LYRIKATLAS
Der Kompass im Lyrikdschungel

Hans Aßmann von Abschatz

Gedicht 27 aus dem Zyklus
Anemons und Adonis Blumen

Die erst-auffgestandene Rosilis

Ich kam den andern Tag zur Rosilis gegangen/1
Als sie zum Morgen noch unangeleget war.2
Sie stellte die Auror in eignem Bilde dar/3
Wenn sie der frühen Welt zeigt ihre Rosen-Wangen.4

Die Augen/ welche fast der Schlaff noch hielt umfangen/5
Verglichen sich der erst entwichnen Sternen-Schaar/6
Ihr über Stirne/ Wang und Hals gestreutes Haar7
Dem Netze/ welches uns die theuren Würme langen.8

Der weißen Hände Schnee schien heller denn der Tag/9
Der angebohrne Schmuck/ die lieblichen Geberden/10
Beschämten was der Fleiß/ die kluge Kunst/ vermag.11

Giebt Rosilis/ mein Licht/ zum Morgen solchen Schein/12
Wie soll mein Hertze nicht zu lauter Flamme werden13
Wenn sie wird angelegt in vollem Mittag seyn!14

Vers-für-Vers-Kommentar

Ich kam den andern Tag zur Rosilis gegangen/1
Als sie zum Morgen noch unangeleget war.2
Sie stellte die Auror in eignem Bilde dar/3
Wenn sie der frühen Welt zeigt ihre Rosen-Wangen.4

1 Ich kam den andern Tag zur Rosilis gegangen

Sprachlich: Die Formulierung den andern Tag entspricht einer älteren, barocken Ausdrucksweise, die eine zeitliche Bestimmung mit einem gewissen Tonfall von Erzählung und Erinnerung verbindet. Das Personalpronomen Ich eröffnet das Gedicht in subjektiver, fast diaristischer Manier, sodass die Szene von Beginn an durch die Perspektive des lyrischen Ichs geprägt ist. Der Name Rosilis besitzt zugleich einen kunstvollen, poetischen Klang, der durch die Silbenstruktur auf eine Mischung aus antiker oder pastoraler Namensgebung verweist. Der Satzbau zeigt die barocktypische Umständlichkeit mit einer gewissen Weite, indem kam … gegangen eine redundante, verstärkende Ausdrucksform bildet.

Rhetorisch: Die Verwendung von Ich kam … gegangen ist eine Form der Pleonastik, die dem ein gravitätisches, fast feierliches Tempo verleiht. Zugleich wird dadurch das Eintreten in die Szene verzögert, wodurch Spannung erzeugt wird. Der Eigenname Rosilis wirkt als poetische Allegorisierung: er ist mehr als nur ein individueller Name, sondern signalisiert eine stilisierte Figur, die eine pastorale, mythologische oder höfische Rolle erfüllt.

Inhaltlich: Der etabliert die Situation: ein Ich tritt als Beobachter oder Besucher in die Szene und nähert sich der Figur Rosilis. Das Gedicht beginnt mit einer Bewegung – ein Kommen und ein Gehen zugleich –, was symbolisch auf den Übergang von einer äußeren Welt zur inneren Welt der Begegnung mit Rosilis hindeuten kann. Der Umstand, dass es den andern Tag geschieht, legt nahe, dass es sich um eine wiederkehrende Begegnung handelt, eine fortgesetzte Geschichte zwischen Sprecher und Rosilis.

2 Als sie zum Morgen noch unangeleget war.

Sprachlich: Die Formulierung noch unangeleget verweist auf ein Sprachgefühl des 17. Jahrhunderts, in dem angelegen als angekleidet verstanden werden konnte. Zum Morgen ist dabei nicht nur eine Zeitangabe, sondern trägt poetische Doppeldeutigkeit: es bedeutet sowohl die Tageszeit als auch einen Zustand der Frische und Neuheit. Der ist durch die Partikel noch zeitlich in der Schwebe gehalten und evoziert den Augenblick des Übergangs vom Schlaf zum Erwachen.

Rhetorisch: Der arbeitet mit dem Kontrast zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit: die Frau wird im Moment der Ungefasstheit gezeigt, bevor Kleidung, Schmuck und höfische Zier sie zur Repräsentantin machen. Dies ist ein klassisches barockes Motiv, das den Reiz der Unmittelbarkeit hervorhebt. Zugleich liegt in der Formulierung eine captatio oculi – ein gezielter Blickfang des Lesers, indem der intime Zustand thematisiert wird.

Inhaltlich: Inhaltlich wird Rosilis in einem Moment der Morgenintimität geschildert: sie ist unangezogen, ungeschmückt, noch nicht zur Schau gestellt. Damit deutet der auf eine besondere Nähe des lyrischen Ichs zu ihr hin, eine Situation, die gemeinhin nicht jedem zugänglich ist. Der Morgen als Zeit des Erwachens ist auch ein Sinnbild für Reinheit, Unschuld und Neubeginn, sodass Rosilis als Verkörperung des Tagesanbruchs erscheint.

