LYRIKATLAS
Der Kompass im Lyrikdschungel

Hans Aßmann von Abschatz

Gedicht 50 aus dem Zyklus
Anemons und Adonis Blumen

Ich bringe wieder her und über mein Verhoffen1
In diß betrübte Land der siechen Glieder Last/2
Den Tod/ den ich gesucht/ hab ich nicht angetroffen/3
Ich habe mir umsonst zum Sterben Mutt gefast;4
Weil ich/ mein süsser Tod/ von dir entfernt gewesen/5
So hab ich nicht gekönnt noch sterben noch genesen.6

Das macht dein edles Bild/ in meine Brust gepräget/7
Das ich in deine Hand zu lieffern schuldig bin.8
Schau deinen Knecht/ der sich zu deinen Füssen leget:9
Nimm diesen edlen Schatz samt meinem Hertzen hin.10
Ich sterbe wohl vergnügt/ ich sterbe gnung beklaget/11
Wenn nur dein Mund/ Ade du treue Seele/ saget.12

Vers-für-Vers-Kommentar
Strophe 1

Ich bringe wieder her und über mein Verhoffen1
In diß betrübte Land der siechen Glieder Last/2
Den Tod/ den ich gesucht/ hab ich nicht angetroffen/3
Ich habe mir umsonst zum Sterben Mutt gefast;4
Weil ich/ mein süsser Tod/ von dir entfernt gewesen/5
So hab ich nicht gekönnt noch sterben noch genesen.6

1 Ich bringe wieder her und über mein Verhoffen

Analyse:

1. Der Vers eröffnet mit einem Deixisgestus (wieder her), der eine Rückkehr markiert. Das Adverb wieder setzt voraus, dass es bereits eine Entfernung oder ein früheres Fortsein gab; her zieht die Szene zum Sprecherstandort und erzeugt Nähe.

2. Über mein Verhoffen (über meine Erwartung) fungiert als adverbiale Einschränkung und lenkt die semantische Achse von Hoffnung auf Enttäuschung: Die Erwartung (Heilung oder Tod als Erlösung) wurde überboten – allerdings negativ.

3. Syntaktisch wird Spannung erzeugt, weil das direkte Objekt des Verbs bringe noch fehlt und erst im folgenden Vers nachgereicht wird; dies ist eine barocke Retardationsfigur, die die Aussage auflädt.

Interpretation:

4. Der Sprecher bekennt eine unerwartete, ja widerwillige Rückkehr: Er hatte auf eine endgültige Lösung (Heilung oder Erlösung im Tod) gehofft, findet sich aber erneut im Ausgangszustand.

5. Das semantische Feld der Hoffnung wird schon hier unterlaufen; der Vers richtet die Erwartung auf einen bevorstehenden Umschlag ins Tragische.

6. Das Bringen deutet eine Last an, deren Benennung hinausgeschoben wird – ein poetischer Vorgriff auf das Motiv des Leidens, das noch nicht ausgesprochen werden kann.

2 In diß betrübte Land der siechen Glieder Last/

Analyse:

1. In diß betrübte Land ist räumliche Metaphorik: Land bezeichnet entweder die Heimat im Äußeren oder – allegorisch – den Zustand des Leibes/der Seele. Betrübt akzentuiert eine melancholische, von Kummer durchdrungene Sphäre.

2. Der siechen Glieder Last schiebt die verspätete Objektbestimmung nach: Es ist die Last selbst, die er bringt. Die Genitivkonstruktion (der siechen Glieder) umschreibt das kranke, geschwächte Fleisch – ein barocker Periphrasmus für körperliche Gebrechlichkeit.

3. Die metrisch-rhetorische Zäsur (angedeutet durch den Schrägstrich) verstärkt den Doppelzug von äußerem Raum (Land) und innerem Zustand (Glieder).

Interpretation:

4. Das Bild verdoppelt die Krankheit: Die Welt ist betrübt, der Körper siech – Außenwelt und Innenleib spiegeln einander.

5. Die Last ist nicht nur physisch; sie ist existenziell und wird zum Topos des getragenen Leidens.

6. Der Sprecher inszeniert seine Rückkehr als ein erneutes Einwurzeln im Reich der Trauer – eine Antiadventserfahrung: kein Ankommen der Heilung, sondern der Rückfall.

3 Den Tod/ den ich gesucht/ hab ich nicht angetroffen/

Analyse:

1. Die Relativrekursion (Den Tod, den ich gesucht) erzeugt Nachdruck: das Objekt Tod wird vorangestellt und wiederaufgenommen.

2. Die Verbumskette (gesucht … nicht angetroffen) setzt aktive Intentionalität gegen passive Erfolglosigkeit: Der Sprecher handelte, doch die Sache entzog sich.

3. Klanglich markiert der Vers einen scharfen Einschnitt: Die konsequente Negation (nicht) fällt wie ein Urteil.

Interpretation:

4. Der Tod gilt als erhoffte Grenze und Erlösung – eine barocke Umwertung, in der die ultima linea rerum begehrt wird.

5. Der Tod entzieht sich; er erscheint nicht als Schicksal, sondern als verweigertes Gegenüber. Damit rückt Personifikation in Sicht: der Tod ist ein Adressat, der anzutreffen wäre.

6. Die Szene tilgt die Option der finalen Lösung und verschärft die existenzielle Schwebe: Das ersehnte Ende bleibt verwehrt.

4 Ich habe mir umsonst zum Sterben Mutt gefast;

Analyse:

1. Das Reflexivpronomen (mir) markiert inneren Entschluss; zum Sterben als Dativus finalis gibt die Zielrichtung an. Mutt gefast (Mut gefasst) ist archaisch gefärbt und steigert den Ernst der Entscheidung.

2. Das Adverb umsonst sprengt die heroische Geste: Der moralische Akt der Fassung wird ins Leere geführt.

3. Der Satzschluss mit Semikolon öffnet die Kausal- und Konsequenzlogik, die in den folgenden Versen entfaltet wird.

Interpretation:

4. Zwischen Tapferkeitstopik (Mut) und barocker Vanitas steht die Nutzlosigkeit des Vorsatzes: Selbst entschiedene Todesbereitschaft kann das Ereignis nicht herbeizwingen.

5. Der Vers lässt zwei Lesarten zu: Mut, den natürlichen Tod zu ertragen, oder – dunkler – Mut zur Selbsttötung. In beiden Fällen bleibt das Pathos wirkungslos.

6. Psychologisch wird der Sprecher als jemand gezeichnet, der sein Schicksal aktiv umarmt – und gerade daran scheitert; der Wille zerschellt an einer transpersonalen Ordnung.

5 Weil ich/ mein süsser Tod/ von dir entfernt gewesen/

Analyse:

1. Die Kausalpartikel Weil liefert die Begründung für das Scheitern: Ursache ist die Entfernung.

2. Die parenthetische Apostrophe mein süsser Tod unterbricht die Syntax und setzt einen zärtlichen, paradoxen Ruf ein: Der Tod wird zugleich personifiziert und erotisiert.

3. Die Tempusform (gewesen) als Prädikativpartizip legt ein bereits andauerndes Getrenntsein nahe; der Vers streckt die Ursache in die Dauer.

Interpretation:

4. Süßer Tod kann als Name der Geliebten gelesen werden – ein barocker Eros-Thanatos-Synkretismus, in dem Liebeserfüllung als kleiner Tod (extatischer Kollaps) imaginiert ist.

