dieser affektiven Doppelstruktur zeigt sich eine tiefe Ambivalenz der Liebeserfahrung, die das Subjekt innerlich spaltet, aber auch zur Erkenntnis seiner selbst führt.

Ethische Dimension

1. Grenze des sinnlichen Begehrens

Im barocken Moralverständnis steht die Erfahrung der Liebe immer im Spannungsfeld zwischen Tugend und Leidenschaft. Das Gedicht stellt diese Grenze subtil aus: Der Blick der Geliebten, eigentlich ein Akt der Anmut, wird zur moralischen Versuchung. Das zuviel gesehn verweist auf das Überschreiten einer ethischen Maßgrenze — eine Überfülle sinnlicher Wahrnehmung, die zur Verletzung führt.

2. Selbstzucht und Einsicht in Schuld

Der Schluss des Gedichts deutet ein Element der Reue an: Das Ich erkennt die Mitschuld am eigenen Schmerz. Diese Einsicht entspricht der barocken Moral, die Leid als pädagogische Folge der eigenen Affektverirrung versteht. Das Leiden hat so eine reinigende, sittliche Funktion: Durch Schmerz wird das Ich zur Selbsterkenntnis geführt.

3. Konflikt zwischen Natur und Norm

Ethisch wird hier auch ein anthropologisches Grundproblem berührt: das Spannungsverhältnis zwischen natürlicher Leidenschaft (amor) und geistiger Ordnung (ratio). Der Blick als sinnliche Erfahrung steht gegen das Gebot der inneren Mäßigung. Das Gedicht bewegt sich damit im Feld der barocken affektiven Ethik, in der Selbstbeherrschung als Ideal gilt, ohne dass das Begehren völlig negiert wird.

Philosophisch-theologische Tiefenanalyse

1. Das Sehen als Erkenntnis- und Sündenmoment

Theologisch betrachtet hat das Sehen eine doppelte Konnotation: Es ist sowohl der Anfang der Erkenntnis (wie im biblischen Paradiesmotiv des Ansehens des Verbotenen) als auch der Ursprung des Falls. Der Blick auf die Geliebte wiederholt in Miniatur den biblischen Akt des Sehens, der zur Trennung von Unschuld und Erfahrung führt. Die Liebe wird so zur kleinen Theodizee des Herzens.

2. Die Dialektik von Licht und Dunkel

Augen Glantz ruft das Motiv des göttlichen Lichts auf, das in barocker Frömmigkeit zugleich Erleuchtung und Gefahr bedeutet. Das menschliche Herz, vom göttlichen Licht entzündet, kann in Liebe brennen oder an sich selbst verbrennen. Abschatz’ Gedicht spielt diese Lichtmetaphorik subtil gegen sich selbst aus: Das Licht der Geliebten ist eine irdische Spiegelung des göttlichen Lichts, aber es blendet, statt zu erleuchten.

3. Der Schmerz als Läuterung

Philosophisch-theologisch spiegelt der Schmerz hier eine Form der Erkenntnis durch Leiden. Das kranke Herz wird im Barock oft als Sinnbild der sündhaften, von der Welt verführbaren Seele verstanden. Die Erfahrung des Schmerzes ist daher kein bloßes Unglück, sondern ein notwendiger Prozess der Reinigung. Die Erkenntnis, dass der Blick zu viel war, entspricht der Umkehr des Herzens (conversio cordis).

4. Amaranth als Symbol der Unvergänglichkeit der Seele

Der Ort bey Amaranthen am Beginn deutet auf das Ewige inmitten des Zeitlichen. Der Amaranth ist in der christlichen Symbolik die Blume, die nicht verwelkt — ein Bild der himmlischen Liebe oder göttlichen Beständigkeit. In dieser Lesart erscheint das Gedicht als Bewegung von der irdischen zur vergeistigten Liebe: Der Schmerz zeigt die Unzulänglichkeit des Sinnlichen und ruft nach einer höheren, bleibenden Liebe, die allein in Gott Bestand hat.

5. Philosophische Grundfigur: das Paradoxon der Erkenntnis

Das Gedicht entfaltet eine barocke Form des Paradoxons: Nur durch Übermaß erkennt das Subjekt die Notwendigkeit der Maßhaltung; nur durch Schmerz begreift es das Wesen der Liebe. Diese Dialektik steht im Zentrum der barocken Anthropologie, in der das Irdische nicht verworfen, sondern als Spiegel des Göttlichen verstanden wird — doch ein Spiegel, der blendet, wenn man zu lange hineinsieht.

