Adelindens zarte Hand1
Pflückte Blumen durch diß Land/2
An statt deren/ die sie brach/3
Schossen neue Blüten nach.4
Wo ihr zarter Fuß tratt hin/5
Muste Klee und Schmirgel blühn/6
Die Crystallne Bach hielt auff/7
Sie zu sehen/ ihren Lauff/8
Bott ihr helles Silber-klar9
Ihr zu einem Spiegel dar:10
Sagte/ zwar dein schönes Bild/11
Wenn du Nimphe scheiden wilt/12
Führt mein linder Strom mit sich/13
Uber dir zu Ruhm laß ich14
Alle Jahr die bunten Aun15
Diesen Tag benetzet schaun.16
Adelindens zarte Hand1
Pflückte Blumen durch diß Land/2
An statt deren/ die sie brach/3
Schossen neue Blüten nach.4
1 Adelindens zarte Hand
Analyse
1. Der Vers eröffnet mit einer höfisch-galanten Namensansprache: Adelinden verbindet semantisch adel (vornehm) und Linde (Liebes- und Tanzbaum der frühneuzeitlichen Imaginationswelt). Damit wird die Figur bereits als Inbild kultivierter, natürlicher Anmut positioniert.
2. Das Attribut zarte greift einen barocken Topos weiblicher Haptik auf: Zartheit bezeichnet zugleich physische Feinheit und moralische Milde. Das Wort Hand metonymisiert die ganze Person; im galanten Kompliment wird die Hand als wirkmächtiges Organ der Schönheit und Gnade herausgestellt.
3. Syntaktisch ist der Vers parataktisch knapp und akzentuiert; er fungiert als Exordium: Subjekt (Hand/Adelinden) und Eigenschaft (zart) sind klar fokussiert, die Handlung wird auf den Folgeversen vorbereitet.
4. Klanglich stehen die weichen Liquid- und Nasal-Laute (Adelindens, zarte) im Dienst einer euphonischen Sanftheit, die das Motiv der Zärtlichkeit hörbar macht.
Interpretation
1. Der Vers etabliert Adelinden als quasi-mythische Naturherrscherin: Nicht irgendeine Hand, sondern ihre zarte Hand wird zum Ursprung der Ereignisse; das eröffnet die Erwartung außeralltäglicher Wirksamkeit.
2. Die Linde als Namensbestandteil ruft das ars amandi-Feld auf (Liebesfeste, Dorflinde, Schutzbaum), sodass Adelinden Eros und Natur vermittelt.
3. Durch den Fokus auf die Hand wird die Beziehung von Berührung und Verwandlung vorbereitet: Was sie berührt, wird sich anders zeigen als zuvor — eine barocke Variante des Lobgedichts, das der Dame belebende Kraft zuschreibt.
2 Pflückte Blumen durch diß Land/
Analyse
1. Das Prädikat pflückte konkretisiert die Tätigkeit im locus amoenus: Blumenpflücken ist ein pastorales und erotisches Motiv (Unschuld, Spiel, Auswahl).
2. Die hyperbolische Bestimmung durch diß Land weitet den Handlungsspielraum von einem Garten auf eine ganze Landschaft aus. Das ist galanter Überbietungsgestus: Adelindens Wirken ist landesweit spürbar.
3. Der Druck-Schrägstrich / (frühneuzeitliche Interpunktionskonvention) setzt eine Atempause und markiert den fortlaufenden, beinahe prozessionsartigen Charakter der Handlung.
4. Lexikalisch stehen pflückte (ein zarter Akt, doch faktisch trennend) und Blumen (Vergänglichkeit, Schmuck, Liebessymbol) in einem memento-mori-Spannungsfeld: Zierde wird durch Pflücken vom Lebensgrund gelöst.
Interpretation
1. Adelindens Blumenpflücken ist mehr als Muße: Es ist ein Aneignungsakt der Schönheit. Die Dame wählt aus, ordnet und formt so die Natur nach einem ästhetischen Ideal.
2. Durch diß Land stilisiert sie zur kulturellen Souveränin: Ihr Geschmack wird normsetzend, die Natur scheint ihrem courtoisen Regime zu folgen.
3. Das Motiv kann an mythologische Floralia (Ovids Flora, Venuskult) erinnern: Blumen werden zum Medium der Venus-Gnade, die sich über das Land ausbreitet.
3 An statt deren/ die sie brach/
Analyse
1. Die Fügung An statt deren (anstatt derer) stellt eine Substitutionsrelation her: Für die Blumen, die sie brach, soll Ersatz kommen.Interpretation
1. Die Spannung zwischen Zärtlichkeit und Bruch ist barock: Schönheit wird oft durch Verletzung sichtbar (Rosen-Dornen-Topik). Der Text bereitet dadurch die paradoxe Pointe vor: Aus dem Verlust erwächst Mehrung.4 Schossen neue Blüten nach.
