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Johann Wolfgang Goethe
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Elisium
an Uranien

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elisium.

Wie du das erstemal
Liebahndend dem Fremdling
Entgegentratst,5
Und deine Hand ihm reichtest,
Fühlt er alles voraus
Was ihm für Seligkeit
Entgegen keimte.

Uns gaben die Götter10
Auf Erden Elisium.

Wie du den liebenden Arm
Um den Freund schlangst,
Wie ihm Lilas Brust
Entgegen bebte,15
Wie ihr euch rings umfassend
In heilger Wonne schwebtet,
Und ich, im Anschaun selig
Ohne sterblichen Neid
Darneben stand20

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elisium

Wie durch heilige Täler wir
Hand in Hände wandelten,
Und des Fremdlings Treu25
Sich euch versiegelte;
Daß du dem liebenden
Stille sehnenden
Die Wange reichtest
Zum himmlischen Kuß30

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elisium

Wenn du fern wandelst
Am Hügelgebüsch,
Wandeln Liebesgestalten35
Mit dir den Bach hinab.
Wenn mir auf dem Felsen
Die Sonne niedergeht
Seh ich Freundegestalten
Mir winken durch40
Wehende Zweige
Des dämmernden Hains.

Uns gaben die Götter
Auf Erden Elisium.

Seh ich verschlagen45
Unter schauernden Himmels
Öde Gestade,
In der Vergangenheit
Goldener Myrtenhainsdämmerung
Lilan an deiner Hand,50
Seh mich schüchternen
Eure Hände fassen —
Bittend blicken
Eure Hände küssen —
Eure Augen sich begegnen55
Auf mich blicken, seh ich,
Werfe den hoffenden Blick

Auf Lila, sie nähert sich mir.
Himmlische Lippe!
Und ich wanke, nahe mich,60
Blicke, seufze, wanke —
Seligkeit! Seligkeit!
Eines Kusses Gefühl!

Mir gaben die Götter
Auf Erden Elisium!65

Ach, warum nur Elisium!

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