Gesamtheitliche Zusammenfassung

Abschatz’ Gedicht Nr. 51 ist ein vollkommen geschlossenes Miniaturdrama des barocken Liebes- und Erkenntnisbewusstseins. Sein organischer Aufbau führt vom Schmerz zur Hoffnung und wieder zurück, doch diese Rückkehr ist keine bloße Wiederholung, sondern eine Verwandlung des Bewusstseins. Psychologisch zeigt das Gedicht eine feine Selbstanalyse des Begehrens, ethisch eine Reflexion über Maß, Mäßigung und Schuld, theologisch eine Spiegelung des biblischen Falls im Mikrokosmos des Liebenden. Der Blick der Geliebten wird zum Symbol der paradoxen menschlichen Situation: zwischen göttlichem Licht und irdischer Verblendung, zwischen Heil und Unheil, zwischen Erkenntnis und Verlust.

So verdichtet sich in acht Versen das barocke Weltgefühl: Schmerz als Spiegel der Gnade, Liebe als Schule der Selbsterkenntnis, und das Sehen als gefährlicher, aber unvermeidlicher Weg zum Innersten des Menschen.

Moralische Dimension

1. Selbstprüfung und innere Zucht

Der Sprecher erkennt, dass sein Leiden eine Folge eigener, unbeherrschter Leidenschaft ist: Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen / Bereits nur allzuviel gesehn.

Diese Einsicht markiert eine moralische Umkehrbewegung — das lyrische Ich durchschaut, dass der Blick auf das Geliebte zugleich ein moralisch gefährlicher Akt ist. Das Sehen wird hier zur Metapher für Begehrlichkeit und geistige Schwäche, die durch Selbstzucht überwunden werden soll.

2. Konflikt zwischen Sinnlichkeit und Vernunft

Der Text spiegelt das barocke Moraldilemma zwischen irdischer Liebe und geistiger Reinheit. Das kranke Hertze steht für eine Seele, die von Begierde angefochten wird, während die Einsicht in die Nutzlosigkeit des Augenglanzes eine Rückwendung zur Vernunft darstellt.

Der Sprecher befindet sich somit in einem moralischen Zwiespalt zwischen Anziehung und Askese.

3. Liebesleid als moralische Läuterung

Der Schmerz wird nicht nur beklagt, sondern als Läuterungsprozess gedeutet. Indem das Ich das Leiden als Folge seiner eigenen Schwäche anerkennt, entsteht moralische Selbsterkenntnis — das Leid führt zur Einsicht und zur Reinigung der Seele.

Anthroposophische Dimension

1. Polarität von Sinn und Geist

In anthroposophischer Lesart verkörpert der süsse Blick die sinnliche Welt, die das Herz anzieht, während die Schmertzen den geistigen Widerstand gegen die bloß sinnliche Bindung symbolisieren.

Der Mensch steht hier zwischen den Polen des Astralischen (Begehren, Emotion) und des Ichhaften (Selbsterkenntnis und Bewusstsein).

2. Heilung durch Bewusstwerdung

Die Erkenntnis Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen ... gesehn kann als Moment der Bewusstwerdung verstanden werden.

Das Ich erkennt, dass Heilung nicht durch äußere Schönheit (Augenglantz) kommt, sondern durch die innere Umwandlung der Wahrnehmung. Anthroposophisch gesprochen: die Umwandlung von sinnlicher Wahrnehmung in seelisch-geistige Erkenntnis.

3. Das Herz als Entwicklungsorgan

Das kranke Hertze ist im anthroposophischen Sinne das Zentrum der seelischen Entwicklung — es leidet, weil es zwischen irdischer Anziehung und geistiger Klarheit zerrissen ist. Durch die Einsicht in die Ursachen des Leids kann das Herz zum Organ des höheren Selbst werden.

Der Schmerz wird so zum Impuls für seelische Evolution.

Ästhetische Dimension

1. Formale Geschlossenheit und symmetrische Struktur

Das Gedicht ist streng symmetrisch aufgebaut: zwei Strophen mit je vier Versen, regelmäßigem Kreuzreim und harmonischem Rhythmus. Diese formale Balance steht im Kontrast zum inneren Unfrieden des lyrischen Ichs.

