Mein Bette/ glaub ich/ ist mit Disteln überstreuet/1
Das weichste Küssen wird für mich ein harter Stein.2
Mein Leib/ der weder Stroh noch Erde vor gescheuet/3
Klagt sich in Federn noch/ will nimmer ruhig seyn/4
Wirfft sich die gantze Nacht mit Seufftzen hin und wieder/5
Kein Schlaff erquickt/ wie sonst/ die abgematten Glieder.6
Es ist schon Mitternacht; die Augen stehen offen/7
Haubt/ Leib und Hertze weiß von keiner Ruhe nicht.8
Komm/ Phöbus/ komm herfür/ laß mich nicht länger ruffen/9
Steck an dem Himmel auff dein angenehmes Licht.10
Doch aber hoff ich auch umsonst auff dich/ o Sonne/11
Wenn ich nicht sehen kan Lisillen meine Wonne.12
Mein Bette/ glaub ich/ ist mit Disteln überstreuet/1
Das weichste Küssen wird für mich ein harter Stein.2
Mein Leib/ der weder Stroh noch Erde vor gescheuet/3
Klagt sich in Federn noch/ will nimmer ruhig seyn/4
Wirfft sich die gantze Nacht mit Seufftzen hin und wieder/5
Kein Schlaff erquickt/ wie sonst/ die abgematten Glieder.6
1 Mein Bette/ glaub ich/ ist mit Disteln überstreuet,
Analyse
1. Die Wahrnehmung ist ausdrücklich subjektiv markiert: Die Parenthese glaub ich schiebt eine Ich-Gewissheit ein, die weniger faktische Aussage als affektive Empfindung beglaubigt.
2. Die Bildwahl Bette … mit Disteln überstreuet schafft eine drastische Antithese zum gewöhnlich Weichen des Bettes; Disteln stehen emblematisch für Schmerz, Stachel, Unruhe. Das ist barocke Topik der Liebesqual.
3. Syntax und Rhythmus folgen der barocken Langzeile (alexandrinischer Duktus): Die Schrägstriche gliedern Sinnabschnitte und deuten eine Zäsurstruktur an; die gedehnte Periode performt die Ausdehnung der schmerzhaften Nacht.
4. Lexik: überstreuet (archaisch für überstreut) verstärkt das All-Übergreifende; nicht eine einzelne Distel, sondern eine flächige Bedeckung – Hyperbel.
Interpretation
1. Das Ich erfährt den Ort der Erholung als Ort der Verletzung; die Welt ist nicht verändert, doch die Affekte verwandeln die Qualitäten der Dinge (Affekt-Ästhetik der Wahrnehmung).
2. Liebessehnsucht (oder Eifersucht/Trennung) kehrt die Ordnung um: Das Intime wird zum Feindlichen. Die Distel fungiert als moralisch-emblematisches Signum der Stacheln des Begehrens.
3. Das glaub ich verrät Selbstbeobachtung: Das Ich reflektiert seine eigene Verzerrung – ein leiser epistemischer Zweifel, der die Unzuverlässigkeit des Empfindens markiert und zugleich seine Macht bezeugt.
2 Das weichste Küssen wird für mich ein harter Stein.
Analyse
1. Scharfe Antithese: weichste vs. harter; sinnlich Angenehmes (Kuss) wird in mineralische Härte transformiert. Das ist eine metaphorische Inversion der Qualitäten.
2. Die Formulierung für mich rückt erneut die Perspektive des Subjekts ins Zentrum; die Objektwelt bleibt, die Wertigkeit kippt.
3. Klanglich stützt die Alliteration/Konsonanz der k-/h-Laute (Küssen, harter, Stein) die Härte des Bildes; Stein ist in der Barockpoetik ein häufiges Emblem für Unbiegsamkeit, Kälte, Unbelebtheit.
Interpretation
1. Selbst die höchste Zärtlichkeit ist entleert – ein Zeichen totaler Affektverfinsterung: Genuss ist nicht mehr zugänglich.
2. Mögliche Implikation von Schuld/Scham: Küssen könnte hart werden, weil das Ich innerlich blockiert ist (Eifersucht, Versagung, moralische Skrupel).
3. Der radikalisiert 1: Nicht nur Lagerstatt, sondern auch das Zeichen der Liebe selbst wird antagonistisch – die Liebesqual pervertiert ihre eigenen Symbole.
3 Mein Leib/ der weder Stroh noch Erde vor gescheuet,
Analyse
1. Kontrastive Selbstauskunft: Der Sprecher reklamiert Robustheit (weder Stroh noch Erde). Das verweist auf Erfahrungen von Einfachheit/Entbehrung (ländliche, soldatische oder reisende Lebensumstände).
2. vor gescheuet (für zuvor gescheut) ist archaisch; semantisch heißt es: Früher hat der Leib weder einfachstes Lager (Stroh) noch nackten Boden gemieden.
3. Die Apposition der … eröffnet eine Relativkonstruktion, die einen normativen Vergleichspunkt etabliert: das Damals der Belastbarkeit gegen das Jetzt der Zartbesaitetheit.
Interpretation
1. Der Liebesschmerz macht aus dem vormals widerstandsfähigen Körper einen hypersensiblen. Die Affektlage ist stärker als physische Härtegewöhnung.
2. Subtiler Statusverweis: Stroh und Erde als Schlafstätten evozieren Demut oder Entbehrung; jetzt aber ist nicht materielle Not, sondern innere Not das Problem.
3. Psychosomatik avant la lettre: Der Körper wird Bühne der Seele – er erinnert an Robustheit, gehorcht aber dem neuen Affektgesetz nicht mehr.
4 Klagt sich in Federn noch/ will nimmer ruhig seyn,
Analyse
1. Scharfes Gegenstück zu 3: Von Stroh/Erde zu Federn (Luxus, Weichheit). Gerade dort klagt sich der Leib – reflexive Klageformel, die Körper und Stimme verschmilzt.