5. Alternativ (oder zugleich) ist der Tod personifiziert und milde gewertet: süß verkehrt das Schreckliche ins Begehren.

6. Die Distanz (entfernt) begründet das paradoxe Leiden: Ohne die Nähe des süßen Todes (Liebesvereinigung) bleibt der Kranke in einer unerlösten Zwischenlage.

6 So hab ich nicht gekönnt noch sterben noch genesen.

Analyse:

1. Die konsekutive Einleitung So zieht das logische Fazit aus der Kausalbestimmung.

2. Die doppelte Negation mit korrelativer Reihung (nicht … noch … noch) schafft eine symmetrische Antithese: sterben // genesen.

3. Rhetorisch entsteht eine Oxymoron-Nahlage: ein Zustand zwischen Nicht-Ende und Nicht-Heil, ein stillgestelltes Dasein.

Interpretation:

4. Der Sprecher ist in einem liminalen Raum gefangen: weder Exit (Tod) noch Restitutio (Heilung).

5. Medizinisch-literarisch verweist dies auf amor hereos (Liebeskrankheit), eine barock vertraute Pathologie, die körperliche Siechtumssymptome erzeugt, aber nur durch die Nähe der Geliebten (oder den Tod) zu lösen ist.

6. Existenziell und ästhetisch kulminiert die Strophe in der Figur des Suspendierten – ein emblematisches Bild barocker Paradoxie.

Zusammenfassende Untersuchung
Strophe 1

1. Struktur und Retardation: Die Strophe entfaltet eine zielgerichtete, aber ständig verzögerte Aussagebewegung. Das Prädikat bringe wartet auf sein Objekt; die Hoffnung (Verhoffen) wird sogleich gebrochen; der Wunschtod wird grammatisch exponiert und semantisch entzogen. Diese Verzögerung spiegelt die innere Hemmung des Sprechers, der seine Last zwar benennt, aber nicht ablegen kann.

2. Raum–Leib–Metaphorik: Betrübtes Land und sieche Glieder verschränken Außenraum und Körper zu einer Allegorie des Elends. Der Ort der Rückkehr ist kein geographischer, sondern ein Zustandsraum des Leidens.

3. Eros und Thanatos: Mit der Apostrophe mein süsser Tod verschmilzt Liebessemantik mit Todessemantik. Ob die Geliebte so benannt wird oder der Tod selbst erotisiert ist – in beiden Fällen ergibt sich eine barocke Ambivalenz, in der Erlösung, Ekstase und Vernichtung ineinander spielen.

4. Logik der Entfernung: Kausalität und Konsequenz sind einfach und unerbittlich: Weil die Nähe fehlt, scheitern beide Enden des Spektrums – Heilung und Tod. Die Distanz ist nicht nur räumlich, sondern ontologisch: ein Abstand zur rettenden Instanz (Geliebte/Tod).

5. Paradoxale Schwebe: Der Schlussvers mit der doppelten Negation bündelt das Thema der Strophe: das Dasein als Unentschiedenheit. Diese Schwebe ist nicht neutral, sondern leidvoll; sie bindet den Sprecher an die Last und verwehrt den Umschlag in ein anderes Sein.

6. Barocke Weltdeutung: Die Strophe ist durchzogen von Vanitas- und Leidensmotiven, doch ohne theologischen Lösungssatz. Statt Trostformel erscheint eine verstärkte Paradoxie, die typisch barocke Affektlagen (Sehnsucht, Schwermut, Begehrung) in eine scharf konturierte rhetorische Form bringt.

7. Zyklischer Horizont (Anemons und Adonis Blumen): Der mythologische Rahmen (Adonis–Anemone, Wunde–Blume) hallt mit: Liebe und Tod gehören zusammen; aus der Wunde geht Blüte hervor. Die Strophe positioniert den Sprecher genau vor dieser Metamorphose – sie bleibt (noch) aus, weil die Nähe fehlt.

Vers-für-Vers-Kommentar
Strophe 2

Das macht dein edles Bild/ in meine Brust gepräget/7
Das ich in deine Hand zu lieffern schuldig bin.8
Schau deinen Knecht/ der sich zu deinen Füssen leget:9
Nimm diesen edlen Schatz samt meinem Hertzen hin.10
Ich sterbe wohl vergnügt/ ich sterbe gnung beklaget/11
Wenn nur dein Mund/ Ade du treue Seele/ saget.12

7 Das macht dein edles Bild/ in meine Brust gepräget/

Analyse

1. Der Vers setzt kausal ein (Das macht…) und bezieht sich auf das bereits Vorangegangene: eine innere Disposition des lyrischen Ich wird als Wirkung eines verursachenden Moments benannt.

2. Dein edles Bild aktiviert das barocke Emblemtopos der imago cordis: die Geliebte ist als Bild im Herzen präsent. Edel adelt sowohl die Geliebte als auch den Akt des Innerlich-Eingebrannten.

3. in meine Brust gepräget greift die Metaphorik des Prägstempels (Münzprägung, Siegel) auf: nicht bloß Erinnerung, sondern irreversible Einschreibung. Semantisch mitschwingend ist die Ding- und Rechtswelt (Siegel, Eigentumszeichen).

4. Klanglich fallen die Alliterationen Bild/Brust und der harte Plosiv von gepräget auf, die die Eindringlichkeit des Vorgangs stützen.

5. Syntaktisch erscheint ein (typisch barockes) Partizip Perfekt Passiv (gepräget), das die Handlungsrichtung betont: Das Ich ist Objekt einer Wirkung.

Interpretation

1. Liebe wird als formende Macht begriffen: Die Geliebte prägt den Liebenden, wie der Stempel die Münze. Das deutet auf Identitätsstiftung durch das Du.

2. Die Bildmetapher signalisiert Stellvertretung: Nicht die reale Gegenwart, sondern die ikonische Anwesenheit in der Brust regiert das Ich – Nähe trotz Distanz.

3. Die Rechts- und Eigentumssemantik (Prägung/Siegel) legt Besitzverhältnisse nahe: Das Herz steht unter dem Gütesiegel der Geliebten, sie beansprucht Herrschaft im Inneren.

4. Theologisch-affektiver Unterton: Die in die Brust geprägte Gestalt erinnert an Frömmigkeitsbilder des Herzens (Herzensfrömmigkeit) – die Liebesbeziehung nähert sich einem quasi-sakralen Verhältnis.

8 Das ich in deine Hand zu lieffern schuldig bin.

Analyse

1. Der kausale Faden wird weitergeführt (Das…): aus der inneren Prägung folgt äußere Verpflichtung.

2. in deine Hand zu liefern ist Terminologie des Eigentums- und Übergaberechts (traditio): etwas wird mit Handkontakt übergeben. Hier: das eigene Selbst.

3. schuldig ist doppeldeutig: moralische Pflicht und rechtliche Schuld. Das Begehren wird in eine Pflichtsemantik überführt.

4. Der Infinitivkonstruktion (zu lieffern) verleiht dem Vers eine juristisch-formelhafte Lakonik.

Interpretation

1. Aus der inneren Bindung entsteht legitime Auslieferung des Ich: Liebe wird als freier Akt der Selbsthingabe gefasst, zugleich durch das Siegel notwendig.