3 Sie stellte die Auror in eignem Bilde dar

Sprachlich: Die Verwendung von Auror statt Aurora ist ein älteres, teils latinisiertes Sprachrelikt. Sprachlich wird Rosilis hier durch einen Vergleich mit der Göttin der Morgenröte beschrieben. In eignem Bilde hebt hervor, dass sie nicht nur eine Ähnlichkeit besitzt, sondern die Göttin selbst durch ihre Erscheinung verkörpert. Der Satzbau ist schlicht und eindeutig, was den Eindruck einer direkten Offenbarung verstärkt.

Rhetorisch: Der ist eine klassische Allegorisierung: Rosilis erscheint nicht nur als Frau, sondern als mythische Verkörperung der Morgenröte. Dies ist eine Hyperbel der Schönheit und des Glanzes, die zugleich eine mythologische Aufwertung der Geliebten darstellt. In der barocken Dichtung ist dies eine gängige Strategie, um die poetische Würde der beschriebenen Figur zu steigern und sie in einen kosmischen Zusammenhang zu setzen.

Inhaltlich: Inhaltlich bedeutet dies, dass Rosilis selbst Aurora gleichkommt, sie verkörpert die Schönheit des anbrechenden Tages. Die Metamorphose in eine Göttin verdeutlicht die Überhöhung: Rosilis ist nicht nur eine Frau, sondern eine Erscheinung des Göttlichen im Irdischen. Damit wird sie Teil einer höheren Ordnung, in der Schönheit und Natur verschmelzen.

4 Wenn sie der frühen Welt zeigt ihre Rosen-Wangen.

Sprachlich: Die Verbindung Rosen-Wangen ist ein typisches barockes Kompositum, das sowohl die Farbe als auch die Zartheit der Haut beschreibt. Das Wort frühe Welt bezeichnet den Augenblick des Morgens, aber auch das Bild einer Welt im Werden, die durch die Göttin Aurora erleuchtet wird. Der ist durch eine melodische Balance von Alliteration (Welt … Wangen) und Klangfülle geprägt.

Rhetorisch: Hier wirkt die Metapher besonders stark: Rosen-Wangen ist ein klassisches poetisches Bild, das zugleich Metonymie der Schönheit ist. In Verbindung mit Aurora erhält es eine doppelte Allegorie: einerseits Naturmetapher, andererseits mythologische Erhöhung. Die Szene wird zur Epiphanie, die rhetorisch als Hypotypose wirkt – der Leser soll die Erscheinung unmittelbar vor Augen sehen.

Inhaltlich: Inhaltlich schildert der den entscheidenden Augenblick, in dem Rosilis (bzw. Aurora) die Welt erhellt und erblühen lässt. Ihre Wangen sind nicht bloß individuelle Schönheit, sondern ein kosmisches Signal, das die Welt vom Dunkel der Nacht zum Licht des Tages führt. Rosilis wird so zur Personifikation des Übergangs und zur lebendigen Erscheinung des Morgens.

Die Augen/ welche fast der Schlaff noch hielt umfangen/5
Verglichen sich der erst entwichnen Sternen-Schaar/6
Ihr über Stirne/ Wang und Hals gestreutes Haar7
Dem Netze/ welches uns die theuren Würme langen.8

5 Die Augen/ welche fast der Schlaff noch hielt umfangen/

Sprachliche Dimension: Der arbeitet mit einer Personifikation des Schlafs, der als aktives Subjekt erscheint, das die Augen hält und umfängt. Das Bild ruft die antike Tradition des Hypnos als Gott des Schlafes wach, der den Menschen umfängt wie ein Band oder Schleier. Die Syntax ist stark hypotaktisch: die Relativkonstruktion (welche fast der Schlaff noch hielt) verschiebt die Aufmerksamkeit auf den Übergangszustand zwischen Schlaf und Erwachen. Das Wort umfangen trägt semantisch die Konnotation einer sanften Umschließung und verstärkt die Zartheit der Szene.

Rhetorische Dimension: Hier begegnet uns eine Metapher: der Schlaf als Gestalt, die hält und umfängt. Diese Bildlichkeit steigert den poetischen Charakter des Erwachens. Dazu kommt eine gewisse Alliteration im Klangfeld Schlaff – Schar – Stirne in den folgenden Versen, die den in einen lautlichen Zusammenhang stellt. Der nutzt außerdem eine retardierende Technik: das fast hält den Moment der Öffnung noch zurück und erzeugt Spannung zwischen Schlaf und Erwachen.

Inhaltliche Dimension: Inhaltlich beschreibt der Rosilis’ Augen im Übergang vom Schlaf zum Wachen. Sie sind noch nicht ganz geöffnet, sondern stehen unter der milden Gewalt des Schlafs. Damit wird ein Zwischenzustand inszeniert: das Erwachen als poetischer Moment, in dem Schönheit sich enthüllt, aber noch von einem Rest der Nacht umfangen ist. Es ist eine Szene der Intimität und Fragilität, die den Beginn des Tages mit der Offenbarung weiblicher Schönheit verbindet.

