Jagt der Liebe
Indem du gehest nach durch Feld und Wald den Thieren/1
Schau ich/ ob ich ein Wild der Venus fangen kan.2
Du redest offt was stumm/ und ich was taub ist/ an/3
Du läst die Grausamkeit/ ich kühne Freyheit spüren.4
Du läst dich einen Hirsch durch Berg und Thäler führen/5
Mich bringt ein schönes Wild auff unbekannte Bahn.6
Du setzest Strick und Netz/ ich Wort und Reden dran/7
Wir müssen beyderseits offt Müh und Zeit verlieren.8
Wir fragen beyde nichts nach Regen oder Wind/9
Und wie dich offtermahls die falsche Spur betriegt/10
So werd' in eitler Furcht und Hoffnung ich gewiegt.11
Nur diß ist noch/ in dem wir unterschieden sind:12
Du hast der Mühe Lohn zuweilen schon empfangen/13
Mir aber ist bißher kein Wild noch eingegangen.14
Indem du gehest nach durch Feld und Wald den Thieren/1
Schau ich/ ob ich ein Wild der Venus fangen kan.2
Du redest offt was stumm/ und ich was taub ist/ an/3
Du läst die Grausamkeit/ ich kühne Freyheit spüren.4
1 Indem du gehest nach durch Feld und Wald den Thieren/
Analyse
Der Vers eröffnet mit einer temporalen und modalen Konstruktion (Indem…), die nicht nur Zeit, sondern auch Begleitumstand markiert: Der du-Adressat ist in einer laufenden Tätigkeit begriffen. Dadurch entsteht ein szenischer, gegenwärtiger Effekt.
Die trennbare Verbverbindung gehest nach (zu nachgehen) wird syntaktisch gespreizt; die Hyperbaton-Stellung erzeugt barocke Beweglichkeit und lenkt den Blick zuerst auf die Aktion (gehest), dann auf ihr Ziel (nach … den Thieren).
Feld und Wald bilden einen Merismus: zwei Pole, die die gesamte Jagdlandschaft umfassen. So wird die Reichweite des Handelns verallgemeinert – der Jäger ist überall unterwegs.
Klanglich wirkt die Alliteration (Feld/Wald) stabilisierend; zusammen mit dem schreitenden Rhythmus (nahe am Alexandriner mit Zäsur nach nach) evoziert sie den regelmäßigen Schritt des Jägers.
Semantisch zeichnet sich ein realistischer Jagdrahmen ab: den Thieren im Dativ unterstreicht das Nachspüren, Fährtenlesen, Verfolgen.
Interpretation
Der Vers setzt das Grundoppositionspaar: körperliche Jagd (Natur, Tiere, Waffen) vs. die gleich folgende Liebesjagd (Kultur, Venus, Rhetorik). Das du steht emblematisch für die ars venandi.
In der zyklischen Umgebung (Anemons und Adonis Blumen) tönt der Adonis-Mythos mit: Adonis als Jäger und Geliebter der Venus. Der Vers kann so gelesen werden, als rufe das lyrische Ich dem Adonis-Jäger die Szene zu oder ihm ein Pendant entgegenstellt.
Die Totalitätsformel Feld und Wald hebt die Konsequenz und vielleicht auch Besessenheit des du hervor: das Wirkfeld ist umfassend, die Hingabe exklusiv der Jagd gewidmet. Das liefert die Folie, auf der das Ich gleich seine eigene Jagd profilieren wird.
2 Schau ich/ ob ich ein Wild der Venus fangen kan.
Analyse
Die Satzinitiale Schau ich bringt eine andere Haltung ins Spiel: nicht Gehen/Verfolgen, sondern Sehen/Prüfen. Der Aspekt wechselt von kinetisch zu kontemplativ-intentional.
Die Konjunktion ob signalisiert Probehandeln, ein Deliberativ: Das Ich prüft die Möglichkeit, nicht die Gewissheit.
ein Wild der Venus ist eine Genitivmetapher: Jagdterminus (Wild) wird auf den Liebesbereich übertragen (Venus). So entsteht ein geistreiches concetto der Barockdichtung: Amor als Jagd, Geliebte(r) als Beute.
Der Jagdterminus fangen bleibt wörtlich, aber in ein anderes Register transponiert. Damit entsteht ein durchgehendes, konsequentes Jagd-Bildfeld.
Interpretation
Der Vers formuliert die ars amandi ausdrücklich als Parallelform zur physischen Jagd: Das Ich bekennt sich zur Liebesjagd – nicht als bloße Analogie, sondern als gleichwertige Praxis mit eigener Technik (Schauen, Abwägen, Fangen).
Durch den Möglichkeitsmodus (ob ich … kann) zeigt das Ich zugleich Bescheidenheit und Raffinement: Erfolg ist nicht garantiert; die Liebesjagd ist vom Gegenüber abhängig. Das kontrastiert die scheinbare Überlegenheit des physischen Jägers.
Mythologisch lädt Venus das Geschehen mit göttlicher Autorität und Spielregelhaftigkeit auf: Wer Venus gehört, entzieht sich dem rein utilitaristischen Zugriff – die Liebesbeute ist durch das Gesetz der Gottheit geschützt und zugleich begehrenswert.
3 Du redest offt was stumm/ und ich was taub ist/ an/
Analyse
Der Vers ist kunstvoll parallel gebaut: Du redest oft, was stumm [ist], und ich [rede], was taub ist, an. Der Parallelismus membrorum wird durch das zweifache Relativpronomen (was) und die attributiven Adjektive (stumm/taub) rhythmisiert.
Paradoxes Sprechen entsteht: zum Stummen reden; das Taube anreden. Das ist barocke Pointe – Kommunikation richtet sich an den Nicht-Kommunikationsfähigen.
Die Adverbialsteigerung offt (oft) weitet die Beobachtung zur Regel: Es handelt sich um habituelle Praxis beider Figuren.
Rhetorisch liegen Antithese und Chiasmus-Tendenzen vor (Du–stumm / Ich–taub), verbunden mit einer stillen, humorvollen Ironie, die die Erfolgsaussichten beider Jäger hinterfragt.
Interpretation
Jäger sprechen zu Hunden, Beute, Lockvögeln – Dinge, die nicht antworten; Liebende sprechen zu einer geliebten Person, die taub gegenüber Bitten ist. So werden beide Unternehmungen als prekäre, ja tragikomische Kommunikationsspiele entlarvt.
Die Zuschreibungen stumm (zur Natur/Jagd) und taub (zur Liebe/Geliebten) schärfen die Differenz: In der Natur ist die Sprache prinzipiell nicht reziprok; in der Liebe verweigert das Gegenüber (noch) die Replik.
Der Vers integriert eine mild-satirische Selbstrelativierung: Das Ich reiht seine Liebesrhetorik in das gleiche Spektrum der Vergeblichkeit wie die Jägerkunst – eine barocke Erkenntnis des Scheiterns, die dennoch spielerisch bleibt.
4 Du läst die Grausamkeit/ ich kühne Freyheit spüren.
Analyse
Der Satz ist symmetrisch verschränkt und arbeitet mit einem feinen Zeugma: Das Endverb spüren regiert zwei Objekte (die Grausamkeit / kühne Freiheit) bei unterschiedlicher semantischer Valenz. Das lassen ist beim ersten ausdrücklich, beim zweiten elliptisch mitzuhören.
Antithetische Wertachsen: Grausamkeit (Jagd, Töten, Gewalt) vs. kühne Freiheit (Liebe, Wagemut, vielleicht libertine Lizenz).
Die Pointe tritt an das Versende (spüren): Sinnlichkeit, Empfindung, körperliches Erfahren wird zur gemeinsamen Klammer – sowohl Jagd als auch Liebe produzieren Spürbarkeiten, aber gegensätzlicher Qualität.
Klanglich fällt der Wechsel von der harten Konsonantenhäufung in Grausamkeit zur offenen, gleitenden Vokalität von Freyheit auf – der Lautcharakter unterstützt die Wertung.
Interpretation
Der Vers setzt das ethische und affektive Fazit der Strophe: Die physische Jagd bringt Leiden hervor; die Liebesjagd verleiht Wagemut und Spielraum. So wird die zweite dem ersten Modus überlegen konnotiert.
kühne Freiheit lässt sich doppelt lesen: als Mut zur Selbstentäußerung im Eros und als Überschreiten sozialer Konventionen (barock-galante Welt). Das Ich erhebt einen Anspruch auf sublimere, edlere Affektkultivierung.
Durch das Zeugma und die Parallelstruktur erscheint das Urteil nicht moralistisch, sondern witztopisch: Mit einem einzigen Prädikat (spüren) werden zwei Welten erfahrbar gemacht – barocke Kürze und Schärfe der Pointe.
Die erste Strophe etabliert mit knapper, barocker Eleganz die Grundfigur der Doppeljagd: Der Adressat (du) verkörpert die reale, naturbezogene Jagd; das Ich die Liebesjagd unter dem Emblem der Venus. Beide Sphären werden durch ein konsequent durchgehaltenes Bildfeld (Fährte, Wild, Fangen, Anreden) miteinander verschränkt, zugleich aber wertend unterschieden: Während der reale Jäger in einer Totalität von Feld und Wald agiert und unvermeidlich Grausamkeit spüren lässt, setzt das Ich auf Blick, Deliberation und Rhetorik (Schau ich, ob ich…), wodurch es eine geistig-affektive Praxis entwirft, die kühne Freiheit erzeugt.