2. Die Hand markiert Macht, Schutz, auch Gnade. Sich in die Hand der Geliebten liefern ist Unterwerfungs- und Vertrauensgeste zugleich.

3. Das rechtliche Idiom erhöht die Ernsthaftigkeit: Das Liebesverhältnis wird wie ein bindender Kontrakt verstanden; es hat Konsistenz über Launen hinaus.

4. Subtil kehrt das Besitzmotiv um: Obwohl sie Eigentümerin der Prägung ist, erklärt sich das Ich für die aktive Übergabe verantwortlich – Freiheit in der Bindung.

9 Schau deinen Knecht/ der sich zu deinen Füssen leget:

Analyse

1. Imperativ Schau: ein performativer Ruf nach Aufmerksamkeit, der die Szene theatralisiert.

2. deinen Knecht aktualisiert den Dienstbarkeitstopos höfischer und barocker Liebessprache: das Ich als Vasall.

3. zu deinen Füßen ist symbolisch für Demut, Huldigung und Bitte um Huld (Gnadenbitte).

4. Die körperliche Gebärde (leget) visualisiert Unterwerfung und bittet um Annahme.

5. Lexikalisch korrespondiert Knecht mit der zuvor eingeführten Schuld/Schuldigkeit; die soziale Metapher verfestigt die hierarchische Asymmetrie.

Interpretation

1. Der Liebesdienst wird rituell: Der Vasall legt sich dem Lehnsherrn zu Füßen – Liebesbeziehung als Akt feierlicher Huldigung.

2. Die Szene lädt religiös auf: Knecht kann auch der Knecht Gottes sein; die Haltung erinnert an kultische Proskynese.

3. Die Selbstdegradierung ist zugleich Selbstinszenierung: Wer sich so radikal unterwirft, demonstriert höchste Treue – ein Kapital in der Ökonomie des Begehrens.

4. Das Ich verlangt nicht abstrakt nach Erwiderung, sondern nach Blickkontakt: Gesehenwerden ist Beglaubigung der Beziehung.

10 Nimm diesen edlen Schatz samt meinem Hertzen hin.

Analyse

1. Wieder Imperativ (Nimm): die Bitte wird zur Übergabehandlung.

2. dieser edle Schatz reaktiviert das Motiv aus V. 7: der Schatz ist das in der Brust geprägte Bild der Geliebten; paradox: ihr eigenes Bild als Gabe.

3. samt meinem Herzen verschärft die Totalität: nicht nur das Bild, sondern der Träger (Herz) selbst wird hingegeben.

4. Die Doppelformel Schatz/Herz verschmilzt Wertmetaphorik (Schatz) und Zentrum des Affekts (Herz) – eine absolute Donation.

Interpretation

1. Raffinierter Eigentumswechsel: Er schenkt ihr ihr Bild zurück – mitsamt dem Behälter. Die Geliebte erhält sich selbst im Herzen des Liebenden als Besitz.

2. Liebe erscheint als Zirkulation von Wert: Was in ihm Wert bekam, wird an den Ursprung rückübertragen; daraus erwächst Bindung.

3. Die Ganzhingabe antizipiert den Liebestod-Topos: Wer sein Herz aus der Hand gibt, verzichtet auf Selbstsouveränität.

4. In der barocken Emblematik ist der Schatz oft Tugend/Treue; so wird die Gabe nicht materiell, sondern moralisch-affektiv: Er bietet seine Integrität.

11 Ich sterbe wohl vergnügt/ ich sterbe gnung beklaget/

Analyse

1. Anapher Ich sterbe … ich sterbe rhythmisiert die Zuspitzung; der Tod wird mehrfach beschworen.

2. Antithetische Paarung: vergnügt vs. gnung beklaget – innerer Friede kontra äußere Klage bzw. ausreichende Trauer.

3. gnung (genug) markiert Suffizienz: Die Konditionen für einen guten Tod sind erfüllt.

4. Prosodisch häufen sich weiche Nasale und G-Laute, die einen getragenen, elegischen Ton stiften.

Interpretation

1. Der Tod ist hier hyperbolische Liebesfigur (Liebestod): ultimative Steigerung der Hingabe, nicht Thanatos-Sehnsucht um ihrer selbst willen.

2. Doppelte Bilanz: Subjektiv fände er Frieden (vergnügt), objektiv wäre der Verlust sozial anerkannt (genug beklagt) – Liebe stiftet Sinn jenseits des Individuums.

3. Die Antithese hält barockes Paradox fest: Freude im Tod – ein affektiver Oxymoron, der nur im Zeichen der Liebe plausibel wird.

4. Die Wiederholung performt Entschlossenheit: Es ist mehr als Pose; es wird als mögliche Realität imaginiert.

12 Wenn nur dein Mund/ Ade du treue Seele/ saget.

Analyse

1. Konditionalsatz (Wenn nur…): Die Todesbereitschaft der V. 11 steht unter einer klaren Bedingung.

2. dein Mund … saget fokussiert die Stimme der Geliebten; die Sprache selbst wird zum wirksamen Akt.

3. Das eingestellte Zitat Ade du treue Seele ist eine adressierende Formel, welche Anerkennung (treue) und Abschied (Ade) verbindet.

4. Syntax und Interpunktion isolieren das Zitat, wodurch es als performative Letzt-Erlaubnis erscheint: ein kleiner Ritus des Lossprechens.

Interpretation

1. Nicht der Tod an sich, sondern die Anerkennung durch die Geliebte legitimiert ihn: Wird seine Treue benannt, erhält das Sterben Sinn.

2. Sprache als Sakrament: Das eine Wort der Geliebten wirkt wie Absolution/Entlassung – eine säkularisierte Gnadenformel.

3. Der Abschied ist zugleich Liebesurteil: treue Seele setzt das Selbstbild des Ich fest; Identität wird im Mund des Anderen bestätigt.

4. Damit schließt sich der Kreis: Was als Prägung begann (V. 7), endet als Sigillum der Rede – Anfang Bild, Ende Wort.

Zusammenfassende Untersuchung
Strophe 2

1. Struktur der Hingabe: Von der inneren Prägung (V. 7) über die rechtlich konnotierte Auslieferung (V. 8) und die rituelle Huldigung (V. 9) bis zur Totalgabe (V. 10) steigert die Strophe die Intensität der Selbstüberantwortung.

2. Rechts- und Kultmetaphorik: Terminologie wie prägen, Hand, liefern, Knecht, zu Füßen verschmilzt Lehnseid-, Vertrags- und Kultsprache. Liebe wird als bindender, feierlicher Akt gestaltet, nicht als bloßer Affekt.

3. Paradoxe Todessemantik: V. 11–12 fassen die Hingabe im Liebestod-Paradox zusammen: subjektive Heiterkeit und objektive Trauer reichen einander die Hand, jedoch bedingt durch das performative Wort der Geliebten.

4. Performative Macht des Wortes: Das letzte Verspaar zeigt, dass Sprache der Geliebten die Wirklichkeit stiftet: Anerkennung (treue Seele) ist das Siegel, das die zuvor beschriebene Prägung beglaubigt.

5. Emblematik von Bild und Herz: Das Motiv des in die Brust geprägten Bildes bindet Bildlichkeit, Eigentum und Affekt zu einem emblematologischen Kern: Die Geliebte ist Bild-Ursprung, Herz-Besitzerin und Richterin über Sinn und Ende des Liebenden.

