Die weiße Fillis
Lasst die bunten Tulpen weisen1
Ihrer hohen Farbe Zier/2
Lasst die edle Rose preisen/3
Zeig! Narciß und Nägeln für:4
Liljen/ die bey Fillis stehn/5
Sind für allen Blumen schön.6
Zephyr mit verliebten Küssen7
Spielt um ihren zarten Mund/8
Lässt die stoltze Flora wissen/9
Macht mit lindem Rauschen kund/10
Liljen/ die bey Fillis stehn/11
Sind für allen Blumen schön.12
Milch und Schnee kan nicht erreichen13
Ihrer reinen Weisse Pracht/14
Die Narcissen sind ingleichen15
Gegen ihrem Tage Nacht;16
Liljen/ die bey Fillis stehn/17
Sind für allen Blumen schön.18
Amor selbst hat/ sie zu pflegen/19
Mich zum Gärtner eingesezt.20
Meine Thränen sind der Regen21
Der sie nach und nach benezt/22
Biß mir Fillis mit der Zeit23
Sie zu brechen Gunst verleiht.24
Lasst die bunten Tulpen weisen1
Ihrer hohen Farbe Zier/2
Lasst die edle Rose preisen/3
Zeig! Narciß und Nägeln für:4
Liljen/ die bey Fillis stehn/5
Sind für allen Blumen schön.6
1 Lasst die bunten Tulpen weisen
Sprachlich: Der Imperativ Lasst eröffnet das Gedicht mit einem appellativen Gestus, der zugleich Abgrenzung einleitet. bunten Tulpen verbindet Farbreichtum mit einer gewissen Exotik (Tulpen als Modeblume des 17. Jahrhunderts, Importgut aus dem Osmanischen Reich). weisen ist hier im Sinne von zeigen, zur Schau stellen zu verstehen.
Rhetorisch: Der beginnt mit einer apostrophischen Wendung, ein Anruf an das Publikum, der auf eine Distanzierung hinausläuft: Man möge die anderen Blumen gewähren lassen. Es liegt eine deiktische Spannung im Wort weisen, das auf die Selbstdarstellung dieser Blumen zielt.
Inhaltlich: Gleich zu Beginn markiert das lyrische Ich die Konkurrenzsituation im Reich der Blumen. Die Tulpen dürfen ihre Farben entfalten, doch implizit wird schon eine Relativierung vorbereitet, denn es geht nicht um sie, sondern um Fillis.
2 Ihrer hohen Farbe Zier/
Sprachlich: Die Phrase hohen Farbe verweist auf eine Qualität von Rang und Würde. Zier steht sowohl für Schmuck als auch für eine äußerliche, vielleicht oberflächliche Schönheit.
Rhetorisch: Das Enjambement vom ersten in den zweiten verstärkt den Eindruck einer Ausweitung des Schmuckhaften. Parallelismus liegt im Zusammenspiel von Substantiv (Farbe) und Apposition (Zier) vor.
Inhaltlich: Der Gedanke der ersten Zeile wird präzisiert: Tulpen mögen sich in ihrem farblichen Prunk auszeichnen. Doch bleibt diese Schönheit äußerlich, ein Kontrast zur Reinheit, die Fillis’ Lilien später verkörpern wird.
3 Lasst die edle Rose preisen/
Sprachlich: Wieder beginnt der mit Lasst – eine anaphorische Wiederaufnahme des Imperativs, die Struktur und Nachdruck erzeugt. Die Rose wird als edel qualifiziert, ein fest verankertes Attribut in der europäischen Lyriktradition.
Rhetorisch: Durch die Wiederholung (Lasst …) entsteht ein repetitiver Gestus, der wie eine litaneiartige Aufzählung wirkt. preisen zeigt die Rose als Objekt des Lobes, sie ist von alters her Symbol der Liebe und Schönheit.
Inhaltlich: Das lyrische Ich gewährt auch der Rose ihren Platz, will aber nicht bei ihr verweilen. Schon ist die Richtung klar: Die Vergleichsobjekte häufen sich, um Fillis’ Schönheit in Kontrast zu stellen.
4 Zeig! Narciß und Nägeln für:
Sprachlich: Auffällig ist der Imperativ Zeig!, der abrupt den Tonfall verändert. Der Narziss und die Nelken (Nägeln) treten nun in die Szene. für am Versende ist hier archaisierend, vermutlich im Sinne von hervor, herbei, auf.
Rhetorisch: Mitten in der Aufzählung setzt ein exklamativischer Befehl ein – die Redeweise wird dramatischer. Es liegt eine Personifikation vor: Narziss (als mythische Figur) wird angerufen, ebenso wie die Blumen als Gegenüber.
Inhaltlich: Der Kreis der floralen Schönheiten weitet sich. Neben der exotischen Tulpe und der herrschenden Rose treten nun Narziss (Selbstverliebtheit, Spiegelmotiv) und Nelke (Zierde, Duft, mit Liebessymbolik). Aber noch immer ist es nur Vorstufe, noch nicht das Entscheidende.
