faust-1-02-9-vorspiel auf dem theater

Vorspiel auf dem Theater. (9)

Director, Theaterdichter, lustige Person.

Director.
Der Worte sind genug gewechselt,214
Sprecherrolle: Der Direktor steht als Vertreter der Theaterpraxis – im Gegensatz zu den anderen Figuren (Dichter und Lustige Person), die eher Idealismus (Kunst um der Kunst willen) oder Kommerzialisierung (Unterhaltung) vertreten.
Ton und Haltung: Der Vers ist ein Ausruf des Ungeduldigen. Der Direktor wirkt pragmatisch und nüchtern. Er hat genug von den Debatten und Theorien über das Theater und fordert Effizienz.
Sprachebene: Der Vers beginnt mit einer Formel, die beinahe sprichwörtlich wirkt. Der Gebrauch des Perfekts »sind gewechselt« statt »wurden gewechselt« betont den abgeschlossenen Zustand – es reicht nun.
Semantik: Das Verb »wechseln« legt nahe, dass Worte hin und her geschoben wurden, wie Münzen oder Ware. Dies unterstellt ihnen eine gewisse Beliebigkeit oder Austauschbarkeit – eine subtile Kritik an bloßem Gerede ohne Wirkung.

Laßt mich auch endlich Thaten sehn;215
Appellcharakter: Die Imperativform »Laßt mich … sehn« verleiht dem Satz Nachdruck. Der Direktor fordert die anderen (und indirekt das ganze Theaterwesen) zur Handlung auf.
Temporaladverb »endlich«: Dieses Wort drückt Dringlichkeit und Geduld am Ende aus. Es signalisiert, dass der Direktor die Worte lange genug toleriert hat.
»Thaten« im emphatischen Sinn: In der Goethezeit galt »Tat« oft als Gegenbegriff zum bloßen »Reden«. Sie steht hier für Handlung, Praxis, Umsetzung – und deutet bereits das Grundmotiv des Faust an: den Konflikt zwischen Wort/Geist und Handlung/Leben.
Dramaturgische Funktion: Diese Zeile wirkt wie ein programmatischer Auftakt für das ganze Stück. Sie greift Goethes eigene Theaterästhetik auf: Kunst soll nicht nur reflektieren, sondern wirken. Im Kontext des späteren Faust-Monologs (etwa: »Am Anfang war die Tat«) gewinnt diese Zeile prophetische Qualität.
Zusammenfassend 214-215
Insgesamt spiegeln diese beiden Verse einen zentralen Spannungsbogen im Faust: den zwischen Wort und Tat, Geist und Leben, Theorie und Praxis. Der Direktor fungiert hier als Stimme der Aktion – ein Gegengewicht zur bloßen Reflexion.

Indeß ihr Complimente drechselt,216
»Indeß« (veraltet für »während«) signalisiert eine gewisse Ungeduld: Während die anderen sich mit Nebensächlichkeiten beschäftigen, soll etwas Praktisches geschehen.
»Complimente drechselt« ist eine metaphorische Formulierung: »drechseln« meint das kunstvolle, aber leere Herstellen (ursprünglich von Holzdrechslerarbeiten). Es beschreibt hier das formelhafte, rhetorische Schönreden. Gemeint ist die sprachliche Eitelkeit oder Selbstverliebtheit etwa des Dichters oder Lustigen.
Die Kritik zielt auf übermäßige Ästhetisierung ohne praktischen Nutzen ab – also ein Seitenhieb auf die idealistische, vielleicht selbstgefällige Haltung des Dichters im Vorspiel.

Kann etwas nützliches geschehn.217
Der Direktor stellt den Nutzen in den Mittelpunkt – das ist sein Maßstab.
»etwas nützliches« verweist auf konkretes Handeln, greifbare Wirkung – etwa das Vorbereiten der Theateraufführung, das Gewinnen von Publikum, vielleicht auch finanziellen Erfolg.
Der Satz ist bewusst schlicht formuliert – im Gegensatz zum »Complimente drechseln«. Das unterstreicht den Kontrast zwischen praktisch-zielgerichtetem Handeln (Direktor) und künstlerischem Idealismus (Dichter).
Zusammenfassend 216-217
Der Direktor weist die beiden anderen Figuren (Dichter und Lustige Person) zurecht: Während sie sich mit kunstvoller Rede oder Späßen aufhalten, fordert er Handeln und Nutzen. Goethes Text spielt hier eine frühe Konfrontation aus zwischen Kunstidealismus und pragmatischer Theaterpraxis, ein zentrales Spannungsfeld, das sich durch das ganze Faust-Drama zieht.

