Die Wett-streitende Doris
Das schöne Kleeblat der Göttinnen1
Das um den Apffel führte Zanck/2
Gedachte/ nächst der Schönheit/ Danck3
Für meiner Doris zu gewinnen;4
Doch Venus selber gab ihr nach5
Eh noch jemand das Urtheil sprach.6
Aglaja stund mit ihr im Streite7
An wem der Vorzug solte seyn:8
Der beyden Schwestern holder Schein9
Zog erst viel Hertzen auff die Seite/10
Doch ward mit Warheit ausgeführt/11
Daß ihr der erste Stand gebührt.12
Apollo ließ die Wolcken schwinden/13
Braucht alle seine Glutt und Macht/14
Wolt ihrer hellen Augen Pracht15
Durch seine Stralen überwinden:16
Was aber kunte gegen Zweyn17
Der Glantz von einer Sonne seyn?18
Man hörte sie die Wette singen19
Mit einer stoltzen Nachtigall.20
Wem hätte dieser süsse Schall21
Nicht durch das Hertze sollen dringen?22
Doch ihrer reinen Stimme Zier23
Gieng tausend Nachtigallen für.24
An dem gelinden Oder-Strande25
Da sezten sie und Amor an/26
Wer am gewißten schißen kan;27
Ihr blieb der Sieg/ und ihm die Schande28
Was sonst Cupidens Pfeil verlacht/29
Das hat ihr Blicken wund gemacht.30
Wenn sie denn alles kan besiegen/31
Und nichts ist/ das ihr widerspricht/32
Warum soll meine Freyheit nicht33
Zu ihren edlen Füssen liegen?34
Ich bin ihr willig unterthan/35
Und bete meine Fässel an.36
Das schöne Kleeblat der Göttinnen1
Das um den Apffel führte Zanck/2
Gedachte/ nächst der Schönheit/ Danck3
Für meiner Doris zu gewinnen;4
Doch Venus selber gab ihr nach5
Eh noch jemand das Urtheil sprach.6
1 Das schöne Kleeblat der Göttinnen
Sprachlich: Die Metapher Kleeblat deutet auf die Dreizahl hin; sprachlich entsteht eine dichte Bildlichkeit, die die Einheit von drei einzelnen Figuren assoziiert. Das schön hat eine doppelte Funktion: es charakterisiert sowohl das Kleeblatt als Zierde wie auch die Göttinnen selbst.
Rhetorisch: Hier wird ein klassisches Topos eingeführt, die berühmten drei Göttinnen Hera (Juno), Athene (Pallas) und Aphrodite (Venus). Die Allegorie vom Kleeblat ist eine anschauliche Vergleichsfigur (Metapher/Allegorie), die aus einer konventionellen Trias ein organisches Bild formt.
Inhaltlich: Der Dichter stellt von Beginn an eine mythologische Rahmung her: die Szene ist die bekannte Pariser Urteils-Geschichte. Die Göttinnen, die sich im Wettstreit um den Apfel messen, werden hier nicht als individuelle Gottheiten, sondern als Einheit, als Dreiblatt vorgestellt. Der Fokus liegt auf der Schönheit und Konkurrenz dieser göttlichen Gestalten.
2 Das um den Apffel führte Zanck/
Sprachlich: Apffel ist die frühneuzeitliche Schreibweise für Apfel; zugleich ruft der bestimmte Artikel den Apffel sofort die berühmte Szene des goldenen Apfels (Eris-Apfel, der Schönsten) ins Gedächtnis. Zanck wirkt archaisierend und verstärkt das Pathos.
Rhetorisch: Alliteration in führte Zanck: der Zischlaut hebt die Schärfe des Streits hervor. Außerdem wird die Personifikation des Apfels als Streitobjekt eingeführt, fast wie eine handelnde Figur.
Inhaltlich: Das Bild präzisiert die Anspielung auf den Mythos: Die drei Göttinnen wetteifern um den Besitz des goldenen Apfels, was traditionell zum Trojanischen Krieg führt. Abschatz nimmt diesen Mythos als Folie für eine galante Überhöhung. Der Wettstreit ist paradigmatisch für Eifersucht, Schönheit und Rivalität.
3 Gedachte/ nächst der Schönheit/ Danck
Sprachlich: Die Inversion (nächst der Schönheit Danck) deutet eine kunstvolle Syntax an. Danck wird zum Thema, und durch die Einschaltung nächst der Schönheit wird ein graduelles Wertesystem angedeutet: Schönheit an erster Stelle, Dankbarkeit gleich dahinter.
Rhetorisch: Die Parallelisierung von Schönheit und Dank zeigt eine rhetorische Klimax. Nach der Schönheit folgt Dankbarkeit – ein moralisches Gegengewicht zur bloßen Attraktivität.
Inhaltlich: Der Dichter führt eine Verschiebung in die Mythologie ein. Nicht nur die Schönheit entscheidet über den Apfel, sondern Dankbarkeit wird zum Kriterium. Die mythische Konstellation wird so umgeformt, dass Doris, die Geliebte, ins Spiel gebracht werden kann: sie verbindet Schönheit und Dankbarkeit.
4 Für meiner Doris zu gewinnen;
Sprachlich: Die archaische Form für meiner Doris zeigt höfische Sprachhaltung. Der Eigenname Doris bringt die Allegorie vom Mythischen ins Konkrete.
Rhetorisch: Die Apostrophe meiner Doris personalisiert und emotionalisiert die Rede, eine Verschiebung von Göttermythos zur galanten Dichtung.
Inhaltlich: Doris wird mit den Göttinnen parallelisiert oder gar übertroffen. Die Konkurrenz des Kleeblatts dient als Folie, um Doris als Siegerin des Schönheits- und Dankbarkeitswettstreits darzustellen. Damit hebt der Sprecher seine Geliebte auf eine höhere Stufe als die Göttinnen der Antike.
5 Doch Venus selber gab ihr nach
Sprachlich: Doch bringt einen überraschenden Kontrast: die Göttin der Liebe selbst tritt zurück. gab ihr nach ist schlicht, beinahe prosaisch, was den Effekt steigert: ein göttliches Wesen verzichtet.
Rhetorisch: Antithese: die Göttin, die sonst immer Siegerin in Fragen der Schönheit ist, tritt zurück vor einer Sterblichen. Dies ist eine galante Übertreibung (Hyperbel).
Inhaltlich: Venus, mythologisch Inbegriff der Schönheit, wird durch Doris übertroffen. Damit ist die Hierarchie endgültig umgestoßen: die Geliebte überragt die Göttinnen. Das lyrische Ich stilisiert Doris zur wahren Siegerin.
6 Eh noch jemand das Urtheil sprach.
Sprachlich: Eh (für ehe) betont die Vorzeitigkeit, eine temporale Nuance, die zugleich als Pointe dient. Urtheil sprach knüpft an den Rechts- und Schiedsduktus an.
Rhetorisch: Dramatische Pointe am Ende der Strophe: es braucht keinen Schiedsrichter (wie Paris im Mythos), da Venus selbst freiwillig verzichtet. Das ist eine rhetorische Verkürzung und zugleich eine paradoxe Umkehrung der mythologischen Erzählung.