6 Verglichen sich der erst entwichnen Sternen-Schaar/

Sprachliche Dimension: Das zentrale Element ist hier der Vergleich. Rosilis’ Augen werden mit den Sternen in Verbindung gebracht, genauer mit der entwichnen Sternen-Schaar. Sprachlich auffällig ist die Kombination von Singular und Kollektiv: die Schaar als Versammlung, die plötzlich entwich, also verschwunden ist. Das Verbum verglichen sich markiert den Vorgang der Poetik selbst: der Sprecher benennt explizit den Akt des Vergleichens.

Rhetorische Dimension: Es handelt sich um eine klassische Similitudo, die den poetischen Topos der Augen-als-Sterne aufruft. Die poetische Funktion liegt im Kontrast: Sterne sind Lichtträger der Nacht, sie verschwinden jedoch beim Erscheinen der Sonne. In dieser Umkehrung erscheinen Rosilis’ Augen nicht als schwaches Sternenlicht, sondern als das, was selbst die Sterne verdrängt oder überstrahlt. Der rhetorische Effekt ist eine Überbietung: Rosilis’ Schönheit wird in die Sphäre des Kosmos gestellt und übertrifft ihn.

Inhaltliche Dimension: Der inhaltet den Vergleich zwischen dem Erwachen Rosilis’ und dem kosmischen Vorgang des Tagesanbruchs. Die Sterne, Sinnbilder der Nacht, entweichen, sobald die Sonne erscheint. Analog dazu weicht der Schlaf, und die Augen beginnen zu strahlen. Damit wird Rosilis gleichsam in den Status einer Morgen- oder Sonnengöttin erhoben, deren Erwachen den Rhythmus des Kosmos bestimmt.

7 Ihr über Stirne/ Wang und Hals gestreutes Haar

Sprachliche Dimension: Der entfaltet sich in einer dreigliedrigen Aufzählung: Stirne/ Wang und Hals. Die Wortstellung lenkt das Auge des Lesers gleichsam über das Gesicht hinunter zum Hals. Gestreutes Haar ist sprachlich bildhaft: es legt nahe, dass das Haar nicht geordnet, sondern frei gefallen ist. Das Partizip gestreutes evoziert zugleich eine Bewegung, fast wie ein absichtsloses Aussäen.

Rhetorische Dimension: Die Aufzählung (Trikolon) besitzt eine klare rhetorische Struktur, die die Schönheit Rosilis’ durch das Schreiten des Blickes hervorhebt. Gleichzeitig ist das gestreute Haar eine Metapher für Ungebundenheit und Natürlichkeit. Die rhetorische Figur des Enargeia (Anschaulichkeit) wird hier durch die genaue topographische Angabe von Stirne, Wang und Hals erreicht: die Lesenden können Rosilis plastisch vor Augen sehen.

Inhaltliche Dimension: Der beschreibt die Situation des Erwachens, in der Rosilis’ Haar ungeordnet über Gesicht und Hals fällt. Der poetische Blick wird geführt: vom oberen Teil des Gesichts über die Wangen zum Hals, ein intimer Parcours, der weibliche Schönheit in ihrer Natürlichkeit zeigt. Inhaltlich wird damit die Verbindung von Unordnung und Anmut betont: das Haar, das der Schlaf zerstreut hat, wird zur Quelle der Schönheit, nicht zum Makel.

8 Dem Netze/ welches uns die theuren Würme langen.

Sprachliche Dimension: Das Bild des Netzes wird hier zum Vergleich herangezogen. Gemeint ist das feine Gewebe, das von theuren Würmen, also Seidenraupen, geliefert wird. Das Wort langen in frühneuzeitlicher Sprachverwendung bedeutet reichen oder darbringen. Sprachlich bemerkenswert ist die ökonomische Semantik: Seide gilt als theuer, kostbar, ein Luxusgut.

Rhetorische Dimension: Es handelt sich um eine Metapher: Rosilis’ Haar gleicht einem Netz aus Seide. Das rhetorische Verfahren ist eine Hypotypose, die die Kostbarkeit und Zartheit des Haares durch den Vergleich mit dem wertvollsten Material der Zeit herausstellt. Gleichzeitig wird ein paradoxes Moment eingeführt: das Netz ist eigentlich ein Mittel der Gefangennahme. Im Kontext des Liebesgedichts spielt dies auf die Macht weiblicher Schönheit an, die den Betrachter gefangen nimmt.

Inhaltliche Dimension: Inhaltlich wird das Bild vom Netz doppelt aufgeladen: einerseits verweist es auf das Seidengewebe, das als Inbegriff von Feinheit, Glanz und Kostbarkeit gilt. Andererseits deutet es auf das Motiv des Liebesnetzes, in dem der Sprecher sich verstrickt fühlt. Rosilis’ Haar wird so zu einem Werkzeug der Schönheit, das einerseits dekorativ und wertvoll, andererseits gefährlich und bindend ist. Die Metapher transformiert damit ein Moment der physischen Erscheinung in ein allegorisches Bild der Liebesmacht.

