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Johann Wolfgang Goethe
Sämtliche Gedichte

Geniezeit
Gelegenheiten
Verstreutes

(Parodie auf Gleim, J. G. Jacobi und andere)

Flieh, Täubchen, flieh!
Er ist nicht hie,
Der dich an dem schönsten Frühlingsmorgen
Fand im Wäldchen, da du dich verborgen.
Flieh, Täubchen, flieh!5
Er ist nicht hie.
Böser Laurer Füße rasten nie.

Horch, Flötenklang,
Liebesgesang,
Wallt auf Lüftchen hin zu Chloens Ohre10
Findt im zarten Herzen offne Tore.
Horch, Flötenklang!
Liebesgesang!
Horch, es wird der süßen Lieb' zu lang!

Hoch ist sein Schritt,15
Fest ist sein Tritt,
Schwarzes Haar auf runder Stirne bebet,
Auf den Wangen ewiger Frühling lebet.
Hoch ist sein Schritt,
Fest ist sein Tritt!20
Edler Deutscher Füße gleiten nit!

Warm ist die Brust,
Keusch seine Lust!
Schwarze Augen unter runden Bogen
Sind mit zarten Falten schön umzogen.25
Warm ist die Brust,
Keusch seine Lust!
Auch beim Anblick du ihn lieben mußt.

Rot ist sein Mund,
Der mich verwundt!30
Auf den Lippen träufeln Morgendüfte,
Auf den Lippen säuseln süße Lüfte!
Rot ist sein Mund,
Der mich verwundt!
Nur ein Blick von ihm macht mich gesund.35

Treu ist sein Blut!
Stark ist sein Mut!
Schutz und Stärke wohnt in weichen Armen,
Auf dem Antlitz wohnt edles Erbarmen!
Treu ist sein Blut!40
Stark ist sein Mut!
Selig wer an seinem Busen ruht!

So ist der Held,
Der mir gefällt!
Soll mein deutsches Herz mit weichen Flöten45
Rasches Blut in meinen Adern röten.
So ist der Held,
Der mir gefällt!
Ihn vertausch' ich nicht um eine Welt!

Singt, Schäfer, singt,50
Wie's euch gelingt!
Wieland soll nicht mehr mit seines gleichen
Edlen Mut von unsrer Brust verscheuchen.
Singt, Schäfer, singt,
Wie's euch gelingt!55
Bis ihr deutschen Glanz zu Grabe bringt.

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