2. will nimmer ist eine Volitiv-Negation: Der Wille zur Ruhe ist blockiert. Das nimmer absolutiert die Unfähigkeit zur Beruhigung.
3. Rhythmisch/semantisch steigert der die Paradoxie: Je weicher das Lager, desto größer die Klage – eine barocke Umkehrfigur (perversio qualitatis).
Interpretation
1. Die Feder als Emblem der Weichheit wird zum Prüfstein: Das Problem ist nicht die Umwelt, sondern der innere Aufruhr.
2. Klage ist hier nicht bloß Symptom, sondern Selbsttätigkeit des Leibes; Leib und Seele sind ununterscheidbar in der Affektökonomie der Liebe.
3. Die Unruhe hat totalitären Anspruch (nimmer): Es gibt keinen Kompromiss zwischen Leidenschaft und Ruhe – der Liebende ist von der Passion besetzt.
5 Wirfft sich die gantze Nacht mit Seufftzen hin und wieder,
Analyse
1. Dynamisierung: Das reflexive Verb wirft sich inszeniert körperliche Rastlosigkeit; der ganze ist in Bewegung.
2. Zeitliche Totalisierung: die gantze Nacht verwandelt Unruhe in Dauerzustand; Nacht (Schlafzeit) wird zur Bühne des Leidens.
3. Lautmalerei: Die Häufung von s-/z-Lauten (sich … Seufftzen) erzeugt ein zischendes, stöhnendes Klangbild; Seufftzen (alte Orthographie) betont das Atem- und Lautmotiv.
4. Kompositionslogik: Nach der Antithesen-Exposition (Vv. 1–4) kommt die narratio der Nacht – eine kleine Passionsgeschichte des Körpers.
Interpretation
1. Das Ich ist der eigenen Leiblichkeit ausgeliefert; die Bewegung hin und wieder ist ziellos, zyklisch – Bild der obsessiven Wiederkehr des Gedankens an das Geliebte.
2. Das Seufzen erfüllt auch eine rhetorische Funktion: Es ist die akustische Außenseite des stummen Begehrens; die Stimme ersetzt die unerreichbare Erfüllung.
3. Der zeichnet das barocke Vanitas-Moment latent mit: Die Nacht verrinnt, ohne Ertrag; Zeit wird verzehrt vom Affekt.
6 Kein Schlaff erquickt/ wie sonst/ die abgematten Glieder.
Analyse
1. Negation mit Vergleichsformel: wie sonst stellt einen verlorenen Normalzustand in Aussicht – früher brachte Schlaf Erquickung, jetzt versagt er.
2. abgematten Glieder verbindet Adynamie (abgemattet) mit körperlicher Pluralität (Glieder), wodurch der ganze Organismus in Mitleidenschaft gezogen erscheint.
3. Klanglich wirkt der gedehnte Vokalfluss (Schlaff … erquickt) gegen den Sinn: Das Wort erquickt (Erfrischung) steht ironisch, da gerade die Erquickung ausbleibt.
Interpretation
1. Schluss der Mini-Expositio: Die Nacht endet nicht in Heilung, sondern in Bestätigung des Mangels – Amor triumphiert über Hypnos.
2. Anthropologische Pointe: Schlaf als elementare Regeneration ist affektabhängig; der Liebesschmerz stört das tiefste Lebensritual.
3. Der bildet die Kadenz des Sechzeilers: Nach ABAB-Kontrast erhält das CC-Paar (V. 5–6, wieder/Glieder) eine Fazitfunktion – tätige Unruhe mündet in negativen Befund.
Es ist schon Mitternacht; die Augen stehen offen/7
Haubt/ Leib und Hertze weiß von keiner Ruhe nicht.8
Komm/ Phöbus/ komm herfür/ laß mich nicht länger ruffen/9
Steck an dem Himmel auff dein angenehmes Licht.10
Doch aber hoff ich auch umsonst auff dich/ o Sonne/11
Wenn ich nicht sehen kan Lisillen meine Wonne.12
7 Es ist schon Mitternacht; die Augen stehen offen
Analyse
1. Die präzise Zeitangabe Mitternacht markiert einen liminalen Schwellenmoment zwischen Tag und Nacht, Schlaf und Wachsein; sie fungiert als dramaturgischer Auftakt für die Existenzkrise der Sprecherfigur.
2. Die deutlich gesetzte Zäsur nach dem Semikolon (Mitternacht;) gliedert den in zwei Hälften: erst die nüchterne Feststellung der Stunde, dann die psychophysische Reaktion (die Augen stehen offen). Diese Zäsur erinnert an den barocken Alexandrinerfluss, der oft Sinn- und Atempausen stark markiert.
3. Die Augen stehen offen ist eine statische, beinahe topische Bildformel für Schlaflosigkeit; das Verb stehen betont Dauerhaftigkeit und Unaufhebbarkeit des Zustands, kein bloß momentanes Öffnen, sondern ein starrer, erzwungener Wachzustand.
4. Der Kontrast von objektiver Zeitmessung (Mitternacht) und subjektiver Befindlichkeit (offene Augen) etabliert bereits das Grundmotiv: eine Diskrepanz zwischen äußerer Weltordnung und innerer Unruhe.
5. Klanglich unterstreicht die Alliteration der offenen Vokale (o-Laute in schon, offen) die Weite des Wachzustands; semantisch ergibt sich daraus eine leise Ironie: offene Augen schaffen keine innere Klarheit.
Interpretation
1. Die Sprecherfigur erlebt die Mitternacht nicht als Ruhepunkt, sondern als Verdichtung von Affekt und Bewusstsein—ein barockes Motiv der Liebeskrankheit, in dem die Nacht die Empfindsamkeit steigert.