Zentral ist der kommunikative Befund des dritten Verses: Beide sprechen ins Leere – der Jäger zu Stummem, der Liebende zu Taubem. Diese Parallel-Vergeblichkeit stiftet ironische Kameradschaft im Scheitern und rahmt die barocke Erkenntnis, dass sowohl Naturbeherrschung als auch Liebeswerbung Prekarität teilen. Die Strophe verbleibt jedoch nicht in Skepsis: Mit dem finalen Antithesenpaar Grausamkeit / kühne Freiheit schlägt sie die Waage zugunsten der Liebe aus. Der mythologische Hintergrund des Zyklus (Adonis als Jäger und Geliebter der Venus) verstärkt diese Pointe: Gegen die tödliche Logik der Jagd setzt die Liebesjagd eine andere, lebensbejahende Erfahrungsqualität. Formal unterstreichen Parallelismus, Merismus, Zeugma und die (alexandrinische) Periodisierung mit Zäsuren den barocken Witz und die rhetorische Prägnanz. So markiert Strophe 1 programmatisch den Schauplatz und das Wertsystem, in dem die folgenden Strophen die Metapher der Jagt der Liebe weiter entfalten werden.
Du läst dich einen Hirsch durch Berg und Thäler führen/5
Mich bringt ein schönes Wild auff unbekannte Bahn.6
Du setzest Strick und Netz/ ich Wort und Reden dran/7
Wir müssen beyderseits offt Müh und Zeit verlieren.8
5 Du läst dich einen Hirsch durch Berg und Thäler führen/
Analyse
1. Syntaktische Anlage und Rollenzuweisung: Die zweite Person Singular eröffnet einen antithetischen Dialograhmen (Du vs. ich). Du läßt dich … führen zeichnet den Adressaten als passiven Empfänger jagdlicher Arrangements: Er ordnet nicht selbst an, sondern läßt sich das Wild zutreiben.
2. Jägersprache als Bildspender: einen Hirsch … führen verweist auf das barocke Treibjagd-Szenario (Zutreiben des Wildes). Das Bild ist fachsprachlich präzise und etabliert einen realistisch-technischen Jargon.
3. Raumtopos und Intensivierung: Berg und Thäler ist ein merismatisches Paar; es umfasst die ganze Landschaft und steigert die Jagdanstrengung in der Breite – zugleich evoziert es Weite und Erhabenheit.
4. Prosodie und Zäsur: Die syntaktische Halbierung (vor/nach führen) erinnert an den barocken Alexandriner mit markanter Zäsur; der Ruhepunkt stabilisiert das Bild der kontrollierten, methodischen Jagd.
5. Orthographie und Ton: Die frühneuhochdeutsche Schreibung (läst, Thäler) signalisiert stilechte Barockdiktion; der Tonfall bleibt kühl-beschreibend, fast protokollarisch.
Interpretation
1. Liebesjagd als Standesmetapher: Der Hirsch steht emblematisch für das begehrte Liebesobjekt; wer sich das Wild führen läßt, repräsentiert eine höfische, privilegierte Liebespraxis—man verfügt über Mittel, Konventionen und Helfer.
2. Passivität im Überfluß: Die scheinbare Souveränität kippt ins Paradox: Wer sich etwas zuführen läßt, wirkt abhängig von der Jagdmaschinerie; überblendet auf die Liebe heißt das: Abhängigkeit von gesellschaftlicher Choreographie statt innerer Glut.
3. Totalisierung der Suche: Berg und Thäler macht die Ausdehnung des Begehrens sichtbar; Liebe durchmisst die ganze Topographie der Erfahrung.
4. Subtile Ironie: Das betont sachliche Register legt den Keim einer höfischen Selbstsatire: die gemachte Jagd erscheint weniger authentisch als später das Ich-Abenteuer.
6 Mich bringt ein schönes Wild auff unbekannte Bahn.
Analyse
1. Perspektivwechsel und Agentur: Die Syntax kehrt das Verhältnis um: Nicht der Sprecher jagt, sondern ein schönes Wild bringt ihn auf einen Weg—das Begehren übernimmt die Führung.
2. Qualifikation des Objekts: schönes Wild verschiebt vom jagdlichen zum ästhetischen Feld; Schönheit wirkt als Kausaltrieb. Das Adjektiv verfremdet die venatorische Fachrede zum Liebestopos.
3. Semantik der Irreleitung: unbekannte Bahn konnotiert Abweichung, Neuerung, Risiko, auch Initiation. Liebe erschließt nicht den geordneten Parcours, sondern Pfade ohne Karte.
4. Klang und Takt: Die schmale, zielstrebige Schlussgruppe (auf unbekannte Bahn) bildet einen metrischen Zug, der die Bewegung ins Offene hörbar macht.
5. Parallelfigur zu V. 5: Während Du die Landschaft beherrschen läßt, wird das Ich von der Qualität des Begehrten selbst disponiert—ein Kontrast von Regel vs. Verführung.
Interpretation
1. Eros als Führungsmacht: Die Beute wird zum Jäger; das ist der Kern barocker Liebesparadoxie. Das Subjekt erfährt Liebe als Passion (Erduldung), nicht als Aktion.
2. Innovation als erotisches Merkmal: unbekannte Bahn markiert nicht bloß Irrweg, sondern Kreativität: Liebe zwingt zu neuem Denken, neuem Sprechen, neuem Lebensstil.
3. Metapoetischer Wink: Das schöne Wild kann die Muse signieren—das Gedicht selbst entsteht, weil das Objekt der Begierde den Sprecher auf sprachlich unbekannte Bahnen lockt.
4. Gegenwelt zur höfischen Routine: Wo V. 5 die konventionelle Treibjagd skizziert, setzt V. 6 die unberechenbare, persönliche Erfahrung dagegen; Authentizität schlägt Arrangement.
7 Du setzest Strick und Netz/ ich Wort und Reden dran/
Analyse
1. Antithetischer Parallelismus: Isokolonisch gebaute Halbsätze (Du setzest … / ich …) kontrastieren technische Fallen mit rhetorischen Mitteln; das ist ein klassisches barockes Stellungsgefüge.
2. Wortfelder: Strick und Netz vs. Wort und Reden sind je Hendiadyoin-Paare; Erstere konkret-haptisch, Letztere immateriell-sozial.
3. Jagdtechnik vs. Diskurstechnik: Fallen stehen für Planung, Kontrolle, Vorbedacht; Rhetorik steht für Anmut, Überredung, performatives Können.
4. Klang und Binnenrhythmus: Die Doppelpaarung erzeugt symmetrische Akzente; die Parallelität visualisiert zwei Jagd-Ethiken.
5. Semantik von dran setzen: Der Redewendungscharakter (etwas daran setzen) betont Einsatz, ja Wagnis—beide investieren, nur mit verschiedenem Kapital.
Interpretation
1. Liebe als Kunst des Sagens: Das lyrische Ich erklärt Sprache zur eigentlichen Waffe. Wer spricht, spannt die Netze des Sinns; Rhetorik wird zum Eros-Instrument.
2. Ethos-Gegensatz: Der Adressat vertraut auf Zwang und Zugriff, das Ich auf Freiheit und Zustimmung. Die Metapher legt eine Moral der Galanterie nahe.
3. Poetik im Spiegel: Das Gedicht reflektiert seine eigene Wirkungsmacht—Dichtung als Netz, Metapher als Strick, Versmaß als Knoten.
4. Ironische Aufwertung des Immateriellen: Was unsichtbar ist (Worte), erweist sich als subtiler und womöglich wirksamer als das grobe Fanggerät.
8 Wir müssen beyderseits offt Müh und Zeit verlieren.
Analyse
1. Kollektivierung: Der Schluss schließt den Gegensatz zur Wir-Gemeinschaft; beide Jäger sind im selben Schicksal verbunden.
2. Vanitas-Formel: Müh und Zeit verlieren bündelt barocke Grundskepsis: Aufwand verpufft, Zeit verrinnt, Ziele bleiben aus—ein hendiadyoischer Doppelschlag.
3. Metrischer Ruhepunkt: Die gedehnte Kadenz und der summarische Ton wirken wie ein moralischer Schlussstein.
4. Frequenzmarkierung: offt relativiert Einzelfälle zur Regelmäßigkeit; Scheitern ist strukturell, nicht episodisch.
Interpretation
1. Grenzen der Technik und der Kunst: Ob Falle oder Rede—Liebe entzieht sich. Der Vers setzt ein Korrektiv gegen Idealismen beider Lager.
2. Gleichheit im Scheitern: Im barocken Weltblick wird Erfolg kontingent; die Sentenz nivelliert Stand, Methode und Selbstbild.
3. Ethik der Demut: Anerkannte Ohnmacht öffnet Raum für Maß und Mäßigung—Liebe duldet weder Gewalt noch rhetorische Überwältigung als verlässliche Strategie.