Die ästhetische Form bindet und zähmt die leidenschaftliche Unruhe des Inhalts.

2. Antithetisches Schönheitsprinzip

Abschatz gestaltet Schönheit immer in Spannung zur Gefahr: der süsse Blick steht dem kranken Hertzen gegenüber, der Augenglantz der Schmertzen.

Ästhetische Anziehung und moralisches Leiden werden so poetisch verschränkt; das Schöne ist nie rein erfreulich, sondern enthält das Keimhafte der Zerstörung.

3. Klang und Rhythmus als Spiegel innerer Bewegung

Die weichen Assonanzen (süsser Blick, kranken Hertzen, erlittne Pein) vermitteln zunächst Zartheit, während die harten Konsonanten in Schaden, zuviel und gesehn den Bruch markieren.

Dadurch wird der musikalische Fluss selbst zum Ausdruck des seelischen Konflikts: Süße und Schmerz, Harmonie und Reue durchdringen sich.

Rhetorische Dimension

1. Antithese als Grundfigur

Der Text lebt von der Gegenüberstellung von Leid und Trost, Sehnsucht und Einsicht. Diese Antithetik strukturiert nicht nur die Gedankenführung, sondern erzeugt auch rhetorische Spannung: das Sehen, das zuerst Heil verspricht, erweist sich am Ende als Ursache des Schadens.

2. Paradoxe Wendung

Der rhetorische Kern des Gedichts liegt in der paradoxen Schlusswendung: Was als Heilmittel gedacht war (Ein süsser Blick kan ... Vergelten die erlittne Pein) wird zur Quelle des Übels (Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen ... gesehn).

Dieses Paradox ist ein typisches barockes Stilmittel, das Erkenntnis in der Umkehrung sucht.

3. Affektsteuerung durch Klang und Reim

Die Reimwörter ein – Pein und geschehn – gesehn verbinden Trost und Schaden auf lautlicher Ebene. Der Gleichklang wird zum rhetorischen Träger der moralischen Ambivalenz: das Ohr erfährt Einheit, während der Sinngehalt Spaltung ausdrückt.

Gesamtschau

Das Gedicht entfaltet in knapper Form ein barockes Seelendrama: ein Ich, das zwischen sinnlicher Verführung und geistiger Selbsterkenntnis steht, erlebt Schmerz als Weg zur moralischen und seelischen Klärung.

Moralisch zeigt sich die Selbsterziehung durch Leiden; anthroposophisch erscheint der Schmerz als Impuls zur Bewusstseinsentwicklung; ästhetisch verschränkt sich Schönheit mit Gefahr; rhetorisch manifestiert sich die Wahrheit in paradoxen Gegensätzen.

Damit wird der kleine Text zu einer Miniatur der barocken Anthropologie: der Mensch erkennt sich selbst im Spiegel seiner Verirrung — und gerade darin liegt seine mögliche Heilung.

Metaebene

1. Das Gedicht als Selbstbegegnung im Leiden:

Der Sprecher befindet sich im Mittel meiner Schmertzen – also im Zentrum eines emotionalen und existentiellen Zustands. Dieses Zentrum ist kein äußerer Ort, sondern ein inneres, reflektiertes Leiden. In dieser Selbstbetrachtung kehrt der Sprecher bey Amaranthen wieder ein, das heißt: er findet Zuflucht oder Resonanz bei der Blume, die in der barocken Symbolik für Unvergänglichkeit und ewige Liebe steht. Das Gedicht reflektiert also nicht nur ein Liebeserlebnis, sondern den seelischen Prozess der Selbstbegegnung im Schmerz.

2. Dialektik von Heilung und Selbstzerstörung:

Der Sprecher erkennt die paradoxe Struktur seiner Empfindung: Der Blick der Geliebten, der süsser ist und die erlittne Pein zu vergelten scheint, birgt zugleich die Quelle weiteren Leids. Damit wird eine barocke Dialektik zwischen Eros und Thanatos, Trost und Qual, Heilung und Verwundung entfaltet.

3. Reflexion über Erkenntnis durch Gefühl:

Das lyrische Ich wird durch die Liebe zugleich in Erkenntnis und in Schmerz geführt. Der Blick der Geliebten fungiert als Medium einer intensiven Erfahrung, die sowohl sinnlich als auch geistig verstanden werden kann. Die Metaebene des Gedichts zeigt so die Spannung zwischen leidender Subjektivität und transzendierender Empfindung.