2. Der Wachzustand markiert das Ausgesetztsein an sich selbst: In der Dunkelheit werden begehrende Imagination und Erinnerung produktiv, zugleich quälend.
3. Das Versgefüge suggeriert, dass Ordnung (die Zeit) den Affekt nicht zähmt; die Liebe sprengt Alltagsrhythmik und unterläuft die normative Funktion der Nacht als Schlafenszeit.
4. Im Subtext kündigt sich die kosmologische Dimension an: Gegen die Nacht wird später die Sonne angerufen—ein Wechsel von innerem zu kosmischem Ordnungsappell.
5. Die Bildwahl evoziert eine Passivität: Das Subjekt steht seinem Empfinden gegenüber wie einer Macht, die es nicht regulieren kann.
8 Haubt/ Leib und Hertze weiß von keiner Ruhe nicht.
Analyse
1. Die dreigliedrige Aufzählung (Haubt/ Leib und Hertze) bildet eine barocke Totale des Menschen—Kopf (Vernunft/Denken), Körper (Sinnlichkeit) und Herz (Affekt/Seele). Dadurch wird Ganzheitlichkeit des Leidens ausgestellt.
2. Grammatisch steht weiß trotz mehrgliedrigen Subjekts im Singular; die Einheit der Person bleibt in der Vielgliedrigkeit gewahrt—ein stilistisches Mittel, das die unteilbare Betroffenheit der ganzen Existenz markiert.
3. Die doppelte Negation (von keiner Ruhe nicht) wirkt als barocke Intensivierung: Nicht nur fehlt Ruhe, sie ist kategorial ausgeschlossen.
4. Der Dativanschluss von … Ruhe betont den Zustand der Entbehrung, als ob Ruhe ein externer Besitz wäre, von dem man Anteil haben könnte—hier versagt.
5. Der Reim- und Klangraum bindet an 7 an: semantische Kontinuität (Schlaflosigkeit) wird syntaktisch-steigernd über die Trias entfaltet.
Interpretation
1. Die Liebe durchdringt die ganze Person; weder Denken (Kopf) noch Körper (Leib) noch Gefühl (Herz) entziehen sich. Das Leiden ist nicht lokal, sondern total.
2. Der Singular des Prädikats impliziert innere Kohärenz in der Zerrissenheit: Das Subjekt bleibt eins in der Unruhe—ein paradoxes Barocksignal.
3. Die emphatische Negationsform zeigt die Verzweiflung als nicht verhandelbar; es gibt keine Zwischenstufe der Linderung.
4. Zwischen Kopf und Herz liegt ein unaufgelöster Konflikt, aber beide sind gleichermaßen ergriffen—der Text versagt rationaler Selbstkontrolle bewusst die Vorrangstellung.
5. Das Motiv der ruhelosen Nacht steigert sich von physischer Schlaflosigkeit (Augen offen) zu metaphysischer Unruhe (Herz weiß von keiner Ruhe).
9 Komm/ Phöbus/ komm herfür/ laß mich nicht länger ruffen/
Analyse
1. Die Anrufung Phöbus (Apollo/Sonne) ist ein klassisches mythologisches Topos der galanten Barocklyrik; der Sprecher verlegt seine Rettung ins Kosmische.
2. Die epizeutische Wiederholung komm … komm intensiviert Dringlichkeit und performiert die Dauer des Wartens.
3. Herfür (hervor) verortet die Sonne als hinter dem Horizont verborgene Instanz; der Aufgang wird als aktives Hervortreten imaginiert.
4. Laß mich nicht länger ruffen zeigt eine ermattete Iteration: Der Sprecher ruft schon lange; die Bitte ist zugleich Klage über ausbleibende Antwort—ein Gebetsduktus mit elegischem Gestus.
5. Imperativstruktur und Höflichkeitsverzicht (kein Bitte-Modal) markieren affektive Übersteuerung; die Syntax drängt, presst, fordert.
Interpretation
1. Der Sonnenruf verschiebt das Problem: Außenlicht soll Inneres klären. Damit setzt der Text auf eine Analogiebildung von kosmischem und psychischem Morgen.
2. Das wiederholte komm entspricht der Unruhebewegung: Der versucht, durch Sprache den kosmischen Ablauf zu beschleunigen—ein poetischer Akt wider die Naturordnung.
3. Der Gebetscharakter (laß mich nicht …) deutet eine theatralische Beziehung zu einer transzendenten Macht an, die der Sprecher personalisiert.
4. Zugleich schimmert Ohnmacht: Wer die Sonne ruft, gesteht die eigene Unfähigkeit ein, die innere Nacht zu beenden.
5. Die Szene wird performativ: Das Gedicht ist selbst Rufen; die Lyrik wird Handlungsersatz.
10 Steck an dem Himmel auff dein angenehmes Licht.
Analyse
1. Steck … auf ist eine Zündmetapher: Die Sonne wird als Fackel/Leuchte gedacht, der Himmel als Träger; ein vertrauter barocker Lampen-Topos.
2. Der Imperativ bleibt erhalten; die Sprechhandlung beansprucht Wirkmacht bis ins Himmelsgeschehen hinein.
3. Angenehmes Licht kombiniert Sensorik (Angenehmes) mit Epiphanie (Licht); das Epithet verweist auf Tröstung und Süße der Erscheinung.
4. Die Wortstellung (an dem Himmel auff) erzeugt eine Bildbewegung vom Irdischen zum Überirdischen, wodurch der Aufgang räumlich imaginiert wird.
5. Stilistisch entspricht die Metapher der barocken Affektökonomie: Licht wird als Heilmittel gegen Melancholie codiert.
Interpretation
1. Der Sprecher übersetzt inneres Begehren in ein anschauliches Ritual: Wenn das Licht entzündet wird, soll das Seelenklima wechseln.