6. Barocke Affektökonomie: Die Strophe exemplifiziert eine Ökonomie der Werte (Schatz, Herz, Treue), in der Gabe und Gegengabe, Besitz und Selbstverlust, Recht und Ritus verschachtelt sind – ein typisches barockes Spiel der Gegensätze, das in der Anerkennung durch das Du seine Auflösung findet.

So entfaltet die Strophe eine dramatische Kurve von der inneren Signatur der Liebe zur äußeren, durch Sprache ratifizierten Totalhingabe.

Gesamtschau
Organischer Aufbau und Verlauf

1. Rückkehr und Paradox des Überlebens (Verse 1–4)

Das Gedicht beginnt mit einem Moment der überraschenden Rückkehr: Das lyrische Ich bringt sich selbst wieder her – also zurück ins Leben oder in das betrübte Land der siechen Glieder, womit das irdische Dasein gemeint ist. Es hat offenbar den Tod gesucht, diesen aber nicht angetroffen. Schon hier etabliert sich ein paradoxes Spannungsverhältnis: Das Leben, das sonst als Wert gilt, erscheint als Last, während der ersehnte Tod versagt bleibt. Der Anfang stellt also das Spannungsfeld zwischen Lebensmüdigkeit und Liebessehnsucht her.

2. Stillstand zwischen Tod und Genesung (Verse 5–6)

Der zentrale Konflikt wird in den folgenden Versen weiter zugespitzt: Der Grund des Nicht-Sterbens liegt in der Entfernung von der geliebten Person (mein süßer Tod). Der Tod wird als Liebesmetapher verstanden, als süße Erlösung, die aber nur im Angesicht des Geliebten vollzogen werden kann. Daraus entsteht ein existentieller Schwebezustand – der Sprecher kann noch sterben noch genesen, er ist gewissermaßen im Zwischenreich von Leben und Tod gefangen.

3. Wendung zur Hingabe (Verse 7–10)

In der zweiten Strophe tritt eine Bewegung von innerer Ohnmacht zu aktiver Hingabe ein. Der Grund der Zerrissenheit wird benannt: Das edle Bild des Geliebten ist in meine Brust gepräget – die Seele trägt das Bild des Anderen in sich wie ein heiliges Siegel. Dieses Bild verpflichtet den Sprecher, sich selbst in die Hand des Geliebten zu liefern. Aus der passiven Todessehnsucht wird eine freiwillige Opferbewegung: Das Ich legt sich zu deinen Füßen, bietet Herz und Schatz dar – ein Akt kultisch-erotischer Unterwerfung.

4. Schluss und Erlösung im Wort des Geliebten (Verse 11–12)

Der Schluss bringt die paradoxe Erfüllung: Der Sprecher kann wohl vergnügt sterben, wenn ihm nur das Wort des Abschieds (Ade, du treue Seele) vom Mund des Geliebten zuteilwird. Der Tod, der zuvor unerreichbar war, wird hier zur gesegneten Vollendung, sobald er vom Geliebten bestätigt wird. Das Gedicht schließt also mit einer Rückkehr in die Transzendenz – die Stimme des Geliebten wirkt als Gnadenwort, das Tod und Erfüllung vereint.

Psychologische Dimension

1. Ambivalenz von Todessehnsucht und Lebensbindung

Der Sprecher befindet sich in einer tiefen Zerrissenheit zwischen der Sehnsucht nach Tod und der Unmöglichkeit, diesen zu erreichen. Der Tod erscheint nicht als Vernichtung, sondern als erlösender Zustand inniger Vereinigung mit dem Geliebten. Psychologisch liegt hier eine Projektion des Todes auf das geliebte Objekt vor – der süße Tod ist zugleich Symbol des Eros und der Transzendenz.

2. Innere Lähmung und existentielle Schwebe

Die Aussage So hab ich nicht gekönnt noch sterben noch genesen beschreibt einen Zustand psychischer Starre, in dem weder Auflösung noch Heilung möglich ist. Dieser Schwebezustand gleicht einer depressiven Paralyse, in der das Subjekt nur noch durch das Bild des Anderen belebt wird.

3. Selbsthingabe als Heilmittel

Die Wendung zur Hingabe in der zweiten Strophe ist psychologisch ein Akt der Selbstrettung. Indem der Sprecher seine Ohnmacht in ein bewusstes Opfer verwandelt (Ich lieffere mich in deine Hand), transformiert er den passiven Todeswunsch in aktive Selbstentäußerung. Die Unterwerfung wird zur Wiederherstellung psychischer Einheit.

4. Wunsch nach Anerkennung und Abschied

Das Schlussmotiv – der Wunsch, dass der Geliebte das Wort des Abschieds spricht – offenbart das Bedürfnis nach letzter Bestätigung. Psychologisch entspricht dies dem Wunsch, im Blick und Wort des Anderen als wertvoll anerkannt zu sterben. Die Todeserfahrung ist damit zugleich ein Akt der Ich-Bestätigung.

Ethische Dimension

1. Das Verhältnis von Selbstbestimmung und Hingabe

Ethisch zeigt sich ein Konflikt zwischen autonomem Todesverlangen und heteronomer Unterwerfung unter den Geliebten. Das Ich sucht zunächst selbstbestimmt den Tod, erkennt aber, dass das Leben und Sterben nicht in seiner Macht liegen, sondern dem Anderen – sei es Mensch oder Gott – anheimgegeben sind.

2. Pflicht und Schuld gegenüber dem Anderen

In Vers 8 heißt es, das Herz sei zu lieffern schuldig – also eine moralische Verpflichtung. Die Liebe wird hier als ethischer Vertrag verstanden: Wer liebt, gehört nicht mehr sich selbst, sondern dem Anderen. Diese Form der Liebe transzendiert das bloß Emotionale hin zu einem sittlichen Verhältnis gegenseitiger Bindung.

3. Ethische Läuterung durch Unterwerfung

Die Bewegung vom Todeswunsch zur Hingabe lässt sich als Läuterung deuten: Das Ich erkennt, dass wahre Erfüllung nicht in der Selbstvernichtung, sondern in der treuen Übergabe seiner selbst liegt. Hingabe wird so zum ethischen Ideal einer Liebe, die die eigene Existenz nicht zerstört, sondern heiligt.

4. Todesakzeptanz als sittliche Vollendung

Das Sterben wohl vergnügt und gnug beklaget ist ein Ausdruck ethischer Ausgewogenheit: Der Mensch darf Leid empfinden, aber soll es in den Rahmen göttlicher oder liebender Ordnung einfügen. Das Ade des Geliebten legitimiert den Tod – es ist gleichsam ein ethisches Siegel, dass das Leben erfüllt zu Ende geht.

Philosophisch-theologische Tiefenanalyse

1. Metaphysik der Liebe und des Todes

Abschatz greift hier das barocke Motiv der mors amoris auf – der Tod als Erfüllung der Liebe. Philosophisch steht der Text an der Schwelle zwischen Leiblichkeit und Geistigkeit: Das Sterben ist nicht Auflösung, sondern Heimkehr in das metaphysische Prinzip, das in der Liebe selbst beschlossen liegt.

2. Das Bild in der Brust: Theologische Signatur

Das edle Bild in der Brust ist ein Schlüsselmotiv barocker Theologie: Es erinnert an das imago Dei – das göttliche Bild im Menschen. Indem der Sprecher dieses Bild in sich trägt, ist seine Seele Abbild des Geliebten (möglicherweise Gottes). Sein Wunsch, sich in die Hand des Anderen zu geben, spiegelt die christliche Übergabe der Seele an Gott wider.