4. Zeitbewusstsein: Der Verlust von Zeit ist das eigentliche Pathos; amoröse Jagd steht unter dem Memento-mori-Horizont.
1. Struktur und Gedankengang: Die Strophe entfaltet in vier Schritten eine elegante Antithese. V. 5 etabliert das höfisch-arrangierte Jagdmodell des Du, V. 6 stellt das existenziell-verführte Ich dagegen; V. 7 schärft den Gegensatz als Technik- vs. Rhetorik-Jagd; V. 8 relativiert beide Positionen durch eine vanitashafte Sentenz. Formal unterstützt die parallele Bauweise (isokolonische Du/Ich-Sätze, Paarbildungen) die argumentative Klarheit.
2. Emblematische Liebespoetik: Die Jagdmetaphorik fungiert als barockes Emblem der Liebe. Ihre drei Ebenen—Bild (venatorische Praxis), Sinn (Eros als Beute/Jäger), moralischer Lehrsatz (Unzuverlässigkeit aller Mittel)—sind klar ausgebaut. Das Gedicht belehrt galant: Liebe lässt sich weder mechanisch erzwingen noch allein bereden.
3. Metapoetische Selbstreflexion: Indem das Ich Wort und Reden als Jagdmittel nennt, zeigt sich das Gedicht als Probe seiner These: Poesie ist Versuch, nicht Garantie; sie fängt nur, wenn das schöne Wild sich fangen lässt. So wird die poetische Sprache zugleich Netz und Geständnis ihrer Grenzen.
4. Affekt und Erkenntnis: Hinter der spielerischen Galanterie liegt ernstes Zeit- und Erkenntnisbewusstsein. Die Strophe bekennt, dass Begehren die Richtung vorgibt (V. 6) und dass menschliche Verfahren—ob höfisch-technisch oder rhetorisch-kunstvoll—im Zeichen der Kontingenz stehen (V. 8).
5. Ton und Haltung: Der Wechsel von höfischer Distanz (V. 5) über subjektive Verführung (V. 6) und witzige Opposition (V. 7) zur skeptischen Resümeeformel (V. 8) schafft eine barocke Mischung aus esprit und Moral. Abschatz balanciert Zierkunst und Nüchternheit, wodurch die Strophe zugleich charmant und wahrhaftig wirkt.
Damit legt Strophe 2 ein zentrales Programm der Jagt der Liebe offen: Sie ist ein Kunstspiel, das die Freiheit des Geliebten respektiert—und genau darin seine poetische Würde findet.
Wir fragen beyde nichts nach Regen oder Wind/9
Und wie dich offtermahls die falsche Spur betriegt/10
So werd' in eitler Furcht und Hoffnung ich gewiegt.11
9 Wir fragen beyde nichts nach Regen oder Wind/
Analyse
1. Der Ausdruck wir fragen … nichts nach ist ein frühneuzeitlicher Idiomatismus für es ist uns gleichgültig / wir kümmern uns nicht darum. Semantisch wird Indifferenz gegenüber äußeren Widrigkeiten markiert.
2. Regen oder Wind fungiert als hendiadyoische Paarformel für schlechtes Wetter bzw. Unbill der äußeren Umstände. Die Alltagsmetaphern rahmen die Szene im Bild des Jagdauszugs: Natur und Elementarkräfte sind Gegner, aber nicht hemmend.
3. Das wir und das nachgestellte beyde stiften Kollektivität. Im Kontext der Jagd-Allegorie liegt eine dyadische Konstellation nahe: Sprecher (Jäger) und adressiertes Du (naheliegend der Leithund; alternativ Geliebte oder personifizierte Liebe). Die Koalitionssemantik verstärkt die Entschlossenheit.
4. Klanglich arbeitet die Zeile mit markanten Plosiven (fragen, beyde) und der Kontrastfigur der weichen Liquida (Regen, Wind). Das erzeugt ein Vor-und-Vorwärts-Gefühl, passend zum Bewegungsmodus der Jagd.
5. Gattungspoetisch fügt sich der Vers in die barocke Redeweise der Jagd-/Liebesallegorie: Das Liebesunternehmen wird als Waidwerk begriffen, in dem äußere Hindernisse der inneren Triebkraft untergeordnet sind.
Interpretation
1. Auf der Bedeutungsebene manifestiert sich unbedingter Vorwärtsdrang: Leidenschaft entwertet das Wetter der Welt. Dies deutet auf eine Affektlogik, in der Amor (oder das Begehren) die Lebensordnung dominiert.
2. Das wir kann ironisch gelesen werden: Die Solidarität in der Jagd suggeriert Erfolg, doch Barocktexte konterkarieren solche Selbstgewissheit häufig durch nachfolgende Täuschungsmotive.
3. Im Liebesregister: Regen oder Wind steht pars pro toto für gesellschaftliche Widerstände, Gerüchte, Normen—alles, was sonst mäßigend wirken könnte. Das Pathos der Unbeirrbarkeit kündigt die spätere Ernüchterung an.
10 Und wie dich offtermahls die falsche Spur betriegt/
Analyse
1. Der korrelative Anschluss Und wie … so … (die Entsprechung folgt in V. 11) setzt eine Vergleichsfigur: Vergleich (comparatio) als Logikgeber der Strophe.
2. Lexikalisch entstammt falsche Spur dem Jagdjargon (Fährte). betriegt (für betrügt) bewahrt barocke Orthographie; semantisch: Irreführung durch Schein-Indizien.
3. dich ist ein direktes Du; in der Jagdszene ist am plausibelsten der Hund als Adressat (der den Fährten folgt und irregeführt wird). Alternativ deutbar: die Geliebte (die sich auf falsche Zeichen verlässt) oder die personifizierte Liebe/Cupiditas (die täuscht und täuschen lässt).
4. offtermahls (oftmals) skaliert die Täuschung zur Regelmäßigkeit. Der Prozesscharakter (wiederkehrender Irrtum) wird wichtiger als ein singuläres Missgeschick.
5. Rhetorisch antizipiert die Zeile das zentrale barocke Motiv Schein vs. Sein: äußere Zeichen (Spur) sind nicht verlässlich; der Erkenntnisweg ist prekär.
Interpretation
1. Im unmittelbaren Bildfeld: Der Jagdhund verliest sich an einer falschen Fährte—das Unternehmen gerät in die Irre. Die Jagdmetapher transportiert so die epistemische Unsicherheit des Begehrens.
2. Im Liebesdiskurs: falsche Spur symbolisiert Missdeutung von Signalen—Blicke, Gesten, Gerüchte. Der Liebende (oder sein Instinkt) konstruiert Sinn, wo keiner ist, und verfehlt dadurch das Ziel.
3. Moralisch-anthropologisch: Die Zeile formuliert eine Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit natürlicher Triebe und spontaner Evidenzen. Barocke Desillusion: das Herz/Hund-Spürsinn ist fehlbar.
4. Poetologisch: Der Vers reflektiert metatextuell die Gefahr, Zeichen (auch poetische) zu überschätzen—eine barocke Zeichenkritik, die die Ambivalenz von Emblemen und Allegorien kenntlich macht.
11 So werd' in eitler Furcht und Hoffnung ich gewiegt.
Analyse
1. Das korrelative So löst die Vergleichsstruktur auf: Wie du dich täuschen lässt, so gerate ich in einen Affektzustand.
2. gewiegt (von wiegen) evoziert das Bild des sanften Hin-und-Herschaukelns: passivischer Zustand, in dem das Subjekt nicht handelt, sondern hingegeben ist; zugleich paradox, denn Furcht ist nicht beruhigend, wird aber mit der beruhigenden Wiegebewegung gekoppelt.
3. Furcht und Hoffnung bilden eine barocke Antithese (Gegenaffekte), hier enggeführt zur schillernden Einheit. Die Hinwendung zum Dativ mit in … gewiegt markiert ein Eingebettetsein in wechselnde Affekte.
4. Das Adjektiv eitler trägt die barocke Vanitas-Semantik: leer, vergeblich, nichtig. Beide Affekte werden als letztlich fruchtlos qualifiziert.
5. Satzmelodik: Das Prädikat am Ende (gewiegt) setzt einen tragenden Schlussakzent; in einem (wahrscheinlichen) Alexandriner formiert sich der Fall vom tätigen Jäger zum Affekt-Objekt.
Interpretation
1. Psychologisch: Der Sprecher oszilliert zwischen Erwartungsangst und Zuversicht—ein klassischer Liebeszustand. Das Wiegel-Bild macht aus dem Ich ein Kind der Affekte: Unmündigkeit des Begehrens.
2. Ethisch-existentiell: Indem beide Affekte als eitel qualifiziert werden, kippt der Vorwärtsdrang (V. 9) in Erkenntnis der Vergeblichkeit—die Jagd als Sinnbild der menschlichen Selbsttäuschung.
3. Strukturell zur Vergleichsfigur: Die falsche Spur des Hundes entspricht den inneren falschen Spuren des Ichs (Hoffnungen/Ängste). Außenirrtum und Innenirrtum sind Spiegelphänomene.
4. Poetologisch: Der Vers deutet das Liebespoem als Vanitas-Meditation; das Gedicht performt den Wechsel von Hochstimmung (Tatlust) zu Selbstreflexion (Affektskepsis).
Diese Strophe entfaltet in drei Zügen die barocke Jagd-Liebesallegorie als Erkenntnisdrama. Zunächst stiftet Vers 9 eine entschlossene Gemeinschaft wir beyde, die äußere Widerstände (Regen oder Wind) souverän negiert—das Begehren kennt kein Wetter.