5 Liljen/ die bey Fillis stehn/
Sprachlich: Liljen (Lilien) sind semantisch mit Reinheit, Jungfräulichkeit, makelloser Schönheit konnotiert. Der Zusatz die bey Fillis stehn lokalisiert sie unmittelbar in der Nähe der besungenen Frau – Fillis. Damit wird sie in ein Paradies aus Lilien gestellt.
Rhetorisch: Der öffnet sich auf eine Metonymie: Die Lilien sind nicht abstrakte Schönheit, sondern sie sind bei der Geliebten, sie umgeben sie, steigern sie. Das Lokaldeiktikum bey verweist auf Nähe und Zugehörigkeit.
Inhaltlich: Mit diesem wird die Wendung zur eigentlichen Aussage vollzogen: Nicht die allgemein bekannten Blumen sollen im Zentrum stehen, sondern die Lilien, die Fillis begleiten und ihren eigenen Wert spiegeln.
6 Sind für allen Blumen schön.
Sprachlich: Die Formulierung für allen Blumen ist eine ältere Wendung für vor allen Blumen, d. h. sie übertreffen alle anderen. schön steht hier als absoluter Superlativ ohne Steigerungsform, es ist die höchste Schönheit.
Rhetorisch: Der Satz bringt den Parallelismus der Strophe zu einem Schluss. Nach der Aufzählung folgt die abschließende Pointe. Der Satz hat den Charakter eines Urteilsspruches.
Inhaltlich: Damit ist der Vergleich abgeschlossen: Alle anderen Blumen, so prächtig sie auch seien, müssen hinter den Lilien zurückstehen, die Fillis begleiten. Fillis selbst erscheint als Krönung der Natur, deren Schönheit alles andere überbietet.
Zephyr mit verliebten Küssen7
Spielt um ihren zarten Mund/8
Lässt die stoltze Flora wissen/9
Macht mit lindem Rauschen kund/10
Liljen/ die bey Fillis stehn/11
Sind für allen Blumen schön.12
7 Zephyr mit verliebten Küssen
Sprachlich: Die Anrufung des Zephyr, des westlichen Windes, greift eine mythologische Personifikation auf. Verliebte Küsse ist eine Anthropomorphisierung des Windhauchs, der hier nicht meteorologisch, sondern erotisch codiert erscheint. Die Kombination von Zephyr und Küssen stellt ein poetisches Bildfeld der Zärtlichkeit her.
Rhetorisch: Personifikation und Metapher überlagern sich. Der Wind ist nicht mehr Naturphänomen, sondern handelnde Figur mit Absichten und Gefühlen. Die Alliteration von verliebten und Küssen verstärkt den sinnlichen Klang.
Inhaltlich: Zephyr als mythische Figur ist traditionell Bote des Frühlings und Spender von Liebeswärme. In der Szene tritt er in ein intimes Verhältnis zur Protagonistin Fillis, wodurch die Natur selbst ihre Schönheit und Anmut mit erotischer Energie kommentiert und bestärkt.
8 Spielt um ihren zarten Mund/
Sprachlich: Das Verb spielen evoziert Leichtigkeit und Unschuld, zugleich aber auch neckisches Umwerben. Zarter Mund ist ein klassisches Topos höfisch-galanter Poesie: Zartheit steht für Reinheit, Unschuld, aber auch sinnliche Anziehungskraft.
Rhetorisch: Das Bild arbeitet mit Metonymie (der Mund steht für die ganze Person, insbesondere für Kuss und Sprache). Gleichzeitig wird durch das Wort spielt eine musikalische Nuance eingeschrieben, die den Windhauch fast wie ein Instrument wirken lässt.
Inhaltlich: Der Wind tritt hier in die Rolle des Liebhabers, der mit spielerischer Zärtlichkeit die Schönheit Fillis’ umkreist. Zugleich deutet sich ein Moment der erotischen Spannung an: der Mund als Ort des Kusses, des Sprechens, des Singens.
9 Lässt die stoltze Flora wissen/
Sprachlich: Flora ist wiederum mythologisch besetzt – die römische Göttin der Blumen und des Frühlings. Stoltze charakterisiert sie als selbstbewusst und herrschaftlich. Lässt … wissen ist eine poetisch formulierte Wendung für Mitteilung oder Botschaft.
Rhetorisch: Hier wirkt die Allegorie doppelt: Zephyr sendet eine Botschaft an Flora, sodass sich ein Dialog innerhalb der mythischen Naturfiguren eröffnet. Parallelismus zu den anderen Versen der Strophe verstärkt die Struktur (erst Zuwendung zu Fillis, dann Mitteilung an Flora).
Inhaltlich: Der Liebeshauch Zephyrs hat nicht nur eine unmittelbare Wirkung auf Fillis, sondern transportiert ihr Lob in den weiteren Kosmos der Natur. Flora, als Repräsentantin der floralen Schönheit, wird quasi informiert, dass Fillis die eigentliche Blume unter den Blumen sei.
10 Macht mit lindem Rauschen kund/
Sprachlich: Lind verweist auf Sanftheit, Milde, zarte Qualität. Rauschen ist lautmalerisch: Es evoziert den Wind, aber auch eine zarte akustische Ästhetik. Kund machen ist ein frühneuzeitliches Idiom für bekannt geben.