3. Der Tod als Gnade, nicht als Tat

In der ersten Strophe vergeblich gesucht, wird der Tod in der zweiten zum Geschenk. Theologisch bedeutet dies: Der Mensch kann sich die Erlösung nicht erzwingen; sie wird nur in der Begegnung mit der göttlichen Gnade vollzogen. Die Unmöglichkeit des selbstgewählten Todes ist eine Affirmation göttlicher Verfügung über Leben und Tod.

4. Hingabe als mystische Vereinigung

Die Geste des Sich-Niederlegens zu den Füßen des Geliebten erinnert an mystische Traditionen (z. B. Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz), in denen die Seele sich dem göttlichen Geliebten unterwirft. Das Darbringen von Herz und Schatz entspricht der anima sponsa, der Seele als Braut Christi. In diesem Licht erscheint das Gedicht als Liebesmystik, in der das Erotische nur das Vehikel des Göttlichen ist.

5. Das Wort als schöpferische Macht

Der Schlussvers verleiht dem Mund des Geliebten theologische Bedeutung: Das Wort hat schöpferische Kraft, ähnlich dem Logos. Wenn der Geliebte Ade spricht, wird der Tod erst real und zugleich geheiligt – der Mensch stirbt durch das göttliche Wort, nicht durch eigene Tat. Damit schließt sich der Kreis: Leben und Tod sind beides Akte des göttlichen Sprechens.

6. Barocke Dialektik von Vanitas und Ewigkeitssehnsucht

Die Rückkehr in diß betrübte Land verweist auf die barocke Vanitas-Erfahrung: Das Leben ist krank und gebrechlich. Doch das Gedicht transzendiert diese Klage in ein Bekenntnis der Hoffnung: Der Tod ist nicht das Ende, sondern das Tor zur Vereinigung mit dem Ewigen. So wird aus der Todessehnsucht ein theologisches Vertrauen in die göttliche Ordnung.

Gesamtheitliche Zusammenfassung

Abschatz’ Gedicht entfaltet in zwei gedrängten Strophen einen vollständigen geistig-seelischen Prozess: vom vergeblichen Todeswunsch über die innere Erstarrung bis hin zur erlösten Hingabe und gnädigen Vollendung. Psychologisch beschreibt es die Bewegung von Ohnmacht zu Selbstübertragung; ethisch wandelt sich der egozentrische Todestrieb in altruistische Liebe; theologisch schließlich erweist sich der Tod als göttliche Antwort, nicht als menschliche Tat.

So zeigt das Gedicht in barocker Verdichtung, dass wahre Erlösung weder in der Flucht aus der Welt noch im eigenen Entschluss liegt, sondern in der liebenden Übergabe des Herzens an das göttlich-geliebte Du – ein Moment mystischer Einheit, in dem Liebe, Tod und Gnade eins werden.

Moralische Dimension

1. Das Spannungsfeld von Todessehnsucht und Lebenspflicht

Der Sprecher beginnt mit der Rückkehr über [sein] Verhoffen in ein betrübtes Land, also in die Welt des Leibes und des Leidens. Die moralische Spannung liegt darin, dass der Tod zwar ersehnt, aber nicht gewährt wird. Diese unerfüllte Todessehnsucht verweist auf eine sittliche Prüfung: Der Mensch darf nicht eigenmächtig über Leben und Tod verfügen, sondern muss das ihm vom Schöpfer gesetzte Maß an Leiden und Dasein annehmen. Die moralische Lehre liegt in der Ergebung in göttliche Fügung.

2. Liebe als Läuterung und Pflichterfüllung

Die Person, an die sich das lyrische Ich wendet (mein süsser Tod), ist zugleich Objekt der Liebe und metaphysische Instanz. Die moralische Dimension zeigt sich darin, dass Liebe hier nicht bloß sinnliche Leidenschaft ist, sondern eine Kraft, die den Menschen an seine Pflicht zur Treue und Hingabe erinnert. Der Liebende erkennt seine Abhängigkeit: Er kann weder sterben noch genesen, solange er getrennt ist. Das moralische Ideal ist also nicht Selbstbehauptung, sondern Selbsthingabe.

3. Demut als moralisches Zentrum

In den Versen 8–10 wird die Haltung des Dienens ausdrücklich gemacht: Das Ich leget sich zu Füßen der Geliebten und bietet ihr sein Herz an. Diese Geste der Demut verwandelt Liebesleid in sittliche Reife. Die moralische Würde liegt nicht in heroischer Tat, sondern in der Anerkennung des Anderen als Herrin über das eigene Schicksal — eine symbolische Form der Tugend der Demut.

4. Erfüllung im bewussten Sterben

Das Ende des Gedichts spricht von einem vergnügten Sterben, das gnug beklaget ist. Moralisch gesehen vollendet sich das Leben in der Akzeptanz des Todes als Teil göttlicher Ordnung. Der Tod verliert seine Tragik, sobald er in das Wort Ade der Geliebten eingebettet ist — das moralische Gleichgewicht zwischen Liebe und Sterben ist erreicht.

Anthroposophische Dimension

1. Rückkehr in die irdische Sphäre als karmischer Vorgang

Die Rückkehr in diß betrübte Land der siechen Glieder Last lässt sich anthroposophisch als Inkarnation deuten. Der Sprecher, der den Tod suchte und nicht fand, erfährt eine karmische Notwendigkeit, in die stoffliche Welt zurückzukehren, um bestimmte Entwicklungsschritte zu vollziehen. Sein Scheitern am Tod ist somit ein Ausdruck geistiger Unreife: Die Seele muss weiter reifen.

2. Das edle Bild als geistige Signatur

Dein edles Bild, in meine Brust gepräget verweist auf das anthroposophische Konzept des inneren Bildes, das im Menschen als geistiger Archetyp wirkt. Es ist das Bild des höheren Selbst oder des geliebten geistigen Wesens, das die Seele durch alle Inkarnationen begleitet. Das Bild prägt die Form des Herzens und bindet den Menschen an sein geistiges Ideal.

3. Hingabe als Weg der Transformation

Die Übergabe des Herzens in die Hand der Geliebten ist ein symbolischer Akt der inneren Alchemie: Die niedere, egoistische Natur wird der höheren Liebe geopfert. Dadurch verwandelt sich Leiden in Erkenntnis. Das anthroposophische Motiv der Metamorphose der Gefühle wird sichtbar: Schmerz wird zur Form des Erwachens.

4. Sterben als Initiation

Das finale Sterben ist nicht als biologischer Tod, sondern als Initiation zu verstehen. Der Mund der Geliebten, der Ade spricht, ist das Tor zwischen Welten: Die Seele verlässt die materielle Ebene und tritt in eine höhere Bewusstseinsform ein. Der Tod ist hier der Übergang in den geistigen Ätherraum, in dem das Ich seine wahre Bestimmung erkennt.

Ästhetische Dimension

1. Barocke Dialektik von Pathos und Ordnung

Das Gedicht steht ganz im barocken Spannungsfeld zwischen Gefühlsexzess und formaler Strenge. Die Rede vom Tod, vom Leiden, von der Unterwerfung unter die Geliebte ist hoch emotional, doch zugleich in ein festes metrisches und rhetorisches Gerüst gebannt. Gerade diese Spannung erzeugt Schönheit: Emotion wird durch Form gezähmt.