Was hilft es viel von Stimmung reden?218
Dieser Vers bringt eine pragmatische, vielleicht sogar spöttisch-kritische Haltung zum Ausdruck. Der Direktor reagiert hier auf die eher idealistischen oder künstlerisch motivierten Gedanken des Dichters und des Lustigen Menschen, die zuvor über das Theater, die Kunst und die emotionale Wirkung auf das Publikum gesprochen haben.
»Was hilft es«: Diese rhetorische Frage ist nicht auf echte Antwortsuche ausgerichtet, sondern signalisiert Ablehnung oder Skepsis. Der Ausdruck hebt hervor, dass bloßes Reden – hier über »Stimmung« – nutzlos erscheint.
»viel von Stimmung reden«: »Stimmung« meint hier die künstlerische Atmosphäre, das Gefühl, das ein Werk oder eine Szene hervorrufen soll – ein zentraler Begriff der Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts. Der Direktor stellt infrage, ob solches Reden einen praktischen Nutzen hat, vor allem im Hinblick auf den Theaterbetrieb, der funktionieren und »laufen« muss.
Der Vers richtet sich gegen abstrakte oder theoretische Ästhetik: Der Direktor möchte Resultate, keine poetischen Konzepte.

Dem Zaudernden erscheint sie nie.219
Dieser Vers bringt die vorangegangene Skepsis auf den Punkt und verstärkt sie.
»Dem Zaudernden«: Gemeint ist jemand, der zögert, der sich nicht entscheidet oder handelt – etwa der Künstler, der sich in Ideen verliert und keine konkreten Schritte setzt.
»erscheint sie nie«: Die »Stimmung«, das angestrebte künstlerische Gefühl oder die Inspiration, stellt sich nie ein – gerade weil man zaudert. Der Vers enthält eine Paradoxie: Wer zu lange über Stimmung nachdenkt, erzeugt keine. Erst das Handeln, nicht das Reflektieren, führt zum Ziel.
Zusammenfassend 218-219
Diese beiden Verse stehen exemplarisch für die Stimme der Theaterpraxis im »Vorspiel«. Der Direktor verkörpert den Realismus und den ökonomischen Druck des Bühnenbetriebs. Für ihn ist Kunst keine Inspirations- oder Seelensache, sondern ein Produkt, das Publikum fesseln muss. Die Stimmung kommt, wenn überhaupt, erst durch das Tun, nicht durch Grübeln oder Idealismus.
In ihrer Kürze formulieren die Verse ein zentrales Spannungsverhältnis zwischen Künstler (Idee) und Theatermacher (Praxis), das in Goethes Faust vielfach wiederkehrt – nicht zuletzt in Fausts eigener Zerrissenheit zwischen Streben und Handeln.

Gebt ihr euch einmal für Poeten,220
Dieser Vers richtet sich an die beiden anderen Figuren des Vorspiels – den Dichter und den Lustige\[n] Person – und enthält einen gewissen belehrenden oder sogar belehrersüchtigen Ton des Direktors.
»Gebt ihr euch...« ist eine gehobene Form für »Wenn ihr euch...« oder »Falls ihr euch...«. Der Konditionalsatz markiert eine Voraussetzung.
»einmal« verweist auf eine Entscheidung oder ein Selbstverständnis – einmal als grundlegende Haltung, nicht bloß situativ.
»für Poeten« bedeutet »als Dichter«, also: wenn ihr euch als Dichter versteht oder inszeniert.
Der Vers stellt eine implizite Frage nach der Selbstdefinition des Künstlers und gibt zugleich eine Regel vor: Wer sich als Poet ausgibt, unterwirft sich gewissen Bedingungen.