Rhetorisch: Onomatopoetisch wirkt das Rauschen zugleich wie eine szenische Geräuschkulisse. Es wird zur poetischen Stimme der Natur, die ohne Worte, aber mit Klang Mitteilungen macht.
Inhaltlich: Zephyr wird hier zu einem Kommunikationsmedium zwischen Fillis und der göttlichen Flora. Sein Rauschen ist nicht zerstörerisch oder bedrohlich, sondern sanft – es spiegelt den zarten, galanten Ton der ganzen Szene.
11 Liljen/ die bey Fillis stehn/
Sprachlich: Die Lilie ist ein traditionelles Symbol der Reinheit, Unschuld und Schönheit. Die präzise Ortsangabe die bey Fillis stehn verbindet die reale Blume mit der idealisierten Figur, sodass die Natur in unmittelbarer Nähe als Spiegel ihrer Eigenschaften auftritt.
Rhetorisch: Hier arbeitet Abschatz mit dem Symbolismus der Emblematik. Lilien sind mehr als dekorative Blüten – sie fungieren als semiotische Zeichen für moralische und ästhetische Qualitäten.
Inhaltlich: Fillis wird in eine Umgebung gestellt, die ihre Tugenden reflektiert: Lilien umgeben sie, aber der Vergleich zielt schon auf eine Steigerung, die in 12 kulminiert.
12 Sind für allen Blumen schön.
Sprachlich: Für allen Blumen entspricht der frühneuzeitlichen Grammatik und bedeutet vor allen Blumen oder mehr als alle anderen Blumen. Schön ist hier in Superlativ-Funktion gebraucht, auch wenn kein expliziter Superlativ steht.
Rhetorisch: Der ist klimaktisch aufgebaut – auf die Beschreibung folgt der Höhepunkt. Die Lilien werden zum Maßstab des Schönen und übertreffen alle anderen Blumen. Hyperbolische Steigerung prägt die Aussage.
Inhaltlich: Das Lob richtet sich letztlich indirekt auf Fillis selbst: Die Lilien stehen ihr zur Seite, und ihrerseits gelten sie als die schönsten Blumen. Damit wird Fillis gleichsam zur Königin des floralen Kosmos erhoben, während Zephyr und Flora Zeugen ihres Vorrangs sind.
Milch und Schnee kan nicht erreichen13
Ihrer reinen Weisse Pracht/14
Die Narcissen sind ingleichen15
Gegen ihrem Tage Nacht;16
Liljen/ die bey Fillis stehn/17
Sind für allen Blumen schön.18
13 Milch und Schnee kan nicht erreichen
Sprachlich: Die Verbindung von Milch und Schnee greift zwei archetypische Bilder für Reinheit und Helligkeit auf. Beide Substantive sind unbestimmt (ohne Artikel), was den Eindruck von Allgemeinheit und Abstraktion verstärkt.
Rhetorisch: Eine Negativformel (kann nicht erreichen) eröffnet den Vergleich, indem sie bereits von vornherein die Überlegenheit von Fillis’ Weißheit behauptet. Es handelt sich um eine Art praeteritio des Vergleichs: die stärksten Referenzen für Reinheit genügen nicht.
Inhaltlich: Hier wird Fillis’ Hautfarbe bzw. ihre Erscheinung idealisiert und übernatürlich gesteigert. Milch und Schnee, zwei klassische Maßstäbe des Weißseins, sind unzulänglich, wenn man sie an ihrer Reinheit misst.
14 Ihrer reinen Weisse Pracht/
Sprachlich: Der Genitiv (ihrer) macht Fillis’ Schönheit zum Maßstab, nicht umgekehrt. Das Kompositum Weisse Pracht verbindet eine abstrakte Farbeigenschaft (Weisse) mit einem Ausdruck höfischer Erhabenheit (Pracht).
Rhetorisch: Hyperbolische Steigerung; die Farbe wird nicht nur beschrieben, sondern als Pracht inszeniert. Die Alliteration von Weisse – Pracht verstärkt den feierlichen Klang.
Inhaltlich: Fillis’ Körper oder Gesicht erstrahlt nicht einfach, sondern verkörpert ein ideales Weiß, das eine fast majestätische Qualität gewinnt. Die Schönheit ist nicht mehr natürlich, sondern beinahe auratisch.
15 Die Narcissen sind ingleichen
Sprachlich: Der Übergang von Milch und Schnee zu Blumen markiert eine Verschiebung vom unbelebten Naturstoff zum floralen Bild. Ingleichen (gleichfalls) setzt die Vergleichsstruktur fort, knüpft aber eine neue Ebene an.
Rhetorisch: Der leitet eine Antithese ein: obwohl Narzissen bekanntlich für Reinheit und Helligkeit stehen, wird implizit ihre Unzulänglichkeit vorbereitet.
Inhaltlich: Die Narzisse, Symbol für Reinheit, Frühling, aber auch für den selbstverliebten Narziss-Mythos, erscheint als weiterer Maßstab für Fillis’ Schönheit. Die Erwähnung stellt Nähe zu klassischer Mythologie her.