Vers 10 bricht dieses Pathos, indem er das Täuschungsmotiv einführt: Die falsche Spur aus dem Jagdjargon ikonisiert die prinzipielle Fehlbarkeit des Orientierungssinns—sei es des Hundes, sei es des begehrenden Menschen.
Vers 11 schließt die Vergleichsbewegung, indem er die äußere Irreführung in eine innere Affektdynamik übersetzt: Das Ich wird gewiegt—ein passives Spielball-Bild—zwischen den Antipoden Furcht und Hoffnung, die beide als eitel entwertet werden.
So verdichtet die Strophe das barocke Grundthema Schein/Sein: die Unbeeindrucktheit von äußeren Hindernissen hilft nicht gegen die subtilere, wiederkehrende Täuschung durch Zeichen und Affekte. In der Logik der Vanitas verwandelt sich die energiegeladene Jagdbewegung in ein Kreisen um leere Erwartungen.
Die poetische Pointe liegt im korrelativen Bau (wie … so …), der Außen und Innen strikt verschränkt: Die falsche Fährte draußen ist die falsche Hoffnung drinnen.
Nur diß ist noch/ in dem wir unterschieden sind:12
Du hast der Mühe Lohn zuweilen schon empfangen/13
Mir aber ist bißher kein Wild noch eingegangen.14
12 Nur diß ist noch/ in dem wir unterschieden sind:
Analyse
1. Die Einleitung mit Nur diß ist noch markiert eine finale Zuspitzung: Fast alles ist zwischen Sprecher und Adressat ähnlich; ein einziger Rest-Unterschied bleibt. Der einschränkende Partikel nur fokussiert die Pointe der Schlussstrophe.
2. Der Relativsatz in dem wir unterschieden sind greift diß syntaktisch auf und schafft einen Erwartungshorizont: Es folgt die präzise Bestimmung des Unterschieds. Die Kolonstruktur (… sind:) erzeugt rhetorische Spannung und öffnet den Raum für die antithetische Entfaltung in V. 13–14.
3. Pragmatisch etabliert der Vers eine Wir-Relation: wir deutet Konkurrenz oder Parallelität zweier Liebesjäger an. Der Sprecher ordnet sich nicht grundsätzlich unter, sondern markiert Gleichstand – bis auf den einen Punkt.
4. Stilistisch arbeitet der Vers mit barocker Knappheit und Periodisierung: Vorbereitende Kausur, dann nachgestellte Explikation. Das entspricht der Sonettpraxis, im Schlussdrittel (Terzette) die argumentative Pointe zu entrollen.
5. Subtextuell schwingt im noch Zeitlichkeit mit: Der Unterschied ist möglicherweise provisorisch und könnte sich in Zukunft einebnen; die Jagd ist ein Prozess, nicht abgeschlossen.
Interpretation
1. Der Sprecher bereitet einen Kontrast des Geschicks vor: Nicht Tüchtigkeit oder Tugend trennen uns, sondern der Ausgang der Jagd. Damit thematisiert er Fortune/Contingenz als entscheidenden Liebesfaktor.
2. Das wir stiftet eine paradoxe Nähe in der Rivalität: Der Andere ist Spiegel des Sprechers. Durch die Ankündigung nur diß wird zugleich Neid gebändigt und Anerkennung gezeigt.
3. Poetologisch dient der Vers als Dreh- und Angelpunkt der abschließenden Selbstauskunft: Die bisherige Gleichförmigkeit (vermutlich gleiche Mühe, gleiche Kunst) wird nicht widerrufen; einzig der Ertrag unterscheidet.
4. Philosophisch liegt hierin eine barocke Einsicht: Zwischen Mühe und Lohn klafft eine Lücke, die nicht völlig durch Können geschlossen werden kann – ein Feld der Gnade/des Zufalls.
13 Du hast der Mühe Lohn zuweilen schon empfangen/
Analyse
1. Der Genitiv der Mühe Lohn formuliert eine sprichwörtliche Konnexion: Mühe → Lohn. Das Verb empfangen betont den Aspekt des Erhalten-Werden-Lassens (Passiv der Gabe), nicht des aktiven Nehmens.
2. Zuweilen relativiert: Der Adressat hat nicht permanent Erfolg, sondern episodisch. Dadurch bleibt das Jagdfeld unberechenbar; Erfolg tritt punktuell auf.
3. Die syntaktische Parallelisierbarkeit (Du hast … / Mir aber ist …) bereitet die Antithese in V. 14 vor. Der Vers setzt die obere Halbschwinge des Gegensatzbogens.
4. Lexikalisch schimmert eine erotische Doppeldeutigkeit: empfangen gehört sowohl in den Bereich des Erhalts von Lohn als auch (konnotativ) in den Bereich der Empfängnis. In Liebesjagd-Metaphorik verdichten sich Jagd-, ökonomische und erotische Register.
5. Klanglich kontrastieren zuw(ei)len und schon: temporale Markierungen, die das Moment der Vorläufigkeit (zuweilen) mit dem der zeitlichen Priorität (schon) verbinden.
Interpretation
1. Der Andere ist – zumindest zeitweilig – vom Prinzip der reziproken Gerechtigkeit begünstigt: Mühe trägt Frucht. Der Sprecher anerkennt dies ohne Polemik; das hält die Rivalität nobel.
2. Die Wahl empfangen statt erlangen rahmt den Lohn als Geschenk – das Liebesobjekt (oder die Gunst Amors) kommt zu dir; du produzierst es nicht. Damit wird Liebeserfolg als Gnade/Glück markiert.
3. Zuweilen verhindert triumphalen Übermut des Du: Erfolg ist unstet. Der Vers lässt Platz für künftige Umkehrungen des Glücks.
4. In der Bildlogik der Jagd könnte Lohn Jagdbeute, Anerkennung oder erotische Erfüllung meinen. Die Polyvalenz ist gewollt und steigert die barocke Ambiguität zwischen höfischer Galanterie und körperlicher Konnotation.
14 Mir aber ist bißher kein Wild noch eingegangen.
Analyse
1. Der dativexpressive Bau (Mir aber ist … eingegangen) verlagert die Handlung auf das Ereignis selbst: Nicht ich habe erbeutet, sondern es ist mir eingegangen. Das betont Passivität gegenüber der Zufälligkeit der Jagd.
2. bisher setzt die Gegenwart als Zwischenstand: ein Statusbericht, kein Endurteil. Zusammen mit noch erhält der Satz eine offene Zukunftssemantik.
3. kein Wild … eingegangen ist venatorischer Fachjargon: Wild geht ein ins Netz/Garn, in die Falle. Der Sprecher vermeidet das aktive Töten und wählt das Eingehen als selbsttätige Bewegung des Objekts – wiederum Passivierung des Ich.
4. Die adversative Partikel aber bindet hart an V. 13: klare Antithese, parallel gebaut, semantisch konträr.
5. Der doppelte Negationsakzent (kein … noch) verstärkt den Totalausfall: nicht einmal zufälliger Fang ist geglückt.
Interpretation
1. Der Sprecher markiert sein Unglück nicht als Schuld, sondern als Ausbleiben der Fügung. In der Logik von Amor/Jagd liegt das Entscheidende außerhalb seiner Machtsphäre.
2. Körpertopisch verweist eingegangen auf Netze/Fallen, also auf ein Setting der List statt der Gewalt. Das korrespondiert mit galanter Liebesrhetorik: gewinnen durch Anziehung, nicht durch Zwang.
3. Die Zeitadverbien (bisher, noch) lassen Hoffnung stehen: Die finale Terzine schließt nicht fatalistisch, sondern mit gespanntem Offen-Ende.
4. Affektiv schwingt eine Mischung aus Demut und leicht ironischem Selbstbefund: Er konstatiert nüchtern die Erfolglosigkeit, ohne sie dramatisch zu überhöhen – ein Ton, der höfischer Selbstbeherrschung entspricht.
1. Strukturelle Funktion (Sonett-Schluss): Als letzte Terzine liefert die Strophe die argumentative Pointe: Nach vorausgehender Parallelisierung von Können und Bemühen setzt sie den einzig verbleibenden Unterschied in Szene – der Andere hat zuweilen Lohn, der Sprecher bisher keinen. Die markante Kolon-Setzung in V. 12 und die klare Antithese (V. 13 ↔ V. 14) erfüllen die barocke Erwartung an den sonettischen Schluss: pointierte, logisch formklare Zuspitzung.
2. Rhetorik der Antithese und Parallelität: Du hast … empfangen wird spiegelbildlich zu Mir aber ist … eingegangen. Beide Hälften kennzeichnet eine semantische Passivierung (empfangen, eingegangen): Erfolg ist Gabe/Ereignis. Damit unterläuft der Text eine voluntaristische Ethik der Liebe; Mühe ist nötig, aber nicht hinreichend.
3. Zeitsemantik und Contingenz: Die Adverbien zuw(ei)len, schon, bisher, noch rhythmisieren die Terzine temporal. Sie konvertieren das Jagdgeschehen in eine Abfolge ungewisser Gelegenheiten. Das Liebesglück erscheint als episodisch und reversibel – eine barocke Sicht, die Fortune und Vanitas im Hintergrund mitlaufen lässt.
4. Semantisches Feld (Jagd/Ökonomie/Eros): Mühe – Lohn (Ökonomie) kreuzt sich mit Wild – eingegangen (Jagd) und dem diskreten erotischen Register von empfangen. Diese Registerverschmelzung ist typisch für höfische Liebesdichtung: Sie ermöglicht Anspielungstiefe ohne derbe Direktheit.