2. Bildästhetik des Leidens

Die siechen Glieder, die Last und das betrübte Land schaffen eine dichte Bildwelt des körperlichen und seelischen Elends. Diese Ästhetik des Leidens ist typisch für die barocke Empfindung, in der Schönheit aus dem Gegensatz von Vergänglichkeit und geistiger Beständigkeit erwächst. Das Leiden selbst wird zum Ornament, zur Kunstform.

3. Liebestod als ästhetische Vollendung

Die letzte Zeile Wenn nur dein Mund, Ade du treue Seele, saget schließt den Kreis des Gedichts mit sanfter Klangfülle. Der Tod erhält eine ästhetische Dimension, weil er in Sprache und Klang überführt wird. Schönheit besteht nicht im Sieg über den Tod, sondern in der poetischen Form, in der der Tod seine eigene Musik erhält.

4. Das Ideal des edlen Gleichgewichts

Der Sprecher sterbet wohl vergnügt – die ästhetische Haltung besteht in der Balance zwischen Schmerz und Harmonie. Der Tod wird nicht geschrien, sondern gesungen; die Liebesklage verwandelt sich in Wohlklang. Dies entspricht dem barocken Ideal des decorum: Affekt wird durch Kunst veredelt.

Rhetorische Dimension

1. Antithetischer Aufbau

Die Gegensätze von Leben und Tod, Nähe und Entfernung, Leiden und Trost strukturieren das gesamte Gedicht. Durch die konsequente Antithetik erzeugt Abschatz eine innere Dynamik: Der Leser wird zwischen den Polen der Erfahrung hin- und hergerissen, bis sich im Schluss die Einheit offenbart.

2. Personifikation und Apostrophe

Der Tod wird personifiziert und zugleich als Geliebte angeredet (mein süsser Tod). Diese rhetorische Figur verwandelt das abstrakte Prinzip in ein dialogisches Gegenüber. Der poetische Effekt liegt darin, dass die Rede an den Tod zugleich Liebesbekenntnis und Gebet ist — ein doppelter Ton, typisch für barocke Spiritualität.

3. Repetition und Klangstruktur

Wiederholungen wie sterben (mehrfach) oder der lautliche Gleichklang von Hertzen und Schatz schaffen musikalische Geschlossenheit. Der Sprachrhythmus unterstützt das Motiv des unaufhörlichen Kreislaufs: Das Gedicht klingt wie ein Atemzug zwischen Tod und Leben.

4. Metapher der Übergabe

Das Motiv des Übergebens (zu lieffern schuldig bin, nimm ... hin) hat eine rhetorische Funktion: Es inszeniert den Akt der Hingabe als performativen Sprechakt. Der Sprecher vollzieht im Sagen, was er meint — Sprache wird Handlung, Rhetorik wird Ritual.

Gesamtschau

Das Gedicht entfaltet in barocker Verdichtung eine doppelte Bewegung: den Wunsch nach Erlösung durch Tod und die Erkenntnis, dass diese Erlösung nur durch die Hingabe an ein höheres Prinzip — in Form der Liebe — erreichbar ist. Moralisch bedeutet dies die Annahme des göttlichen Willens, anthroposophisch die geistige Reifung der Seele, ästhetisch die Veredelung des Leidens durch Form, und rhetorisch die Verwandlung des Todeskampfes in poetische Sprache.

So erscheint Abschatz’ Gedicht als barockes Gleichnis für das ewige Paradox des Menschen: Nur wer stirbt, ohne zu sterben, erkennt das Leben in seiner wahren Tiefe.

Metaebene

1. Existenzielle Rückkehr und Verfehlung des Todes

Das lyrische Ich berichtet von seiner Rückkehr in ein betrübtes Land, was sowohl wörtlich als auch symbolisch verstanden werden kann. Wörtlich kehrt der Sprecher aus einer physischen oder seelischen Krise zurück; symbolisch hingegen bedeutet es, dass er den Tod, den er suchte, nicht gefunden hat – der ersehnte Übergang zur Erlösung bleibt ihm verwehrt. Damit wird das Gedicht zu einer Reflexion über das Scheitern der Todessehnsucht und über die Ambivalenz von Leben und Sterben.

2. Dialektik von Leben und Tod

Die Grundspannung des Textes liegt in der paradoxen Erfahrung, dass das Leben ohne die Geliebte nur als Leiden erfahren wird, der Tod aber ebenfalls unerreichbar bleibt. Diese Unmöglichkeit des Sterbens und Genesens verweist auf einen Zustand existentieller Starre – eine seelische Zwischenwelt zwischen Sein und Nichtsein, Liebe und Verlust, Wunsch und Entsagung.

3. Das Verhältnis zwischen Ich und Du

Das Gedicht ist vollständig auf das Du – die Geliebte – ausgerichtet. Ihr Bild bestimmt das Innere des Sprechers. Das Ich wird zum Knecht, zum sich unterwerfenden Liebenden, der in kultisch-religiöser Geste seine Hingabe ausdrückt. Das Du erhält quasi-heilige Züge, sodass die Liebe zur Frau an die Grenze religiöser Verehrung rückt.

4. Die poetische Selbstinszenierung

Abschatz gestaltet das lyrische Ich als Figur der empfindsamen Treue und des leidenden Pathos. Diese Inszenierung der Treue bis zum Tod ist zugleich ein Akt der Selbstbestätigung des Dichters als empfindsamer Subjektpoet, dessen Innerlichkeit das Zentrum der poetischen Aussage bildet – ein Kennzeichen des frühbarocken Liebesgedichts.

Poetologische Dimension

1. Das Gedicht als Spiegel barocker Vanitas-Poetik

Die Thematik des Todes, der Vergeblichkeit und der menschlichen Ohnmacht verweist auf das barocke Grundmotiv der Vanitas. Auch wenn hier der Tod nicht tatsächlich eintritt, bleibt seine Sehnsucht ein Ausdruck jener barocken Melancholie, die das irdische Dasein als vergänglich und leidvoll erkennt.

2. Die Dichtung als Ort der sublimierten Passion

Da der reale Tod versagt bleibt, wird das Gedicht selbst zum Medium der Erlösung: Das lyrische Ich verwandelt sein Leiden in Sprache, seine unerfüllte Todessehnsucht in poetische Form. So wird der Akt des Dichtens zum Ersatz für das Scheitern des Todes – eine Transformation der körperlichen Passion in ästhetische Reflexion.

3. Rhetorische Kunst und Affektlenkung

Das Gedicht ist streng gebaut und rhythmisch ausgewogen. Antithesen (nicht sterben noch genesen) und Parallelismen dienen der emotionalen Verstärkung. Diese rhetorische Kunstfertigkeit ist typisch für den Barock, wo dichterische Form das Chaos des Affekts bändigt. Poetik wird hier zur Formung des Seelischen durch Sprache.

4. Die Sprache als Medium der Devotion

Abschatz verschmilzt religiöse und erotische Diktion. Der Liebende leget sich zu Füßen der Geliebten, als handle es sich um einen Gotteskult. Damit erhält die poetische Rede einen liturgischen Charakter. Die Sprache selbst wird zur Handlung der Verehrung – poetologische Reflexion und kultische Geste fallen ineins.

