faust-1-02-8-vorspiel auf dem theater

Vorspiel auf dem Theater. (8)

Director, Theaterdichter, lustige Person.

Dichter.
So gieb mir auch die Zeiten wieder,184
Dieser Vers ist ein Aufruf zur Rückkehr oder Wiedergewinnung einer vergangenen Zeit. Der Dichter spricht ein flehentliches »So gieb« – eine Bitte, gerichtet vermutlich an eine höhere Instanz (Gott, die Muse, das Schicksal, die Erinnerung). Es ist eine klassische rhetorische Wendung in der Dichtung: das Sehnen nach einer verlorenen Ursprungszeit.
Das Wort »auch« verweist auf ein Vorheriges – im Kontext des Vorspiels geht es um den Wunsch, nicht bloß äußeren Theatererfolg zu feiern, sondern auch eine tiefergehende schöpferische Inspiration zu erfahren.
Der Vers drückt also ein nostalgisches, fast elegisches Grundgefühl aus – das Bedürfnis, wieder an den inneren Quell der eigenen Kreativität zurückzukehren.

Da ich noch selbst im Werden war,185
Hier präzisiert der Dichter, welche Zeit er zurückhaben möchte: die Zeit seines eigenen »Werdens«, seiner Entwicklung, seiner Jugend, seiner inneren Formung.
Das »im Werden sein« verweist auf einen Zustand der Offenheit, der Unabgeschlossenheit, der Lebendigkeit. Es ist ein Zustand der kreativen Spannung – der Dichter war damals nicht festgelegt, sondern in Bewegung, in der Entfaltung.
Diese Wendung knüpft an romantische Vorstellungen von Genie und Entwicklung an, aber auch an Goethes eigenes Bildungsideal (»Werde, der du bist«).
Zugleich schwingt ein autobiografischer Ton mit: Goethe blickt (durch die Figur des Dichters) auf seine eigene Lebens- und Schaffensgeschichte zurück. Die Erinnerung an die eigene kreative Jugend wird zur Voraussetzung für neue schöpferische Kraft – aber auch zum melancholischen Moment des Verlusts.
Zusammenfassend 184-185
Der Dichter ruft im Vorspiel auf dem Theater nicht bloß nach äußeren Mitteln für dramatische Wirkung, sondern nach einer Rückkehr zum innersten Impuls des Dichtens. Die Vergangenheit, die er beschwört, ist nicht idealisiert im Sinne einer besseren Welt – sondern als eigene innere Ursprungszeit, ein »Werdenszustand« des Selbst. In diesem Ausdruck spiegelt sich das Spannungsverhältnis zwischen künstlerischer Reife und ursprünglicher Inspiration, das sich durch das ganze Drama ziehen wird.

Da sich ein Quell gedrängter Lieder186
»Da«: Temporal einleitend – »als«, »wann immer« – verweist auf eine wiederholbare oder erinnerte Situation, vielleicht sogar auf einen Idealzustand des Dichtens.
»ein Quell«: Metapher für schöpferische Inspiration. Der Quell (also eine Quelle) ist ein klassisches Bild für dichterische Produktivität, ein Ursprungsort von Kreativität.
»gedrängter Lieder«: »Gedrängt« zeigt Verdichtung, Intensität, Fülle – es sind nicht bloß vereinzelte Lieder, sondern viele, die in enger, dichter Form erscheinen. Gleichzeitig schwingt eine Art innerer Notwendigkeit mit: die Lieder drängen von selbst hervor.
Gesamteindruck: Der Dichter erinnert sich an eine Zeit (oder imaginiert sie), in der Inspiration überquoll – in dichter, gedrängter Form, wie ein Überfluss, der beinahe nicht zu bändigen war.

Ununterbrochen neu gebar,187
»Ununterbrochen«: Kontinuität und Intensität. Es gibt kein Stocken, kein Zweifeln – das Dichten war ein fließender, nie versiegender Prozess.
»neu gebar«: Wieder Geburtsmetapher – die Lieder werden nicht einfach hervorgebracht, sondern »geboren«. Das weist auf eine tiefe, fast organische Verbindung zwischen Dichter und Werk hin. Jede Inspiration ist eine Neugeburt.
Zusammengenommen mit dem vorherigen Vers: Der Dichter spricht von einem Idealzustand der Kreativität, in dem ein dichterischer Quell ohne Unterlass neue, gedrängte Lieder gebiert. Diese Vergangenheit (oder Idealvorstellung) steht in Kontrast zum gegenwärtigen Zustand, in dem er sich mit der Bühne, dem Publikum und den Erwartungen auseinandersetzen muss.
Zusammenfassend 186-187
Der Dichter beschwört einen Zustand dichterischer Fülle und Inspiration, in dem die Poesie wie aus einer überströmenden Quelle in dichter Folge »geboren« wurde – ein Ideal kreativen Schaffens, das womöglich im Kontrast zur Theaterrealität steht, in der er sich im »Vorspiel« behaupten muss.