5. Sprecherhaltung: Der Ton ist zugleich anerkennend und selbstironisch. Der Sprecher gesteht dem Adressaten Erfolg zu und konstatiert die eigene Erfolglosigkeit, hält sich aber eine Perspektive offen. Kein ressentimentgeladener Neid, sondern gelassene Konkurrenz – ein ethos der Maßhaltung.
6. Mythisch-zyklischer Horizont (Zyklustitel): Vor dem Hintergrund von Anemons und Adonis Blumen überblendet die Strophe Jagd-Motivik mit dem Adonis-Mythos (Jagd, Verletzbarkeit, Glück/Unglück). Ohne es explizit zu nennen, fügt sich die individuelle Jagd in einen größeren mythopoetischen Rahmen der Prekarität des Liebesglücks.
Ergebnis:
Die Schlussstrophe bündelt das Gedichtprogramm Jagd der Liebe in einer eleganten Antithese: Gleiche Mühe, ungleicher Ertrag – nicht als moralisches Urteil, sondern als Einsicht in die Kontingenz der Gunst Amors. Der Sprecher inszeniert sich als geduldiger, höfischer Jäger, der die Gabe des Glücks (noch) erwartet. Dadurch endet das Sonett offen und spannungsreich: zwischen Anerkennung des Rivalen, Selbstreflexion und der Aussicht auf künftige Fügung.
Sehr gerne – im Folgenden erhältst du eine vollständige, gegliederte und ausformulierte Analyse von Hans Aßmann von Abschatz’ Gedicht Jagt der Liebe (Nr. 49 aus Anemons und Adonis Blumen) in vier Dimensionen:
organischer Aufbau und Verlauf, psychologische Dimension, ethische Dimension sowie philosophisch-theologische Tiefenanalyse.
1. Einführung und Spiegelstruktur der Jagdmetapher (Verse 1–2)
Das Gedicht eröffnet mit einer Parallelführung zweier Bewegungen: der physischen Jagd des Mannes im Feld und Wald und der metaphorischen Jagd des lyrischen Ichs nach einem Wild der Venus, also einem Liebesobjekt. Durch dieses doppelte Anfangsbild entsteht sofort eine strukturelle Spannung zwischen Außenwelt und Innenwelt, Natur und Erotik, Handlung und Gefühl. Die Jagd wird zur Allegorie der Liebeserfahrung, wobei das lyrische Ich sein Streben spiegelbildlich zum Handeln des Jägers deutet.
2. Entfaltung der Analogie und Kontrastierung der Tätigkeiten (Verse 3–8)
Im Mittelteil konkretisiert Abschatz die Parallele: Beide reden mit dem Unempfänglichen (was stumm/ und ich was taub ist), beide begegnen Widerstand – der eine in der Natur, der andere in der Liebe. Doch während der Jäger Grausamkeit erfährt, begegnet das lyrische Ich kühner Freyheit: das Tier flieht, die Geliebte entzieht sich. Die Verse 5–8 führen das Gleichnis in reiche Variation: Hirsch und schönes Wild, Berge und Täler versus unbekannte Bahn, Strick und Netz versus Wort und Reden. Die Jagdmetapher wird hier in dichter Symmetrie entfaltet, wobei jeder Aspekt der realen Jagd eine Entsprechung in der Liebeswerbung erhält.
3. Erweiterung zum gemeinsamen Schicksal des Jägers und Liebenden (Verse 9–11)
Der dritte Abschnitt verallgemeinert die Erfahrung: Beide trotzen den äußeren Umständen (Regen oder Wind) und beide werden getäuscht – der Jäger durch falsche Spur, der Liebende durch eitler Furcht und Hoffnung. Diese Korrespondenz hebt die Analogie auf eine existenzielle Ebene: Jagd wie Liebe sind von Täuschung, Illusion und Unbeständigkeit geprägt.
4. Schlusskontrast und Pointe (Verse 12–14)
Die letzte Strophe bringt die Differenz, die alles Vorherige relativiert. Der Jäger erhält wenigstens zuweilen Lohn, das heißt Beute; der Liebende dagegen bleibt erfolglos: Mir aber ist bißher kein Wild noch eingegangen. Diese Schlusswendung verleiht dem Gedicht Ironie und Selbstreflexion. Das lyrische Ich erkennt die eigene Ohnmacht im Spiel der Liebe und entlarvt die Parallele zur Jagd als unvollständig. Damit findet das Gedicht einen geschlossenen Kreis: aus der Parallelität erwächst zuletzt ein stiller Gegensatz, der in resignativer Einsicht endet.
1. Selbstbeobachtung und Projektion
Das lyrische Ich projiziert seine innere Leidenschaft in das äußere Bild der Jagd. Indem es die Tätigkeit des anderen Jägers beobachtet, spiegelt es unbewusst die eigene emotionale Bewegung. Diese Projektion zeigt eine hohe psychologische Selbstwahrnehmung: Liebe wird als ein Akt des Suchens, Jagens und Verfolgens erfahren, der zugleich Lust und Leiden in sich trägt.
2. Zwischen Aktivität und Ohnmacht
Der Sprecher erlebt sich einerseits als handelnd (ich Wort und Reden dran), andererseits als ausgeliefert (unbekannte Bahn, eitler Furcht und Hoffnung). Dieses Schwanken zwischen Initiative und Passivität deutet eine tiefe Ambivalenz des Liebeserlebens an: die Illusion von Kontrolle im Angesicht eines letztlich unbeherrschbaren Gegenübers.
3. Selbstironie und Distanzierung
Im Schluss zeigt sich ein Moment der Selbstironie: Das lyrische Ich erkennt das eigene Scheitern und nimmt es mit einer Mischung aus Bitterkeit und Humor hin. Diese Haltung verrät Reife und Reflexivität – eine Distanz zum eigenen Begehren, die zugleich schmerzlich und befreiend ist.
4. Psychologische Bewegung: von Spiegelung zu Einsicht
Die Entwicklung des Gedichts vollzieht einen inneren Prozess: vom Vergleich über das Mitgefühl bis zur Erkenntnis des Unterschieds. Diese Bewegung entspricht einer psychologischen Reifung – die Projektion wird durch Selbsterkenntnis abgelöst.
1. Jagd als Metapher für Besitztrieb und Objektivierung
Ethisch ist die Jagdmetapher ambivalent. Sie enthüllt, wie sehr Liebe – besonders im höfischen oder barocken Kontext – von Vorstellungen des Eroberns und Besitzens geprägt ist. Das Wild der Venus ist nicht gleichberechtigtes Gegenüber, sondern Objekt der Verfolgung. Abschatz legt diese Tendenz nicht moralisch fest, sondern reflektiert sie kritisch, indem er das Scheitern des Ichs betont.
2. Erkenntnis der Grenze menschlichen Begehrens
Die Erfahrung, dass kein Wild eingefangen wird, verweist auf die ethische Einsicht in die Grenze zwischen Eigenwillen und Freiheit des Anderen. Die kühne Freyheit des Liebesobjekts steht im Gegensatz zum Besitzanspruch des Liebenden. Hier klingt eine implizite Anerkennung der Autonomie des Anderen an.
3. Maß und Selbstbegrenzung
Im Unterton des Gedichts liegt eine Mahnung zur Mäßigung: wie der Jäger sich in Geduld übt, so soll auch der Liebende lernen, das Glück nicht zu erzwingen. In dieser Perspektive gewinnt das Gedicht eine ethische Dimension der Selbstbeherrschung, die über das bloße Liebesklagen hinausgeht.
4. Ironische Moralität
Abschatz’ Ironie ersetzt moralische Belehrung. Die Einsicht in das eigene Misslingen wird zur subtilen moralischen Haltung: Wer scheitert, erkennt die Grenzen seiner Macht. Diese ironische Ethik steht im Einklang mit barocker Weltdeutung, die das menschliche Tun stets als eitel und vergänglich begreift.
1. Venus als Symbol des Irdisch-Sinnlichen und der Illusion
Die Bezugnahme auf Venus stellt die Liebe in den Horizont heidnisch-sinnlicher Macht. Der Wildfang der Venus symbolisiert die Anziehungskraft des Irdischen, die den Menschen in Bewegung hält, aber nicht erlöst. In barocker Theologie wäre dies Ausdruck der concupiscentia, des unstillbaren Begehrens, das den Menschen vom göttlichen Frieden trennt.
2. Jagd als Allegorie des menschlichen Lebenslaufs
Die Jagd ist nicht nur Liebesmetapher, sondern Bild des homo viator, des Menschen auf der rastlosen Suche. Der unbekannte Bahn entspricht der Lebensreise, die durch Täuschung, Hoffnung und Furcht geprägt ist. Das Gedicht verwandelt die erotisch-weltliche Szene in eine existentielle Allegorie.
3. Illusion und Erkenntnis: barocke Vanitas-Dialektik
In der Täuschung des Jägers und der Hoffnung des Liebenden spiegelt sich die barocke Erfahrung der Vanitas: alles Streben ist eitel, alles Ziel unsicher. Doch das Bewusstsein dieser Täuschung ist selbst eine Form der Erkenntnis. Das Gedicht führt so zur kontemplativen Einsicht, dass die Wahrheit des Lebens nicht im Erfolg, sondern im Erkennen der Eitelkeit liegt.