Poetologische Dimension

1. Poetische Selbstauslegung des Gefühls:

Das Gedicht stilisiert Schmerz und Blick zu dichterischen Chiffren. Abschatz poetisiert das Leiden, indem er es rhythmisch und formelhaft in den gereimten Versen bannt. Die Lyrik selbst wird so zum Ort der Sublimation des Affekts.

2. Rhetorische Formung des inneren Konflikts:

Die Wiederholung der Begriffe Schmertzen, Hertzen und Augen sowie die symmetrische Bauweise der beiden Strophen verleihen dem Gedicht eine zirkuläre, fast musikalische Struktur. Diese Form spiegelt die innere Wiederkehr des Gefühls – die Poesie wird zur rhetorischen Ordnung des Ungeordneten.

3. Das Gedicht als Reflex auf Liebesrhetorik:

In der Tradition der petrarkistischen Liebeslyrik ist die Ambivalenz zwischen Süße und Schmerz ein poetisches Motiv. Abschatz transformiert es in eine spezifisch deutsche Barocksprache, die durch Pathos und klangliche Dichte gekennzeichnet ist. Die dichterische Form selbst wird so zum Mittel der Erkenntnis und Distanznahme.

Metaphorische Dimension

1. Die Amaranthen als Symbol der Unvergänglichkeit:

Die Amaranthe (Amaranthus) gilt als unverwelkliche Blume. In der barocken Symbolsprache steht sie für ewige Treue, beständige Liebe oder unsterbliches Leben. Dass der Sprecher bey Amaranthen wieder ein kehrt, bedeutet daher: er sucht im Unvergänglichen Trost, in einem Symbol, das über die Vergänglichkeit des Leids hinausweist.

2. Der Blick als doppelte Macht:

Der süsse Blick der Geliebten ist zugleich Heilmittel und Gift. Diese Ambivalenz des Blicks – heilend durch Zuwendung, zerstörend durch Schönheit – ist eine zentrale Liebesmetapher des Barock, in der sinnliche Wahrnehmung zum Medium der existentiellen Erschütterung wird.

3. Das Herz als Ort des Opfers:

Das kranke Hertzen wird zur Bühne der Liebe. Indem der Sprecher bekennt, er habe sie zu Schaden meinem Hertzen / Bereits nur allzuviel gesehn, verwandelt sich der Blickkontakt in ein quasi sakrales Opfermotiv: das Herz wird geopfert durch die Wahrnehmung der Schönheit.

Literaturgeschichtliche Dimension

1. Einordnung in den Frühbarock:

Hans Aßmann von Abschatz (1646–1699) gehört zu den Dichtern des deutschen Frühbarock, die den Übergang von höfischer Gelegenheitsdichtung zu reflektierter Innerlichkeit markieren. Die Spannung zwischen Emblem, Gefühl und Reflexion ist charakteristisch für diese Zeit.

2. Bezüge zur petrarkistischen und höfischen Tradition:

Das Gedicht steht in der Nachfolge der petrarkistischen Liebeslyrik, die das Leiden des Liebenden als Medium der Selbstveredelung betrachtet. Gleichzeitig gehört es zur höfischen Dichtung des 17. Jahrhunderts, in der Liebeslyrik Teil eines repräsentativen Sprachspiels war.

3. Einbettung in Anemons und Adonis Blumen:

Der Zyklus spielt mit der floralen Metaphorik antiker und barocker Mythologie. Wie der Name Adonis (Symbol des sterbenden und wiederkehrenden Lebens) schon andeutet, wird Liebe als zyklisches Prinzip zwischen Tod und Erneuerung verstanden. Gedicht 51 spiegelt dieses Motiv in Miniaturform.

4. Zwischen Sinnlichkeit und Moral:

Der Text steht in der Tradition einer barocken Moralästhetik, die das sinnliche Begehren nicht verdammt, sondern reflektiert. Er bezeugt das Ringen zwischen höfischer Galanterie und religiöser Innerlichkeit, das für den protestantischen Barock typisch ist.

Literaturwissenschaftliche Dimension

1. Formale Struktur als semantische Verdichtung:

Zwei Strophen zu je vier Versen bilden eine perfekte Symmetrie, die den inneren Widerspruch (Heilung ↔ Verletzung) formal rahmt. Die Reimstruktur (abab | cdcd) schafft eine rhythmische Spannung, die den emotionalen Pendelzustand des Ichs formalisiert.