Der weißen Hände Schnee schien heller denn der Tag/9
Der angebohrne Schmuck/ die lieblichen Geberden/10
Beschämten was der Fleiß/ die kluge Kunst/ vermag.11

9 Der weißen Hände Schnee schien heller denn der Tag/

Sprachliche Dimension: Die Metapher der weißen Hände Schnee greift auf eine poetische Tradition zurück, die Hautfarbe mit Schnee vergleicht, um Reinheit und strahlende Helligkeit zu betonen. Der Vergleich mit dem Tag steigert die Ausdruckskraft, indem er nicht nur die Weiße, sondern auch das überstrahlende Licht evoziert. Der Einsatz des Verbums schien vermittelt dabei eine sowohl visuelle als auch atmosphärische Wirkung.

Rhetorische Dimension: Es liegt eine klassische Hyperbel vor, da die weiße Haut der Hände nicht nur mit Schnee verglichen wird, sondern in ihrer Helligkeit sogar den Tag übertrifft. Der Gebrauch einer Metapher mit starkem Naturbezug (Schnee, Tag) verleiht der Beschreibung eine allegorische Qualität: Reinheit, Klarheit und Überirdisches werden auf die Figur Rosilis übertragen.

Inhaltliche Dimension: Hier wird die körperliche Schönheit Rosilis’ in übersteigerter Weise beschrieben, wobei ihre Hände zum Symbol der makellosen, übernatürlichen Anmut werden. Indem ihre Weiße heller als der Tag erscheint, wird ihre Erscheinung in eine fast sakral-transzendente Dimension gerückt, die über die natürliche Welt hinausweist.

10 Der angebohrne Schmuck/ die lieblichen Geberden/

Sprachliche Dimension: Das zusammengesetzte Adjektiv angebohrne (angeborene) hebt die Natürlichkeit des Schmucks hervor und grenzt diesen von künstlich hergestelltem Schmuck ab. Die Alliteration im Klangfeld angebohrne – Schmuck und lieblichen – Geberden schafft ein weiches, harmonisches Sprachbild, das zur ästhetischen Charakterisierung der Frau beiträgt.

Rhetorische Dimension: Die Gegenüberstellung von angebohrner Schmuck und lieblichen Geberden verbindet innere, naturhafte Schönheit mit äußeren, sichtbaren Gesten. Diese Doppelstruktur ruft eine Art Parallelismus hervor, in dem Wesenszüge und Handlungen gleichermaßen zur Schönheit beitragen.

Inhaltliche Dimension: Rosilis wird als von Natur aus vollkommen dargestellt: Ihr Schmuck ist nicht durch Kunstfertigkeit hinzugefügt, sondern angeboren, und ihre Geberden – also Bewegungen, Gestik, Körperhaltung – unterstreichen diese Vollkommenheit. Die Schönheit liegt nicht nur in der statischen Erscheinung, sondern auch in der Dynamik ihres Verhaltens.

11 Beschämten was der Fleiß/ die kluge Kunst/ vermag.

Sprachliche Dimension: Der Satzbau arbeitet mit einer klaren Antithetik zwischen natürlicher Schönheit und menschlicher Kunstfertigkeit. Das Verb beschämten wird in einer ungewöhnlichen Verwendung gebraucht: Es richtet sich nicht gegen eine Person, sondern gegen abstrakte Kräfte wie Fleiß und Kunst. Der Rhythmus wird durch die Aufzählung (der Fleiß/ die kluge Kunst) geprägt, die die Unterlegenheit menschlicher Bemühungen betont.

Rhetorische Dimension: Die Stelle verwendet eine Personifikation, indem Fleiß und Kunst wie handelnde Akteure angesprochen werden, die von der natürlichen Schönheit in Verlegenheit gebracht werden. Dies ist eine rhetorische Degradierung menschlicher Anstrengungen und zugleich eine Lobpreisung der Natur. Die Steigerung liegt darin, dass nicht nur Kunst, sondern auch Kunst in ihrer höchsten Form – klug – unterlegen ist.

Inhaltliche Dimension: Der bringt die zentrale Aussage der Strophe: Rosilis’ Schönheit übertrifft alles, was durch Mühe oder künstlerische Gestaltung hervorgebracht werden kann. Ihre natürliche Ausstrahlung macht menschliche Kunst überflüssig, ja sogar beschämt. Damit wird ihre Erscheinung zu einer Manifestation von Übernatürlichkeit und Vollkommenheit, die sich nicht nachahmen lässt.

Giebt Rosilis/ mein Licht/ zum Morgen solchen Schein/12
Wie soll mein Hertze nicht zu lauter Flamme werden13
Wenn sie wird angelegt in vollem Mittag seyn!14

12 Giebt Rosilis/ mein Licht/ zum Morgen solchen Schein/

Sprachlich: Der ist in einer kunstvollen Umstellung gebaut: mein Licht steht eingeschoben zwischen Rosilis und zum Morgen. Dadurch entsteht eine leichte syntaktische Verschränkung, die die Aufmerksamkeit auf mein Licht lenkt und zugleich die Beziehung zwischen der Geliebten (Rosilis) und dem Sprecher unterstreicht.