16 Gegen ihrem Tage Nacht;
Sprachlich: Pointierte Antithese: Tag (Fillis) vs. Nacht (Narzisse). Die Kurzform ihrem bindet den Tag eindeutig an Fillis. Die Reduktion der Narzisse auf Nacht ist sprachlich hart und absolut.
Rhetorisch: Starke antithetische Wendung, zugleich eine Hyperbel: ein Blumenbild (Narzisse) wird zur Dunkelheit degradiert, weil es Fillis nicht standhält.
Inhaltlich: Fillis’ Leuchten überstrahlt sogar die hellste Blume; sie ist Licht selbst, während alles andere im Vergleich zur Finsternis wird. Hier verdichtet sich das Motiv der Vergöttlichung: Fillis wird zur strahlenden Sonne.
17 Liljen/ die bey Fillis stehn/
Sprachlich: Die Lilien, traditionell Symbol der Reinheit und Jungfräulichkeit, werden nun explizit in den Umkreis Fillis’ gestellt. Stehn suggeriert Nähe, Vergleich, aber auch eine Art untergeordneter Gefolgschaft.
Rhetorisch: Die Apposition die bey Fillis stehn ist wie eine Bühne arrangiert: Fillis als Zentrum, die Lilien als Beiwerk. Rhetorisch dient dies der Hierarchisierung.
Inhaltlich: Auch das Höchstmaß der Blütenschönheit, die Lilie, verliert an Eigenwert, sobald sie neben Fillis gestellt wird. Der Text betont Fillis’ Überlegenheit, indem er die erhabensten Naturbilder unterordnet.
18 Sind für allen Blumen schön.
Sprachlich: Der allgemeine Satz (allen Blumen) verstärkt den Absolutheitsanspruch. Für … schön ist eine Formulierung, die normative Geltung beansprucht – die Lilien gelten schlechthin als schön.
Rhetorisch: Dies ist ein concessio: Ja, Lilien sind die schönsten Blumen – aber der Subtext der vorigen Verse bereitet die Relativierung vor. Das Schönste der Natur dient nur als Folie, um Fillis’ noch größere Schönheit zu unterstreichen.
Inhaltlich: Der Höhepunkt der Strophe: selbst das, was allgemein als schönste Blume gilt, verblasst neben Fillis. Damit wird die Hierarchie abgeschlossen: Milch, Schnee, Narzissen und selbst Lilien – alle Symbole höchster Reinheit – sind übertroffen.
Amor selbst hat/ sie zu pflegen/19
Mich zum Gärtner eingesezt.20
Meine Thränen sind der Regen21
Der sie nach und nach benezt/22
Biß mir Fillis mit der Zeit23
Sie zu brechen Gunst verleiht.24
19 Amor selbst hat/ sie zu pflegen/
Sprachlich: Der Einsatz von Amor (lateinisch für Liebesgott Cupido) steht in der Tradition barocker Dichtung, die gern mythologische Chiffren für psychische Zustände und zwischenmenschliche Dynamiken verwendet. Die Umstellung hat … sie zu pflegen ist syntaktisch nicht modern, sondern barocke Konstruktion, die den emphatischen Effekt verstärkt.
Rhetorisch: Invocation des Liebesgottes als Autoritätsargument; eine Personifikation, die den Liebesdienst sakralisiert. Es handelt sich um eine metaphorische Verschiebung: die Pflege einer Blume steht zugleich für die Fürsorge um die Geliebte.
Inhaltlich: Amor selbst wird als Hüter und Pfleger der weißen Fillis eingesetzt, wodurch das lyrische Ich die Geliebte oder das Symbol ihrer Reinheit in einen größeren kosmischen Rahmen der Liebesordnung stellt. Die Pflege deutet auf Zartheit und Bewahrung hin.
20 Mich zum Gärtner eingesezt.
Sprachlich: Das Ich tritt nun explizit auf, durch die direkte Nennung Mich. Der barocke Duktus eingesezt ist archaisch für eingesetzt.
Rhetorisch: Die Parallelisierung Amor = Herr, lyrisches Ich = Gärtner ist eine allegorische Rollenverteilung. Das lyrische Ich tritt in ein hierarchisches System ein, in dem Amor die Befehlsgewalt besitzt.
Inhaltlich: Das Ich ist nicht der Herr der Situation, sondern ein von Amor beauftragter Diener. Damit wird die Demut des Sprechers gegenüber der Macht der Liebe deutlich. Er pflegt Fillis, aber nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sondern als Werkzeug einer höheren Instanz.
21 Meine Thränen sind der Regen
Sprachlich: Metaphorische Gleichsetzung: Thränen als Naturphänomen Regen. Der Vergleich gehört zum barocken Muster der Naturmetaphorik, wo Seelenregungen in Naturerscheinungen übersetzt werden. Orthographie (Thränen) verweist auf die barocke Schreibung.
Rhetorisch: Klassische Metapher, zugleich ein Konzept der Pathetisierung: das Leiden des Ich wird zu einem lebensspendenden Element. Die Träne als Regen ist eine Umwertung – Schmerz wird fruchtbar.
Inhaltlich: Das Leiden, der Kummer und die Liebe des Ich sind zugleich der Nährstoff für die Blume Fillis. Ohne Tränen gäbe es kein Wachstum – Liebe und Schmerz verschränken sich.