2. Sprachrhythmische und semantische Spiegelung:

Die Alliteration und Klangähnlichkeit von Schmertzen und Hertzen bindet die emotionale und körperliche Sphäre unauflöslich zusammen. So wird der sprachliche Klang selbst zum Träger des Affekts.

3. Affektdynamik und Erkenntnisprozess:

Aus literaturwissenschaftlicher Sicht lässt sich das Gedicht als Beispiel barocker Affektdichtung verstehen: Der poetische Ausdruck ist nicht bloß Darstellung, sondern Verarbeitung und Erkenntnis des Affekts. Die poetische Form zielt nicht auf Katharsis, sondern auf kontemplative Selbsterkenntnis.

4. Intertextuelle Resonanzen:

Abschatz’ Dichtung steht im Spannungsfeld zwischen der deutschen Liebeslyrik von Opitz und Fleming und der europäischen Petrarkismus-Tradition. Die Reflexion über den Blick erinnert zugleich an frühneuzeitliche Theorien der Optik und der visualen Affizierung, wie sie etwa in der Neoplatonik verbreitet waren: Der Blick wird als Strahl verstanden, der das Herz verwundet – eine Verbindung von Physik und Gefühl.

Gesamthaftes Fazit

Das Gedicht entfaltet auf kleinstem Raum eine barocke Miniatur des Liebesparadoxons: Schmerz und Heilung, Sichtbarkeit und Gefahr, Liebe und Tod. Der Blick der Geliebten fungiert als Medium, durch das der Sprecher zugleich Trost und Verderben erfährt.

Poetologisch wird diese Dialektik durch symmetrische Form, Klangwiederholungen und symbolische Verdichtung gestaltet.

Metaphorisch durchdringt das Motiv der Amaranthen – als unvergängliche Blume – die Erfahrung des Leids mit einem Hauch von Transzendenz.

Literaturgeschichtlich steht der Text exemplarisch für den barocken Versuch, Affekt, Symbol und Reflexion in einem präzisen sprachlichen Gleichgewicht zu halten: zwischen höfischer Zierlichkeit und metaphysischer Sehnsucht.

Assoziative Dimensionen

1. Spannung zwischen Schmerz und Trost

Das lyrische Ich befindet sich im Mittel meiner Schmertzen, also mitten im Leiden. Diese Formulierung evoziert eine existentielle Zwischenlage: Der Sprecher ist weder in der Ohnmacht völliger Verzweiflung noch in der Ruhe nach dem Schmerz, sondern im Mittel, einem Moment der Empfindung selbst. Zugleich deutet sich im Auftreten der Geliebten (Bey Amaranthen) eine mögliche Linderung an. Schmerz und Trost erscheinen als dialektische Pole, deren Wechselwirkung das Gedicht strukturiert.

2. Amaranth als Symbol ewiger Schönheit und Vergänglichkeitstranszendenz

Die Amaranth-Blume ist im barocken Symbolinventar ein Zeichen für Unvergänglichkeit und ewige Liebe. Der Sprecher findet sich Bey Amaranthen wieder ein – das heißt: in der Nähe des Unvergänglichen, des Ideals. Damit steht die Begegnung mit der Geliebten unter einem Zeichen der Überschreitung des Irdischen, zugleich aber auch unter der Gefahr, daß dieses Ideal den Sterblichen schmerzlich übersteigt.

3. Ambivalenz des Blicks

Der süsse Blick der Geliebten ist doppelt konnotiert: er vergilt zwar die erlittne Pein, doch später heißt es, daß durch ihrer Augen Glantz der Schmerz auch wieder neu entfacht oder gesteigert werde. Der Blick fungiert als Medium der Ambivalenz: heilend und verletzend, erquickend und zerstörerisch zugleich. Diese Doppelwirkung verweist auf die barocke Grundspannung zwischen Sinnlichkeit und Askese, zwischen caritas und cupiditas.

4. Selbstverschuldung des Schmerzes

In den letzten Versen gesteht der Sprecher: Ich habe sie zu Schaden meinem Hertzen / Bereits nur allzuviel gesehn. Der Schmerz ist nicht von außen auferlegt, sondern selbstverschuldet – der Blick auf die Geliebte ist zugleich der Sturz in die Leidenschaft. Diese Erkenntnis des eigenen Anteils an der Qual verweist auf das barocke Selbstverständnis des Menschen als eines Wesens, das im Bewußtsein seiner Affekte zugleich deren Opfer bleibt.