So kommandirt die Poesie.221
Dieser Vers bringt die Konsequenz zur vorangehenden Bedingung.
»So« bedeutet hier »dann« – also: unter dieser Voraussetzung.
»kommandirt« ist ein starkes Verb, das an militärische Befehlssprache erinnert. Die Poesie wird nicht als sanfte Muse vorgestellt, sondern als Autorität mit Anspruch auf Gehorsam.
»die Poesie« ist hier Subjekt – sie wird personifiziert, und zwar nicht als inspirierende Quelle, sondern als befehlende Macht.
Wer sich als Poet begreift, unterwirft sich nicht seinem eigenen Willen, sondern dem der Poesie selbst – sie ist Herrin, nicht Dienerin.
Zusammenfassend 220-221
Diese zwei Verse sind zentral für Goethes poetologisches Spiel im Vorspiel auf dem Theater.
Der Direktor stellt klar: Dichtung ist kein freies Spiel, sondern gehorcht inneren Notwendigkeiten. In dieser Auffassung klingt bereits Goethes klassizistisches Kunstverständnis an, das zwar die Eingebung schätzt, aber Form, Ordnung und Gesetz höher stellt.
Gleichzeitig lässt sich der Imperativ der Poesie auch ironisch lesen: Wer glaubt, frei zu dichten, wird letztlich von einer höheren Instanz gelenkt – sei es das Publikum, die Inspiration, das Genie oder eben das Gesetz der Form.
Die Spannung zwischen Kunstfreiheit und Notwendigkeit, zwischen innerem Drang und äußerer Struktur wird in diesen zwei knappen Versen zugespitzt – und spiegelt eine der Grundspannungen des ganzen Faust.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen,222
Anrede / Kommunikation mit dem Publikum: Der Direktor spricht hier das Publikum direkt an (»Euch«). Das schafft eine unmittelbare Beziehung und durchbricht die vierte Wand.
»bekannt« und »bedürfen«
Ton und Inhalt: Der Ausdruck suggeriert, dass der Adressat bereits weiß, was erwartet oder verlangt wird. Das erzeugt eine gewisse Vertrautheit, aber auch Erwartungsdruck.
»Bedürfen« ist ein gehobener Ausdruck für »brauchen«, was dem Satz einen feierlich-theatralischen Klang gibt, passend zur Rolle des Direktors.
Implizite Aussage: Der Direktor spielt darauf an, dass das Theater (die Bühne, das Ensemble) auf das Publikum angewiesen ist – sowohl materiell als auch emotional. Es geht um die Erwartungen der Zuschauer und die Notwendigkeit, diese zu erfüllen.

Wir wollen stark Getränke schlürfen;223
Wechsel der Tonlage – Derbheit und Lustprinzip: Nach dem eher würdevollen ersten Vers folgt ein fast derber, sinnlich-lustvoller Ausdruck. »Stark Getränke« (gemeint sind alkoholische, wohl berauschende) stehen für sinnlichen Genuss, für Lebenslust, für Übermaß.
»schlürfen« – klanglich und semantisch auffällig: Das Verb ist lautmalerisch: es evoziert Geräusche und ein Bild von Gier, von unmittelbarer Lust. Es passt zur Intention des Direktors, ein Theater für die Sinne zu schaffen.
Subtext: Diese Zeile steht exemplarisch für den Wunsch nach sinnlicher Überwältigung, nach unmittelbarem Effekt, nach einem Theater, das unterhält – auch mit derbem Stoff und kräftigen Reizen. Es reflektiert zugleich den »Volkstheater«-Aspekt, den Goethe in den Faust einbaut.
Zusammenfassend 222-223
Der Direktor skizziert ein Theaterverständnis, das sich dem Geschmack des Publikums beugt: es soll bekannt, vertraut, aber auch lustvoll, sinnlich und unterhaltsam sein. Der Wechsel von der höflichen Anrede zur trinkfreudigen Geste zeigt die Bandbreite des Theaters zwischen Kunstanspruch und Volksbelustigung – ein Spannungsfeld, das in Faust I immer wieder reflektiert wird.