4. Freiheit und Gnade
Die kühne Freyheit des Wildes oder der Geliebten kann theologisch als Chiffre für die Freiheit des göttlichen Willens gelesen werden. Der Mensch jagt, sucht, begehrt – doch das Wild (das Göttliche, die Liebe) entzieht sich, solange es nicht freiwillig sich schenkt. Damit deutet Abschatz die Liebe als einen Ort, an dem menschliche Bemühung an ihre Grenze stößt und nur noch das Moment der Gnade bleiben kann.
5. Die Leere des Erfolglosen als mystische Offenheit
Die Schlusszeile, in der das Ich bekennt, kein Wild empfangen zu haben, kann man auch invers deuten: Die Leere wird zur Voraussetzung einer möglichen Erfüllung. In mystischem Sinn ist das Scheitern der Weg zur Transzendenz, weil es das Selbst entleert und öffnet. So kann das Gedicht auch als leise mystische Parabel verstanden werden: Die Liebe, die nicht besessen werden kann, verweist auf eine höhere, jenseitige Dimension.
Abschatz’ Jagt der Liebe ist ein kunstvoll gebautes Gleichnis, das die barocke Vorliebe für Parallelfiguren und Analogien in poetischer Vollendung zeigt.
Formal entfaltet sich ein symmetrischer Aufbau, der in einer ironischen Umkehr endet. Psychologisch schildert das Gedicht die Spannung zwischen Begehren und Ohnmacht, zwischen Projektion und Selbsterkenntnis.
Ethisch reflektiert es die Grenze menschlicher Besitzgier und erzieht zur Mäßigung durch Ironie.
Philosophisch-theologisch schließlich deutet es die Liebe als Allegorie der menschlichen Suche nach Erfüllung, die notwendig in der Erfahrung der Unzulänglichkeit endet – eine kleine barocke Meditation über das Verhältnis von Eros, Erkenntnis und Gnade.
Das Scheitern des Liebenden ist dabei nicht bloß Verlust, sondern ein Moment der Selbsttransparenz: in der Leere, die bleibt, schimmert jene barocke Wahrheit auf, dass alles Streben des Menschen nur Symbol ist für die unstillbare Sehnsucht nach dem Göttlichen.
1. Parallelität von Naturtrieb und moralischer Selbstreflexion
Das Gedicht stellt zwei Formen des Begehrens gegenüber: die Jagd nach Tieren und die Jagd nach Liebe. Der Sprecher erkennt darin eine Analogie, die zugleich moralische Spannung birgt. Die sinnliche Leidenschaft (Venus’ Wild) wird nicht als Laster, sondern als menschlich-natürliche Bewegung verstanden, die der Kontrolle des Geistes bedarf. Die Moral liegt in der Einsicht, dass das Liebesbegehren denselben Aufwand, dieselbe Geduld und dieselbe Möglichkeit des Scheiterns verlangt wie die körperliche Jagd.
2. Selbstkritische Mäßigung des Begehrens
Der Sprecher gesteht seine Unfruchtbarkeit in der Liebesjagd: Mir aber ist bißher kein Wild noch eingegangen. Diese Selbsterkenntnis verwandelt das erotische Spiel in eine moralische Lehre – nicht die Eroberung, sondern die Beherrschung des Triebes ist das Ziel. Der moralische Kern liegt also in der Umwandlung des Begehrens in Einsicht über seine Begrenztheit.
3. Ethische Gleichstellung von Natur und Mensch
Die Gleichsetzung des Jägers und des Liebenden hebt die Differenz zwischen Tier und Mensch auf: beide folgen Spuren, beide verfehlen. Darin steckt eine moralisch-humane Erkenntnis: die Natur der Leidenschaft ist universell, und moralisches Bewusstsein besteht im Erkennen dieser Geteiltheit, nicht in moralischer Überlegenheit.
4. Eitelkeit und Demut
Das Gedicht endet in resignierter Demut – eine typische barocke Haltung: alle Mühe kann vergeblich sein. Diese Einsicht in die Eitelkeit des menschlichen Strebens verweist auf die Tugend der Gelassenheit, die moralisch höher steht als der Triumph der Eroberung.
1. Zweifache Polarität von Geist und Trieb
In anthroposophischer Perspektive zeigt sich hier das Wechselspiel von Astralleib (Begierde, Leidenschaft) und Ich-Organisation (Selbstbewusstsein, Urteilskraft). Der Sprecher beobachtet sich selbst, wie er in der Jagd der Liebe zum Wild des eigenen Begehrens wird – ein Hinweis auf die Möglichkeit der Selbsterkenntnis durch das Durchleben der Leidenschaft.
2. Metamorphose der Jagd in Erkenntnisakt
Die Jagd wird nicht bloß als äußeres Tun, sondern als innerer Prozess verstanden: das Suchen, Verfolgen, Täuschen und Verfehlen spiegeln seelische Entwicklungsstufen wider. Die Täuschung durch falsche Spur entspricht der Illusion, die das Ich im Erkenntnisweg überwinden muss, um das wahre Wesen der Liebe – als geistige Kraft – zu erkennen.
3. Der Verlust als Initiation
Die Tatsache, dass kein Wild erlegt wird, verweist auf die Idee der Läuterung durch Entsagung. In anthroposophischer Lesart bedeutet dies: das Begehrende Ich wird durch Enttäuschung gereinigt, das Begehren vergeistigt. Die Liebe verwandelt sich von triebhafter Jagd zu spiritueller Hingabe.
4. Venus als kosmische Kraft
Venus steht hier nicht nur für sinnliche Liebe, sondern für die schöpferische Kraft, die im Menschen geistig verwandelt werden soll. Die Jagd auf das Wild der Venus ist also ein Bild für die Suche nach der wahren, vergeistigten Liebe, in der das Ich sein Gleichgewicht zwischen Sinnlichkeit und Geistigkeit findet.
1. Barocke Antithetik als Gestaltungsprinzip
Das Gedicht lebt von der ständigen Gegenüberstellung: Jagd der Tiere vs. Jagd der Liebe, Natur vs. Geist, Erfolg vs. Vergeblichkeit. Diese Antithetik schafft eine rhythmische Spannung, die typisch für die barocke Ästhetik ist und die seelische Zerrissenheit des Menschen zwischen Körper und Geist ausdrückt.
2. Symmetrie und Klangbalance
Die Versstruktur (14 Verse in vier Strophen) zeigt einen klaren architektonischen Aufbau, in dem Gleichgewicht und Variation ineinandergreifen. Diese formale Ausgewogenheit spiegelt das moralische Anliegen wider: Maß und Form als Ausdruck geistiger Ordnung gegenüber der Unruhe des Begehrens.
3. Bildliche Doppeldeutigkeit
Die Bildsprache bewegt sich in einem Zwischenraum von Konkretion und Allegorie. Begriffe wie Strick, Netz, falsche Spur oder Wild haben zugleich reale und metaphorische Bedeutung. Diese Ambivalenz ist das ästhetische Zentrum des Gedichts: Schönheit entsteht aus der geistigen Durchleuchtung des Sinnlichen.
4. Barocke Vanitas-Ästhetik
Die Schlusswendung (Mir aber ist bißher kein Wild noch eingegangen) führt in eine ästhetische Geste der Leere und Ironie. Der Reiz des Gedichts liegt darin, dass die Jagd poetisch vollendet wird, obwohl sie real scheitert – Kunst ersetzt Erfahrung. Diese Selbstreflexivität ist Teil der barocken Ästhetik der Vergänglichkeit.
1. Parallele Syntax und Wiederholungsfiguren
Die wiederholte Struktur Du … / Ich … schafft eine rhetorische Spiegelung, in der die Differenz zwischen dem realen und dem metaphorischen Jäger sichtbar wird. Diese Symmetrie hat argumentative Funktion: sie führt die Analogie Schritt für Schritt vor.
2. Metaphorische Kohärenz der Jagdtermini
Das Gedicht entfaltet eine konsequente Metapher der Jagd, die semantisch dicht geführt ist: Strick, Netz, Wild, Spur, Lohn bilden ein geschlossenes lexikalisches Feld, das zugleich körperliche Tätigkeit und seelische Bewegung beschreibt. Diese rhetorische Einheit erzeugt die poetische Glaubwürdigkeit des Vergleichs.
3. Ironisch-selbstreflexive Pointe
Die Schlussverse bilden eine antithetische Pointe, typisch für den barocken Sonettstil (obwohl die Form hier freier ist): die Rede kippt vom Gleichklang in den Unterschied. Die Ironie des Sprechers – dass nur der andere den Lohn erhält – hebt die rhetorische Struktur über bloßes Spiel hinaus zur moralischen Reflexion.
4. Klangliche Gestaltung und Rhythmus
Alliteration (falsche Spur, Müh und Zeit verlieren) und Binnenreime verstärken die Musikalität. Der fließende Sprachrhythmus vermittelt Bewegung, Nachsetzen, Atmen – das poetische Äquivalent zur Jagd selbst. Die Rhetorik imitiert den Gegenstand.
Gesamtschau
Abschatz’ Jagt der Liebe ist eine kunstvolle Miniatur barocker Welt- und Seelenbetrachtung. Das scheinbar spielerische Motiv der Liebesjagd verwandelt sich in eine moralisch-spirituelle Parabel über die Begrenztheit menschlicher Begierde und die Möglichkeit ihrer Läuterung.