22 Der sie nach und nach benezt/
Sprachlich: benezt (befeuchtet, begossen) ist ein sinnlich-konkretes Verb, das den physischen Vorgang des Benetzens ins Bild setzt. Das Enjambement verstärkt den Fluss von 21 zu 22.
Rhetorisch: Personifikation der Blume Fillis, die wie ein Subjekt vom Regen benetzt wird; zugleich eine metonymische Erweiterung: Tränen → Regen → Pflege.
Inhaltlich: Die Tränen des Ich wirken nicht plötzlich, sondern nach und nach – das verweist auf Dauer, Geduld und das langsame Reifen einer Beziehung oder Gunstbezeugung. Der Liebesprozess ist organisch, naturhaft, nicht erzwungen.
23 Biß mir Fillis mit der Zeit
Sprachlich: Biß ist die ältere Orthographie für bis. Der Ausdruck mit der Zeit signalisiert ein zögerliches, aber erwartetes Eintreten.
Rhetorisch: Erwartungshaltung wird durch ein temporales Adverb (mit der Zeit) abgeschwächt – es geht nicht um unmittelbare Erfüllung, sondern um Hoffnung auf eine künftige Entwicklung.
Inhaltlich: Fillis, die hier zugleich Blume und Geliebte ist, besitzt die Macht, das Ich zu erhören. Die Zeit wird zur Instanz der Vermittlung: Geduld, Ausdauer und Treue werden als Voraussetzung für Erfüllung markiert.
24 Sie zu brechen Gunst verleiht.
Sprachlich: brechen ist hier doppelbödig: es kann das Pflücken der Blume bedeuten, aber auch im übertragenen Sinn die erotische Aneignung oder das Gewinnen der Geliebten. Gunst verweist auf höfische Liebessemantik: die Zuneigung, die Erlaubnis, die Gnade.
Rhetorisch: Metapher und Doppeldeutigkeit: das Pflücken der Blume als Chiffre für erotische Erfüllung; zugleich ein höfisch-barockes Codewortsystem.
Inhaltlich: Das Ich darf – wenn Fillis die Gunst verleiht – die Blume brechen. Damit endet die Allegorie in der Hoffnung auf Erfüllung, die jedoch an die Freiheit und Zustimmung der Geliebten gebunden ist. Die letzte Instanz ist nicht Amor oder das Ich, sondern Fillis selbst.
1. Komparativ-Exordium (Str. 1): Das Gedicht eröffnet mit einer Parade klassischer Blumenmetaphern (Tulpen, Rose, Narziss, Nägeln/Nelken). In einem barocken, petrarkistisch gefärbten Blason wird die Konkurrenzflora aufgerufen, um sie sogleich hinter den Lilien zurücktreten zu lassen. Der Refrain Liljen / die bey Fillis stehn / Sind für allen Blumen schön schließt die Strophe als bindende Sentenz: Schönheit kulminiert am Ort (bei) Fillis.
2. Animiertes Natur-Intermedium (Str. 2): Die Natur wird personifiziert: Zephyr (Westwind) küsst spielerisch den zarten Mund der Geliebten, Flora wird belehrt. Die Außenwelt bestätigt performativ, was die erste Strophe behauptet: Fillis’ Präsenz adelt die Lilien über alle florale Konkurrenz. Der Refrain wiederholt, verfestigt und steigert die Behauptung als Naturgesetz.
3. Steigerung durch Hyperbel und Polarität (Str. 3): Weißmetaphorik (Milch und Schnee) — klassische Reinheits-Topoi — kann nicht erreichen diese Pracht; Narzissen werden nun explizit in ein Tag–Nacht-Gegensatzpaar gestellt: Gegen Fillis’ Tag ist selbst die (sonst hell gedachte) Narzisse Nacht. Der Refrain fungiert als Fazit einer metaphysischen Skala der Helligkeit: Fillis als Licht-Quelle, die die Weltfarbwerte neu kalibriert.
4. Narrativer Umschlag ins Ich (Str. 4): Der Auftritt Amors leitet den Wechsel von objektivierender Preisung zur Ich-Handlung ein: Der Sprecher wird zum Gärtner eingesezt; Tränen fungieren als Regen, der die Lilien befeuchtet. Die Finalformel des Gedichts verlegt die Erfüllung in die Zukunft und in Gnade: Erst mit der Zeit und sofern Fillis Gunst verleiht, dürfen die Lilien gebrochen werden. Organisch wächst das Gedicht vom objektiven Vergleich über kosmische Bestätigung zur subjektiven, ethisch aufgeladenen Bitte.
1. Idealisierung & Projektion: Fillis wird zur Projektionsfläche eines Reinheits- und Lichtideals (Weiß, Lilie, Tag), durch das der Sprecher seine Begehrenserregung moralisch sublimiert.
2. Begehrensregulation: Die Refrainstruktur stabilisiert das Begehren, das sonst in barocker Affektdynamik ausufern könnte: Wiederholung als Selbstberuhigung.
3. Ambivalenz von Nähe und Distanz: Bey Fillis markiert topographische Nähe, doch der Zugriff bleibt aufgeschoben: Das Begehren bleibt kontrolliert (kultiviert) und wird in Pflegetätigkeit umgeleitet.