Da Nebel mir die Welt verhüllten,188
Wörtliche Bedeutung: Die Welt war dem Sprecher nicht klar erkennbar – sie lag im Nebel, war verhüllt, verborgen.
Interpretationsebene: Der Dichter beschreibt einen Zustand der Unklarheit oder inneren Versenkung. Der »Nebel« steht symbolisch für einen geistigen oder seelischen Zustand der Ungewissheit, aber auch der Einbildungskraft. Es ist eine typische Metapher für Übergangs- oder Zwischenzustände – hier möglicherweise für das kreative Vakuum vor der dichterischen Inspiration.
Poetologische Funktion: Diese Zeile kann als Reflexion auf den Schaffensprozess des Dichters gelesen werden. Der Nebel ist das Unsichtbare, das Ungeformte – das Chaos vor dem künstlerischen Akt, das aber auch Potenzial birgt.

Die Knospe Wunder noch versprach,189
Wörtliche Bedeutung: Eine Knospe (also eine noch nicht entfaltete Blüte) verhieß Wunder, also verheißungsvolle, vielleicht übernatürliche oder zumindest außergewöhnliche Ereignisse.
Interpretationsebene: Die »Knospe« steht als Symbol für Möglichkeiten, für das noch Unentfaltete, das Zukünftige. Der Dichter erinnert sich an eine Zeit, in der das Potenzial der Welt – trotz der Verhüllung – noch Wunder verhieß. Es ist ein Moment gespannter Erwartung, in dem alles möglich scheint.
Stimmung und Zeitlichkeit: Die Kombination mit dem Präteritum (»Da…«) verweist auf eine Rückerinnerung – der Dichter spricht von einem früheren, fast mythisch aufgeladenen Moment, in dem ihm die Welt noch offenstand und verheißungsvoll war.
Zusammenfassend 188-189
Diese Zeilen sind Teil einer poetologischen Selbstreflexion. Der Dichter erinnert sich an eine frühere Phase seines Schaffens oder Erlebens, in der die Welt zwar noch unklar (»verhüllt«) war, aber gleichzeitig voller Verheißung und Möglichkeiten (»Knospe«, »Wunder«). Es schwingt eine leise Melancholie mit: Der Zauber des Anfangs scheint vorbei zu sein, die Welt hat sich möglicherweise entzaubert.
Zugleich ist es ein typischer Moment romantisch-frühmoderner Dichterhaltung: die Spannung zwischen Wirklichkeit und Imagination, zwischen Unkenntnis und Erwartung, zwischen Weltflucht und Wundersehnsucht.

Da ich die tausend Blumen brach,190
Das »Da« verweist auf einen vergangenen Moment, vermutlich auf einen schöpferischen Akt des Dichters selbst.
»tausend Blumen« steht metonymisch für poetische Bilder, Einfälle, Inspirationen – eine überbordende Fülle künstlerischen Materials. Die Zahl »tausend« betont das Übermaß, das Unbegrenzte.
»brach« bedeutet hier »pflückte« oder »sammelte«, kann aber auch die Ambivalenz zwischen schöpferischem Zugriff und möglicher Zerstörung oder Aneignung andeuten. Die Blume ist ein empfindliches Wesen – durch das Brechen entzieht man sie ihrem natürlichen Kontext. So könnte dies auch ein Hinweis auf die Spannung zwischen Natur und Kunst, Unmittelbarkeit und Kunstgriff sein.

Die alle Thäler reichlich füllten.191
Dieser Vers konkretisiert das Bild: Die Blumen, also die poetischen Schöpfungen, »füllten« die Täler – das heißt, sie waren bereits Teil der Natur, üppig und lebendig.
»alle Thäler« suggeriert Weite und Vielfalt, aber auch Tiefe und Fruchtbarkeit (das Tal als archetypischer Ort des Wachsens).
»reichlich« unterstreicht die Überfülle, den Überfluss, aus dem der Dichter schöpft – oder den er sich aneignet.
Damit klingt ein romantisches Naturverständnis an: Die Natur selbst ist der Ursprung des Dichtens, der Dichter greift lediglich in ein bereits reich vorhandenes poetisches Reservoir ein.
Zusammenfassend 190-191
In diesen beiden Versen beschreibt der Dichter sein Verhältnis zur Natur und zur Inspiration als ein bereits abgeschlossenes Sammeln: Er hat die »tausend Blumen« gebrochen – die künstlerische Vorbereitung ist getan. Dies steht im Kontrast zur nun anstehenden Herausforderung: die Bühne, das Theater, das Publikum. Aus der stillen Sammlung in der Natur tritt der Dichter in den öffentlichen Raum. Damit stellt sich auch die Frage: Kann die rohe, natürliche Inspiration in der Kunstform des Theaters bestehen?
Die Verse schwingen zwischen romantischer Selbstvergewisserung (Ich habe gesammelt!) und einer leisen Skepsis (Was bedeutet es, Blumen zu brechen?) – und sie stehen exemplarisch für Goethes reflektierte Poetologie im Faust.