Die zeitliche Bestimmung zum Morgen evoziert einen klassischen poetischen Topos: der Morgen als Symbol des Anfangs, der Erneuerung, des Erwachens, zugleich auch als Bild der Jugend und frischen Liebe.

Das Substantiv Schein greift die Lichtmetaphorik auf, die das gesamte Bildfeld durchzieht, und bildet eine Brücke zwischen der realen Naturerscheinung des Tageslichts und der metaphorischen Strahlkraft der Geliebten.

Rhetorisch: Hier liegt eine Metapher vor: Rosilis selbst wird nicht wörtlich als Lichtquelle bezeichnet, sondern ihre Erscheinung gibt den Morgen scheinbar den Glanz. Damit wird sie in einen kosmischen Zusammenhang gestellt, der ihre Schönheit über das rein Menschliche hinaushebt.

Eine Hyperbel ist erkennbar, insofern der Glanz des Morgens auf das Wirken einer einzelnen Person zurückgeführt wird. Das übersteigert ihre Bedeutung und erzeugt eine emphatische Wirkung.

Die Alliteration zwischen mein und Morgen trägt zur klanglichen Bindung bei und verstärkt die innere Verknüpfung von Sprecher und Zeitmetapher.

Inhaltlich: Der Sprecher deutet Rosilis als Quelle allen Lichts und allen Anfangs. Sie schenkt nicht nur ihm persönlich Licht, sondern ihr Erscheinen ist gleichbedeutend mit dem Leuchten des Morgens.

Inhaltlich wird damit die Erfahrung der Liebe in einen universalen Maßstab gehoben: was der Sprecher empfindet, erscheint in Bildern von Natur und Kosmos als allgemein gültige Erhellung.

Der Morgen-Schein, den Rosilis gibt, kündigt an, dass ihr Einfluss auf das Herz des Dichters nicht episodisch ist, sondern an den Rhythmus der Natur gebunden, gleichsam notwendig und unabweisbar.

13 Wie soll mein Hertze nicht zu lauter Flamme werden

Sprachlich: Der ist in Form einer rhetorischen Frage gebaut. Das Wie soll eröffnet den Satz nicht als echte Frage, sondern als Ausruf der Gewissheit.

Die Wortwahl Hertze steht für das Innerste, das Zentrum des Empfindens. Das Herz wird nicht als bloßes Organ verstanden, sondern als Ort des affektiven und geistigen Seins.

Die Formulierung zu lauter Flamme benutzt das alte Adjektiv laut in seiner Bedeutung rein, unvermischt. Damit wird nicht nur Intensität, sondern auch Reinheit des Gefühls ausgesagt.

Rhetorisch: Die rhetorische Frage dient als Verstärkungsfigur: sie fordert keine Antwort, sondern bestätigt das Selbstverständliche – dass das Herz in Flammen gerät.

Die Metapher der Flamme ist eine klassische Liebesmetapher, die Leidenschaft, Glut und Hingabe zugleich ausdrückt. Durch die Verstärkung lauter erhält sie eine emphatische Intensität.

Man kann auch von einer Klimax sprechen: vom Schein des vorherigen Verses steigert sich das Bild nun zur Flamme, also vom bloßen Leuchten zu loderndem Feuer.

Inhaltlich: Der beschreibt die notwendige Folge der vorigen Aussage: Wenn Rosilis den Morgen so hell macht, wie sollte dann das Herz des Liebenden nicht entflammen?

Inhaltlich wird damit der Zusammenhang zwischen äußerem kosmischen Licht und innerem seelischen Feuer hergestellt: was im Himmel geschieht, wiederholt sich im Herzen.

Es wird nicht mehr nur Schönheit beschrieben, sondern die Wirkung dieser Schönheit auf den Sprecher: seine Liebe ist so intensiv, dass sie als unaufhaltsame innere Flamme erscheint.

14 Wenn sie wird angelegt in vollem Mittag seyn!

Sprachlich: Der setzt die Metaphorik der Tageszeiten fort: nach dem Morgen wird nun der volle Mittag eingeführt. Der Aufbau führt vom Beginn des Tages zur höchsten Lichtfülle.

Das Verb angelegt ist hier ungewöhnlich und verweist vermutlich auf ein Bild aus der Kleidung oder Rüstung, im Sinne von ausgesetzt, konfrontiert. Das Herz wird also in die helle Glut des Mittags hineingelegt.

Der Ausdruck in vollem Mittag steigert den Grad der Helligkeit bis zum höchsten Punkt: Mittag ist nicht nur Licht, sondern voller Glanz, der keine Schatten mehr kennt.

Rhetorisch: Die Metapher der Tageszeit wird konsequent durchgehalten und nun zum Höhepunkt geführt. Es entsteht eine Allegorie der Liebe als Tageslauf.

Auch hier liegt eine Hyperbel vor: das Herz wird nicht bloß dem Morgenlicht ausgesetzt, sondern dem gleißenden Mittag. Damit wird die Intensität der Liebeserfahrung maximal gesteigert.

Die Verzögerung durch den eingeschobenen Nebensatz Wenn sie wird ... seyn schafft ein Moment der Spannung, der den Effekt der Klimax rhetorisch unterstreicht.