2. Angenehm deutet das Erwünschte nicht nur als hell, sondern als mild und sinnlich; Licht ist nicht bloß Erkenntnis, sondern Wohllust.
3. Der entwirft eine Heilsästhetik: Schönheit (angenehm) und Ordnung (Licht) sollen die Nacht der Leidenschaften bändigen.
4. Doch das Vertrauen bleibt äußerlich: Der Kosmos soll kompensieren, was die Beziehung (noch) nicht gewährt.
5. Damit bereitet der die Ernüchterung des folgenden Verses vor: Kosmisches Licht genügt nicht ohne das personale Ziel der Liebe.
11 Doch aber hoff ich auch umsonst auff dich/ o Sonne/
Analyse
1. Die Kombination Doch aber ist barocke Pleonastik; sie signalisiert eine scharfe Wendung: Trotz allem ist die Erwartung umsonst.
2. Hoff ich … umsonst fällt syntaktisch knapp aus; die Lakonie kontrastiert die bisherigen Imperative und markiert Ernüchterung.
3. Die Apostrophe o Sonne hält den Pathosraum offen, aber semantisch wird er entleert: Die angerufene Instanz erweist sich als unzureichend.
4. Der ist semantischer Volta-Punkt der Strophe: von Beschwörung zu skeptischer Einsicht.
5. Die Stellung auff dich bindet die verfehlte Hoffnung ausdrücklich an das kosmische Gegenüber, nicht an das eigene Unvermögen—ein rhetorischer Verschiebetrick.
Interpretation
1. Hier tritt die Grundthese zutage: Naturereignisse können die Liebessehnsucht nicht befriedigen.
2. Die Hoffnung auf Sonnenaufgang wird als Kompensation entlarvt; der eigentliche Mangel bleibt personal.
3. Der Pathos der Anrede kippt in eine feine Ironie: Selbst die majestätische Sonne ist für die Liebenden nutzlos.
4. Das Gedicht macht so das Primat des Du geltend: Jede Kosmologie ist vorläufig, solange das geliebte Gegenüber fehlt.
5. Die Ernüchterung bereitet die konditionale Zuspitzung in 12 vor.
12 Wenn ich nicht sehen kan Lisillen meine Wonne.
Analyse
1. Der konditionale Nebensatz (Wenn ich nicht …) bezieht sich rückwärts auf hoff ich umsonst: Die Hoffnung ist vergeblich falls das Sehen der Geliebten ausbleibt.
2. Die Stellung Lisillen meine Wonne ist appositiv: meine Wonne erklärt den Eigennamen und fungiert als zärtliche Prädikation.
3. sehen benennt das minimale, doch entscheidende Bedürfnis: nicht Besitz, nicht Gespräch—allein Anschauung; das entspricht petrarkistischer Blick-Poetik.
4. Der Diminutivklang von Lisille(n) (zärtlicher Name) setzt den gallanten Ton und individualisiert die zuvor kosmisch generalisierte Situation.
5. Die Syntax bleibt unerfüllt offen—formal ein Nebensatz, semantisch jedoch die letzte, absolute Bedingung: Ohne dieses Sehen verliert alles Licht seinen Sinn.
Interpretation
1. Das Gedicht setzt die Geliebte als eigentliches Licht: Ihr Anblick ist die wahre Helligkeit, der Sonnenaufgang bloß physische Beleuchtung.
2. Die Blickpoetik transformiert Natur in Beziehung: Erkenntnis, Trost und Lust werden personalisiert, nicht naturalisiert.
3. Wonne erhebt das Begehren auf eine quasi-metaphysische Stufe (Seligkeit/Beatitudo); damit rückt die Liebeserfahrung in die Nähe religiöser Erfüllungssemantik.
4. Der konditionale Schluss kehrt die Ordnung um: Nicht die Sonne stiftet den Tag, sondern die Geliebte; sie ist Maß der Zeit und Qualität der Welt.
5. Die Strophe endet so nicht mit Erfüllung, sondern mit einer Conditio sine qua non: Bis Lisille sichtbar wird, bleibt jeder kosmische Trost leer.
Hier eine umfassende Analyse von Hans Aßmann von Abschatz’ Gedicht Nr. 42 aus Anemons und Adonis Blumen:
1. Eintritt in die Szene durch das Bett als Leidensort
Das Gedicht setzt mit einer radikalen Umkehrung der Erwartung an: das Bett, normalerweise ein Ort der Erholung und Lust, wird zur schmerzhaften Stätte. Das Bild der Disteln überstreut symbolisiert die Unmöglichkeit der Ruhe. Damit ist der Grundkonflikt von Beginn an markiert: körperliche Nähe und Zärtlichkeit sind für das lyrische Ich unerreichbar, ja in ihr Gegenteil verkehrt.
2. Steigerung durch die Erfahrung der Rastlosigkeit
In den folgenden Versen wird die Klage intensiviert: der Körper ist im Unfrieden mit sich selbst, er kann selbst in den weichsten Federn keine Ruhe finden. Der Kontrast zwischen der äußeren Situation (ein weiches Bett) und der inneren Befindlichkeit (Schmerz, Unruhe) steigert das Pathos.
3. Dramaturgie der Nacht
Der nächtliche Verlauf verstärkt die Dramatik: Mitternacht wird explizit genannt. An diesem Punkt steigert sich die Situation zur existenziellen Erfahrung von Trostlosigkeit. Weder Körper noch Geist finden Schlaf, das gesamte Dasein ist in Aufruhr.
4. Wendung zum kosmischen Bezug
Das lyrische Ich richtet den Blick nach außen, ruft den Sonnengott Phoebus an. Diese Öffnung ins Kosmische markiert einen Übergang: vom rein subjektiven Erleben hin zum mythologisch überhöhten Wunsch nach Licht, Trost und Erlösung.