4. Selbstfigurierung als Dienender: Das Ich wählt die Rolle des Gärtners — nicht des Besitzers. Das mildert aggressives Begehren, bindet es an Sorge, Zeit und Geduld.
5. Affektökonomie der Tränen: Tränen werden produktiv umcodiert: Nicht Zeichen von Schwäche, sondern Wirkmittel (Regen), die im inneren Arbeitsmodell des Liebenden Sinn stiften.
6. Kontingenzbewusstsein: Die erhoffte Erfüllung hängt an Gunst — psychologisch: Anerkennen der Unverfügbarkeit des Anderen; Abwehr narzisstischer Kränkung durch religiös-anmutende Demut.
1. Consent & Gunst: Das Brechen der Lilien geschieht nur, wenn Fillis Gunst verleiht: implizite Ethik der Zustimmung statt erzwungenen Zugriffs.
2. Custodia vs. Konsum: Der Liebende pflegt statt zu besitzen; Kultur der Sorge ersetzt Besitzlogik.
3. Sprache der Zucht: Lilie und Weiß kodieren Keuschheit; die Ethik der Zähmung des Eros durch Reinheitssemantik ist barock-standesgemäß.
4. Wettstreit ohne Herabwürdigung: Die Konkurrenz der Blumen dient nur der Hervorhebung; sie wird nicht verächtlich gemacht, sondern überboten — Ethos des zivilen Vergleichs.
5. Maß und Geduld: Zeitlichkeit (mit der Zeit) begründet eine Tugendethik der Geduld, die das ungeduldige Verlangen diszipliniert.
1. Symbolik der Lilie (Marianisch-asketisch): Die Lilie evoziert Reinheit, Unbeflecktheit, auch mariologische Konnotationen. Fillis wird nicht vergöttlicht, aber in eine Heiligkeits-Aura gerückt; Weiß ist nicht nur Farbe, sondern Qualität des Seins.
2. Lichtmetaphysik: Gegen ihrem Tage Nacht aktualisiert eine Neuplatonische Hierarchie: Das Schöne als Lichtquelle, die Dinge partizipieren daran. Fillis erscheint als epiphanes Medium des Seinsglanzes.
3. Eros und Agape in Spannung: Amor (heidnisch, begehrend) steht neben Ethiken der Reinheit (christlich, agapisch). Die Lösung: Askese des Eros — Begehren wird zur Pflege transformiert; Tränen werden zum sakramentalen Gnadenmittel (Regen).
4. Zeit und Gnade: Gunst verleiht deutet eine Gnadenökonomie an: Erfüllung ist Gabe, nicht Leistung. Der Liebende kann nur disponieren (pflegen, benetzen), nicht disponieren über (brechende Aneignung).
5. Kosmische Einordnung des Begehrens: Zephyr und Flora fungieren als kosmische Zeugen: Die Ordnung des Alls bestätigt die Ordnung des Herzens. Natur wird zur Theophanie, in der das Schöne sich mitteilt.
6. Tränen-Theologie: In der christlichen Mystik sind Tränen Zeichen metanoischer Läuterung; hier werden sie funktionalisiert — Gnade durch Affektarbeit. Das Leid des Wartens bewässert die Tugend.
7. Grenze der Idolatrie: Das Gedicht balanciert auf der Linie zwischen Verehrung und Vergöttlichung der Geliebten. Die abschließende Bitte um Gunst bewahrt Transzendenz: Das Andere bleibt souverän.
1. Keuschheit und Zurückhaltung: Der Sprecher akzeptiert Grenzen und verschiebt Erfüllung bis zur gewährten Gunst — moralischer Primat der Zurückhaltung.
2. Dienstethos: Gärtner-Metapher als Moralkonzept: Pflicht, Sorgfalt, Beständigkeit ersetzen impulsive Aneignung.
3. Würde des Anderen: Fillis ist Ursprung der Wertung; ihre Nähe adelt die Dinge. Das impliziert eine Anerkennungs-Moral, die das Andere nicht instrumentalisiert.
4. Überbietung durch Qualität, nicht Gewalt: Schönheit der Lilien bei Fillis entsteht relational, nicht durch Zwang; Moral des Beziehungsraums statt Dominanz.
5. Affektkontrolle als Tugend: Das Gedicht modelliert ein Ethos der Affektsteuerung — der Liebende leitet sein Begehren in nützliche Pflege um, statt es zu entladen.
Das Gedicht rückt die weiße Fillis in den Mittelpunkt einer vegetabilen Symbolwelt. In anthroposophischer Lesart wird hier die Korrespondenz zwischen Natur und Seele betont: Blumen sind nicht nur äußere Zier, sondern Ausdruck geistiger Wesenheiten.
Die Lilien, die bey Fillis stehn, erscheinen als sichtbarer Ausdruck einer höheren Reinheit, die auf die seelische Gestalt der Geliebten verweist.
Weiß – als Farbe der Vergeistigung und Unschuld – erhält eine transzendente Funktion. Die Einheit von menschlicher Gestalt, Blume und kosmischen Kräften (Zephyr, Flora, Amor) deutet eine Welt an, in der Mensch, Natur und Götterwesen organisch ineinander greifen, ganz im Sinne einer geistdurchwirkten Naturauffassung.