Inhaltlich: Inhaltlich zeigt der die logische Konsequenz: wenn schon der Morgenstrahl des geliebten Wesens das Herz entzündet, wie viel mehr muss dann das Herz verbrennen, wenn es dem vollen Glanz des Mittags gegenübersteht.

Der Mittag steht symbolisch für die Erfüllung, den Höhepunkt, die nicht mehr steigerbare Gegenwart des Lichts. Damit wird die Liebe des Sprechers als absolut, total und verzehrend charakterisiert.

Durch die Bildfolge Morgen – Flamme – Mittag wird ein dramatischer Bogen gespannt: von der ersten Erhellung zur völligen Durchdringung, vom Beginn der Empfindung bis zur totalen Leidenschaft.

Organischer Aufbau und Verlauf

1. Das Gedicht entfaltet sich in einer klaren Bewegung vom Morgen hin zur Vorstellung des Mittags: die Szene beginnt mit dem Eintreten des lyrischen Ichs bei Rosilis, noch in der Intimität des frühen Tages, ungeschminkt und unvorbereitet für die soziale Öffentlichkeit.

2. Schrittweise wird ein Bildaufbau vorgenommen: Zunächst die Gesamtgestalt als Morgenerscheinung (Aurora-Vergleich), dann die Augen mit dem Übergang vom Schlaf zum Wachen, anschließend das Haar, das mit einem Netz verglichen wird, und schließlich die Hände und die lieblichen Geberden.

3. Die zweite Hälfte steigert die Beschreibung in eine Reflexion: die natürliche Schönheit Rosilis übertrifft die Kunst; das Licht, das sie im Morgen verbreitet, ist schon überwältigend, so dass die Erwartung des Mittags (der vollen Erscheinung in Kleidung und Pracht) das Herz des lyrischen Ichs zur Flamme werden lässt.

4. Damit entsteht eine klare Dramaturgie: vom stillen Morgenbild über die sukzessive Auffächerung der Attribute hin zur rhetorischen Zuspitzung und emotionalen Klimax am Ende.

Psychologische Dimension

1. Das lyrische Ich zeigt sich als jemand, der heimlich oder zumindest diskret in den Morgenraum der Geliebten eindringt, noch bevor sie ihre soziale Maske angelegt hat; psychologisch verrät dies ein Begehren nach Authentizität, nach dem unverbildeten Ursprung.

2. Zugleich tritt eine starke Projektion auf: Rosilis wird nicht einfach als schlaftrunkene Frau geschildert, sondern sofort in mythische und kosmische Bilder überführt (Aurora, Sterne, Netz der Würmer, Tag). Dies deutet auf die Tendenz des Ichs hin, das reale Gegenüber in ein Idealbild zu überhöhen.

3. Psychologisch liegt ein Spannungsverhältnis zwischen Kontemplation und Leidenschaft vor: der Blick des Dichters schweift beschreibend, fast still-betrachtend, aber am Ende entlädt sich die innere Bewegung in lodernder Leidenschaft (Flamme).

4. Bemerkenswert ist die Dynamik des Begehrens: Es steigert sich aus dem Schauen (Augen, Hände) zum brennenden Verlangen, das an Zukunft (Mittag) und Erfüllung gekoppelt ist.

Ethische Dimension

1. Das Gedicht bewegt sich auf der Grenze zwischen legitimer Verehrung und voyeuristischer Indiskretion: das frühe Eindringen beim noch nicht angelegten Mädchen kann als ethisch fragwürdige Grenzüberschreitung gelesen werden.

2. Zugleich tritt eine Ethik des Schönen hervor: das Gedicht behauptet, dass die Natur in ihrer Ursprünglichkeit jeder künstlichen Zier überlegen sei. Hier liegt eine subtile Normierung: wahre Schönheit erfordert keine Maskierung oder Künstlichkeit.

3. Das Lob der Natürlichkeit kann als ethischer Maßstab verstanden werden, der gegen Täuschung und Verstellung plädiert; zugleich aber objektiviert es Rosilis, indem es sie zum Gegenstand ästhetischer Bewunderung macht, nicht zum Subjekt eigener Handlung.

4. Die Verehrung wird als moralisch akzeptabel inszeniert, solange sie im Medium der poetischen Sublimierung bleibt; doch das Motiv der Flamme zeigt auch die Gefährdung durch leidenschaftliches Übermaß.

Philosophisch-theologische Tiefenanalyse

1. Der Vergleich mit Aurora und den Sternen stellt Rosilis in einen kosmisch-transzendenten Horizont: ihre Schönheit wird als Offenbarung göttlicher Ordnung und Harmonie verstanden. Der Morgen erscheint als Schöpfungsmoment, Rosilis als Bild einer unberührten Ursprünglichkeit.

2. Der Gegensatz von Natur und Kunst (10–11) trägt eine platonische Konnotation: die Idee des Schönen ist in der Natur (und im besonderen im geliebten Wesen) unmittelbar gegeben, jede menschliche Kunstfertigkeit ist sekundär und unzureichend.