Inhaltlich: Der mythische Konflikt wird durch Doris aufgelöst, bevor er eskaliert. Die Schönheit und Tugend der Geliebten sind so evident, dass selbst die Gottheiten keinen Anspruch erheben. Doris triumphiert ohne Kampf, durch bloße Evidenz ihrer Überlegenheit.
Aglaja stund mit ihr im Streite7
An wem der Vorzug solte seyn:8
Der beyden Schwestern holder Schein9
Zog erst viel Hertzen auff die Seite/10
Doch ward mit Warheit ausgeführt/11
Daß ihr der erste Stand gebührt.12
7 Aglaja stund mit ihr im Streite
Sprachlich: Der Name Aglaja verweist auf eine der drei Chariten (Grazien) der griechischen Mythologie, deren Name die Glänzende bedeutet. Das Verb stund ist eine archaische Form von stand, was nicht nur körperliches Stehen, sondern auch das Sich-Stellen im Wettstreit meint.
Rhetorisch: Personifikation und mythologische Anspielung. Doris tritt in eine Konkurrenzsituation mit einer mythologisch aufgeladenen Gestalt, wodurch das Geschehen poetisch erhöht wird. Der Streit wird durch das Wortfeld stehen zugleich als festes Gegenübertreten inszeniert.
Inhaltlich: Doris wird als ebenbürtige Konkurrentin der mythischen Schönheit Aglaja dargestellt. Dies betont nicht nur Doris’ Schönheit, sondern auch die Ernsthaftigkeit des Wettkampfs – nicht irgendeine Frau, sondern eine der Grazien selbst tritt gegen sie an.
8 An wem der Vorzug solte seyn:
Sprachlich: Konstruktion mit solte (archaische Schreibweise für sollte) markiert ein hypothetisches, noch nicht entschiedenes Urteil. Vorzug benennt eine Rangordnung im Bereich der Schönheit oder Liebeswürdigkeit.
Rhetorisch: Hier erscheint eine juristische oder rhetorische Konnotation: die Frage nach dem Vorzug erinnert an Preisgericht oder Urteil. Der Doppelpunkt am Ende eröffnet die argumentative Ausführung in den folgenden Versen.
Inhaltlich: Das zentrale Thema des Streits wird benannt: Es geht nicht um abstrakten Ruhm, sondern konkret um Vorrang im Schönheitswettbewerb. Doris und Aglaja verkörpern zwei Pole weiblicher Anmut, deren Rangfolge noch aussteht.
9 Der beyden Schwestern holder Schein
Sprachlich: Schwestern bezeichnet hier metaphorisch die beiden Konkurrentinnen als gleichartige, durch Schönheit verwandte Wesen; holder Schein hebt den äußeren Glanz hervor, wobei Schein sowohl Leuchten als auch Erscheinung bedeutet.
Rhetorisch: Parallelismus von beyden Schwestern und holder Schein verstärkt die Symmetrie der Figuren. Es klingt auch ein Topos der galanten Dichtung an: Schönheit als Lichtschein, als auratischer Glanz.
Inhaltlich: Beide Frauen erscheinen gleichwertig schön. Der Begriff Schwestern unterstreicht die Verwandtschaft ihrer Schönheit, sodass der Streit nicht aus Ungleichheit, sondern aus Gleichrangigkeit entsteht.
10 Zog erst viel Hertzen auff die Seite/
Sprachlich: Zog ... auff die Seite ist eine bildhafte Wendung für auf seine Seite ziehen. Hertzen steht metonymisch für die Liebes- oder Bewunderungsgesten der Betrachter.
Rhetorisch: Metapher des Ziehens verdeutlicht den Prozess des Überzeugens oder Anziehens. Die Alliteration viel ... auff verleiht eine leichte rhythmische Betonung.
Inhaltlich: Anfangs begeistern beide durch ihren Glanz die Zuschauer; die Herzen der Menschen neigen sich beiden zu. Damit wird die Spannung gesteigert: der Wettstreit ist nicht eindeutig, sondern ruft geteilte Bewunderung hervor.
11 Doch ward mit Warheit ausgeführt/
Sprachlich: Archaisches Passiv ward ... ausgeführt bedeutet es wurde dargelegt oder es stellte sich heraus. Warheit (Schreibweise mit W) betont Authentizität und Objektivität im Gegensatz zu bloßer Erscheinung.
Rhetorisch: Der Kontrastmarker Doch leitet die Wende ein, klassisches rhetorisches Signal einer antithetischen Struktur: zunächst Gleichheit, dann Entscheidung.
Inhaltlich: Der Wettstreit führt zu einem Urteil, das auf Wahrheit basiert, also nicht auf subjektiver Neigung, sondern auf objektiver Schönheit oder göttlicher Ordnung. Hier kippt der Ausgang von Gleichrangigkeit zur Hierarchisierung.
12 Daß ihr der erste Stand gebührt.
Sprachlich: Stand bedeutet hier Rang, Vorrangstellung. Gebührt ist eine Form des Rechts- und Pflichtvokabulars, das auf Legitimität verweist: es handelt sich nicht um Zufall, sondern um ein gebührendes, gerechtes Urteil.
Rhetorisch: Sentenzhafter Abschluss des Argumentgangs. Die Aussage ist in Form eines Lehrsatzes verdichtet: Doris erhält den ersten Stand, was zugleich einen moralischen wie poetischen Sieg darstellt.
Inhaltlich: Doris gewinnt den Streit gegen Aglaja. Damit erhebt die Dichtung die sterbliche Figur über eine mythische Gestalt – eine typische barocke Strategie galanter Poesie, die irdische Damen über mythologische Schönheiten stellt.
Apollo ließ die Wolcken schwinden/13
Braucht alle seine Glutt und Macht/14
Wolt ihrer hellen Augen Pracht15
Durch seine Stralen überwinden:16
Was aber kunte gegen Zweyn17
Der Glantz von einer Sonne seyn?18
13 Apollo ließ die Wolcken schwinden/
Sprachlich: Ein klarer Alexandriner mit Zäsur nach der dritten Hebung. Das Verb schwinden lassen gibt der Szene Dynamik, indem es einen göttlichen Eingriff markiert.
Rhetorisch: Ein Bild der Entbergung oder Enthüllung, typisch für barocke Bildlichkeit. Wolcken fungieren metaphorisch sowohl als atmosphärisches Hindernis als auch als Schleier, der den Blick auf die Schönheit Doris’ zunächst verhüllte.
Inhaltlich: Apollo, Gott der Sonne, greift aktiv ein, indem er die Wolken vertreibt. Dies markiert den Beginn eines Wettstreits: Die göttliche Naturkraft stellt sich gegen die Schönheit der Frau, die hier gleichrangig oder gar überlegen gedacht wird.
14 Braucht alle seine Glutt und Macht/
Sprachlich: Glutt verweist auf die sengende Hitze der Sonne, zugleich auf Leidenschaft und innere Glut. Macht wird parallel gesetzt, wodurch die Gewalt Apollos gesteigert erscheint.