Die Schönheit der Geliebten wird durch den Vergleich mit den klassischsten Schönheitsrepräsentanten der Natur (Tulpen, Rosen, Narzissen, Nelken, Lilien) inszeniert. Doch all diese Blumen verlieren an Glanz gegenüber den Lilien bey Fillis. Damit wird ein Prinzip ästhetischer Steigerung verfolgt: der Text hebt das bekannte Ideal (die Blumen) empor, um es sogleich durch die Darstellung des Höheren (Fillis) zu übertreffen.
Weiß fungiert als Schlüsselästhetikum, das Reinheit, Erhabenheit und ein Über-Blumenhaftes symbolisiert.
Die Strophenstruktur, die in der Wiederholung des Refrains (Liljen/ die bey Fillis stehn/ Sind für allen Blumen schön) mündet, trägt zur ästhetischen Symmetrie und Harmonisierung bei.
Das Gedicht arbeitet mit klassischen Stilmitteln der Emblematik: Vergleich (Fillis übertrifft Tulpe, Rose, Narzisse, Milch, Schnee), Personifikation (Zephyr küsst, Flora erkennt, Amor pflegt), Anapher/Wiederholung (die refrainsartige Doppelzeile 5–6, 11–12, 17–18).
Die Rhetorik ist ornamental und emphatisch; sie richtet sich darauf, Fillis’ Schönheit durch die Fülle der Bilder unantastbar zu machen. Gleichzeitig erzeugt die Repetition eine litaneiartige, fast hymnenhafte Form.
Auffällig ist auch der Rollenwechsel in der vierten Strophe: Der Sprecher selbst tritt hervor, wird vom Betrachter und Lobenden zum Gärtner, wodurch ein rhetorischer Umschlag von objektiver Preisung zu subjektiver Beteuerung erfolgt.
Hinter der floralen Bildsprache verhandelt das Gedicht das Verhältnis von Natur, Mythos und Subjekt. Die Blumen sind nicht bloß dekorative Elemente, sondern Medien der Wertbestimmung: Natur dient als Spiegel für Schönheit, Liebe und seelische Reinheit.
Auf der Metaebene reflektiert das Gedicht, dass menschliche Empfindung nur über Natur- und Mythensprache artikuliert werden kann. Der Dichter zeigt, wie sich poetische Rede über Blumen als semantisches System organisiert, in dem sich Schönheit als ein Konkurrenzverhältnis entfaltet: die Blumenwelt ist eine Bühne für den Vorrang der Geliebten.
Das Gedicht zeigt sich selbst als poetische Blume: regelmäßig gebaut, ornamental wiederholend, auf Zier und Glanz ausgerichtet.
Die Verwendung mythischer Figuren (Zephyr, Flora, Amor) verweist auf die poetische Tradition, in der Natur und Mythos untrennbar verbunden sind. Gleichzeitig offenbart sich im Schluss (19–24) eine poetologische Selbstreflexion: der Dichter wird zum Gärtner, dessen Tränen den poetischen Regen darstellen, der die Blume (Fillis’ Bild) am Leben erhält.
Damit wird die Liebesdichtung selbst als Pflege- und Wachstumsakt ausgewiesen. Poesie ist hier die gärtnerische Kunst des Erhaltens, Befeuchtens und schließlich Einforderns einer Gunst. In dieser Figur schimmert eine poetologische Allegorie: das Gedicht selbst ist die kultivierte Lilie, genährt durch Tränen und Sprache.
Blumenmetaphorik: Die gängigen Schönheitsmetaphern des Barock – Tulpen, Rosen, Narzissen, Lilien – erscheinen, um die Geliebte zu charakterisieren. Doch alle werden übertroffen von den Lilien, die bey Fillis stehn, wodurch Fillis’ Reinheit und Schönheit transzendentalisiert wird.
Weiß als Symbol: Das Weiße (Schnee, Milch, Lilien) wird zum Inbegriff der Reinheit, Unschuld und überirdischen Schönheit.
Natur als Allegorie: Zephyr (Westwind) und Flora (Göttin des Frühlings) sind mythologische Personifikationen, die der Schönheit Fillis’ huldigen.
Liebe als Gärtnerkunst: Amor setzt den Sprecher selbst als Gärtner ein – seine Tränen sind der Regen, der Fillis’ Schönheit pflegt. Die Naturpflege wird zum Bild für treue Liebe und leidenschaftliche Hingabe.
Das Brechen der Blume: Wenn Fillis die Gunst verleiht, die Blume zu brechen, wird das als Metapher für erotische Erfüllung gedeutet – zart verhüllt, aber klar anspielend.
Vergleich mit anderen Mythen: Narcissus (Selbstverliebtheit) wird relativiert – seine Schönheit ist Nacht gegen Fillis’ Tag.
Polarität von Natur und Leidenschaft: Naturbilder (Reinheit, Zartheit, Weißheit) stehen in Verbindung mit Gefühlen (Küsse, Tränen, Amor).
Barocke Dialektik: Tränen sind ambivalent: Ausdruck von Schmerz und zugleich befruchtender Regen.