Ich hatte nichts und doch genug192
»Ich hatte nichts« –
Diese erste Hälfte des Verses formuliert eine scheinbar existentielle Leere. Der Dichter (und vielleicht Goethe selbst) spricht hier aus einer Position des Mangels: kein Besitz, kein äußerer Reichtum, vielleicht auch kein festes Weltbild. Dieses »Nichts« kann auf verschiedene Dimensionen hinweisen:
materiell: Armut oder Verzicht;
geistig: eine Offenheit oder Leere, die der Erkenntnis vorausgeht;
existentziell: ein Gefühl innerer Heimatlosigkeit oder Unbehaustheit.
»und doch genug« –
Der Gegensatz bringt die Wendung: Trotz dieses Nichts fühlte er sich erfüllt. Das »Genug« verweist auf eine Form von innerem Reichtum, die nicht durch äußere Dinge bedingt ist. Damit wird ein dichterisches Selbstverständnis formuliert: Die Kunst entsteht nicht aus Überfluss, sondern aus Mangel – und überwindet diesen durch Imagination.
Die Formulierung erinnert zugleich an mystische oder stoische Denkfiguren: das »Genug« als Zustand innerer Freiheit oder Gelassenheit. Goethes Dichterfigur lebt in einer Paradoxie – und schöpft daraus Kraft.

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug193
»Den Drang nach Wahrheit« –
Hier zeigt sich der ernsthafte, fast schon metaphysische Impuls: Die Dichtung (oder das Leben selbst) strebt nach Erkenntnis, nach einer letzten Wahrheit – sei sie rational, göttlich oder existentiell. Der »Drang« ist kein ruhiges Interesse, sondern ein innerer Zwang, eine brennende Sehnsucht, wie wir sie später auch bei Faust finden.
»und die Lust am Trug« –
Die Spannung wird jedoch sofort konterkariert: Neben dem Streben nach Wahrheit steht die Freude an der Täuschung. Der »Trug« verweist auf Fiktion, Illusion, vielleicht auch auf die Bühne selbst. Die Dichtung ist nicht bloß Erkenntnismedium, sondern Spiel, Verführung, Blendung – eine Illusion, die dennoch tiefere Wahrheiten erschließen kann.
Der Vers formuliert somit das Spannungsfeld der Kunst: Sie bewegt sich zwischen Wahrheit und Illusion, zwischen Aufklärung und Verzauberung, zwischen Erkenntnisdrang und ästhetischer Lust.
Zusammenfassend 192-193
Diese zwei Verse enthalten in nuce die existenzielle wie poetologische Grundsituation von Faust I:
Der innere Riss zwischen Erkenntniswille und Lebenslust;
die Doppelnatur des Menschen als denkendes und sinnliches Wesen;
die Theaterkunst selbst, die Wahrheit im Trug vermittelt.
Zugleich spricht hier Goethe über sein eigenes dichterisches Schaffen: Der Drang nach Wahrheit wird nicht im Gegensatz, sondern im Zusammenspiel mit der Lust am Trug fruchtbar. Wahrheit ohne Trug ist leer; Trug ohne Wahrheit verkommt zur Täuschung.
Goethe legt so in zwei Zeilen eine Art dichterisches Credo vor – ernst und spielerisch zugleich.

194
Gieb ungebändigt jene Triebe,
Dieser Vers ist ein Appell des Dichters an eine schöpferische Instanz – vielleicht an die Muse, die Inspiration oder an sich selbst als poetische Kraft.
»Gieb« ist imperativisch und verweist auf das Verlangen nach einem Schöpfungsakt, der nicht rational oder kontrolliert verläuft, sondern leidenschaftlich, impulsiv.
»ungebändigt« hebt hervor, dass es gerade das Wilde, Ungezügelte, das Instinktive ist, das er sucht – also keine durch Vernunft oder Form gezähmte Emotion.
»jene Triebe« verweist auf kreative, vitale, möglicherweise auch erotische oder metaphysische Kräfte – archetypische Regungen, die tief im Menschen wirken.
Der Vers steht in der Tradition des romantischen Künstlerideals, das das Genie als eine durch Triebe, Emotion und Eingebung gesteuerte Persönlichkeit begreift.