Rhetorisch: Hyperbolische Steigerung: Apollo setzt nicht nur einen Teil seiner Kraft, sondern alle ein. Die Alliteration Glutt und Macht verstärkt den Ausdruck der Fülle und Gewalt.
Inhaltlich: Apollo tritt hier als kämpfender Gegner auf, der seine gesamte Kraft entfaltet. Schon hier schwingt eine barocke Konkurrenz-Topik mit: Die überirdische Schönheit des Menschen (Doris) provoziert die Götter, ihre Überlegenheit zu beweisen.
15 Wolt ihrer hellen Augen Pracht
Sprachlich: Das Adjektiv hell betont sowohl Lichtqualität als auch Reinheit. Pracht verweist auf höfische, glänzende Herrlichkeit.
Rhetorisch: Die Augen werden als Quelle des Lichts personifiziert – eine Übertragung der Sonnensymbolik auf den menschlichen Körper. Ein antithetischer Parallelismus kündigt sich an: Sonnenstrahlen gegen Augenstrahlen.
Inhaltlich: Doris’ Augen sind nicht nur schön, sondern leuchten so intensiv, dass sie in Konkurrenz mit der Sonne treten können. Damit wird die Frau selbst zur kosmischen Größe erhoben.
16 Durch seine Stralen überwinden:
Sprachlich: Stralen verweist auf das eigentliche Wirkprinzip der Sonne. Das Verb überwinden hat kämpferische Konnotation, es ist kein bloßes Überstrahlen, sondern ein Akt der Eroberung.
Rhetorisch: Metaphorik des Kampfes: Strahlen werden zu Waffen, die Schönheit zu einer Festung, die überwunden werden soll.
Inhaltlich: Apollo versucht aktiv, Doris’ Augenpracht zu übertrumpfen. Der verstärkt das Bild des Wettstreits, das den ganzen Zyklus trägt. Schönheit ist nicht passiv, sondern ein Machtfaktor, der göttlichen Eingriff herausfordert.
17 Was aber kunte gegen Zweyn
Sprachlich: kunten = konnte; die Orthographie verweist auf frühneuhochdeutsche Schreibweise. Zweyn markiert die Zahl ausdrücklich, fast rhetorisch isoliert.
Rhetorisch: Ein rhetorisches Frageverfahren, das den Triumph Doris’ vorbereitet. Die Antithese wird zugespitzt: eine Sonne gegen zwei Augen.
Inhaltlich: Hier tritt der Wettstreit in seine Pointe: Der Sonnengott hat nur eine Sonne, Doris aber zwei Augen, die in ihrem Lichtglanz gemeinsam konkurrieren. Zahlenargumentation als logischer Sieg der Schönheit über die Naturkraft.
18 Der Glantz von einer Sonne seyn?
Sprachlich: Der schließt den Gedanken der rhetorischen Frage ab. Glantz verstärkt die Lichtmetaphorik, zugleich verweist er auf höfische Strahlkraft und Ruhm.
Rhetorisch: Vollendung der rhetorischen Frage: der Ein-Sonne-Apollo wird durch die Zwei-Augen-Doris relativiert. Antithetische Zuspitzung, barocker Witz (ingenium) und zugleich ironischer Unterton.
Inhaltlich: Apollo wird zum Verlierer des Wettstreits erklärt. Die Schönheit Doris’ übertrifft selbst die kosmische Strahlkraft der Sonne. Das Thema menschliche Schönheit übersteigt göttliche Kräfte tritt offen hervor, eine typische barocke Verherrlichung der geliebten Frau im petrarkistischen Vergleich.
Man hörte sie die Wette singen19
Mit einer stoltzen Nachtigall.20
Wem hätte dieser süsse Schall21
Nicht durch das Hertze sollen dringen?22
Doch ihrer reinen Stimme Zier23
Gieng tausend Nachtigallen für.24
19 Man hörte sie die Wette singen
Sprachlich: Der beginnt mit einem unpersönlichen Man, das einen allgemeinen, fast allumfassenden Zuhörerkreis evoziert. Das Verb singen ist schlicht, unmittelbar, und zugleich stark auf die Klangwirkung bezogen.
Rhetorisch: Die Wette wird nicht nur ausgetragen, sondern gesungen – das überträgt den Wettstreit in die Sphäre der Kunst, weg vom bloßen Wort oder Streit. Ein leicht paradoxes Moment: die Wette selbst wird zum Gegenstand des Gesangs, eine Personifizierung.
Inhaltlich: Doris befindet sich im Wettbewerb mit der Nachtigall, und dieser Wettkampf wird musikalisch, künstlerisch ausgeführt. Der etabliert die zentrale Handlung: der Gesang ist Austragungsort des Streits.
20 Mit einer stoltzen Nachtigall.
Sprachlich: Die Nachtigall wird mit dem Adjektiv stoltzen qualifiziert. Das Attribut wirkt anthropomorphisierend und weist dem Vogel eine menschliche Haltung (Hochmut, Selbstbewusstsein) zu.
Rhetorisch: Die Personifikation wird weitergeführt – die Nachtigall ist nicht nur ein Vogel, sondern tritt wie ein selbstbewusster Gegner in einem Wettbewerb auf. Das epitheton ornans stoltzen unterstreicht die Erhabenheit und den Anspruch dieses Gegners.
Inhaltlich: Doris misst sich also nicht mit einem beliebigen Vogel, sondern mit der Nachtigall – dem traditionellen Sinnbild der Schönheit und Kunstfertigkeit des Gesangs. Der Gegner ist zugleich ehrwürdig und hochgestellt, was Doris’ Leistung steigert.
21 Wem hätte dieser süsse Schall
Sprachlich: Die rhetorische Frage wird durch das Dativpronomen Wem eröffnet, was die Wirkung auf alle denkbaren Hörer ins Zentrum stellt. Das Attribut süsser Schall ist typisch barocke Synästhesie, die Klangqualität als Geschmackserlebnis beschreibt.
Rhetorisch: Eine rhetorische Frage mit affektiver Wirkung – sie will Zustimmung erzwingen. Niemand könnte sich dem Gesang entziehen. Zudem steht der süsse Schall als musikalische Metapher für Verführung und Harmonie.
Inhaltlich: Hier wird die Überlegenheit oder zumindest die Intensität des Wettbewerbs dargestellt: der Gesang (sei er von Doris oder Nachtigall) besitzt universale Wirkungskraft auf das Herz.
22 Nicht durch das Hertze sollen dringen?
Sprachlich: Hertze ist in der barocken Orthographie mit tz geschrieben, was den Klang schärft. Das Verb dringen vermittelt eine starke Bewegung, nicht bloß Berührung, sondern tiefes Eindringen.
Rhetorisch: Fortsetzung der rhetorischen Frage; die Antithese zwischen äußerem Schall und innerem Herz wird betont. Das Herz fungiert als Sitz des Gefühls und zugleich der Empfänglichkeit für Kunst.