Metaphorische Dimension

1. Der Tod als süße Geliebte

Der Ausdruck mein süsser Tod ist eine zentrale Metapher. Der Tod ist hier nicht Vernichtung, sondern Sehnsuchtsziel, ja sogar eine Personifikation des Geliebten selbst. Diese Umkehrung von Todesangst in Todeslust deutet auf eine barocke Erotisierung der Endlichkeit.

2. Das Bild in der Brust

Wenn das Ich das edle Bild der Geliebten in die Brust gepräget trägt, so ist dies eine doppelte Metapher: einerseits für die bleibende Erinnerung (seelische Gravur), andererseits für eine mystische Immanenz – die Geliebte wird Teil des inneren Seins des Sprechers. Das Motiv erinnert an mittelalterliche Minnelyrik, aber auch an mystische Imago-Vorstellungen.

3. Das Herz als Pfand und Opfergabe

Das lyrische Ich will der Geliebten sein Herz zu lieffern – eine Formel, die sowohl ökonomisch (Übergabe eines Schatzes) als auch sakral (Opfergabe) gelesen werden kann. Diese doppelte Konnotation von Hingabe und Eigentumsübertragung verleiht dem Gedicht religiöse Tiefenschärfe.

4. Der Mund als Erlösungsorgan

Im letzten Vers steht das Ade du treue Seele als performativer Moment: Das Wort der Geliebten – ihr Mund – besitzt erlösende Macht. Sprache wird hier zum sakramentalen Akt: das Abschiedswort als Segen, der den Tod des Liebenden verklärt.

Literaturgeschichtliche Dimension

1. Einordnung in den deutschen Frühbarock

Abschatz (1646–1699) gehört zur Generation der sogenannten Schlesischen Dichterschule (neben Gryphius, Opitz, Hofmannswaldau). Das Gedicht steht im Kontext einer Zeit, die von Religiosität, Kriegserfahrung und Todesbewusstsein geprägt ist. Die Mischung aus Leidenspathos, Todessehnsucht und Sprachkunst ist dafür typisch.

2. Bezüge zur höfisch-galanten Liebeslyrik

Der Zyklus Anemons und Adonis Blumen steht in der Tradition der galanten Liebespoesie, die höfische Formvollendung mit empfindsamer Innerlichkeit verbindet. Abschatz kombiniert diese galante Rhetorik mit der barocken Metaphysik des Todes – eine charakteristische Hybridität seiner Lyrik.

3. Nachwirkungen der Mystik und der Petrarkismus

Die Vorstellung der Geliebten als göttlich überhöhtes Wesen hat ihre Wurzeln in petrarkistischer Tradition. Zugleich schwingt in der Verehrung, in der Selbstaufgabe und im Todeswunsch eine Nachwirkung der christlichen Mystik mit – der Gedanke, dass Liebe und Tod in einem Akt der Hingabe zusammenfallen.

4. Ein früher Ausdruck des empfindsamen Subjektivismus

Obwohl das Gedicht formal barock ist, kündigt es bereits die empfindsame Innerlichkeit des 18. Jahrhunderts an. Die introspektive Haltung, das Bekenntnishafte und die Reflexion über das eigene Gefühl deuten auf eine spätere Entwicklung des lyrischen Ichs hin.

Literaturwissenschaftliche Dimension

1. Strukturelle Analyse und Symmetrie

Das Gedicht ist aus zwei gleich langen Strophen mit jeweils sechs Versen aufgebaut. Diese Symmetrie unterstützt die inhaltliche Balance zwischen Tod und Leben, Hingabe und Rückkehr. Der Übergang zwischen den Strophen markiert zugleich den Umschlag vom Scheitern der Todessehnsucht zur sublimierten Hingabe.

2. Affektpoetik und Emotionssteuerung

Abschatz folgt der barocken Affektenlehre: Der Leser soll Mitleid, Rührung und Ergriffenheit empfinden. Das Gedicht ist also nicht bloß Ausdruck privater Emotion, sondern kalkulierte Erzeugung von Pathos – die Kunst liegt in der gezielten Lenkung der Empfindung.

3. Sprachlich-rhetorische Mittel

Auffällig sind die zahlreichen Enjambements und die durchgehenden Antithesen. Das Spannungsverhältnis zwischen Sterben und Genesen, Knecht und edler Schatz, Mund und Herz erzeugt eine kompositorische Dynamik, die die innere Zerrissenheit des Sprechers formal spiegelt.

4. Intertextuelle Resonanzen

Das Gedicht lässt sich mit anderen barocken Todes- und Liebesgedichten (z. B. Gryphius’ Es ist alles eitel) vergleichen, doch auch mit mystischen Texten, in denen die Liebe als süßer Tod erscheint. Abschatz bewegt sich in diesem Spannungsfeld zwischen weltlicher Galanterie und spiritueller Passion.

5. Semantische Verdichtung als Ausdruck barocker Kunstsprache

Die Dichte an symbolischen Bildern (Tod, Herz, Schatz, Mund) zeigt die barocke Neigung zur Emblematik: Jedes Wort steht für ein komplexes Bedeutungssystem. Dadurch wird der Text nicht nur emotional, sondern auch allegorisch lesbar – als Sinnbild menschlicher Hingabe zwischen Eros und Thanatos.

Gesamtheitliche Zusammenfassung

Abschatz’ Gedicht Nr. 50 aus Anemons und Adonis Blumen ist ein kunstvoll gebautes, hoch emotionales Stück frühbarocker Liebeslyrik, das die Sehnsucht nach Tod und Vereinigung als Spiegelbild existenzieller Zerrissenheit darstellt. Die Todessehnsucht ist nicht nihilistisch, sondern Ausdruck einer absoluten Hingabe, die das Irdische transzendieren will.

Der Sprecher erlebt Liebe als metaphysische Grenzerfahrung – zwischen Leben und Tod, irdischer Leidenschaft und spiritueller Erlösung. Poetologisch verwandelt sich dieses Leiden in Kunst, rhetorisch in barocke Formstrenge, und literaturgeschichtlich markiert das Gedicht einen Übergang zwischen galanter Kunst und empfindsamer Innerlichkeit.

So wird der Text zum exemplarischen Zeugnis jener barocken Dialektik, in der Liebe und Tod, Wort und Gefühl, Körper und Seele, Eros und Devotion in einem paradoxen Gleichgewicht gehalten werden.

Assoziative Dimensionen

1. Rückkehr und Enttäuschung als existentielles Spannungsfeld

Der Sprecher kehrt wieder her in ein betrübtes Land, womit sowohl eine konkrete Heimkehr als auch eine seelische Rückwendung in die irdische Realität bezeichnet ist. Der Kontrast zwischen über mein Verhoffen und dem betrübten Land weckt den Eindruck einer schmerzlichen Desillusionierung. Hoffnung und Erfahrung fallen auseinander.

2. Verfehlter Tod und erzwungenes Weiterleben

Die Klage, den Tod […] nicht angetroffen zu haben, evoziert das barocke Motiv des erwünschten Todes, der zugleich als Erlösung und als Vereinigung mit der Geliebten gedeutet werden kann. Der Sprecher hat zum Sterben Mutt gefast – ein Ausdruck, der sowohl Askese als auch heroische Selbstüberwindung andeutet, jedoch ins Leere läuft.