Das tiefe schmerzenvolle Glück,195
Hier wird ein paradoxes Gefühl beschrieben – ein Zustand intensiver Innerlichkeit, der zugleich Schmerz und Glück umfasst.
»Das tiefe« zeigt, dass es um ein Gefühl von großer existenzieller Tragweite geht, nicht um oberflächliche Befriedigung.
»schmerzenvolle Glück« ist eine klassische antithetische Verbindung, die zeigt, dass kreatives Erleben oder dichterische Inspiration ambivalent ist: sie kann Erfüllung schenken, ist aber oft mit Leiden verbunden.
Dieses »Glück« ist also kein leichtes, freudiges Glück, sondern eines, das aus innerem Ringen, aus Seelentiefe entsteht – vergleichbar mit dem Leiden des Künstlers, das zur Erleuchtung führt.
Der Vers evoziert mystische wie romantische Zustände: eine Art transzendentes Glück, das im Schmerz wurzelt – etwa wie bei Novalis oder auch im späteren Hölderlin.
Zusammenfassend 194-195
Die beiden Verse bilden zusammen eine dichterische Programmatik. Der Dichter verlangt nach einer ekstatischen, ungezähmten Inspiration, die ihn in einen Zustand versetzt, der jenseits gewöhnlicher Erfahrungen liegt – ein Glückszustand, der durch Schmerz hindurchgeht. Es ist ein Plädoyer für eine existenziell dichte, ehrliche Kunst, nicht für gefällige Unterhaltung. In der dramatischen Struktur des Vorspiels stellt sich der Dichter damit klar gegen die Forderungen von Direktor und Lustiger Person, die eher Publikumsgeschmack und Marktlogik vertreten.

196
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gegensatzpaar (»Hass« und »Liebe«):
Goethe greift hier ein archetypisches Gegensatzpaar auf, das für die stärksten affektiven Kräfte des Menschen steht. Sowohl Hass als auch Liebe sind extreme emotionale Zustände, die oft unberechenbare und schöpferisch-zerstörerische Energien freisetzen können.
Alliteration (»Hasses« / »Kraft« – »Liebe« / »Macht«):
Die parallele Struktur und klangliche Balance unterstreichen, dass beide Kräfte als gleichrangige Pole verstanden werden – beide notwendig für das dichterische Schaffen.
Die Rede ist stark expressiv und leidenschaftlich – der Dichter ruft nicht nach Inspiration im allgemeinen Sinn, sondern nach den elementaren Triebfedern künstlerischen Ausdrucks: Hass und Liebe als psychische Energiequellen.

Gieb meine Jugend mir zurück!197
Imperativ (»Gieb«): Der Dichter spricht hier eine direkte, fast flehentliche Bitte aus – nicht an eine bestimmte Figur, sondern an eine übergeordnete Instanz, vielleicht an die Muse, an das Leben oder an die Kunst selbst. Es handelt sich um ein metaphysisches Verlangen.
Sehnsucht nach der Vergangenheit: Die Jugend steht symbolisch für kreative Frische, Unmittelbarkeit, Leidenschaft, Impulsivität und schöpferische Kraft. In Verbindung mit dem vorigen Vers wird deutlich: Nur durch das Wiedererlangen jener jugendlichen Empfänglichkeit für Liebe und Hass kann echte Dichtung entstehen.
Tragische Note: Implizit wird sichtbar, dass der Dichter sich in einem Zustand kreativer Erschöpfung oder Leere befindet. Die Bitte um »Jugend« ist Ausdruck existenzieller und poetischer Verzweiflung – er fühlt sich von der Lebensquelle abgeschnitten.
Zusammenfassend 196-197
Der Dichter fordert die Rückkehr zu einer Zeit intensiver Emotionen und schöpferischer Kraft. Liebe und Hass erscheinen dabei nicht als moralische Gegensätze, sondern als gleichwertige Antriebskräfte des Dichtens. Die »Jugend« steht für ein verlorenes Paradies dichterischer Inspiration, das er sich schmerzlich zurückwünscht – eine existenzielle wie ästhetische Klage.

Lustige Person.
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls198
»Der Jugend«: Hier ist »die Jugend« nicht nur als Altersstufe gemeint, sondern auch als symbolischer Inbegriff von Vitalität, Mut, Leidenschaft und Unbedingtheit. Sie ist eine Kraftquelle.
»guter Freund«: Eine anspielungsreiche, fast familiär-ironische Anrede. Die Lustige Person (wahrscheinlich der Schauspieler) spricht direkt den Theaterdirektor oder den Dichter an, in freundschaftlicher, leicht überlegener Tonlage.
»bedarfst du allenfalls«: Das Wort »allenfalls« relativiert und ironisiert den vorhergehenden Begriff der Jugend – man braucht Jugend vielleicht, aber nur unter bestimmten Umständen. Die Formulierung ist schalkhaft zurückhaltend, fast spöttisch. Es wird suggeriert, dass man auch ohne Jugend zurechtkäme – es sei denn...

Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,199
»Wenn dich in Schlachten«: Der Ausdruck »Schlachten« ist hier metaphorisch gemeint – es verweist auf das Leben als Kampf oder auf den dramatischen Kampf auf der Bühne. Gleichzeitig spielt es auf das klassische Ideal des heroischen Dramas an.
»Feinde drängen«: Die Formulierung evoziert die Vorstellung von Bedrohung, Gegenkräften, Gegenspielern – sei es auf der Bühne im Drama oder im wirklichen Leben. Auch hier bleibt die Aussage uneindeutig: Wer sind diese Feinde? Publikumserwartungen? Kritiker? Lebensumstände?
Zusammenfassend 198-199
In diesem Theater-Vorspiel treffen verschiedene Rollenauffassungen und Erwartungen aufeinander: der Direktor will das Publikum zufriedenstellen, der Dichter sucht künstlerischen Ausdruck, und die Lustige Person (Schauspieler) bringt pragmatische, unterhaltsame Perspektiven ein.
Diese Verse fügen sich in das Bild der Lustigen Person als ironischen Realisten: Sie spricht davon, dass man »Jugend« nur in Extremsituationen braucht – nicht grundsätzlich. So wird auch das Theater als ein Ort gezeichnet, an dem Energie und Kampfgeist (vielleicht metaphorisch als Jugend) nötig sind, wenn es wirklich hart wird – wenn »Feinde drängen«, etwa das kritische Publikum oder konkurrierende Theater.

Wenn mit Gewalt an deinen Hals200
Satzbau und Stil: Der Vers beginnt mit einer hypothetischen Bedingung (»Wenn...«), was eine konditionale Struktur schafft und eine Vorstellung einleitet.
Inhalt: Es wird ein körperliches, überschwängliches Verhalten beschrieben: jemand wird mit »Gewalt« umarmt oder angesprungen.
Wortwahl: »Mit Gewalt« steht hier nicht für Aggression, sondern für übersprudelnde Leidenschaft und Zudringlichkeit. Der Ausdruck steigert die Komik und signalisiert eine drastische, überzogene Liebesgeste.
Klang: Die Alliteration »mit Gewalt« verstärkt den rhythmischen Eindruck und betont die Energie der Szene.
Funktion: Der Vers spielt auf körperliche Nähe und Erotik an – in übersteigerter, fast slapstickhafter Form.

Sich allerliebste Mädchen hängen,201
Syntax: Das reflexive Verb »sich hängen« wird ergänzt zur vorherigen Bedingung und bezieht sich auf die Aktion der Mädchen.
Wortwahl: »Allerliebste« ist eine liebevolle, übertrieben zärtliche Bezeichnung – es klingt fast parodistisch. Die Diminutivform (»-chen«) unterstreicht die humorvolle Überhöhung und typisch theatralische Schwärmerei.
Inhalt: Die »Mädchen« hängen sich dem Schauspieler oder Dichter (implizit) an den Hals – eine Szene, die Leidenschaft, Bewunderung oder auch hysterische Fangirl-Romantik darstellen kann.
Ironie: Die Szene wird mit theatralischer Selbstironie dargestellt – nicht als echte Romantik, sondern als klischeehafte Fantasie, wie sie dem Theater als Ort der Eitelkeit und Verführung entspricht.
Funktion im Kontext: Die Lustige Person ironisiert hier das Theater als Ort der übertriebenen Emotionen und körperlicher Geste. Sie spielt auf die Verführungskraft des Theaters – und vielleicht auch der Schauspielkunst – an, die körperlich belohnt wird.
Zusammenfassend 200-201
Diese beiden Verse zeigen mit übertriebener, körperbetonter Bildsprache das Theater als Raum sinnlicher Überwältigung und Belohnung für den Darsteller. Die Lustige Person bringt damit das Motiv des Theatererfolgs auf eine frivole, lustvoll-komische Ebene. Die Sprache ist bewusst drastisch und übertrieben – ein Vorgeschmack auf die ironische und selbstreflexive Haltung, die das gesamte »Vorspiel auf dem Theater« durchzieht.

Wenn fern des schnellen Laufes Kranz202
»Wenn«: leitet eine hypothetische, konditionale Struktur ein – der Satz beschreibt eine Möglichkeit, eine Vorstellung, die unter bestimmten Bedingungen eintreten könnte.
»fern«: bedeutet hier räumlich »weit entfernt«, verweist aber auch auf eine gewisse Unerreichbarkeit oder Sehnsucht.
»des schnellen Laufes«: Diese Genitivkonstruktion kann sowohl wörtlich als auch metaphorisch gelesen werden. Wörtlich ist an ein Rennen oder einen Wettlauf zu denken. Im übertragenen Sinn kann es für das rastlose Streben nach Erfolg, Ruhm oder künstlerischer Vollendung stehen.
»Kranz«: Der Siegerkranz, klassisch gedacht als Lorbeerkranz, Symbol des Triumphs, insbesondere im künstlerischen oder sportlichen Bereich.
→ Zusammen ergibt sich ein Bild: In weiter Ferne winkt der Lorbeerkranz dem Läufer, der sich auf einem schnellen, anstrengenden Weg befindet. Dies evoziert das Streben nach Erfolg, Ruhm oder Anerkennung in der Kunst (besonders in Bezug auf das Theater, da wir uns im »Vorspiel auf dem Theater« befinden).