5. Enttäuschung und letzte Pointe
Doch selbst diese Hoffnung wird zurückgenommen: ohne die Geliebte (Lisillen) bleibt auch die Sonne machtlos. Damit schließt das Gedicht in einer antithetischen Wendung: Hoffnung und Hoffnungslosigkeit stehen im paradoxen Verhältnis, und das Zentrum allen Begehrens wird auf die Geliebte konzentriert.
1. Unruhe des Begehrens
Das Gedicht beschreibt mit psychologischer Genauigkeit den Zustand der Schlaflosigkeit aus Sehnsucht. Das gesamte Nervensystem ist angespannt, der Körper gehorcht nicht mehr den natürlichen Rhythmen.
2. Transformation des äußeren Umfelds durch die innere Empfindung
Bett, Kissen, Nacht – sie alle verlieren ihre Funktion, weil das innere Begehren alles verwandelt. Hier zeigt sich eine frühe psychologische Einsicht: die Welt wird nicht objektiv erlebt, sondern durch die innere Befindlichkeit radikal umgestaltet.
3. Ambivalenz zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Das lyrische Ich schwankt zwischen der Hoffnung auf den Sonnenaufgang und der verzweifelten Einsicht, dass selbst Licht nichts nützt ohne die Geliebte. Diese Schwankung ist Ausdruck einer psychischen Zerrissenheit, die zwischen Wunsch und Realität gefangen bleibt.
1. Liebe als bindendes Prinzip
Das Gedicht thematisiert die moralische Bindung der Existenz an das Gegenüber. Lisille ist nicht nur ein Objekt der Begierde, sondern wird zur Bedingung des Daseins selbst. Ethisch betrachtet verweist dies auf eine Bindung, die das Selbst transzendiert.
2. Gefahr der Selbstversklavung
Zugleich birgt diese Fixierung die Gefahr: die Freiheit des Subjekts ist völlig eingeschränkt. Ohne die Geliebte ist nichts mehr möglich. Damit eröffnet das Gedicht ein ethisches Spannungsfeld: zwischen der Hingabe, die edel wirkt, und der Abhängigkeit, die das Selbst lähmt.
3. Dimension des Treueversprechens
Implizit spricht das Gedicht auch von Treue. Die Sehnsucht und die Qual verweisen darauf, dass das Ich sich an eine einzige Gestalt gebunden weiß. Dies verweist auf einen ethischen Wert der Verbindlichkeit.
1. Die Nacht als Bild des Daseins ohne Erfüllung
Philosophisch betrachtet ist die Mitternacht nicht nur eine zeitliche Angabe, sondern ein Symbol der Dunkelheit des Seins. Ohne Gegenwart des Geliebten bleibt das Leben in einem Zustand der Nacht. Dies lässt sich im theologischen Kontext als Bild der Gottferne lesen.
2. Phoebus als säkulare Gottheit und theologischer Kontrast
Der Ruf nach Phoebus ist doppeldeutig: einerseits poetische Tradition, andererseits eine Art Ersatzgott. Doch die Sonne bleibt machtlos – was implizit auf eine Leerstelle verweist: wahres Licht, wahre Ruhe kann nicht von einem heidnischen Gott, sondern nur von der Transzendenz, vom Göttlichen her kommen.
3. Liebe als Heilsbedingung
Die Fixierung auf Lisille kann theologischer gelesen werden als allegorisches Bild für die Seele und Gott: nur die Begegnung mit der Geliebten stillt die Unruhe, wie in mystischer Literatur nur die Vereinigung mit Gott die Seele beruhigt. In dieser Lesart schwingt eine augustinische Theologie mit: unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir.
4. Paradox von Licht und Dunkel
Obwohl der Sonnenaufgang ersehnt wird, bleibt er nutzlos ohne die Gegenwart der Geliebten. Philosophisch gesehen verweist dies auf das Paradox, dass äußeres Licht nicht gleichbedeutend ist mit innerer Erleuchtung. Nur die innere Sonne der Liebe kann wahrhaft heilen.
5. Anthropologische Grundfigur
Abschatz entwirft hier das Bild des Menschen als eines rastlosen Wesens, das in der Abwesenheit des Geliebten keine Ruhe finden kann. Dies kann als universale Metapher für die Conditio humana gelesen werden: der Mensch ist ein Sehnsuchtswesen, dessen Ruhe nicht in sich selbst liegt, sondern in einem transzendierenden Anderen.
1. Das Gedicht entfaltet das Bild einer Liebesqual, die durch Schlaflosigkeit, Sehnsucht und körperliche Rastlosigkeit geprägt ist. Moralisch zeigt sich darin, dass menschliche Begierden, wenn sie keine Erfüllung finden, den Menschen in eine Form von Selbstpein verwandeln. Die Lust verkehrt sich ins Gegenteil und wird zur Qual.
2. In der Klage über die Unruhe des Körpers liegt eine moralische Warnung: Wer sich von der sinnlichen Leidenschaft beherrschen lässt, verliert die Fähigkeit zur inneren Ruhe und zum Gleichmaß des Lebens. Damit wird implizit der Gedanke gestützt, dass Selbstbeherrschung und Maßhalten eine Tugend darstellen.
3. Die Anrufung der Sonne – des Phöbus – kann moralisch so gelesen werden, dass der Liebende in seiner Verzweiflung äußere Mächte anruft, anstatt die innere Ordnung wiederzufinden. Das Gedicht reflektiert so eine Schwäche des menschlichen Charakters, der im Angesicht der Leidenschaft das Maß der Selbstbestimmung verliert.
4. Am Ende zeigt sich, dass auch der ersehnte Tagesanbruch vergeblich wäre, wenn nicht die geliebte Lisille erscheint. Moralisch bedeutet dies: Das äußere Licht allein genügt nicht, das Herz zu beruhigen; nur die rechte Bindung an den geliebten Menschen oder die rechte Ordnung der Seele kann wahre Erfüllung geben.