Inhaltlich: Der Gesang durchdringt die Zuhörer emotional. Kunst ist hier nicht oberflächlich, sondern existenziell wirksam. Die Wirkung der Musik wird universalisiert.
23 Doch ihrer reinen Stimme Zier
Sprachlich: Die Wendung reinen Stimme Zier ist kunstvoll gebaut: Genitivverbindung, die Reinheit und Schmuck der Stimme betont. Rein evoziert Unschuld, Lauterkeit, Freiheit von Makel; Zier bringt den ästhetischen Aspekt hinzu.
Rhetorisch: Doch markiert die Wende: trotz der Süße der Nachtigall wird Doris’ Stimme hervorgehoben. Hier liegt eine klare Emphase durch Genitivattribut vor. Die Alliteration (Stimme – Zier) verstärkt die Harmonie.
Inhaltlich: Doris übertrifft die Nachtigall nicht nur technisch, sondern in moralischer und ästhetischer Qualität: Reinheit und Zierde machen ihren Gesang überlegen.
24 Gieng tausend Nachtigallen für.
Sprachlich: Hyperbolische Steigerung: tausend Nachtigallen dient als Übermaß, um Doris’ Gesang zu erhöhen. Das Präteritum Gieng … für bedeutet ging über, wog schwerer als.
Rhetorisch: Typische barocke Hyperbel; die Zahl tausend ist nicht arithmetisch, sondern emphatisch. Sie steigert die Singularität der Sängerin ins Unermessliche.
Inhaltlich: Doris’ Gesang übertrifft nicht nur die eine Nachtigall, sondern gleich tausend. Damit wird die Hierarchie umgedreht: der Vogel, Symbol vollendeter Naturmusik, wird durch menschliche Kunst (in Form Doris’) in unvorstellbarem Maß überboten.
An dem gelinden Oder-Strande25
Da sezten sie und Amor an/26
Wer am gewißten schißen kan;27
Ihr blieb der Sieg/ und ihm die Schande28
Was sonst Cupidens Pfeil verlacht/29
Das hat ihr Blicken wund gemacht.30
25 An dem gelinden Oder-Strande
Sprachlich: Das Adjektiv gelinde evoziert Milde, Weichheit, ein sanftes Klima. Gleichzeitig deutet es eine pastorale Szenerie an, die typisch für die barocke Schäferdichtung ist. Der Fluss Oder wird topographisch konkret genannt – Lokalisierung im höfischen oder mitteleuropäischen Raum, was das Gedicht geerdet erscheinen lässt.
Rhetorisch: Die Alliteration (gelinden … Oder) und die klangliche Weichheit durch l, n und d verstärken den Eindruck der Zärtlichkeit. Das konkrete Lokalisieren kontrastiert mit der sonst eher mythisch-abstrakten Welt des Amor.
Inhaltlich: Ein realer Ort (Oderstrand) wird Bühne für ein mythisches Spiel. Natur und Mythologie werden verschränkt: eine Schäferszene, in der Amor selbst ins Geschehen eingreift.
26 Da sezten sie und Amor an/
Sprachlich: Das Verb ansetzen (hier verkürzt: an sezten) meint beginnen, ein Spiel starten. Auffällig ist die trinitarische Konstellation: sie (Doris), er (wohl ein Schäfer oder Gegenspieler), und Amor selbst.
Rhetorisch: Durch das Enjambement (Anschluss an den nächsten Vers) entsteht Spannung. Amor erscheint nicht nur als Beobachter, sondern als aktiver Mitspieler – rhetorische Personifikation des Liebesgottes.
Inhaltlich: Der Gott der Liebe tritt als Schiedsrichter und zugleich Mitstreiter auf – ein paradoxes Moment, da er sonst unangefochten über den Liebesdiskurs herrscht. Das Geschehen wird als Wettstreit eingeführt.
27 Wer am gewißten schißen kan;
Sprachlich: Die Orthographie schißen = schießen. Das Adverb am gewißten (am treffsichersten) beschreibt eine Präzision. Semantisch doppeldeutig: Es geht nicht nur um Bogenschießen, sondern metaphorisch um das Treffen der Herzen im Liebesspiel.
Rhetorisch: Euphemismus und Allegorie: Schießen = erotische Annäherung, Pfeil = Blick oder Liebesimpuls. Amor als Gott des Bogens wird auf sein eigenes Feld herausgefordert.
Inhaltlich: Der Wettkampf wird definiert: es geht um die Zielsicherheit. Doris tritt als ebenbürtige Konkurrentin gegen Amor auf – eine Provokation gegenüber dem mythologischen Machtmonopol der Liebesgottheit.
28 Ihr blieb der Sieg/ und ihm die Schande
Sprachlich: Klare antithetische Struktur: Sieg vs. Schande. Lakonische Bilanz in nur wenigen Worten.
Rhetorisch: Parallelismus, Antithese und Klimax der Strophe: der Kontrast zwischen Doris’ Triumph und Amors Demütigung. Die Kürze und Einfachheit steigern die Wirkung.
Inhaltlich: Die Umkehrung der Hierarchie: ein sterbliches Mädchen besiegt den Gott der Liebe. Dies steigert Doris’ Macht und Schönheit ins Übermenschliche. Zugleich wird Amor ironisch herabgesetzt – das komisch-ironische Element durchzieht das Gedicht.
29 Was sonst Cupidens Pfeil verlacht/
Sprachlich: Relativsatzkonstruktion: Was sonst… = Dasjenige, was sonst…. Die Wendung verweist auf eine Gewohnheit: normalerweise sind Amors Pfeile unfehlbar, alles andere wird verlacht.
Rhetorisch: Ironische Umkehrung: der Pfeil, Symbol unbesiegbarer Liebe, wird in Frage gestellt. Die Formel Cupidens Pfeil steht pars pro toto für die göttliche Allmacht Amors.
Inhaltlich: Das Gedicht bricht mit dem Topos der Unfehlbarkeit der Liebespfeile: Doris hat nicht Amor, sondern Amor selbst überwunden. Es wird eine ironische Distanz zur traditionellen Mythologie sichtbar.
30 Das hat ihr Blicken wund gemacht.
Sprachlich: Der Singular Blicken (statt Blicke) ist barocke Ausdrucksweise. Das Verb wund machen bedeutet verletzen, verwunden. Damit wird Doris’ Blick auf eine Ebene mit Amors Pfeilen gestellt.
Rhetorisch: Metaphorische Gleichsetzung: der Blick als Waffe. Antithese zur physischen Waffe des Amor-Pfeils. Gleichzeitig Hyperbel: der bloße Blick einer Frau übertrifft die göttliche Waffe.
Inhaltlich: Der Ausgang des Wettstreits: Doris’ Blick schlägt Amor. Der Eros der Frau übersteigt den mythischen Eros des Gottes. So wird die Macht des weiblichen Charmes über den männlich konnotierten Gott der Liebe gesetzt.