3. Philosophisch wird hier die Frage der Epiphanie des Göttlichen im Irdischen verhandelt: Rosilis’ Gesicht, Hände und Gesten sind Zeichen des Lichts, des Überirdischen. Ihre Erscheinung im Morgen fungiert als Theophanie, die den Menschen zur Kontemplation und zugleich zur Begehrensflamme führt.

4. Theologisch schwingt die Tradition der natura pura mit: die ungeschmückte, noch nicht durch Kunst veränderte Gestalt ist Spiegel göttlicher Schöpfungskraft, unberührt und vollkommen.

5. Das Bild der Flamme als Reaktion des Herzens kann in augustinischer Tradition gedeutet werden: das Liebesfeuer ist Sinnbild der von Gott entfachten caritas; doch hier ist es erotisch konnotiert, sodass eine Ambivalenz zwischen geistiger und körperlicher Liebe entsteht.

6. Der Übergang von Morgen zu Mittag trägt eine metaphysische Symbolik: das Licht, das sich steigert, verweist auf das Fortschreiten von Möglichkeit zur Vollendung, auf eine Teleologie des Schönen, die im Höchsten gipfelt.

Moralische Dimension

1. Moralisch wirft das Gedicht Fragen nach Schicklichkeit und Anstand auf: das Sehen der Frau im unvorbereiteten Zustand bricht mit gesellschaftlichen Normen der weiblichen Selbstrepräsentation.

2. Gleichzeitig wird eine Moral der Natur gegen die Künstlichkeit vertreten: das ungeschminkte, natürliche Erscheinungsbild ist höher zu achten als die nachträgliche Zier.

3. In der leidenschaftlichen Wendung zum Schluss liegt eine moralische Ambivalenz: einerseits Enthusiasmus und Verehrung, andererseits Gefahr der Unmäßigkeit und des brennenden Begehrens.

4. Die moralische Botschaft oszilliert somit zwischen Bewunderung des Unschuldigen und Warnung vor der Entfesselung des Affekts, die das Herz überwältigt.

Metaphorische Dimension

1. Die Geliebte Rosilis wird durchgängig mit kosmischen und naturhaften Bildern verglichen, die den Übergang von der Nacht zum Morgen illustrieren: ihr Gesicht entspricht der Aurora, die Rosen-Wangen des jungen Tages. Damit wird die Metapher der Geliebten als Verkörperung der Natur selbst etabliert.

2. Ihre Augen, noch halb vom Schlaf umfangen, werden mit den Sternen verglichen, die bei Anbruch des Tages langsam erlöschen. Dieser Vergleich stellt Rosilis’ Erwachen in Analogie zum kosmischen Rhythmus, als wäre ihr persönliches Aufstehen gleichbedeutend mit der Entfaltung des Himmels.

3. Das über Stirn und Hals verteilte Haar erscheint wie ein Netz, das von teuren Würmen (also den Seidenraupen) gesponnen wird – eine Metapher, die die Kostbarkeit der natürlichen Schönheit mit der kostspieligen Kunstfertigkeit menschlicher Produktion verbindet.

4. Ihre Hände werden in einem hellen Schneebild verklärt, das den Tag selbst überstrahlt – eine Hyperbel, die die Reinheit und strahlende Wirkung der Geliebten poetisch überhöht.

5. In den Versen 10–11 tritt die klassische Metapher der Überbietung auf: Rosilis’ natürliche Schönheit beschämt die Kunst. Dies ist ein traditionelles Motiv der Barockpoesie, das Natur über Kunst stellt.

6. Am Schluss wird ihre Ausstrahlung am Morgen in Flammenmetaphorik übersetzt: das Herz des lyrischen Ichs wird zur lodernden Flamme, die sich im Mittagsglanz noch steigern wird. Damit erscheint die Liebe selbst als feurige Energie, die sich aus der Morgenerscheinung entzündet und zur Mittagsglut hin steigert.

Assoziativ

1. Der Morgen als Zustand des Neuanfangs weckt Assoziationen von Reinheit, Unschuld und Unmittelbarkeit; Rosilis’ noch nicht angelegtes Erscheinen verbindet sich mit Natürlichkeit und Ursprünglichkeit.

2. Das Bild der Aurora knüpft an mythologische Traditionen an, die Aurora als Göttin der Morgenröte zeigen, wodurch Rosilis in einen quasi-mythologischen Rang erhoben wird.

3. Das Motiv der Sterne, die dem Erwachen weichen, assoziiert Vergänglichkeit und den Übergang vom Traum zur Wirklichkeit, was auch die Erotik der Szene subtil steigert.

4. Das Haar als Netz eröffnet Assoziationen von Gefangennahme, Verstrickung und erotischer Bindung; das lyrische Ich ist buchstäblich in diesem Netz gefangen.

5. Der Schnee der Hände ruft Reinheit, Kälte, aber zugleich erotische Berührbarkeit hervor – eine Spannung zwischen Distanz und Begehren.

6. Die Vorstellung der Flamme im Herzen verbindet sich mit der barocken Liebestopik, die Liebe als brennendes Feuer beschreibt; zugleich evoziert sie die Ambivalenz von Lust und Gefahr.