1. Anthroposophisch betrachtet zeigt das Gedicht ein starkes Auseinanderfallen von Leib, Seele und Geist: der Leib ist ruhelos, die Seele seufzt und klagt, und der Geist ringt mit der Leere der Nacht. Der Mensch erlebt so eine innere Zerrissenheit, die im anthroposophischen Sinn auf ein Ungleichgewicht der Wesensglieder verweist.
2. Die Disteln im Bette sind ein Bild dafür, dass das physische und ätherische Erleben von Schmerz überlagert ist. Sie deuten darauf, dass die ätherischen Kräfte – normalerweise ordnend und heilend – durch die ungestillte Leidenschaft verkehrt werden und den Menschen nicht tragen können.
3. Die Anrufung des Phöbus (Sonne) verweist anthroposophisch auf das geistige Sonnenprinzip, das für Bewusstsein, Klarheit und Erkenntnis steht. Der Dichter spiegelt hier eine Sehnsucht nach der lichtvollen Kraft, die aus dem Kosmos kommt und die innere Finsternis der Leidenschaft überstrahlen soll.
4. Die Enttäuschung darüber, dass auch das Sonnenlicht ohne Lisille nutzlos bleibt, zeigt, dass die menschliche Individualität noch ganz an der sinnlichen Liebe hängt. Anthroposophisch könnte man sagen: Der Mensch bleibt im astralischen Begehren verhaftet, ohne die Wandlung zum geistigen Erleben zu vollziehen. Das Gedicht macht damit eine Entwicklungsstufe sichtbar, in der der Mensch zwischen physischem Begehren und geistiger Klarheit schwankt.
1. Das Gedicht lebt von einem starken Kontrast: das Bette, das Ort der Ruhe sein sollte, wird zum Ort des Schmerzes; die Federn, die Leichtigkeit bringen sollten, werden zur Qual. Diese Umkehrung des Erwarteten schafft eine ästhetische Spannung, die das Erleben der Leidenschaft intensiviert.
2. Die Dichtung bewegt sich zwischen Nacht und Tag, Dunkelheit und Licht, Schlaflosigkeit und dem erhofften Morgen. Dadurch entsteht ein klassisches barockes Spiel mit Gegensätzen, das den Zustand der inneren Zerrissenheit im äußeren Bild spiegelt.
3. Die Schönheit des Gedichts liegt auch in der Linearität der Bewegung: vom Körperlichen (Bett, Disteln, Federn) geht es hin zum Kosmischen (Sonne, Himmel), und schließlich zurück zum Persönlich-Intimen (Lisille). Ästhetisch gesehen entfaltet sich damit ein Kreisgang, der zeigt, dass alles Erleben wieder auf die persönliche Leidenschaft zurückgeführt wird.
4. Auch das Versmaß und die gereimte Struktur tragen zur Schönheit bei: Die klaren rhythmischen Einheiten stehen im Kontrast zur inneren Unruhe des lyrischen Ichs. Dadurch wirkt das Gedicht zugleich geordnet und von Sehnsucht zerrissen.
1. Die Sprache ist voller Antithesen: Disteln statt Rosen, harter Stein statt weiches Küssen, Seufzen statt Ruhe. Diese rhetorischen Gegensätze sind ein typisches barockes Mittel, um innere Konflikte in sprachliche Bilder zu verwandeln.
2. Wiederholungen verstärken den Ausdruck der Unruhe: kein Schlaf erquickt, die Augen stehen offen, Haubt, Leib und Hertze weiß von keiner Ruhe nicht. Diese rhythmische Verdichtung spiegelt die Rastlosigkeit des Ichs.
3. Die Apostrophe an Phöbus (Komm, Phöbus, komm herfür) ist eine rhetorische Figur, die das Gedicht über das persönliche Klagen hinaus in einen kosmischen Kontext hebt. Die Personifikation der Sonne verleiht der subjektiven Erfahrung eine mythische Dimension.
4. Am Ende steht eine Pointe: selbst die Sonne ist nutzlos, wenn die Geliebte nicht erscheint. Rhetorisch steigert das die Vergeblichkeit der Klage und bindet das Ganze an die Übermacht der Leidenschaft. Die Schlusswendung wirkt wie eine rhetorische Schließung, die das ganze Gedicht in eine paradoxe Pointe auflöst: das Höchste (Sonne) ist nichts ohne das Persönliche (Lisille).
1. Das Gedicht beschreibt eine subjektive, existenzielle Erfahrung der Unruhe, die sich in der Nacht einstellt. Schlaflosigkeit wird hier nicht nur als körperlicher Zustand, sondern als Ausdruck einer tieferen seelischen Zerrissenheit dargestellt.
2. Auf der Metaebene erscheint der Text als poetische Verdichtung der Erfahrung des Liebesleidens: Der Sprecher ist durch seine Sehnsucht nach Lisillen so überwältigt, dass selbst natürliche Prozesse wie Schlaf und Erholung blockiert werden.
3. Das Gedicht bringt die Spannung zwischen Naturordnung und subjektivem Leiden zur Sprache: Obwohl die Nacht zur Ruhe und Regeneration bestimmt ist, verwandelt sich dieser Raum für das lyrische Ich in einen Ort des Schmerzes.
4. Es wird zugleich die Relativierung kosmischer Dimensionen vorgenommen: Selbst die Sonne, die gewöhnlich Hoffnung und Licht verheißt, kann nicht wirklich helfen, solange das eigentliche Ziel – die Geliebte – fehlt.
1. Das Gedicht arbeitet mit einer kunstvollen Antithetik: weichstes Küssen wird harter Stein, Federn verwandeln sich in eine Quelle der Unruhe. Diese poetische Technik steigert die Intensität des Leidens.