Wenn sie denn alles kan besiegen/31
Und nichts ist/ das ihr widerspricht/32
Warum soll meine Freyheit nicht33
Zu ihren edlen Füssen liegen?34
Ich bin ihr willig unterthan/35
Und bete meine Fässel an.36
31 Wenn sie denn alles kan besiegen/
Sprachlich: Der Satz öffnet sich mit einer konditionalen Wendung (Wenn…), die das Folgende hypothetisch, aber zugleich gewissheitsnah formuliert. Alles als unbeschränktes Objekt verstärkt die Totalität. Orthographie kan verweist auf ältere Schreibweise.
Rhetorisch: Hyperbolische Formulierung der Macht der Geliebten: sie besiegt alles. Das alles ist ein rhetorisches All-Inklusiv, das keinen Widerstand mehr übriglässt. Der leitet ein syllogistisches Argument: wenn ihre Macht absolut ist, muss der Sprecher sich unterwerfen.
Inhaltlich: Die Geliebte erscheint als übermächtige Figur, nicht nur in der Liebe, sondern in einem universalen Sinn. Der Sprecher betont nicht sein eigenes Empfinden, sondern die objektive Notwendigkeit der Unterwerfung.
32 Und nichts ist/ das ihr widerspricht/
Sprachlich: Parallele Satzstruktur zu V. 31 (alles – nichts). Die Negation wird absolut gesetzt. Syntax knapp und lapidar.
Rhetorisch: Parallelismus und Antithese (alles besiegen / nichts widerspricht) schaffen eine Art logische Klammer. Ein doppelter Totalitätsbeweis: erst positiv (alles), dann negativ (nichts).
Inhaltlich: Die Welt ist vollständig auf die Seite der Geliebten geschlagen, es gibt keinen Widerpart. Der Sprecher legitimiert so seine eigene Kapitulation, indem er sie in eine universale Notwendigkeit einbettet.
33 Warum soll meine Freyheit nicht
Sprachlich: Die rhetorische Frage bricht die bisher konstative Argumentation auf. Freyheit wird hervorgehoben als zentraler Begriff, zugleich in älterer Schreibung.
Rhetorisch: Die rhetorische Frage arbeitet mit der Logik der Konsequenz: wenn selbst die gesamte Welt sich fügt, wäre es widersinnig, wenn der Sprecher eine Ausnahme bilden wollte. Sie ist ein ironisch-resignativer Übergang zur Selbstaufgabe.
Inhaltlich: Freiheit ist nicht länger ein zu verteidigendes Gut, sondern wird selbst in Frage gestellt: warum sollte sie nicht…? Die Freiheit verliert ihren Eigenwert und wird zur Gabe, die der Geliebten hingelegt werden muss.
34 Zu ihren edlen Füssen liegen?
Sprachlich: Der Ausdruck edle Füße ist ein Topos der galanten und höfischen Sprache: die Füße der Dame als Ort der Unterwerfung, aber zugleich als Zeichen adeliger Würde.
Rhetorisch: Metonymische Übertragung: nicht die Person, sondern ihre Füße werden adressiert. Das verstärkt die Geste der Demut. Die Frageform hängt noch an V. 33, wird aber hier körperlich konkretisiert.
Inhaltlich: Die Freiheit des lyrischen Ichs soll den Rang einer Huldigungsgabe einnehmen, hingelegt an den Ort der Unterwerfung. Füße als Symbol: tiefster Punkt des Körpers, aber zugleich Trägerin der edlen Qualität der Geliebten.
35 Ich bin ihr willig unterthan/
Sprachlich: willig betont die Freiwilligkeit, unterthan den Status des Vasallen oder Dieners.
Rhetorisch: Deklarativsatz, eine Selbstdefinition. Der Sprecher vollzieht performativ seine eigene Unterwerfung.
Inhaltlich: Hier tritt der Kontrast hervor: er verliert zwar Freiheit, aber nicht durch Zwang, sondern in Zustimmung. Die Liebesbindung wird als vasallitische Treue, als bewusste Wahl gedeutet.
36 Und bete meine Fässel an.
Sprachlich: Die paradoxe Wendung: nicht nur akzeptieren, sondern anbeten der eigenen Fessel. Orthographie Fässel verweist auf ältere Form von Fessel.
Rhetorisch: Oxymoron: das Gefängnis wird zum Kultobjekt. Übersteigerung (Hyperbel) durch den religiösen Begriff anbeten.
Inhaltlich: Liebesbindung wird in religiöse Sphäre erhoben. Nicht nur Akzeptanz der Knechtschaft, sondern deren Kultivierung. Der Sprecher verwandelt die Unterdrückung in Verehrung. Die Fessel selbst wird sakralisiert: die Gefangenschaft in Liebe ist die höchste Form von Glück.
1. Das Gedicht setzt mit einem Rückgriff auf die mythische Szene des Apfelstreits der Göttinnen (Venus, Juno, Minerva) ein und überträgt diese berühmte Konkurrenz der Schönheit auf Doris. Dadurch wird die mythologische Autorität sofort mit der persönlichen Geliebten verknüpft.
2. Schon in den ersten Versen erscheint Doris als Siegerin, noch bevor ein Urteil gefällt wird: Venus selbst tritt zurück. Dies verleiht dem Gedicht eine klare Tendenz, die ohne Umwege in die Apotheose der Geliebten führt.
3. In der zweiten Strophe wird Doris neben Aglaja, einer der Chariten, gestellt, wodurch ihre Schönheit nicht nur mit der Göttin Venus, sondern auch mit den mythischen Schönheitsbegleiterinnen verglichen wird. Die Spannung des Wettstreits steigert sich, doch das Urteil bleibt eindeutig zugunsten Doris’.
4. In der dritten Strophe wird Apollo ins Spiel gebracht, der mit Sonnenstrahlen gegen Doris’ Augenpracht antritt. Auch hier erfolgt eine klare Überbietung: die zwei Sonnen ihrer Augen besiegen die göttliche Sonne.
5. In der vierten Strophe folgt eine weitere Steigerung durch den Vergleich mit der Nachtigall. Doris’ Stimme übertrifft selbst tausend Nachtigallen, womit das Ideal der Harmonie und des süßen Gesangs in ihr verkörpert wird.
6. In der fünften Strophe wechselt das Bild in den Bereich der erotischen Macht: Doris tritt in einen Wettkampf mit Amor selbst, der beim Schießen unterliegt. Ihre Blicke haben die Wunde geschlagen, wo sonst Amors Pfeile verspottet werden.
7. Die sechste Strophe bringt die Wendung vom mythischen Vergleich hin zur persönlichen Unterwerfung: Der Sprecher erklärt seine eigene Freiheit für nichtig und legt sie zu den Füßen der Geliebten. Damit kulminiert der Aufbau in der völligen Selbsthingabe, die durch die vorgängige kosmisch-mythische Verherrlichung vorbereitet wurde.
1. Das Gedicht zeigt eine Projektion der Liebesempfindung in mythische Szenarien: der Sprecher kann sein Erleben nur in Überbietungsszenen ausdrücken. Dies verrät eine innere Unruhe und ein Bedürfnis, die Geliebte über alle Maße zu erheben, um die eigene Hingabe zu rechtfertigen.