Erinnerung an Petrarkismus: Die ideale Geliebte wird in Überbietungslogik über alle bekannten Blumen und Schönheitsmetaphern erhoben – typisch für petrarkistische Tradition.
Eros als kosmisches Prinzip: Durch das Zusammenspiel von Wind, Blumen, Göttern und Amor wird Fillis’ Schönheit universell in die Naturordnung integriert.
Barocke Liebeslyrik: Das Gedicht steht exemplarisch im Kontext der galanten Dichtung des späten 17. Jahrhunderts, geprägt durch spielerische Eleganz, mythologische Anspielungen und kunstvolle Naturmetaphorik.
Rezeption klassischer Antike: Der Rückgriff auf Flora, Zephyr, Amor, Narcissus bindet das Gedicht an die Tradition des Renaissance-Humanismus, vermittelt durch Petrarkismus und Hofpoesie.
Sprachliche Eigenheit: Abschatz als Vertreter der schlesischen Dichterschule (neben Opitz, Gryphius, Lohenstein, Hofmannswaldau) zeigt hier den galanten, höfisch-leichten Ton, weniger die düstere Vanitas-Schwere.
Weiß als Farbsymbolik: In der barocken Bildsprache spielt Weiß eine doppelte Rolle: Reinheit, Unschuld – aber auch erotische Verlockung und Körperlichkeit (Milch, Hautfarbe).
Motivik der Überbietung: Das Gedicht funktioniert nach dem rhetorischen Prinzip der comparatio und superlatio: Die Schönheit Fillis’ übertrifft alle Vergleichsobjekte (Tulpe, Rose, Narzisse, Milch, Schnee).
Refrainstruktur: Die immer wiederkehrende Wendung Liljen, die bey Fillis stehn / Sind für allen Blumen schön gibt dem Gedicht liedhaften, fast refrainhaften Charakter – typisch für die barocke Lieddichtung.
Topik der unerreichbaren Geliebten: Fillis’ Schönheit ist überirdisch, unerreichbar – erst mit der Zeit wird dem Dichter die Gunst des Brechens gewährt. Hier liegt ein subtiles Spiel zwischen Züchtigkeit und erotischer Erwartung.
Kunstvoller Wechsel zwischen Natur- und Mythologiebezügen: Naturbeschreibung und mythologische Personifikation verschränken sich, wodurch eine poetische Welt entsteht, die Schönheit, Liebe und Kosmos verbindet.
Selbstpositionierung des Dichters: Der Sprecher ist zugleich Bewunderer, Diener und Gärtner – ein Bild für den Dichter selbst, der durch Sprache (Tränen als Regen) die Schönheit pflegt und erhält.
Umfang: 4 Strophen à 6 Verse (insgesamt 24 Verse).
Versmaß und Rhythmus: jambisch geprägt, mit regelmäßigen Kadenzen, eher liedhaft als streng metrisch.
Reimschema: Kreuzreime und Paarreime wechseln, teils durch Wiederholung unterbrochen. Typisch barock ist die Variabilität zugunsten klanglicher Eleganz.
Refrain: Die Verse 5–6, 11–12, 17–18 wirken wie ein Kehrreim, schaffen Einheit und Struktur.
Klangfiguren: Alliteration (Milch und Schnee), Parallelismen, mythologische Namensklänge.
Sprachliche Mischform: Mischung aus volkstümlich-liedhafter Einfachheit und kunstvoller mythologischer Gelehrsamkeit – eine Signatur des Barock.
Abschatz’ Gedicht Die weiße Fillis ist ein paradigmatisches Beispiel galanter Barockdichtung: In kunstvoller Überbietungslogik wird die Schönheit der Geliebten Fillis über alle bekannten Natur- und Mythosbilder gestellt.
Blumen – Tulpen, Rosen, Narzissen, Lilien – dienen als Vergleich, werden jedoch letztlich durch die einzigartige weiße Schönheit Fillis’ transzendiert.
Weiß erscheint dabei als Symbol von Reinheit, Unschuld und strahlender, fast überirdischer Schönheit, zugleich aber auch als leise erotisch konnotierte Hautmetaphorik.
Die Natur selbst – Zephyr, Flora, Amor – beugt sich der Schönheit der Geliebten, wodurch diese gleichsam in den Kosmos integriert wird. Der Sprecher tritt als dienender Gärtner auf, dessen Tränen der Regen sind, der die Pflanze (die Geliebte) nährt. Dieses Bild verbindet Liebesleid und Treue mit Pflege, Hingabe und kultivierter Sehnsucht.
Formal strukturiert der Kehrreim den Text und verleiht ihm liedhafte Musikalität. Rhetorisch wird die Geliebte durch Vergleiche in eine unerreichbare Höhe gehoben, bis am Ende die Hoffnung auf Gunst und Erfüllung durch das Brechen der Blume aufscheint – eine metaphorisch verschlüsselte Anspielung auf körperliche Vereinigung.
So verbindet das Gedicht Naturmetaphorik, mythologische Allegorie und galante Erotik zu einer poetischen Miniatur barocker Liebeskunst, die sowohl spielerisch leicht als auch kunstvoll hochstilisiert ist.