2. Typisch für die barocke Lyrik ist die Übersteigerung in paradoxen Bildern, die die innere Zerrissenheit und den affektgeladenen Zustand des Sprechers poetisch sichtbar machen.
3. Auch die Struktur des Gedichts ist bedeutungstragend: Zwei Strophen von je sechs Versen, die eine geschlossene, beinahe sonettähnliche Form andeuten, jedoch auf eine freiere, liedhafte Strophenform zulaufen. Dies verweist auf eine poetische Spannung zwischen Ordnung und innerer Unruhe.
4. Die poetische Funktion des Schlafmotivs ist zentral: Schlaf wird in der Tradition der Lyrik häufig als Bild für Frieden, Vergessen oder Trost eingesetzt; hier hingegen wird er verweigert, sodass die poetische Konvention bewusst gegen sich selbst gewendet wird.
1. Das Bett mit Disteln überstreuet ist eine eindrückliche Metapher für die Unvereinbarkeit von körperlicher Umgebung und seelischem Zustand. Was eigentlich ein Ort der Ruhe sein sollte, verwandelt sich in ein Feld der Qual.
2. Das weichste Küssen wird für mich ein harter Stein überträgt das Paradox der Liebe: Selbst die höchste Lust und Zärtlichkeit wird durch die Abwesenheit der Geliebten in Schmerz verwandelt.
3. Der Vergleich des Leibes mit Stroh und Erde (3) veranschaulicht, dass der Körper auch an widrige Umstände gewöhnt ist – doch im Zustand der Liebesqual verweigert selbst das weichste Lager seine Funktion.
4. Der Ruf nach Phöbus (Apollo, der Sonnengott) ist metaphorisch zu verstehen: Licht und Tagesbeginn sind Zeichen der Hoffnung und Klarheit. Doch in der Zuspitzung des letzten Verses wird deutlich, dass selbst das kosmische Licht keinen Wert hat, solange es nicht die Geliebte sichtbar macht.
1. Das Gedicht gehört in den Kontext der barocken Liebeslyrik, die stark von Affektpoetik geprägt ist. Das Leiden an unerfüllter Liebe und die damit verbundene rhetorische Inszenierung stehen in einer Tradition, die bis zu Petrarca und der petrarkistischen Sonettdichtung zurückreicht.
2. Die Bildlichkeit verweist auf barocke Vanitas- und Affektmuster: Der Körper wird durch innere Unruhe zum Schauplatz des Leidens, und die Naturordnung (Tag/Nacht, Schlaf/Wachen) wird in Gegensatz zum Zustand der Seele gesetzt.
3. Gleichzeitig greift Abschatz auf mythologische Topoi zurück – hier in der Gestalt des Sonnengottes Phöbus – was typisch für die Barockdichtung ist, die antike Figuren in allegorische oder emotional aufgeladene Kontexte integriert.
4. Abschatz steht literaturgeschichtlich am Übergang von der Schlesischen Schule (mit Opitz, Gryphius, Hofmannswaldau) zu einem stärker individualisierten Ausdruck: Auch wenn die Form konventionell wirkt, ist der persönliche Ton spürbarer als bei seinen Vorgängern.
1. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht lässt sich das Gedicht als Beispiel für barocke Affektsteuerung analysieren: Die Sprache ist darauf angelegt, die Unruhe des Liebenden nicht nur zu beschreiben, sondern performativ zu erzeugen. Die Bewegungen der Verse (Wirfft sich die gantze Nacht mit Seufftzen hin und wieder) spiegeln die Rastlosigkeit des Körpers.
2. Das Gedicht kann als Variation eines Topos gelesen werden: die schlaflose Nacht des Liebenden. Dieser Topos ist in der europäischen Liebesdichtung breit bezeugt und bietet einen intertextuellen Rahmen.
3. Auch der intertextuelle Bezug zur antiken Mythologie ist literaturwissenschaftlich interessant: Phöbus als angerufene Gottheit steht zwischen Realität und Projektion, zwischen astronomischer Tagesordnung und emotionalem Wunschbild.
4. Schließlich lässt sich der Text im Diskurs der barocken Emblematik verorten: Das Gedicht erzeugt ein emblematisches Bild (Disteln im Bett, Sonne ohne Geliebte), das wie ein Sinnbild funktioniert, auch wenn es in poetisch-lyrischer Form auftritt.
1. Der Körper in Qual und Unruhe: Der Sprecher empfindet sein Bett nicht als Ort der Erholung, sondern als von Disteln überstreut. Selbst das weichste Küssen wird zu einem harten Stein. Hierin liegt ein starkes Bild körperlicher und seelischer Zerrissenheit. Schlaf, der normalerweise Trost und Heilung bringt, schlägt in sein Gegenteil um und wird zur Qual.
2. Die Umkehrung von Naturordnung: Normalerweise gilt Stroh oder Erde als hart, Federn dagegen als weich. Das Gedicht kehrt diese Ordnung um, sodass auch das Weichste keinen Trost mehr bietet. Damit wird eine Verfremdung und Entfremdung der Welt zum Ausdruck gebracht.
3. Die Nacht als Bedrohung: Anstatt Schlaf und Frieden zu schenken, wird die Nacht zur Folter. Die Unruhe des Körpers durchzieht die ganze Szenerie, die ganze Nacht ist ein fortwährendes Seufzen, eine körperlich-seelische Zerrüttung.
4. Die unerreichbare Geliebte: Im letzten zeigt sich, dass die Ursache dieser Zerrissenheit das Fernbleiben von Lisillen ist. Nicht der Schlaf, nicht die Sonne, nicht die kosmischen Zyklen können Erlösung schenken, sondern allein die Nähe der Geliebten.