Nun braut mir unverzüglich dran!224
»Nun« signalisiert eine unmittelbare Dringlichkeit, ein Jetzt, ein Aufbruchsmoment. Der Direktor übernimmt die Rolle des Antreibers.
»braut« ist ein starkes, metaphorisches Verb: Es verweist auf ein alchemistisches oder kulinarisches Bild – etwas wird zusammengebraut, also vorbereitet, geschaffen. Implizit steckt darin auch das Bild des Theatermachens als ein kreativer, aber auch chaotischer Prozess.
»mir« zeigt die zentrale Stellung des Direktors im kreativen Prozess – er ist nicht nur Leiter, sondern Anspruchsteller.
»unverzüglich« betont nochmals die Dringlichkeit und rastlose Betriebsamkeit des Theaterbetriebs.
»dran« ist umgangssprachlich und pragmatisch – es geht nicht um abstrakte Konzepte, sondern um greifbare, sofortige Umsetzung.
Der Vers verbindet autoritäre Direktheit mit bildhafter Sprache. Der Direktor ist weniger ein künstlerischer Geist als ein Macher: Er will Resultate – sofort.

Was heute nicht geschieht, ist Morgen nicht gethan,225
Diese Zeile ist eine Art Maxime oder Leitspruch – fast ein Theateraxiom.
»Was heute nicht geschieht«: Das Zeitfenster des heutigen Tages ist entscheidend – es geht um gegenwärtiges Handeln.
»ist Morgen nicht gethan«: Der nächste Tag bietet keinen Ersatz; Verzug bedeutet Verlust. Die Zeit ist im Theater (und allgemein in der Kunstproduktion) unerbittlich.
Die syntaktische Parallele zwischen »geschieht« und »gethan« betont die Konsequenz: Untätigkeit heute führt unwiderruflich zum Scheitern morgen.
Inhaltlich steht die Aussage in Spannung zu künstlerischen Idealismen, etwa dem Glauben an Reifung oder Zeit zur Vollendung. Hier zählt der Output, nicht die Inspiration.
Der Vers verleiht dem Direktor etwas Unternehmerisches: Er denkt nicht in Muse oder innerer Berufung, sondern in Terminen, Effizienz und praktischer Umsetzbarkeit.
Zusammenfassend 224-225
Beide Verse zeichnen das Bild eines kompromisslosen Theaterpraktikers. Der Direktor steht für das Prinzip der Produktion, der sofortigen Umsetzung und der Disziplin. Goethe bringt hier den inneren Konflikt zwischen Kunstideal (verkörpert durch Dichter und Schauspieler) und Theaterrealität (verkörpert durch den Direktor) früh zum Ausdruck. Die Formulierung wirkt energisch, fast rücksichtslos – ein bewusst gesetzter Kontrast zur Welt des künstlerischen Schaffens.

Und keinen Tag soll man verpassen,226
Der Direktor formuliert hier ein Prinzip der ununterbrochenen Aktivität und Effizienz. Im Kontext des Theaters (und der Kunstproduktion allgemein) bedeutet das: Keine Zeit darf ungenutzt verstreichen. Es ist ein Aufruf zur ständigen Produktivität. Dabei schwingt ein fast moderner Aktionismus mit: Kunst hat keinen Selbstzweck mehr, sondern muss fortwährend »liefern«.

Das Mögliche soll der Entschluß227
Hier wird der Appell zur Tatkraft konkreter: Was möglich ist – also im Bereich des Realisierbaren liegt –, soll durch Entschluß, also durch entschiedenen Willen, ergriffen werden. Die Formulierung impliziert: Es geht nicht um Träumereien oder Idealismus (wie beim Dichter), sondern um das Praktische. Dieser Vers markiert damit eine betont pragmatische Haltung, die die Kunst dem Machbaren unterordnet.

Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,228
Die Redewendung »etwas beim Schopfe fassen« spielt auf die berühmte Figur der Gelegenheit (Kairos) an, die in der Antike mit einem Haarschopf auf der Stirn dargestellt wurde – nur wer sie im rechten Moment packt, kann sie nutzen. Der Zusatz »beherzt sogleich« verstärkt den Imperativ des Handelns: Mut und Schnelligkeit sind gefordert. Auch hier wieder das Primat der Tat über die Reflexion – ein deutlicher Gegensatz zur Haltung des Dichters im Vorspiel.
Zusammenfassend 226-228
Diese drei Verse verkörpern den Geist des Unternehmertums, der Kunst als wirksames, publikumswirksames Produkt versteht. Der Direktor stellt damit eine Gegenposition zum kontemplativen, idealistischen Dichter dar. Gleichzeitig wirft Goethe hier bereits die Frage auf, welche Rolle Kunst in der modernen Welt spielen soll – als »Event« oder als innerer Ausdruck? Die Ambivalenz dieser Frage durchzieht das ganze Drama.

Er will es dann nicht fahren lassen,229
Dieser Vers bezieht sich auf den Dichter oder den Künstler, vielleicht auch allgemein auf den schöpferischen Menschen. Das »es« bezeichnet sein inneres Werk, sein Dichten, Denken oder Wirken. »Nicht fahren lassen« bedeutet: nicht aufgeben, nicht loslassen. Trotz möglicher Widerstände, trotz Unverständnis oder Erschöpfung hält der Künstler an seinem inneren Auftrag fest. Die Formulierung »er will es dann nicht« unterstreicht einen Rest von freiem Willen – ein trotziger Entschluss, sich nicht zu ergeben.
Zugleich schwingt hier eine ambivalente Haltung mit: Zwischen freiwilliger Hingabe und innerem Zwang bleibt das Motiv des »Nicht-Loslassens« in der Schwebe. Der Künstler ist gefangen in seiner Berufung.

Und wirket weiter, weil er muß.230
Hier wird der Zwang explizit: »weil er muß«. Das kreative Schaffen ist keine freie Entscheidung mehr, sondern eine innere Notwendigkeit. Der Dichter »wirket« – ein aktiver, schöpferischer Ausdruck – aber nicht aus Lust oder Freude, sondern weil ein innerer Drang, eine existenzielle Verpflichtung ihn dazu zwingt. Diese Formulierung evoziert das Bild eines Schöpfers, der seinem Genius, seiner Idee oder gar einem metaphysischen Gesetz unterworfen ist.
Gleichzeitig schließt der Vers an die romantische Vorstellung vom Künstler als einem Getriebenen an – einem Menschen, der mehr von einer höheren Kraft oder Idee geleitet wird als von rationaler Selbstbestimmung.
Zusammenfassend 229-230
Zusammengefasst zeigen diese beiden Verse in kondensierter Form Goethes Sicht auf das Spannungsfeld zwischen Kunst, Zwang und innerer Berufung. Der Künstler will nicht loslassen, weil er innerlich muss – und nicht, weil er bloß will. In diesem Spannungsbogen liegt ein zentrales Thema des Faust: das Streben, das keine Ruhe kennt, das Wirken, das nie endet, und der Mensch, der – wie Faust selbst – »weiter wirket, weil er muß«.

Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen231
Dieser Vers eröffnet eine zentrale Reflexion des Direktors über das Theaterwesen seiner Zeit.
»Ihr wißt«: Eine direkte Anrede, die Nähe schafft, aber auch die Mitwisserschaft der Adressaten (Dichter und Lustige Person) voraussetzt. Es handelt sich um eine Art gemeinsames Eingeständnis.
»unsre\[n] deutschen Bühnen«: Mit diesem Ausdruck wird ein kollektives, nationales Theaterwesen angesprochen, gleichzeitig aber auch eine spezifische Kritik eingeleitet. Goethe nimmt das Theater im deutschsprachigen Raum in den Blick – mit all seinen Freiheiten, aber auch seinen Schwächen. Die Formulierung betont Zugehörigkeit und Mitverantwortung.