Vom schwer erreichten Ziele winket,203
»Vom schwer erreichten Ziele«: Das Ziel ist nicht leicht zu erreichen; es verlangt große Anstrengung, Mühe, vielleicht sogar Opfer. Dieses Ziel steht sinnbildlich für die künstlerische Vollendung, den Applaus des Publikums oder die persönliche Erfüllung durch das Theater.
»winket«: Personifizierung. Das Ziel oder der Kranz scheint dem Läufer (dem Künstler) zuzuwinken, ihn zu locken, ihm Hoffnung zu geben. Der Konjunktiv impliziert Ungewissheit: Das Ziel könnte winken – ob es tatsächlich winkt oder je erreicht wird, bleibt offen.
→ Diese Zeile verstärkt das Bild vom beschwerlichen Weg zum künstlerischen Erfolg. Sie unterstreicht das Spannungsverhältnis zwischen Sehnsucht und Realität, zwischen Ideal und Erreichbarem.
Zusammenfassend 202-203
Hier entwirft die Lustige Person ein Idealbild: Die Kunst (bzw. das Theater) ist ein anstrengender, aber lohnender Weg, wenn am Ende ein »Kranz« winkt – sei es Ruhm, Anerkennung oder persönliche Erfüllung. Gleichzeitig schwingt Skepsis mit: Das Ziel ist schwer erreichbar, das Winkende bleibt vage. Damit wird das Grundthema des gesamten Faust angedeutet: das Streben nach Erfüllung, das immer wieder an Grenzen stößt.

Wenn nach dem heftgen Wirbeltanz204
Dieser Vers eröffnet eine konditionale Struktur: Wenn etwas geschieht, dann folgt etwas anderes. Der »heftge Wirbeltanz« ist metaphorisch wie konkret zu verstehen:
Konkrete Ebene: Gemeint ist ein ausgelassenes, vielleicht auch exzessives Tanzen – eine Art Karneval oder Volksfest, das physische Verausgabung mit sich bringt.
Metaphorische Ebene: Der »Wirbeltanz« steht auch für das hektische, chaotische Treiben des Lebens selbst, besonders auf der Bühne des Theaters. Das Leben – oder auch das Theaterstück – als ein schwindelerregender Reigen.
Die Wahl des Adjektivs »heftgen« betont das Temperamentvolle, Unkontrollierte, das auch auf das Theatererlebnis übertragen werden kann: Drama, Leidenschaft, Bewegung.

Die Nächte schmausend man vertrinket.205
Hier folgt die Konsequenz der vorherigen Bedingung: Nach dem Wirbeltanz kommt das Schmausen und Trinken in der Nacht. Dieser Vers beschreibt eine Szene des sinnlichen Genusses:
»Schmausend« verweist auf üppiges Essen, festliche Völlerei – ein Hinweis auf die Lust am Leben, an der Sinnlichkeit.
»Man vertrinket« – eine archaisierende Form von »vertrinken«, die nicht nur den Konsum von Alkohol meint, sondern auch das Versinken darin: Der Mensch trinkt die Nacht förmlich weg – er verliert sich im Rausch.
Im Kontext des Vorspiels auf dem Theater, in dem über die Erwartungen des Publikums diskutiert wird, stehen diese Verse exemplarisch für das Bedürfnis nach Unterhaltung, Rausch, Ekstase. Die Lustige Person repräsentiert das einfache Publikum, das keine »hohen« Künste oder moralischen Lektionen erwartet, sondern sinnliche Ausschweifung, Spektakel und Vergnügen.
Zusammenfassend 204-205
Diese beiden Verse stellen eine Lebenshaltung zur Schau, die sich nach körperlichem Erlebnis, Festlichkeit und Genuss sehnt – nach einer Welt, in der nach dem ekstatischen Tanz auch hemmungslos getrunken und gefeiert wird. Goethe greift hier populäre Vergnügungskultur auf und kontrastiert sie mit dem späteren Tiefgang des eigentlichen Dramas.

Doch ins bekannte Saitenspiel206
»Doch«: Das Wort signalisiert einen Übergang oder eine leichte Gegenrede – es knüpft an vorher Gesagtes an und stellt eine gewisse Wendung dar. Im Kontext reagiert die Lustige Person auf die eher skeptischen oder praktischen Überlegungen der anderen Figuren (Direktor, Dichter).
»ins bekannte«: Diese Formulierung verweist auf ein vertrautes Repertoire – sowohl für die Schauspieler als auch für das Publikum. Es handelt sich nicht um experimentelle Kunst, sondern um etwas, das in Tradition steht, dem Publikum geläufig ist.
»Saitenspiel«: Eine poetische Metapher für das Theater, insbesondere für Musik, Dichtung oder allgemein das »Spiel der Künste«. Die »Saite« symbolisiert nicht nur das Musikinstrument, sondern steht auch für den feinen, sensiblen Ausdruck. Es evoziert eine Atmosphäre von Klang, Harmonie und Kunstfertigkeit.
Der Vers thematisiert also die Rückkehr zu bewährten Formen und spricht für eine Verbindung mit der Theatertradition, die aber offen bleibt für erneuerte Lebendigkeit.