5. Das kosmische Rufen: Die Anrufung des Phöbus (Sonne) deutet das Leiden in einen größeren mythologisch-kosmischen Rahmen. Die Liebesqual wird nicht nur als persönliche Erfahrung, sondern als eine universale, von den Göttern und Gestirnen berührte Passion dargestellt.
1. Strophenbau: Das Gedicht besteht aus zwei Strophen mit jeweils sechs Versen. Es entsteht eine Balance zwischen den beiden Teilen, wobei die erste Strophe die Unruhe der Nacht entfaltet, die zweite Strophe das Warten auf die Sonne und die Offenbarung der eigentlichen Ursache bringt.
2. Metrik und Rhythmus: Der Sprachfluss ist geprägt von alternierenden Hebungen, jedoch ohne streng durchgehaltene Regelmäßigkeit. Der Rhythmus spiegelt die Unruhe des lyrischen Ichs, das sich hin und wieder wirft.
3. Reimstruktur: Das Gedicht zeigt Paar- und Kreuzreime, teils mit Binnenklang; die Klanggestalt verstärkt die Spannung zwischen klagender Wiederholung und suchender Bewegung.
4. Stilistische Mittel:
Metapher: Mein Bette… mit Disteln überstreuet als Ausdruck der Liebesqual.
Antithese: Das weichste Küssen versus harter Stein; Stroh und Erde versus Federn.
Hyperbel: Die ganze Nacht als Maßlosigkeit des Leidens.
Personifikation: Phöbus, komm herfür; die Sonne wird angerufen wie ein göttlicher Helfer.
Klimax: vom Körper über den Schlaf bis zur kosmischen Sonne, zuletzt zur Geliebten als höchstem Ziel.
1. Liebessehnsucht und Liebesqual: Die unerfüllte Sehnsucht nach der Geliebten, die den Schlaf raubt, ist ein klassischer Topos der Liebesdichtung von der Antike bis zum Barock.
2. Inversion des Schlafs: Schlaf, der in antiker und christlicher Tradition Trost und Genesung schenkt, wird verweigert. Das Motiv des schlaflosen Liebenden ist ein weit verbreitetes literarisches Motiv.
3. Nächtliche Unruhe: Der durchseufzte Schlaf ist ein barocker Topos für Liebeskrankheit (amor hereos).
4. Kosmische Anrufung: Die Sonne (Phöbus) wird als Instanz herbeigerufen, die das Dunkel beendet. Diese Verbindung zur antiken Mythologie ist typisch für die Gelehrtenpoesie des Barock.
5. Fernbleiben der Geliebten: Der Gedanke, dass nicht die Naturkräfte, sondern nur die Geliebte Erlösung bringt, entspricht einem petrarkistischen Erbe, das stark im Barock weiterwirkt.
1. Barocke Gegensätze: Die Antithetik (weich und hart, Stroh und Federn) entspricht der barocken Kunst, Extreme gegeneinanderzusetzen, um Leid und Affekt sichtbar zu machen.
2. Petrarkistische Tradition: Die Fixierung auf die Geliebte als alleinige Heilquelle, die schmerzliche Sehnsucht und die Unruhe der Nacht stehen in petrarkistischer Kontinuität, die im deutschen Barock oft aufgegriffen wird.
3. Mythologisches Inventar: Der Rückgriff auf Phöbus, die Personifikation der Sonne, ist typisch für den barocken Synkretismus von Antike und Gegenwart. Christliche oder alltägliche Erfahrung wird mit mythologischem Schmuck veredelt.
4. Affektpoetik: Die Dichtung des Barock zielte darauf, Affekte beim Leser/Hörer hervorzurufen. Hier dominiert der Affekt der Liebesqual, gesteigert durch Bilder von Schlaflosigkeit und körperlichem Leiden.
5. Vanitas-Kontext: Auch wenn hier nicht explizit Vanitas-Motive auftreten, steht das Leiden des Körpers und die Unruhe der Seele im Hintergrund jener barocken Grundstimmung, dass menschliches Dasein unaufhörlich von Mangel, Sehnsucht und Leiden geprägt ist.
1. Erste Strophe – die nächtliche Unruhe: Das lyrische Ich schildert ein tiefes körperliches und seelisches Leiden. Selbst das Bett, der Ort der Ruhe, wird zur Folterstätte. Schlaflosigkeit und Seufzen bestimmen die Nacht. Der Körper ist rastlos, der Geist nicht zur Ruhe zu bringen.
2. Zweite Strophe – die kosmische Anrufung und die Enthüllung der Ursache: Die Hoffnung richtet sich auf den kommenden Tag, symbolisiert durch die Sonne (Phöbus). Doch noch bevor die Sonne den ersehnten Trost bringen kann, wird offenbar: der wahre Grund der Unruhe ist das Ausbleiben von Lisille, der Geliebten. Ohne sie bleibt alles, auch der Lauf der Gestirne, sinnlos.
3. Spannungsbogen: Das Gedicht entfaltet eine Bewegung vom subjektiven, körperlichen Leiden (Bett, Schlaf, Leib) über den kosmischen Bereich (Sonne, Himmel) hin zur persönlichen, einzigen Quelle des Trostes (die Geliebte). Damit wird die Liebeserfahrung in ein universales Drama eingebunden.
4. Barocke Tiefendimension: Die Verse spiegeln den barocken Willen, Affekte in extremen Bildern zu verdichten, und knüpfen an die petrarkistische Tradition der Liebeslyrik an. Zugleich erscheinen die Grenzen von Natur und Kosmos relativiert: Nichts kann dem Leid des Liebenden ein Ende setzen außer der Gegenwart der Angebeteten.
5. Einheit von Form und Inhalt: Die Zweigliederung des Gedichts entspricht der inhaltlichen Bewegung von Qual zu Hoffnung, von Nacht zu Tag, von kosmischem zu individuellem Zentrum. Das Gedicht ist ein kunstvolles barockes Miniaturdrama der Liebesqual.