Probirt ein jeder, was er mag;232
Dieser Vers führt die Beobachtung aus dem ersten weiter und enthält eine kritische Nuance.
»Probirt«: Dieses Verb suggeriert Experiment, Unverbindlichkeit und vielleicht auch Dilettantismus. Es klingt nach einem Mangel an Regeln, Qualität oder künstlerischer Kohärenz.
»ein jeder«: Betont die Individualität, vielleicht sogar die Beliebigkeit – jeder agiert nach eigenem Geschmack oder Laune.
»was er mag«: Verstärkt die Betonung des Subjektiven und Arbitrarischen. Es fehlt hier an Maß, Ordnung oder übergeordneter ästhetischer Idee.
Zusammenfassend 231-232
Die beiden Verse kritisieren in leicht ironischem Ton die mangelnde künstlerische Disziplin und Orientierung auf deutschen Theaterbühnen. Der Direktor spricht ein strukturelles Problem an: Die Theater sind Orte der Beliebigkeit geworden, an denen Individualismus über gemeinsames ästhetisches oder dramatisches Ziel gestellt wird. Diese Bemerkung bereitet den Konflikt im Vorspiel vor – zwischen Kunstanspruch (Dichter), Publikumsbelustigung (Lustige Person) und ökonomischem Kalkül (Direktor).

Drum schonet mir an diesem Tag233
»Drum« steht für »darum«, »deshalb« – der Direktor zieht eine Schlussfolgerung oder fordert etwas aufgrund vorheriger Überlegungen.
»schonet mir« ist eine höflich-gebieterische Form, die ein indirektes Imperativ enthält: Er fordert Nachsicht, aber in einem Ton, der durchaus Autorität beansprucht. Das »mir« ist dativisch und betont sein persönliches Interesse am reibungslosen Ablauf des Theatergeschehens.
»an diesem Tag« verweist auf den Tag der Aufführung – der besondere Moment, an dem alles stimmen muss. Es schwingt Dringlichkeit und Einmaligkeit mit.

Prospecte nicht und nicht Maschinen.234
»Prospecte« meint hier Bühnenhintergründe bzw. Kulissenmalerei, die Perspektive vortäuscht.
»Maschinen« steht für Theatermaschinerie – Vorrichtungen für Spezialeffekte, Bühnenverwandlungen, Donner, Aufzüge etc.
Durch die doppelte Negation (»nicht und nicht«) wird Nachdruck erzeugt: Er will, dass weder an der optischen Illusion (Prospekte) noch an der technischen Ausstattung (Maschinen) gespart wird.
Der Vers betont, dass visuelle und technische Mittel für den Bühnenerfolg entscheidend sind – also keine abstrakte Kunst, sondern publikumswirksame Schau.
Zusammenfassend 233-234
Der Direktor verlangt effektvolle Inszenierung, nicht tiefe Kunst. Seine Worte zeigen den utilitaristischen Theaterblick: Unterhaltung vor Kunstanspruch. Er ist das Gegengewicht zu Dichter (Idee) und Lustiger Person (Volk), was den inneren Spannungsbogen dieses Vorspiels ausmacht: Kunst vs. Wirkung, Geist vs. Geschäft.

Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,235
»Gebraucht«: Der Imperativ macht deutlich, dass der Direktor praktische Anweisungen gibt. Es geht um ein bewusstes Einsetzen von Mitteln – hier: Licht.
»das groß’ und kleine Himmelslicht«: Gemeint sind sowohl Sonne und Mond (das große Licht) als auch die Sterne (das kleine Licht). Dies verweist auf eine theatrale Metaphorik: Die Bühne soll den ganzen Kosmos ins Spiel bringen.
Der Direktor fordert auf, alle verfügbaren Lichteffekte zu nutzen – im wörtlichen wie übertragenen Sinne. Es geht um Wirkung, Illusion, Spektakel. Das Theater darf groß auftrumpfen. Auch steckt eine ironische Selbstüberschätzung darin: das Theater als Schöpfer einer eigenen Welt, fast wie ein »Gott« des Lichts.