5. Liebesleid als Spiegel theologischer Dialektik

Der Zwiespalt von Trost und Qual, von Licht und Schmerz, spiegelt das barocke Bewusstsein der irdischen Liebe als Gleichnis der göttlichen Liebe: die Sehnsucht nach dem Schönen führt zu Schmerz, weil sie das Endliche übersteigt. So liest sich das Gedicht als miniaturhafte Allegorie auf die conditio humana zwischen Sünde und Erlösungssehnsucht.

Formale Dimensionen

1. Strophenform und Metrik

Das Gedicht besteht aus zwei vierzeiligen Strophen (8 Verse insgesamt) mit regelmäßigem Wechsel von jambischem Versmaß und weiblichen Kadenzen. Die Symmetrie erzeugt einen gleichmäßigen, fast musikalischen Rhythmus, der die innere Bewegung von Schmerz und Trost formt. Die Regelmäßigkeit kontrastiert den thematisierten inneren Aufruhr – ein barocktypisches Formprinzip der gebändigten Leidenschaft.

2. Reimschema

Das Reimschema der ersten Strophe ist abab, das der zweiten abab – durchgehend Kreuzreim. Der Reim verbindet das Gegensätzliche (Schmerz ↔ Trost) über formale Parallelität. Diese Reimordnung wirkt versöhnend, als würde sie die Spannungen des Inhalts harmonisch einhegen.

3. Sprachliche Gestaltung

Charakteristisch ist der Einsatz von Klangparallelen und Antithesen: Schmertzen – Hertzen, Blick – Glantz, Hülffe – Schaden. Diese Klangoppositionen intensivieren die innere Polarität.

Auch die Syntax folgt barocker Periodenstruktur: der Hauptsatz (Ich finde mich im Mittel meiner Schmertzen) wird durch abhängige Einschübe und Reflexionen überlagert – ein rhetorischer Ausdruck seelischer Zerrissenheit.

4. Metaphorik und Allegorie

Das Herz steht als Sitz der Empfindung für das leidende Subjekt, während die Augen der Geliebten sowohl reale als auch allegorische Instanz sind: sie sind das Medium des Begehrens, zugleich Spiegel göttlicher Schönheit. Die Blume (Amaranth) erweitert die Szene ins Allegorische: sie symbolisiert Unsterblichkeit, aber auch die Versuchung, sich der himmlischen Vollkommenheit schon im Irdischen zu nähern.

Topoi

1. Liebesschmerz (Amor heroicus / amor dolorosus)

Zentraler Topos der barocken Liebesdichtung: Liebe ist Schmerz, Leidenschaft wird als Krankheit, Verwundung oder Fieber erlebt. Der kranke Hertzen-Topos verweist auf Petrarca und die Tradition der Liebeskrankheit.

2. Augenblick und Blick als Waffe der Liebe (vulnus amoris)

Der Blick der Geliebten ist ein klassisches Motiv seit der antiken und petrarkistischen Liebeslyrik. Der Liebende wird durch den Blick verwundet – Amor schießt mit Pfeilen aus den Augen der Geliebten. Abschatz transformiert diesen Topos ins psychologische und theologische: der Blick spendet zugleich Trost.

3. Selbstreflexion des Leidenden

Die Einsicht in das eigene Zuvielsehen greift den barocken Topos der Erkenntnis der eigenen Schuld und des Übermaßes auf: Leid entsteht nicht nur durch äußere Umstände, sondern durch das eigene Begehren – vanitas der Leidenschaft.

4. Blumensymbolik (Amaranth)

Die Benennung der Amaranth-Blume ruft eine emblematische Ebene auf. In barocken Emblembüchern steht sie für Ewigkeit, göttliche Liebe, aber auch für die Diskrepanz zwischen irdischem und himmlischem Schönheitsideal. Sie bildet den Gegenpol zur Vergänglichkeit des kranken Herzens.

Literaturepochentypische Kontextualisierung

1. Barocke Grundspannung: Diesseits und Jenseits

Abschatz’ Gedicht verkörpert den barocken Dualismus zwischen irdischem Begehren und geistiger Transzendenz. Die Liebe wird als Ort dieser Spannung begriffen: sinnlich erfahrbar, aber auf etwas Überirdisches ausgerichtet. Diese Dialektik entspricht der religiös-moralischen Weltsicht des 17. Jahrhunderts.