Moralisch wird die Jagd zur Schule der Mäßigung, anthroposophisch zum Weg der Selbsterkenntnis, ästhetisch zur harmonischen Form des Zwiespalts, rhetorisch zur Spiegelung des inneren Dialogs zwischen Sinn und Geist.
So zeigt sich im kleinen Rahmen des Gedichts die große barocke Dialektik: zwischen Begehren und Erkenntnis, Körper und Seele, Jagd und Ruhe.
1. Doppelte Parallelität von Liebes- und Jagdvorgang
Das Gedicht entfaltet sich auf zwei sich spiegelnden Ebenen: die äußere Jagd des lyrischen Du (des angesprochenen Jägers) und die innere Jagd des lyrischen Ich nach der Liebe. Beide Sphären – Natur und Gefühl – sind durchgängig parallelgeführt und werden zu einem Spiegel menschlicher Erfahrung. Der Sprecher beobachtet den Jäger und erkennt in dessen Tun ein Bild seiner eigenen Leidenschaft.
2. Spiegelung und Differenz
Der Text ist dialogisch angelegt, auch wenn nur der Sprecher redet. Er richtet sich an den anderen Jäger und zieht zwischen ihnen eine kontinuierliche Analogie, die jedoch im letzten Verspaar in eine markante Differenz mündet: der eine hat Erfolg, der andere bleibt leer. Diese Differenz begründet den melancholischen Unterton des Gedichts.
3. Selbstreflexive Struktur
Die Rede des lyrischen Ichs ist von einem Bewusstsein der eigenen poetischen Tätigkeit durchzogen: die Wort und Reden (V. 7) sind zugleich Mittel der Liebeswerbung und des poetischen Ausdrucks. Damit spiegelt das Gedicht die Funktion der Dichtung als Kunst des Werbens, des Einfangens durch Sprache.
4. Ethisch-erotischer Subtext
Im Hintergrund steht ein moralisch ambivalentes Spiel: die Jagt der Liebe ist von List, Täuschung und Vergeblichkeit geprägt. Der Text reflektiert die Spannung zwischen höfischer Kontrolle und barocker Sinnlichkeit, zwischen Tugend und Begierde.
1. Dichtung als Jagdmetapher
Der Akt des Dichtens wird als Jagd verstanden: der Dichter setzt Strick und Netz, aber in Form von Wort und Reden (V. 7). Das Gedicht thematisiert also zugleich seine eigene Poetik: Sprache als Kunst des Einfangens – nicht von Tieren, sondern von Empfindungen, vom Wild der Venus, also der Liebe.
2. Poetische Mimesis und Reflexivität
Abschatz’ lyrisches Ich ahmt die Handlung des anderen nach, transformiert sie jedoch ins Symbolische. Die Poesie wird hier als mimetisches und zugleich schöpferisches Verfahren verstanden, das die Realität nicht nur abbildet, sondern in eine neue symbolische Ordnung überführt.
3. Barocke Antithetik als Stilprinzip
Die Versstruktur arbeitet mit Gegenüberstellungen: stumm / taub (V. 3), Grausamkeit / Freyheit (V. 4), Regen oder Wind (V. 9). Diese Polarität ist charakteristisch für die barocke Rhetorik und verweist auf den poetologischen Grundsatz des concetto – des geistreichen Vergleichs, der das scheinbar Unverbundene kunstvoll verknüpft.
4. Selbstkommentierung des dichterischen Scheiterns
Das Gedicht gesteht ein, dass Müh und Zeit (V. 8) verloren gehen können. Diese Klage über die vergebliche Mühe verweist nicht nur auf die Liebesjagd, sondern auch auf die prekäre Stellung des Dichters selbst, dessen poetische Kunst nicht immer Wirkung erzielt. So wird die Dichtung als riskantes, ungewisses Unternehmen dargestellt.
1. Die Jagd als Grundmetapher der Liebe
Die zentrale Metapher verbindet zwei Erfahrungsbereiche: Jagd und Liebe. Die Jagt der Liebe folgt den Regeln der höfischen Minne – Verfolgung, Gefahr, List, Beute – und verwandelt das erotische Streben in eine symbolische Naturbewegung. Venus ersetzt Diana als Jagdgöttin: das Liebeswild ist zugleich sinnlich und unerreichbar.
2. Wild, Netz und Spur als erotische Chiffren
Das Wild steht für die Geliebte, das Netz und die Strick für die Strategien der Verführung oder Werbung. Die falsche Spur (V. 10) verweist auf Täuschung, auf Illusionen der Leidenschaft. Die Metaphorik entfaltet ein ganzes semantisches Feld des Begehrens, das zwischen Kontrolle und Verlust oszilliert.
3. Parallele Naturbilder als Spiegel der Innerlichkeit
Wald, Feld, Berge, Thäler sind nicht bloß Schauplätze, sondern Metaphern des seelischen Geländes, durch das sich das Ich bewegt. Die äußere Topographie wird zur inneren Landschaft des Gefühls, wodurch die barocke Verbindung von Kosmos und Seele poetisch umgesetzt wird.
4. Eros und Fortuna
Regen, Wind, falsche Spur, eitler Furcht und Hoffnung (V. 11): das Wechselhafte der Natur spiegelt das Wechselhafte der Liebe. Abschatz’ Bildsprache deutet Liebe als ein vom Zufall und Schicksal gelenktes Spiel, das keine Garantie auf Erfolg kennt.
1. Barocke Liebeslyrik und galante Dichtung
Das Gedicht steht im Kontext der höfisch-galanten Lyrik des späten 17. Jahrhunderts. Hans Aßmann von Abschatz gehört zum Kreis der frühbarocken Dichter, die die Liebesthematik in kunstvolle Allegorien und Gleichnisse kleiden. Seine Sprache zeigt die stilistische Übergangsphase vom hohen Barock zur Frühaufklärung.
2. Bezug zur Emblematik und zum concettismo
Das Ineinander von Bild und Bedeutung ist emblematisch strukturiert: die Jagd ist zugleich pictura (das Bild) und sententia (die moralische Deutung). Abschatz steht damit in der Tradition des europäischen concettismo, der geistreichen, pointierten Bildführung, wie sie in der italienischen und spanischen Barocklyrik (z. B. bei Marino) verbreitet war.
3. Anschluss an petrarkistische Tradition
Die unerfüllte Liebe und das Motiv des unerreichbaren Wilds knüpfen an petrarkistische Topoi an: die Liebende als fliehendes Reh, der Liebende als Jäger seines eigenen Begehrens. Abschatz integriert diesen Topos in eine protestantisch-moderate, höfische Sprachform.
4. Deutsche Adaption europäischer Liebesmetaphorik
In der Verbindung von Natur, Mythologie (Venus) und psychologischem Empfinden spiegelt sich der Versuch der deutschen Barockdichtung, europäische Galanterie mit moralischer Reflexion zu verbinden. Damit steht Abschatz in einer Linie mit Gryphius und Fleming, jedoch mit stärkerer Leichtheit und Ironie.
1. Kommunikative Struktur des Gedichts
Das lyrische Ich spricht zu einem Gegenüber (du), wodurch eine dialogische, fast didaktische Struktur entsteht. Diese Ansprache erlaubt es, den Vergleich zwischen beiden Jagden argumentativ aufzubauen. Das Gedicht operiert also rhetorisch als comparatio – eine barocke Lehrfigur.
2. Formale Geschlossenheit und rhetorische Ökonomie
Die vier Strophen zu je drei bis vier Versen sind streng symmetrisch und bilden eine Steigerung, die im letzten Verspaar kulminiert. Die Pointe des Unterschieds (du hast... / mir aber...) erfüllt die Funktion eines Epigramms, also eines pointierten Abschlusses mit moralischer Nuance.
3. Erkenntnisstruktur
Das Gedicht zielt nicht auf emotionale Ausschüttung, sondern auf Erkenntnis: das Ich reflektiert, wie Liebe und Jagd vergleichbar, aber nicht gleich sind. Damit bewegt sich das Gedicht im Spannungsfeld zwischen Erfahrung und Einsicht – ein Grundzug barocker Weltdeutung.
4. Ironische Distanz und Selbstbeobachtung
Die Haltung des lyrischen Ichs ist nicht klagend, sondern von einer feinen Selbstironie durchzogen: es weiß um die Lächerlichkeit seines Eifers und seines Scheiterns. Diese Ironie weist über das barocke Pathos hinaus und kündigt bereits den rationalen Humor des 18. Jahrhunderts an.
5. Intermedialität von Sprache und Handlung
Der Text thematisiert zugleich Handlung (die Jagd) und Sprache (das Reden, Dichten). In dieser Doppelbewegung liegt sein literaturwissenschaftliches Interesse: Sprache wird als Medium des Handelns und Scheiterns zugleich begriffen – ein Thema, das von der Rhetorik des Barock bis zur modernen Poetik reicht.
Gesamtheitliche Zusammenfassung
Hans Aßmann von Abschatz’ Jagt der Liebe ist ein kunstvoll komponiertes Gedicht, das das barocke Spiel von Allegorie, Ironie und Selbstreflexion in exemplarischer Form entfaltet. Die Jagd wird zum umfassenden Symbol menschlichen Begehrens, die Sprache zum Ort, an dem dieses Begehren sichtbar, aber nicht einlösbar wird.