Die Sterne dürfet ihr verschwenden;236
»dürfet ihr verschwenden«: Die Formulierung enthält Ironie: Etwas Wertvolles wie Sterne zu »verschwenden« suggeriert Überfluss oder gar Größenwahn. Der Direktor erlaubt (ja: ermutigt) zur Verschwendung, denn es geht um Effekt, nicht um Ökonomie.
Semantische Spannung: »Verschwenden« steht gewöhnlich negativ konnotiert da – hier aber als Freibrief zur künstlerischen Freiheit. Alles soll eingesetzt werden, was wirkt – selbst das Erhabene (Sterne) darf funktionalisiert werden.
Interpretation: Theater als Ort der Illusion und Sinnesverführung. Der Direktor will nicht Weltdeutung, sondern Unterhaltung. Damit steht er im Spannungsfeld zu Dichter und Lustiger Person, die jeweils andere Ideale vertreten.
Zusammenfassend 235-236
Diese beiden Verse spiegeln programmatisch die Haltung des Direktors wider: Es geht um äußere Wirkung, visuelle Opulenz und Publikumsgunst. Goethes Ironie liegt in der Überhöhung banaler Theatermittel zur kosmischen Dimension – was sowohl die Größe wie auch die Selbstüberhebung des Theaters entlarvt. Damit wird im Vorspiel das zentrale Spannungsfeld des ganzen Dramas vorweggenommen: Kunst zwischen Wahrheitsstreben und Unterhaltung, zwischen Innerlichkeit und Effekt.

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,237
Dieser Vers reiht Natur- und Elementarmotive auf, die auf der Bühne effektvoll eingesetzt werden können.
»An Wasser, Feuer«: Die beiden Grundelemente stehen für dramatische Effekte. Wasser symbolisiert Strömung, Tiefe, Reinigung, Gefahr; Feuer für Leidenschaft, Zerstörung, Transformation.
»Felsenwänden«: Ein Ausdruck für das Wilde, Archaische, Unbezwingbare. Bühnenbildlich lässt es sich spektakulär darstellen – sei es als Höhle, Abgrund oder Gebirgslandschaft.
Die Aufzählung wirkt fast wie eine Requisite-Liste und zeigt den Willen, möglichst alles darzustellen, was Eindruck macht.
Gleichzeitig wird durch die Reihung ein künstliches, fast überladenes Bild erzeugt – das Theater ahmt die Natur in ihrer Dramatik nach, bleibt aber stets Inszenierung.

An Thier und Vögeln fehlt es nicht.238
Dieser Vers führt die vorherige Aufzählung fort und bringt eine belebte Natur ins Spiel.
»Thier und Vögel«: Die Erwähnung von Tieren und Vögeln steht für Bewegung, Klang, Leben auf der Bühne. Tiere symbolisieren oft Triebhaftigkeit, Instinkt; Vögel können Freiheit, Geist oder auch Exotik darstellen.
Die Wendung »fehlt es nicht« unterstreicht die Vollständigkeit des Angebots: Das Theater kann alles liefern, was das Publikum verlangt – Natur, Leben, Spektakel.
Die Formulierung wirkt dabei leicht ironisch: Es klingt wie ein Verkaufsargument, ein Hinweis auf die allumfassende, fast übertriebene Theatralik.
Zusammenfassend 237-238
Der Direktor argumentiert hier aus einer betont pragmatisch-kommerziellen Sicht. Ihm geht es um das Machbare, das Eindrucksvolle, das Publikumstaugliche. Kunst soll »wirken« – nicht tiefenpsychologisch oder philosophisch, sondern durch sinnliche Reize und Attraktionen.
Diese Einstellung kontrastiert mit den Ansichten des Dichters, der eher von Innerlichkeit, Tiefe und Wahrheit träumt, und dem lustigen Menschen, der das Theater als Vergnügungsort versteht.
Die beiden Verse sind also programmatisch: Sie spiegeln das Spannungsfeld zwischen Kunstanspruch und Unterhaltung wider, das sich durch das gesamte Drama zieht.

So schreitet in dem engen Bretterhaus239
Dieser Vers eröffnet ein Bild, das Theater als »enges Bretterhaus« beschreibt.
»So schreitet« weist auf eine Bewegung oder ein Fortschreiten hin – möglicherweise des Schauspielers oder der Kunst insgesamt.
»in dem engen Bretterhaus« bezeichnet das Theater mit nüchterner Direktheit: Die Bühne ist materiell gesehen ein beschränkter, aus Brettern gezimmerter Raum.
Diese Formulierung hebt die Diskrepanz zwischen äußerer Einfachheit (enger Raum) und dem, was dort dargestellt werden kann, hervor – eine Anspielung auf die transformative Kraft des Theaters.