2. Vanitas-Motiv und Affektenlehre

Das Bewusstsein der Vergänglichkeit und der Affekte als moralisch ambivalente Kräfte ist typisch für den Hochbarock. Leidenschaft gilt als zugleich lebensspendend und zerstörerisch. Das Gedicht zeigt diese Doppelnatur exemplarisch in der Erfahrung, daß der Blick der Geliebten sowohl heilt als auch verletzt.

3. Rhetorische Kunstform als Ausdruck innerer Disziplin

Barocke Poetik zielt auf formale Kunstfertigkeit, um die Unordnung der Welt durch ästhetische Ordnung zu bannen. Abschatz gestaltet das seelische Chaos des Liebenden in klar symmetrischen Strophen – das ist barocke compositio artificiosa: das Leiden wird zur Kunstform sublimiert.

4. Sozialer und kultureller Kontext

Abschatz, Vertreter der Schlesischen Dichterschule (neben Gryphius, Hofmannswaldau), bewegt sich in der höfischen Liebesdichtung, die Petrarkismus, Emblematik und moralisch-theologische Reflexion verbindet. Sein Zyklus Anemons und Adonis Blumen transformiert antike Liebesmythen in barocke Sinnbilder für Tugend, Leidenschaft und Vergänglichkeit.

Strophenübergreifende, ausführliche gesamtheitliche Zusammenfassung

1. Dialektik des Blicks und des Herzens

Das Gedicht entfaltet eine seelische Bewegung von der Hoffnung auf Trost durch die Geliebte hin zur Einsicht in die Unheilbarkeit der Leidenschaft. Beide Strophen bilden eine innere Dramaturgie: die erste verheißt Linderung, die zweite entzieht sie wieder. So entsteht ein Kreis von Schmerz, Trost und neuer Verletzung.

2. Paradoxe Struktur der Empfindung

Das lyrische Ich erfährt den Blick der Geliebten als süss und zugleich verderblich. Diese paradoxe Erfahrung wird zur allegorischen Darstellung der barocken Erfahrung des Lebens überhaupt: alles Schöne ist zugleich gefährlich, alles Erhabene führt in die Erkenntnis der eigenen Schwäche. Der barocke Mensch liebt das, was ihn zerstört.

3. Ästhetische Beherrschung des Inneren

Durch das metrische Gleichmaß, die Reimordnung und die kontrollierte Syntax wird die Leidenschaft formal gezähmt. Die Poesie verwandelt das Leiden in Kunst. In dieser ästhetischen Disziplin liegt ein moralisches Ideal des Barock: die Affekte sollen erkannt, aber gebändigt werden – Schönheit wird zur Form des Widerstands gegen das Chaos der Emotionen.

4. Metaphysische Tiefenschicht

Hinter der erotischen Oberfläche verbirgt sich eine religiöse Struktur: das zu viel Sehen der Geliebten erinnert an die mystische Erfahrung, daß der Blick ins Göttliche den Sterblichen blendet. So könnte das Gedicht auch als profan-allegorische Fassung des göttlichen Übermaßes gelesen werden: wer das Unvergängliche (Amaranth) zu sehr erblickt, erleidet den Schmerz der Endlichkeit.

5. Barockes Lebensgefühl in nuce

Abschatz’ Gedicht kondensiert in acht Versen die Grundstimmung des Barock: Sehnsucht nach dem Ewigen, Bewußtsein der Vergänglichkeit, und der Versuch, diese Spannung durch Kunst und Form zu fassen. Schmerz und Schönheit, Sünde und Gnade, Begehren und Selbstverzicht erscheinen nicht als Gegensätze, sondern als unauflöslich verschränkt – das Herz ist zugleich Ort der Pein und der Offenbarung.

Fazit:

Das Gedicht Nr. 51 aus Anemons und Adonis Blumen ist ein mikrokosmisches Beispiel barocker Liebeslyrik, in der das persönliche Leiden als emblematische Wahrheit des menschlichen Daseins erscheint. Der Blick der Geliebten wird zur Chiffre für das Verhältnis zwischen Sinnlichkeit und Transzendenz; formale Strenge und inhaltliche Leidenschaft spiegeln die barocke Dialektik von Ordnung und Bewegung, von Form und Affekt, von Vergänglichkeit und Ewigkeit.

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