2. Die ständige Kontrastierung (Venus vs. Doris, Apollo vs. Doris, Nachtigall vs. Doris, Amor vs. Doris) spiegelt den psychischen Zwang zur Übersteigerung: keine Instanz scheint stark genug, die Empfindung angemessen auszudrücken.
3. Psychologisch wirkt die Schlusswendung bedeutsam: erst nach allen Wettstreiten der Götter wird das persönliche Bekenntnis eingeführt. Es ist, als bräuchte der Sprecher diese kosmische Legitimation, um sein eigenes Unterliegen vor Doris als sinnvoll und notwendig anzunehmen.
4. Hinter der poetischen Verherrlichung steht die Selbstauslöschung: Doris wird zur Allgewalt, und die eigene Freiheit wird aufgegeben. Diese Haltung deutet auf eine psychologische Dynamik zwischen Begehren, Machtverzicht und Bewunderung hin.
1. Das Gedicht verhandelt implizit die Frage von Wert und Rang: Wer gebührt der Vorrang, welche Instanz ist stärker? Die Ethik der Anerkennung steht im Zentrum – Doris wird zur höchsten Instanz, der alle göttlichen Kräfte weichen müssen.
2. Damit wird eine Verschiebung sichtbar: die ethische Ordnung der mythischen Welt wird aufgehoben zugunsten der absoluten Vorrangstellung einer menschlichen Person. Dies hat eine Sprengkraft gegen die traditionelle Hierarchie.
3. Für den Sprecher selbst bedeutet dies eine Ethik der Unterordnung: seine eigene Freiheit und Würde treten zurück, das Bekenntnis zur Fessel wird als moralisch richtiger Akt dargestellt. Hier zeigt sich eine Ethik der Hingabe, die im barocken Kontext stark mit Vorstellungen von Treue und Dienst verknüpft ist.
4. Allerdings ist diese Ethik ambivalent: die absolute Erhebung der Geliebten zur Übergöttin bedeutet eine Grenzüberschreitung, die den Anspruch der klassischen Göttinnen und selbst Amors ad absurdum führt.
1. In mythologischer Perspektive wird ein anthropologisches Thema verhandelt: die Liebe als Macht, die sogar die Götter übersteigt. Theologisch gelesen, rückt Doris in eine Position quasi-göttlicher Allmacht. Dies erinnert an die barocke Tendenz, weltliche Liebe in Transzendenzkategorien zu kleiden.
2. Philosophisch geht es um die Frage nach der Hierarchie von Kräften: Schönheit, Wahrheit, Klang, Strahl, Pfeil – alle sind letztlich Ausdruck einer universalen Macht. Doris vereinigt diese Kräfte, wodurch eine Einheit alles Seins im Bild der Geliebten erscheint.
3. Die Überbietung Apollos durch die Augen Doris’ trägt eine theologische Tiefendimension: die göttliche Sonne wird relativiert, und die menschliche Erscheinung wird zum neuen Licht. Dies lässt sich als poetische Umkehrung des platonischen Sonnen-Gleichnisses deuten, in dem die Sonne das höchste Gute symbolisiert. Hier wird die Geliebte selbst zum summum bonum.
4. Der Wettkampf mit Amor verweist auf eine noch radikalere Deutung: nicht Amor, der Gott der Liebe, sondern Doris selbst ist die Quelle der Verwundung. Die Liebe wird entgöttlicht und in eine konkrete Person verlagert. Dies kann als eine Verschiebung vom religiösen zum profanen Kultus gelesen werden – ein barocker Eros, der die Theologie der Gnade parodiert oder spiegelt.
5. Zugleich klingt eine mystische Struktur an: die Unterwerfung des Ich unter die Geliebte ist formal der Sprache der Gottesliebe ähnlich, wie sie in geistlicher Lyrik (z. B. Silesius) vorkommt. Das Bete meine Fässel an erinnert an die paradoxen Formeln geistlicher Knechtschaft, die in Wahrheit Freiheit bedeuten sollen.
1. Das Gedicht etabliert eine moralische Hierarchie: wer sich der vollkommenen Schönheit beugt, handelt recht. Das Unterliegen des Sprechers ist nicht Schmach, sondern Tugend.
2. Moralisch wird hier eine Kultur des Dienstes und der Treue dargestellt: die Fessel, die der Sprecher anbetet, ist kein Zeichen von Zwang, sondern von freiwilliger Bindung.
3. Gleichzeitig ist eine problematische Dimension spürbar: die absolute Vergöttlichung der Geliebten entzieht den Sprecher jeder Selbstbestimmung. Moralisch wird dies als höchste Form der Liebe gerechtfertigt, doch implizit bleibt die Gefahr der Selbstentwürdigung bestehen.
4. Schließlich zeigt sich in der Überbietung aller mythischen Instanzen eine moralische Herausforderung: die Weltordnung, in der die Götter die höchsten Maßstäbe verkörpern, wird aufgehoben. Die Moral verschiebt sich in ein individuelles System, in dem eine einzelne Frau den absoluten Maßstab bildet.
1. Das Gedicht entfaltet eine durch und durch mythisch-symbolische Landschaft, in der die Schönheit der Geliebten Doris in einen kosmischen Wettstreit zwischen Göttinnen, Musen und Göttern gestellt wird. Innerhalb einer anthroposophischen Lesart erscheint dies als ein Hinweis darauf, dass die menschliche Individualität (Doris) nicht bloß im Irdischen verankert ist, sondern im Überirdischen gespiegelt und bestätigt wird.
2. Die Überbietung von Venus, Aglaja und sogar Apoll durch Doris deutet darauf hin, dass in ihr eine Qualität erscheint, die über das bloß Göttliche hinausgeht: ein Hinweis auf das schöpferisch-menschliche Prinzip, das in der Anthroposophie als Entwicklungsziel verstanden wird.
3. Die Szene am Oderstrand, wo Amor selbst im Wettstreit unterliegt, verweist auf das Motiv der Vergeistigung des Eros. Doris’ Blick verwandelt den sinnlichen Pfeil in eine geistige Wunde: der Übergang vom bloßen Begehren zur höheren, vergeistigten Liebe.
4. Das Verhältnis zwischen dem Blicken und den Strahlen Apolls lässt erkennen, dass im Menschenherzen eine stärkere Kraft wohnt als in den kosmischen Mächten. Anthroposophisch gesehen verweist das auf den freien Willen und die innere Sonne des Menschen, die mehr bewirken kann als äußere Naturkräfte.
5. Die Schlusspointe, dass der Sprecher seine Fesseln anbetet, lässt sich deuten als das Paradox der Freiheit in Hingabe: in anthroposophischer Sicht das Geheimnis der Liebe, die bindet und gerade darin die geistige Entfaltung ermöglicht.
1. Das Gedicht entfaltet seine Wirkung durch eine Abfolge von kontrastiven Bildern: der Streit um den Apfel, das Duell mit Apoll, die Konkurrenz mit der Nachtigall, das Schießen am Flussufer. Jede Szene steigert Doris’ Schönheit durch den Vergleich mit einer jeweils höchsten, beinahe unerreichbaren Größe – Göttin, Gott, Natur, Liebesgott.