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,240
Die Fortsetzung löst die Spannung des vorangehenden Verses auf:
Trotz der Enge schreitet hier jemand (der Schauspieler, die Dichtung, die Phantasie) »den ganzen Kreis der Schöpfung aus« – also das gesamte Universum, alles Sein.
Der »Kreis der Schöpfung« ist ein umfassendes, beinahe kosmologisches Bild: Von der göttlichen Erschaffung der Welt bis zur menschlichen Existenz.
Goethe spielt hier auf die Fähigkeit der Kunst an, im beschränkten Raum der Bühne das Unendliche, das Weltganze darzustellen.
Zusammenfassend 239-240
Diese beiden Verse verkörpern Goethes Theaterverständnis: Die Bühne ist zwar klein, aber die Dichtung kann darin das All zeigen. Es geht um die imaginative Kraft, die das Theater zu einem Ort macht, an dem Weltentwürfe sichtbar werden – trotz aller äußeren Begrenzungen. Sie sind zugleich programmatisch: Das kommende Stück (Faust) soll genau das tun – von Himmel über Erde bis Hölle reicht seine Spannweite.

Und wandelt, mit bedächtger Schnelle241
Dieser Vers vereint zwei scheinbar widersprüchliche Begriffe: »bedächtger« (überlegt, langsam, kontrolliert) und »Schnelle« (Tempo, Geschwindigkeit). Der Effekt ist eine paradox anmutende Wendung, die Goethes Fähigkeit zeigt, Spannung zwischen Form und Inhalt herzustellen.
»wandelt« verweist auf eine Bewegung, aber auch auf einen geistigen Wandel oder eine Reise – es hat sowohl eine äußere als auch eine innere Dimension.
Die Verbindung von Besonnenheit und Tempo weist auf eine Kunstform hin, die nicht hektisch oder oberflächlich ist, sondern in sich stimmig und zielgerichtet – wie das Theaterstück selbst.
Zudem ist die Formulierung »bedächtger Schnelle« ein Oxymoron, das die dramaturgische Idee unterstreicht: Der Zuschauer soll ein rasches Voranschreiten der Handlung erleben, doch hinter der Bewegung steckt tiefer Ernst und Reflexion.

Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.242
Dieser Vers zeichnet einen kosmischen Bewegungsbogen, der den dramatischen Raum des Faust-Stoffes mit wenigen Worten umreißt:
»Vom Himmel« – Die Handlung beginnt mit metaphysischen, göttlichen Ebenen (wie im später folgenden »Prolog im Himmel«) und verweist auf die Einbettung des Menschen in einen göttlichen Ordnungsrahmen.
»durch die Welt« – Das eigentliche Leben und Erleben des Menschen, das Irdische, in dem Fausts Suche, seine Zweifel, seine Experimente und seine Beziehungen stattfinden. Die Welt steht hier für das Dasein zwischen Geist und Trieb, zwischen Wissenschaft und Leidenschaft.
»zur Hölle« – Die Abwärtsbewegung in Richtung Verderben, Schuld, Verzweiflung – aber auch ein Ort tiefster Erkenntnis. Es ist ein Echo auf die Struktur mittelalterlicher Mysterienspiele oder auch der Commedia Dantes, wo das Durchmessen aller Daseinsbereiche Voraussetzung echter Läuterung ist.
Zusammenfassend 241-242
Diese zwei Verse sind nicht nur Abschluss des Vorspiels, sondern eine programmatische Miniatur für das gesamte Drama. Sie bündeln in dichter Form die thematische Spannweite von Goethes Faust: den Weg des Menschen durch metaphysische, weltliche und infernale Bereiche. Der Director formuliert hier das Versprechen an das Publikum: eine dramatische Reise, die das Ganze des Daseins umfasst – mit theatralischer Rasanz, aber auch philosophischer Tiefe.

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