Der Sprecher erkennt in der äußeren Tätigkeit des Jägers ein Gleichnis seiner eigenen inneren Unruhe: Liebe ist wie Jagd ein Akt der Bewegung, des Suchens, der Täuschung und des Verfehlens. Poetologisch wird die Dichtung selbst als Jagd verstanden – als Versuch, das Unfassbare mit Worten zu fangen. Abschatz gelingt damit ein barocker Mikrokosmos, in dem die Lust am Bild, das Wissen um die Vergeblichkeit und die Reflexion über die Kunst des Sprechens in einem harmonisch-ironischen Gleichgewicht stehen.
1. Parallelität von Jagd und Liebe als anthropologische Metapher
Das Gedicht entfaltet die Analogie zwischen der physischen Jagd des Mannes und der emotional-erotischen Jagd des Liebenden. Beide erfordern List, Geduld und Ausdauer; beide sind von Unsicherheit und Täuschung begleitet. Abschatz stellt das Jagdmotiv als universales Sinnbild menschlicher Leidenschaft dar – die Jagd als Akt der Eroberung und des Begehrens, der jedoch zugleich von Scheitern und Entzug geprägt ist.
2. Dialektik von Aktivität und Passivität
Beide Jäger – der des Waldes und der der Liebe – agieren, doch die Natur (oder die Geliebte) bleibt eigensinnig. Der Sprecher erlebt seine kühne Freyheit zugleich als Eingebundensein in ein Spiel, das er nicht kontrollieren kann. Daraus entsteht eine barocke Ambivalenz: der Mensch als handelndes, aber begrenztes Wesen.
3. Sinnliche und geistige Dimension der Jagd
Während der reale Jäger Tiere verfolgt, jagt das lyrische Ich ein Wild der Venus – ein Begehren, das mit körperlicher Liebe, aber auch mit seelischer Erfüllung verknüpft ist. Venus steht als Chiffre der Sinnlichkeit, aber auch für den ungreifbaren, göttlich-verhängten Eros. Die Jagd wird so zum Symbol einer existentiellen Suche nach Vereinigung und Vollendung.
4. Täuschung, Furcht und Hoffnung
In den Versen 10–11 (wie dich offtermahls die falsche Spur betriegt / So werd' in eitler Furcht und Hoffnung ich gewiegt) spiegelt sich die barocke Erfahrung der Unsicherheit: Die Welt (und die Liebe) sind trügerisch. Hoffnung und Furcht wechseln sich ab, sodass das Streben nie Ruhe findet. Hier klingt eine vanitas-Struktur an: das Scheitern als Grundbedingung des Begehrens.
5. Ironische Selbsterkenntnis und Maß
Die Schlusspointe (Du hast der Mühe Lohn zuweilen schon empfangen / Mir aber ist bißher kein Wild noch eingegangen) verleiht dem Gedicht einen humorvoll-melancholischen Unterton. Der Sprecher erkennt seine eigene Erfolglosigkeit in der Liebe, ohne zu klagen. Der Ton bleibt kultiviert-ironisch – ein typisch galanter Duktus der Barocklyrik.
1. Aufbau und Struktur
Das Gedicht umfasst vier Strophen mit insgesamt 14 Versen, eine freie, aber ausgewogene Gliederung, die zwischen Beobachtung, Vergleich und Pointe fortschreitet. Die Struktur folgt der Logik eines Emblems: pictura (das Jagdbild), subscriptio (die Parallele), sententia (die Schlusslehre).
2. Metrik und Klang
Das Metrum bewegt sich im Bereich des Alexandriners oder einer freieren jambischen Sechser- bis Siebenerstruktur, typisch für den galanten Barock. Die rhythmische Ausgewogenheit unterstützt das dialogische Gleichgewicht zwischen Jagd- und Liebesebene.
3. Reimschema und Symmetrie
Das Reimschema ist nicht durchgehend streng, aber der Wechsel von Paar- und Kreuzreimen erzeugt eine harmonische, kunstvolle Klangbewegung. Diese gefügte Unregelmäßigkeit entspricht der barocken Poetik, in der Maß und Variation eine ästhetische Einheit bilden.
4. Stil und Rhetorik
Rhetorische Figuren dominieren: Vergleich (similitudo), Parallelismus und Antithese. Typisch barock ist auch die Doppelfigur Du redest offt was stumm/ und ich was taub ist, an (V. 3) – eine oxymoronische Verschränkung von Sinnesebenen. Sprachlich bewegt sich das Gedicht zwischen höfischer Eleganz und gelehrtem Witz (ingenium).
5. Sprecherhaltung und Ton
Der Sprecher bleibt in höfischer Distanz; seine Klage über den Liebeserfolg ist leicht ironisch und reflektiert, nicht leidenschaftlich. Das entspricht dem Tonfall der galanten Gesellschaftsdichtung, die emotionales Erleben in ästhetische Form bringt.
1. Jagd-Topos (Venus-Jagd)
Zentraler Liebes-Topos der Renaissance und des Barock: Amor oder Venus als Jagdherrin, die Liebende zu Jägern und Gejagten zugleich macht. Das venatio amoris-Motiv verweist auf die Unbeherrschbarkeit der Leidenschaft.
2. Vanitas und Täuschung
Auch wenn das Gedicht vordergründig galant wirkt, liegt darunter die barocke Vanitas-Idee: menschliches Streben ist eitel, der Erfolg flüchtig. Täuschung (falsche Spur) und vergebliche Hoffnung sind Spiegelbilder der Vergänglichkeit.
3. Fortuna- und Fatum-Motiv
Die Jagd als Glücksversuch: ob man trifft oder verfehlt, hängt vom Zufall ab. Damit wird Liebe als kontingentes Spiel beschrieben – ein Thema, das sich bei Abschatz auch in anderen Gedichten findet.
4. Parität von Natur und Kultur
Die Spiegelung zwischen Jagd im Naturraum und höfischer Liebesjagd deutet eine Einheit von sinnlicher und kultivierter Welt an. Die Natur ist Bühne menschlicher Leidenschaft – ein Gedanke, der im Barock häufig allegorisch überhöht wird.
1. Barocke Emblematik und Allegorik
Das Gedicht gehört in die Tradition der barocken Emblemdichtung, die ein sichtbares Bild (hier: Jagd) als Träger moralisch-psychologischer Einsicht nutzt. Es ist typisch für die literarische Bildung des 17. Jahrhunderts, solche Gleichnisse zwischen äußerer Handlung und innerem Zustand zu gestalten.
2. Galante Poetik
Abschatz steht im Übergang zwischen Hoch- und Spätbarock; seine Dichtung trägt bereits den Ton des galanten Frühaufklärers. Das Liebesgedicht wird zur stilisierten Konversation über Gefühl, nicht zu einem Ausdruck ekstatischer Leidenschaft.
3. Sozialer und ästhetischer Hintergrund
Als höfischer Autor orientiert sich Abschatz an französisch-italienischen Mustern (Marino, Voiture). Die Liebesjagd wird zum Spiegel höfischer Liebespraxis: kontrollierte Emotionalität, kultivierte Ironie, rhetorische Eleganz.
4. Philosophische Dimension des barocken Weltbilds
Die Spannung zwischen Hoffnung und Täuschung, Mühe und Lohn, Freiheit und Fügung spiegelt das barocke Bewusstsein von der Unbeständigkeit des Lebens. Selbst der galante Ton bleibt in ein kosmisches Vanitas-Denken eingebettet.
1. Zwillingsstruktur der Jagden
Abschatz inszeniert zwei parallele Bewegungen – die körperliche Jagd des Freundes und die seelische Jagd des Liebenden. Beide sind gleichermaßen von Mühe, Täuschung und Zufall bestimmt. Dadurch entsteht eine anthropologische Reflexion über das Wesen des Begehrens: jede Jagd ist Suche nach etwas, das sich entzieht.
2. Humorvoll-melancholische Selbstreflexion
Das Gedicht endet nicht tragisch, sondern mit resignierter Ironie. Der Sprecher erkennt das eigene Scheitern als Teil des Spiels der Liebe. Diese Ironie ist Ausdruck höfischer Souveränität: man leidet, aber mit Stil.
3. Barocke Balance zwischen Gefühl und Form
Die Kunst liegt nicht in der Leidenschaft selbst, sondern in ihrer Formung. Abschatz’ Liebeslyrik zügelt das Emotionale durch rhetorische Ordnung. Der Alexandriner-Duktus, die parallelen Satzbauten und der pointierte Schluss verleihen der inneren Bewegung eine ästhetische Fassung.
4. Erkenntnis und Allegorie
Die Jagd wird zur Allegorie des menschlichen Daseins: Suche, Täuschung, Mühe, gelegentlicher Lohn. In dieser Symbolik verschmelzen Eros, Erkenntnis und Schicksal. Das Gedicht steht somit nicht nur in der Tradition höfischer Liebesdichtung, sondern auch in der des barocken memento vanitatis.
5. Gesamtwirkung
Jagt der Liebe vereint Anmut und Reflexion: Es ist leichtfüßig im Ton, aber schwer in der Bedeutung. Abschatz gelingt eine Miniatur des barocken Weltgefühls – die Liebe als Jagd, die stets mehr vom Suchen als vom Finden lebt.