2. Besonders wirkungsvoll ist die synästhetische Bildlichkeit: Doris’ Augen sind nicht nur visuelle Strahlen, sondern sie übertreffen die Sonne Apolls; ihre Stimme übertrifft den Gesang der Nachtigall. Sehen und Hören werden in ihrer Gestalt vereint.
3. Die ästhetische Form lebt von klarer, symmetrischer Strophenstruktur, die mit der Zahl 6 (eine Zahl der Harmonie) in Einklang steht. So entspricht die äußere Form der inneren Botschaft von Schönheit und Ordnung.
4. Das Spannungsverhältnis zwischen Naturbildern (Oderstrand, Nachtigall) und mythologischen Bezügen (Venus, Apoll) schafft eine ästhetische Doppelbewegung: die Schönheit der Geliebten ist sowohl in der irdischen Natur als auch in der göttlichen Sphäre verankert.
5. Der sprachliche Glanz des Gedichts liegt in der Überbietungsfigur: Doris ist nicht nur schön, sondern schöner als die Schönsten. Diese Ästhetik der Steigerung wirkt selbst als rhetorische Strategie, die Schönheit durch immer neue Vergleichsebenen anschaulich macht.
1. Das Gedicht operiert mit dem Topos des Wettstreits, einer klassischen rhetorischen Figur, die durch Vergleich und Kontrast arbeitet. Doris wird nicht direkt gelobt, sondern indirekt erhöht, indem sie andere übertrifft.
2. Ein zentrales Stilmittel ist die Hyperbel: die Nachtigall, traditionell Inbegriff des vollkommenen Gesangs, wird von Doris übertroffen, ebenso wie Apolls Sonnenstrahlen. Hyperbel dient hier nicht nur zur Übersteigerung, sondern zur absoluten Verehrung.
3. Der Text nutzt die Antithese zwischen Sieg und Schande, zwischen Glanz und Verblassen, zwischen Freiheit und Fessel. Diese Gegensätze intensivieren die Bildkraft und bringen Bewegung in die Darstellung.
4. Auffällig ist die dialogische Inszenierung: Man hörte sie die Wette singen verleiht Doris Stimme und damit unmittelbare Präsenz. Auch die Rede vom Urtheil und vom Schießen evoziert einen szenischen Charakter.
5. Rhetorisch zugespitzt ist das Gedicht in der Schlusspointe, wo das Ich selbst in den Kreis der Wettkämpfer tritt. Indem der Sprecher seine eigene Freiheit opfert, entsteht eine paradoxe Umkehr: der größte Sieg Doris’ ist nicht über Götter oder Natur, sondern über das menschliche Herz.
1. Das Gedicht reflektiert auf einer Metaebene den Mechanismus des Preisgedichts selbst: indem es Doris in mythische Wettkämpfe einbindet, verhandelt es die Möglichkeiten poetischer Darstellung von Schönheit.
2. Es zeigt, dass jede Schönheit im Gedicht nicht an sich behauptet werden kann, sondern nur im Wettstreit mit Vergleichsgrößen. Damit reflektiert es poetologische Grundfragen: Wie lässt sich Schönheit überhaupt sprachlich rechtfertigen?
3. Die wiederholte Szene des Unterliegens von Göttern und Naturkräften verweist auf den dichterischen Gestus: die Poesie selbst schafft eine Welt, in der das Gelobte stärker ist als das Mythische. Das Gedicht führt damit die Macht des poetischen Wortes vor.
4. Die Schlusspointe, in der das Ich die Fesseln anbetet, verweist auf die poetische Selbstverstrickung: der Dichter bekennt nicht nur seine Unterordnung unter Doris, sondern auch unter das eigene Sprechen, das seine Freiheit an die Lobpreisung bindet.
5. Auf der Metaebene wird sichtbar, dass es sich um ein performatives Gedicht handelt: es preist nicht nur Schönheit, sondern es erzeugt sie im Akt des Dichtens, indem es Doris in den Rang einer Überirdischen erhebt.
1. Poetologisch verankert sich das Gedicht in der Tradition des Barock-Lobgedichts, das durch Überbietung und mythologische Rahmung arbeitet. Es zeigt exemplarisch, wie Dichtung als Medium der Verherrlichung funktioniert.
2. Der Rekurs auf mythische Wettstreite verweist auf die poetische Konkurrenzsituation: der Dichter misst sich mit den Vorbildern (Apoll als Gott der Poesie) und behauptet, dass seine Doris selbst den Gott der Dichtung übertrifft. Indirekt erhebt er auch das eigene Werk über traditionelle Muster.
3. Die Integration von Naturbildern (Oderstrand, Nachtigall) verweist auf die poetische Absicht, irdische und himmlische Sphären zu verbinden. Damit tritt das Gedicht als Brücke zwischen Welt und Mythos auf – eine Grundfunktion barocker Poesie.
4. Poetologisch betrachtet ist die Bewegung des Gedichts von außen nach innen gerichtet: vom kosmischen Streit der Göttinnen über den Gesang der Nachtigall bis zum Herzen des Dichters. Damit wird die poetische Funktion als Medium der Transformation des Subjekts sichtbar.
5. Das Motiv der Fesseln am Ende ist nicht nur Liebesmetapher, sondern auch poetologische Aussage: die Dichtung bindet den Dichter selbst. Der Akt des Sprechens über Schönheit fesselt das Ich an sein Thema – eine Reflexion über die Macht der Poesie, die zugleich Verherrlichung und Selbstverstrickung bedeutet.
1. Das Gedicht entfaltet Doris’ Schönheit und Überlegenheit in einer Reihe von mythologisch überhöhten Metaphern: sie tritt in Konkurrenz mit den Göttinnen des Paris-Urteils, überstrahlt Aglaja, übertrifft Apollos Sonnenlicht und besiegt sogar die Nachtigall im Gesang. Diese Metaphorik erhebt Doris über das Menschliche hinaus und verleiht ihr eine halbgöttliche Aura.
2. Die Augen werden mit einer doppelten Sonne verglichen, deren Strahlen selbst Apollos Licht unterwerfen können. Das ist eine poetische Umkehrung: nicht die Götter geben Doris Glanz, sondern ihre eigene Erscheinung bringt die Götter in Verlegenheit.
3. Der Gesang Doris’ wird als ein Klang beschrieben, der nicht nur süßer ist als das Lied der Nachtigall, sondern gleich tausend Nachtigallen übertrifft. Dies wirkt wie eine Steigerung ins Unermessliche, ein Hyperbolismus, der ihre Stimme in eine himmlische Harmonie verwandelt.
4. Das Bogenschießen am Oderstrand mit Amor stellt ein Bild der Machtverlagerung dar: Amor, sonst der unbestrittene Herr der Liebe, wird von Doris im eigenen Spiel besiegt. Ihre Augen ersetzen die Pfeile, und ihre Blicke werden zur tödlichen Waffe, die Herz und Freiheit trifft.