Mit Muth und Anmuth einzugreifen207
»Mit Muth«: Das Theater verlangt Initiative, Risikobereitschaft, Offenheit – auch gegen Widerstände. Die Kunst darf nicht zaghaft sein, sondern braucht eine entschlossene Haltung, um wirksam zu sein.
»und Anmuth«: Ein klassisch-ästhetisches Ideal – Anmut steht für Leichtigkeit, Natürlichkeit, Grazie. Es ist die feine Kunst des Maßes und des Stils, die dem »Mut« das Harte nimmt. Mut und Anmut zusammen stellen also eine ausgewogene künstlerische Haltung dar – kraftvoll, aber nicht grob; elegant, aber nicht schwach.
»einzugreifen«: Dieser Ausdruck ist aktiv, beinahe kämpferisch. Kunst soll nicht passiv sein oder sich nur dem Publikum unterwerfen, sondern selbst Einfluss nehmen – auf das Theatergeschehen, auf das Publikum, vielleicht sogar auf die Gesellschaft.
Dieser Vers bringt eine programmatische Forderung zum Ausdruck: Künstlerisches Handeln soll mutig und zugleich anmutig geschehen – engagiert, aber mit Stil.
Zusammenfassend 206-207
Die Lustige Person fordert in diesen Versen ein selbstbewusstes, aber auch ästhetisch geschultes Eingreifen in die Theaterszene. Sie plädiert für ein lebendiges, volksnahes Theater, das sowohl Tradition achtet (»bekanntes Saitenspiel«) als auch vital und kunstvoll (»mit Muth und Anmuth«) gestaltet wird. In dieser Haltung spiegelt sich Goethes eigene Position zur Kunst: nicht Abwendung von der Welt, sondern engagierte, schöngeistige Mitwirkung an ihr.

Nach einem selbgesteckten Ziel208
Dieser Vers spricht ein zentrales Thema des gesamten Dramas an: die Zielgerichtetheit menschlichen Strebens.
»Nach einem \[...] Ziel« betont das Streben, das in Faust als Grundtrieb menschlicher Existenz thematisiert wird.
»selbgesteckt« verweist auf Autonomie, also auf ein Ziel, das nicht von außen (z. B. durch göttliche Ordnung) vorgegeben ist, sondern vom Subjekt selbst bestimmt wurde.
In diesem Wort steckt die Betonung auf individueller Freiheit und Eigenverantwortung.
Damit steht dieser Vers sinnbildlich für die romantische wie aufklärerische Vorstellung des Selbst als Schöpfer seines Daseinszwecks.

Mit holdem Irren hinzuschweifen,209
Der zweite Vers relativiert das scheinbar zielgerichtete Streben aus Vers 208.
»Mit holdem Irren« ist ein paradoxes Bild: »Irren« bedeutet ein Umherirren, Verirren, also das Gegenteil klarer Zielstrebigkeit – wird hier jedoch mit »hold« (lieblich, anmutig) qualifiziert.
Das erzeugt eine romantische Ambivalenz: Das Umherschweifen selbst, auch ohne klares Ziel, wird als schön und lebenswert dargestellt.
»hinzuschweifen« ist ein weiches, gleitendes Verb, das Bewegung ohne Eile suggeriert – das Bild ist fast tänzerisch.
Es ergänzt das Motiv des »Irrens« mit Leichtigkeit und Freiheit, ähnlich wie bei Wilhelm Meisters Wanderung oder Novalis’ »blauer Blume«.
Zusammenfassend 208-209
Die Lustige Person bringt hier mit ironischem Unterton ein poetisches Ideal zur Sprache: die Lust am Suchen, am Streben, auch ohne sicheren Ausgang. Der Mensch will zwar ein Ziel verfolgen, doch das eigentliche Schöne liegt im Weg selbst – im »holden Irren«.
Das ist auch eine Vorahnung der gesamten Faust’schen Problematik: Faust setzt sich selbst hohe Ziele – Wissen, Erfüllung, Transzendenz – doch sein Weg dorthin ist von Irrwegen geprägt.
Die Ambivalenz zwischen »Ziel« und »Irren« ist somit ein poetisches und existenzielles Leitmotiv.

Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,210
Sprecherrolle und Tonfall: Die Lustige Person spricht hier die Theaterdirektion oder die älteren Mitspieler an. Der Ausdruck »alte Herrn« ist gleichzeitig respektvoll und leicht spöttisch. Die Anrede betont das Alter und die etablierte Stellung der anderen, aber in einem Ton, der nicht ganz frei von Ironie ist.
Inhaltlich: Die Lustige Person erkennt an, dass es die Pflicht der »alten Herrn« ist, sich mit bestimmten ernsten oder konventionellen Dingen zu beschäftigen – vermutlich der künstlerischen Tradition, moralischer Anspruch, Bildungsauftrag usw. Gemeint ist die Pflicht, das Theater in würdiger, klassischer oder hochkultureller Weise zu führen.
Subtext / rhetorische Strategie: Indem sie diese »Pflicht« anerkennt, entzieht sich die Lustige Person der direkten Konfrontation, positioniert sich aber zugleich als Vertreter einer anderen Theaterauffassung – vermutlich einer populäreren, unterhaltenderen. Es schwingt ein wenig Ironie mit, da die Formulierung die Idee von »Pflicht« und Tradition leicht abwertet.