3. Liebe als Todesersatz und Krankheitsursache

Das Land ist betrübt und von siechen Gliedern gezeichnet – ein Bild, das den physischen Verfall als Spiegel des seelischen Zustands darstellt. Die Liebe wird zur Krankheit, die nur durch den Tod zu heilen wäre, doch auch dieser bleibt versagt. Damit verwandelt sich die Liebe in ein Paradox zwischen Leben und Sterben.

4. Das Bild der Geliebten als inneres Siegel

In den Versen 7–8 wird das edle Bild der Geliebten als in die Brust gepräget beschrieben – eine Metapher, die die innere Bindung und das unauslöschliche Gedächtnis symbolisiert. Dieses Bild ist zugleich Besitz und Schuld: Der Sprecher ist verpflichtet, es in deine Hand zu lieffern. Die Liebe wird hier zu einer Art göttlicher Treuhand, deren Verwaltung seelische Bürde ist.

5. Unterwerfung und Hingabe als Liebesformel

Die Geste des Sich-Niederlegens zu deinen Füssen markiert eine barocke Codierung der Unterwerfung, die zugleich religiöse Dimensionen annimmt. Das lyrische Ich wird zum Knecht, die Geliebte zur Herrin, fast zur Heiligen. Der Liebesdienst wird als Opferhandlung stilisiert.

6. Sterben als Vollendung im Wort der Geliebten

Die letzte Strophe kulminiert in der paradoxen Formel: Ich sterbe wohl vergnügt / ich sterbe gnung beklaget – eine Gleichzeitigkeit von Trost und Trauer. Das letzte Wort (Ade du treue Seele) erhält sakramentalen Charakter: Der Mund der Geliebten spendet den Abschied als letzte Weihe, die das Sterben erst ermöglicht.

Formale Dimension

1. Strophenbau und Reimschema

Das Gedicht besteht aus zwei sechszeiligen Strophen mit durchgehendem Kreuzreim (ababcc). Die symmetrische Form betont die Spannung zwischen Bewegung (Rückkehr, Bitte, Hingabe) und Geschlossenheit (Tod, Erlösung, Endgültigkeit).

2. Metrik und Klangstruktur

Abschatz verwendet den für den Barock typischen Alexandriner (sechshebiger Jambus mit Zäsur nach der dritten Hebung). Diese metrische Strenge schafft einen Wechsel zwischen Aufschwung und Rückfall, der den inneren Konflikt des Sprechers rhythmisch spiegelt.

3. Syntax und rhetorische Figuren

Charakteristisch sind die häufigen Parenthesen, Umstellungen und der syntaktische Ballast von Nebensätzen (Weil ich, mein süßer Tod, von dir entfernt gewesen). Diese barocke Verschachtelung illustriert den inneren Aufruhr und das oszillierende Denken zwischen Leben und Tod.

Rhetorische Mittel wie Antithese (sterben – genesen), Anapher (Ich bringe… Ich habe…) und Metapher (das Bild in der Brust) intensivieren den affektiven Duktus.

4. Sprachregister

Die Sprache oszilliert zwischen Liebesklage und religiöser Devotion. Die Begriffe Knecht, edel, Schatz, treue Seele verknüpfen höfische Liebesrhetorik mit einer quasi-theologischen Sphäre der Erlösung durch Hingabe.

Topoi

1. Topos des unerfüllten Todeswunsches

Die Sehnsucht nach Erlösung im Tod ist ein Kernmotiv barocker Welterfahrung. Der Tod wird nicht gefürchtet, sondern ersehnt, doch verweigert.

2. Topos der Liebeskrankheit (amor hereos)

Das betrübte Land der siechen Glieder ist Ausdruck des barocken Liebesleidens, in dem Körper und Seele zugleich verfallen. Die Liebe ist eine Krankheit, die sich nur durch den Tod vollendet.

3. Topos des servitium amoris

Der Sprecher als Knecht betont die hierarchische Struktur der Liebe: Unterwerfung als Ausdruck höchster Treue.

4. Topos des Abbildes / der Prägung

Das in die Brust geprägte Bild der Geliebten verweist auf den frühneuzeitlichen Gedanken des imago cordis – des Herzensbildes, das nicht vergeht und den Geliebten ontologisch bindet.

5. Topos des Abschieds als Liebesvollendung

Das Ade am Ende des Gedichts ist mehr als ein Gruß – es ist das performative Moment der Erlösung: Sprache schafft hier seelische Ruhe.

Literaturepochentypische Kontextualisierung

1. Barocke Dialektik von Leben und Tod

Abschatz steht mit diesem Gedicht fest im geistigen Klima des 17. Jahrhunderts, in dem Vanitas, Vergänglichkeit und Todessehnsucht zentrale Erfahrungsfelder sind. Das Gedicht zeigt den Menschen zwischen Irdischem und Transzendentem, zwischen Leib und Seele, zwischen Begehren und Erlösung.

2. Affektenlehre und Stilrhetorik

Die barocke Poetik zielte auf die Erregung bestimmter Affekte – hier der melancholia amorosa. Abschatz folgt diesem Ideal mit elaborierten Kontrasten und formaler Symmetrie.

3. Einfluss petrarkistischer und neulateinischer Tradition

Der Liebesdiskurs erinnert an Petrarca, doch in barocker Zuspitzung: die Geliebte wird unerreichbar, der Tod ersehnt. Die Verbindung von religiöser Symbolik und Liebesrhetorik weist auf die Tradition des Concettismo und des marinismo hin.

4. Konfessioneller Hintergrund

Im protestantischen Kontext des deutschen Barock verschiebt sich die erotische Bildwelt oft in eine allegorische Dimension. Die Geliebte kann hier auch als Figur der göttlichen Liebe gedeutet werden – eine irdisch-metaphysische Doppeldeutigkeit, die Abschatz virtuos nutzt.

Gesamtheitliche strophenübergreifende Zusammenfassung

1. Existentieller Grundkonflikt

Das Gedicht entfaltet den barocken Zwiespalt zwischen Todessehnsucht und Lebenspflicht. Der Sprecher will sterben, um sich zu befreien, doch bleibt in der Welt gefangen – sein Leiden besteht im Verhindertwerden des Todes.

2. Liebe als metaphysische Macht

Die Geliebte ist nicht nur Objekt des Begehrens, sondern Trägerin einer höheren Ordnung. Ihr Bild bestimmt den Sprecher innerlich, sie wird zur Instanz des Schicksals.

3. Rhetorische Selbstinszenierung

Das lyrische Ich gestaltet sein Leiden in der Form des Gebets oder der Unterwerfung. Es wählt die Pose des treuen Dieners, der am Ende nur noch auf das erlösende Wort der Herrin wartet.

4. Ästhetische Struktur als Spiegel der seelischen Bewegung

Die klare formale Ordnung – Alexandriner, symmetrische Strophik, geschlossene Reimstruktur – kontrastiert mit der inneren Zerrissenheit. Damit wird das barocke Ideal der forma perfecta gegenüber der chaotischen Affektwelt eindrucksvoll bewahrt.

5. Letztdeutung

Das Gedicht inszeniert den Tod als höchste Form der Liebeserfüllung, doch bleibt diese Erfüllung uneinlösbar. Abschatz zeigt den Menschen in jener barocken Zwischenlage, in der Liebe und Tod, Treue und Schmerz, Hingabe und Verlust untrennbar ineinander übergehen.

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