5. Die Schlussstrophe setzt das Motiv des Sieges in den Bereich der Liebesbindung um: der Sprecher legt seine Freiheit zu Doris’ Füßen nieder und betet seine Fessel an. Die Metapher der Fessel, die üblicherweise ein Zeichen von Unfreiheit ist, wird hier in ein Zeichen des Liebesdienstes und der Verehrung transformiert.
1. Die Bezugnahme auf den Schönheitswettstreit um den Apfel (Paris-Urteil) ruft Assoziationen an Streit, Eitelkeit und göttliche Konkurrenz hervor, doch hier wird das Geschehen auf eine irdische Geliebte übertragen, wodurch Doris zur neuen Venus wird.
2. Die Verbindung zu Aglaja, einer der Grazien, evoziert das Feld der klassischen Schönheit und der höfischen Anmut, sodass Doris nicht nur in den Bereich der Göttinnen, sondern auch in den Bereich der Musen und Grazien eingeordnet wird.
3. Die Konfrontation mit Apollo weckt die Assoziation von Licht, Dichtung und Musik. Doris’ Überlegenheit verweist also nicht nur auf Schönheit, sondern auch auf dichterische Inspiration: sie wird zur Muse, die selbst die Götter inspiriert.
4. Das Bild des Wettgesangs mit der Nachtigall lässt an den Minnesang, an barocke Liedertradition und an die Nachtigall als Emblem der Liebespoesie denken. Doris ist nicht nur schöner, sondern auch die eigentliche Quelle von Poesie und Gesang.
5. Der Schauplatz am Oderstrand bringt eine regionale Erdung in das ansonsten mythologisch aufgeladene Gedicht: hier verschmelzen antike Mythen mit lokaler Topographie, wodurch das Gedicht in die barocke Tradition des poetischen Deutschland eingeordnet werden kann.
6. Die Fessel-Metapher am Ende verbindet sich assoziativ mit der barocken Topik der süßen Knechtschaft der Liebe, ein Motiv, das von der Antike bis in die höfische Dichtung des Barock tradiert ist.
1. Das Gedicht steht deutlich in der Tradition der barocken Liebeslyrik, die mythologische Stoffe und Allegorien auf die individuelle Geliebte überträgt. Das Verfahren erinnert an Opitz, Hofmannswaldau und Gryphius, wobei Abschatz eine spielerisch-übersteigerte Bildsprache nutzt.
2. Das Motiv des Schönheitswettstreits rekurriert auf die Antike (Paris-Urteil), wird aber barocktypisch ins Hyperbolische gesteigert, indem die Geliebte nicht nur gleichwertig, sondern allen Göttinnen überlegen wird.
3. Die enge Verbindung zwischen mythologischen Figuren (Venus, Aglaja, Apollo, Amor) und der realen Doris spiegelt die barocke Neigung, irdische Schönheit durch transzendente, kosmische Bilder zu legitimieren und zu erhöhen.
4. Die Verknüpfung von lokaler Landschaft (Oderstrand) mit antiker Mythenwelt verweist auf die barocke Kunstpraxis, das Regionale in eine universalistische, mythologisch-allegorische Perspektive einzubetten.
5. Die Schlusswendung zur Liebesknechtschaft ist typisch für die petrarkistische Tradition und deren barocke Weiterführung, in der sich die Unterordnung unter die Geliebte als höchste Freiheit präsentiert.
1. Die Strategie des Gedichts beruht auf einer fortlaufenden Steigerung (Konkurrenz mit Göttinnen → Überstrahlung Apollos → Überbietung der Nachtigall → Sieg über Amor). Diese barocke Klimax dient der absoluten Überhöhung der Geliebten.
2. Das Gedicht bewegt sich im Spannungsfeld von Mythologisierung und subjektiver Empfindung: Doris wird in mythische Vergleiche eingespannt, doch am Ende steht die persönliche Unterwerfung des lyrischen Ichs.
3. Der Diskurs über Schönheit verschmilzt mit dem Diskurs über Macht: Schönheit ist hier nicht nur ästhetische Qualität, sondern durchdringende, alles bezwingende Gewalt, die selbst göttliche Instanzen besiegt.
4. Der Text ist in der Tradition der Emblematik zu lesen: jede Strophe könnte als ein Emblem verstanden werden, das eine Szene (Wettstreit, Sonnenlicht, Nachtigall, Bogenschießen) mit einer moralischen oder poetischen Pointe verbindet.
5. Das Gedicht reflektiert zugleich über die Macht der Poesie selbst: Doris’ Gesang ist stärker als die Nachtigall, ihre Blicke sind mächtiger als Amors Pfeile – so wie auch das Gedicht stärker ist als die konventionelle Beschreibung, indem es Doris zur Allegorie dichterischer Inspiration macht.
1. Das Gedicht umfasst sechs Strophen zu je sechs Versen, was eine klare, symmetrische Struktur ergibt.
2. Die Reimform folgt dem Kreuzreim (ababcc bzw. variiert mit Binnenreimen), typisch für barocke Lyrik mit kunstvoller Ordnung und melodischem Fluss.
3. Der regelmäßige Versbau (meist jambisch, mit barocktypischer Variation) unterstützt die feierliche und zugleich spielerische Tonlage.
4. Die Gliederung nach Episoden (Schönheitswettstreit – Apollo – Nachtigall – Amor – Unterwerfung) sorgt für eine rhetorisch durchgestaltete Steigerung, die das Gedicht dramaturgisch trägt.
5. Typisch barock ist die Kombination von mythologischem Inventar mit pointierten Schlüssen: jede Strophe bringt einen kleinen Sieg Doris’ und leitet so in die nächste Überbietung über.
1. Das Gedicht stellt Doris in eine Reihe von Wettkämpfen, die sie allesamt siegreich besteht: zuerst gegen Göttinnen, dann gegen Aglaja, gegen Apollo, gegen die Nachtigall und schließlich gegen Amor selbst.
2. Diese Abfolge von Prüfungen ist mehr als ein Liebeslob: sie formt eine allegorische Darstellung der Allmacht weiblicher Schönheit, die zugleich ästhetisch, musikalisch und erotisch wirksam ist.
3. Durch die mythologischen Bezüge wird Doris aus der Sphäre des Alltäglichen in die Sphäre des Göttlichen und Übermenschlichen erhoben. Die Geliebte erscheint als Inkarnation einer alles beherrschenden Schönheit, die sogar die Götter überragt.
4. Der Sprecher tritt schließlich in eine Haltung der freiwilligen Unterwerfung, indem er seine Freiheit zu ihren Füßen legt und die Fessel der Liebe anbetet. Damit wird die barocke Dialektik von Knechtschaft und Freiheit, von Gewalt und Lust, von Schönheit und Macht auf den Punkt gebracht.
5. Das Gedicht ist somit ein typisches Beispiel barocker Kunstlyrik: es verbindet übersteigerte Metaphorik, mythologische Anspielungen, topographische Verankerung und eine strenge formale Ordnung zu einem Gesamtbild, das Doris als übermenschliche Gestalt und zugleich als Zentrum des subjektiven Begehrens feiert.