Literaturgeschichtliche Dimension

1. Das Gedicht steht klar in der barocken Tradition der galanten und höfischen Liebeslyrik, die sich durch Überbietungstopoi, rhetorische Ausschmückung und kunstvolle Naturvergleiche auszeichnet.

2. Abschatz greift auf Topoi zurück, die schon bei Martin Opitz etabliert sind: die Morgen-Szene, die Metaphern von Aurora und Sternen, die Spannung zwischen Natur und Kunst.

3. Gleichzeitig zeigt sich eine galante, spielerische Dimension, die dem literarischen Umfeld der zweiten Schlesischen Schule entspricht, wo Anmut, Leichtigkeit und mythologische Codierung zentrale Stilmittel sind.

4. In der europäischen Literaturgeschichte lassen sich Parallelen zu den petrarkistischen Traditionen erkennen, in denen die Geliebte mit Sonne, Sternen und Naturgewalten verglichen wird.

5. Der Zyklus Anemons und Adonis Blumen selbst steht in der höfisch-galanten Tradition der barocken Blumen- und Frauengedichte, die Schönheit allegorisch mit Naturmetaphern verschränken.

Literaturwissenschaftliche Dimension

1. Das Gedicht ist ein Musterbeispiel barocker Bildrhetorik, die durch Concettismus, Überbietung und mythologische Analogien funktioniert.

2. Die Inszenierung der Geliebten in einem frühen, intimen Moment (noch unangeleget) spielt mit dem Spannungsverhältnis zwischen privatem Blick und öffentlicher Verklärung. Der Liebesblick wird hier zugleich galant überhöht und intimer Voyeurismus.

3. Die rhetorischen Figuren – Vergleich, Metapher, Hyperbel – zeigen die Poetik der galanten Barocklyrik, die Schönheit immer in Spiegelungen, Analogien und Überhöhungen zu fassen sucht.

4. In der Intertextualität lässt sich die Nähe zu emblematischer und ikonographischer Tradition erkennen: Aurora, Sterne, Netz, Schnee, Flamme – allesamt Bestandteile eines barocken Bildrepertoires, das Leserinnen und Leser dechiffrieren konnten.

5. Literaturwissenschaftlich interessant ist das Spiel mit Zeitachsen: Morgen – Mittag – Flamme. Der Text imaginiert nicht nur den Moment, sondern antizipiert die Steigerung, wodurch eine dramatische Bewegung in die Liebesbeschreibung gebracht wird.

Formale Dimension

1. Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit insgesamt 14 Versen – eine Struktur, die sich der freien Strophenform bedient, aber mit symmetrischer Klarheit wirkt.

2. Die Verse sind überwiegend jambisch gebaut, mit regelmäßiger Hebung, jedoch flexibel genug, um im galanten Ton leicht zu wirken.

3. Das Reimschema ist kunstvoll verschränkt: der Text arbeitet mit umarmenden und paarigen Reimen, wodurch ein fließender Klang entsteht.

4. Die Sprache zeigt barocke Orthographie (Hertz, Schlaff, angebohrne), was den historischen Kontext markiert.

5. Die letzte Strophe kulminiert in einem rhetorischen Ausruf, der das Herz in Flamme setzt – formal als Steigerung gestaltet, die die rhetorische Klimax bildet.

Fazit

1. Das Gedicht zeigt Rosilis im intimen Moment des frühen Morgens, wo sie ungeschmückt erscheint, aber gerade dadurch in ihrer Schönheit mythologisch verklärt wird.

2. Die Bildsprache arbeitet konsequent mit Naturmetaphern (Aurora, Sterne, Schnee, Netz, Flamme), die Rosilis’ Erscheinung in kosmische und elementar übersetzen.

3. Die Geliebte erscheint nicht nur als schöne Frau, sondern als Verkörperung des Tagesanbruchs selbst, wodurch das private Bild in eine universelle Allegorie überführt wird.

4. Das lyrische Ich positioniert sich als Betrachter, der einerseits ihre Schönheit galant preist, andererseits im Bild der Flamme sein eigenes Begehren exponiert.

5. In der barocken Topik konkurrieren Natur und Kunst: Rosilis’ natürliche Erscheinung übertrifft alle künstlichen Verschönerungen und künstlerischen Nachbildungen.

6. Der Aufbau steigert sich von der stillen Beobachtung des Schlafnahen (Augen wie Sterne) über die erotische Verstrickung (Haar als Netz) hin zur Glut der Leidenschaft (Herz in Flammen).

7. Literaturgeschichtlich ist das Gedicht in der höfisch-galanten, barocken Lyrik verankert, aber zugleich von emblematischer Verdichtung und mythologischer Überhöhung geprägt.

8. Insgesamt entfaltet Abschatz mit Die erst-auffgestandene Rosilis ein poetisches Tableau, in dem die intime Schönheit der Geliebten zum kosmischen Ereignis erhoben wird und die barocke Verbindung von Erotik, Naturbild und mythologischer Aufladung exemplarisch hervortritt.

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