Und wir verehren euch darum nicht minder.211
Wortwahl und Ton: Die Aussage klingt wie ein Höflichkeitsbeweis: »nicht minder« heißt »nicht weniger«. Aber der Kontrast zu vorherigem Ton und die Gesamtatmosphäre des Vorspiels lassen auch hier einen ironischen Unterton vermuten. Die Lustige Person gibt sich diplomatisch, aber nicht devot.
Inhaltlich: Sie sagt: Auch wenn ihr euren Weg geht – wir respektieren euch trotzdem. Es klingt fast wie eine höfliche Distanziertheit: Die Generationen oder Theaterauffassungen mögen sich unterscheiden, aber gegenseitige Achtung bleibt gewahrt.
Dramaturgisch: Dieser Vers fungiert als Ausgleich nach dem leichten Spott im ersten Vers. Er stellt wieder eine gewisse Harmonie her – typisch für das »Vorspiel«, das verschiedene Theaterkonzepte (Direktor = Geschäft, Dichter = Ideal, Lustige Person = Unterhaltung) miteinander ausbalancieren will. Die Aussage spiegelt den metatheatralischen Ton des Vorspiels, in dem Kunst, Publikum und Wirkungsabsicht verhandelt werden.
Zusammenfassend 210-211
Diese zwei Verse bringen mit lakonischem Witz die Haltung der Lustigen Person gegenüber der älteren Theatergeneration zum Ausdruck: eine Mischung aus scheinbarem Respekt, Ironie und dem Wunsch, eigene Wege zu gehen. Goethe verhandelt hier bereits programmatisch die Spannungsfelder zwischen Tradition und Erneuerung, Ernst und Unterhaltung, Kunstanspruch und Publikumserwartung.

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,212
»Das Alter macht nicht kindisch«: Diese Aussage widerspricht einer gängigen Redensart, wonach das Alter den Menschen wieder »kindlich« oder gar »kindisch« mache. Der Begriff kindisch hat hier eine doppelte Konnotation: Zum einen verweist er auf die Rückentwicklung geistiger Fähigkeiten im Alter (z. B. Senilität), zum anderen auf eine Art der Naivität oder Albernheit. Die Lustige Person stellt diese Vorstellung ausdrücklich infrage.
»wie man spricht«: Dieser Einschub verweist auf den populären Gemeinplatz oder das Sprichwort, dem hier widersprochen wird. Die Lustige Person zeigt damit eine reflektierte, kritische Haltung gegenüber volkstümlicher Meinung.
Der Vers führt den Leser (oder Zuschauer) zunächst in die Irre, indem er mit einer allgemein akzeptierten Meinung beginnt – um diese im nächsten Vers umzukehren.

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.213
»Es«: Das Subjekt ist hier das Alter selbst, das als aktive Kraft dargestellt wird: nicht etwas, das verändert, sondern etwas, das entlarvt.
»findet uns nur noch«: Der Ausdruck suggeriert, dass das Alter nicht verantwortlich ist für eine Rückentwicklung, sondern etwas vorfindet, das schon da ist – nämlich die »Kinderhaftigkeit« des Menschen. Das noch betont die Dauerhaftigkeit des kindlichen Wesenskerns, der erst im Alter offenkundig wird.
»als wahre Kinder«: Der Begriff wahre Kinder deutet auf eine tiefere Wahrheit: Nicht das Alter macht den Menschen kindlich, sondern es zeigt, dass der Mensch im Innersten – unter der Maske von Reife, Vernunft, Weltklugheit – ein Kind bleibt: bedürftig, spielerisch, irrational, vielleicht auch naiv. Goethe spielt hier mit einem philosophisch-anthropologischen Gedanken: Die kindliche Natur des Menschen ist eine konstante Grundbedingung, die das Alter nur entblößt.
Der Vers verkehrt das Sprichwort: Nicht das Alter macht den Menschen kindisch, sondern es offenbart, dass er es immer schon war – »wahrhaft« kindlich.
Zusammenfassend 212-213
Die Lustige Person entlarvt eine gesellschaftliche Illusion: Das Alter wird oft als Verfall und Rückschritt angesehen – hier wird es stattdessen als ein Moment der Wahrheit begriffen. Wenn der Mensch im Alter »kindisch« erscheint, liegt das nicht am Alter selbst, sondern daran, dass seine ursprüngliche Natur – die des »wahren Kindes« – sichtbar wird. Die Aussage hat zugleich humoristische und tiefsinnige Züge, ganz im Sinne der Figur, die sie spricht.
Möchtest du auch eine vergleichende Deutung aus philosophischer oder literaturhistorischer Perspektive (z. B. Rousseau, Schopenhauer, Calderón)?

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