Analyse
1. Das Prädikat schossen bringt plötzliche, üppige Vitalität ins Spiel; es evoziert Wachstumsschub und Überfülle.
2. Die Stellung von neue vor Blüten legt den Akzent auf Qualität und Quantität: Es entstehen nicht nur weitere, sondern erneuerte Blüten — eine Steigerungslogik (plus quam ante).
3. Der Schlussvers liefert die Pointe des distichischen Paarreims (Hand/Land – brach/nach): Die vermeintliche Verknappung (Pflücken/Brechen) schlägt in Selbstvermehrung der Natur um.
4. Semantisch entsteht eine theopoetische Aura: Natur reagiert personifiziert auf Adelindens Gegenwart; sie belohnt oder spiegelt die Tugend der Dame.
Interpretation
1. Der Vers behauptet ein Wunder der Fülle: Adelindens Nähe wirkt vivifizierend; sie ist nicht Zerstörerin, sondern Auslöserin eines übernatürlichen Regenerationsprozesses.
2. Galant gelesen, wird Adelinden zur Venus-Figur: Ihre Handlung setzt Eros-Energie frei, die das Land fruchtbar macht.
3. Poetologisch verweist der Effekt auf den Selbstvermehrungs-Topos des Lobgedichts: Wie die Dame Lob mehrt, so mehrt die Dichtung Blüten (Metapher für Verse). Der Text reflektiert so seine eigene Produktionslust.
1. Struktur und Klang: Die Strophe arbeitet mit Paarreim (Hand/Land, brach/nach) und kurzen, pointierten Zeilen. Die Schrägstriche rhythmisieren die Aussage in gestufte Sinnphrasen, die auf eine Pointe hinführen. Von der sanften Ankündigung (zarte Hand) über die weite Handlung (durch diß Land) und die Ambivalenz (brach) mündet sie in die paradoxe Aufhebung des Verlusts (schossen neue Blüten nach).
2. Topik und Bildwelt: Die Strophe bündelt klassisch-barocke Motive: locus amoenus, galantes Kompliment, Natur-Personifikation, Erneuerungswunder. Die Namenswahl Adelinden verschmilzt Adel und Linden-Symbolik (Liebe, Schutz, Tanz), während der Zyklustitel (Anemons und Adonis Blumen) einen mythologischen Resonanzraum (Venus/Adonis/Anemone als Blume der verwandelten Wunde) eröffnet.
3. Paradoxie der Gnade: Zentral ist die Umwertung des Bruchs: Das scheinbar destruktive Blumenpflücken ruft mehr Leben hervor. In barocker Denkfigur entsteht aus Verlust Überschuss. Diese Ökonomie der Gnade legt der Dame eine charismatische, fast sakral-mythische Wirkkraft bei.
4. Poetologische Selbstspiegelung: Blüten sind zugleich Natur- und Dichtungsmetapher. Indem Adelindens Handlung neue Blüten nachschießen lässt, reflektiert das Gedicht seine eigene produktive Nachblüte: Das Loben erzeugt weitere poetische Zierde.
5. Affekt und Ethos: Die initiale Zartheit wird nicht dementiert, sondern überboten: Gerade weil die Hand zart ist, ist ihr Bruch heilbringend. Das Ethos der Figur vereint Milde und Macht; das Affektziel ist Staunen über eine liebenswürdige Souveränität, die Natur selbst in Festfreudigkeit versetzt.
Damit zeichnet die erste Strophe in konzentrierter Form ein galantes Naturwunder: Adelindens berührende Präsenz verwandelt Entnahme in Fülle, Auswahl in Vermehrung und Schönheit in schöpferische Kraft.
Wo ihr zarter Fuß tratt hin/5
Muste Klee und Schmirgel blühn/6
Die Crystallne Bach hielt auff/7
Sie zu sehen/ ihren Lauff/8
5 Wo ihr zarter Fuß tratt hin/
Analyse
1. Die Formulierung zarter Fuß etabliert ein galantes, höfisches Register: zart ist ein Schlüsseladjektiv barocker Liebeslyrik, das Feinheit, Jugend und verletzliche Anmut konnotiert.
2. Der Relativadverb-Anfang Wo … hin setzt einen konditional-kausalen Rahmen: überall dort, wo sie schreitet, folgt Wirkung auf Schritt. Grammatisch richtet der Vers die Szene auf das Terrain (Ort) und die Spur (Bewegungsrichtung) aus.
3. tratt (orthographisch dt./frnhd. Verdopplung) und die schlichte Syntax halten den Vers metrisch kurz und zielgerichtet: Bewegung ist das Leitmotiv; das Enjambement zum Folgevers (Muste Klee …) bleibt vorbereitet.
4. Semantisch wird der Fuß der Geliebten als Agent der Verwandlung markiert – die bloße Präsenz (nicht ein aktives Tun) genügt, um Naturprozesse auszulösen; das ist typisch für pastorale Idealisierungen (locus amoenus).
Interpretation
1. Der Vers setzt die Geliebte als epiphanisches Zentrum: Sie betritt den Raum – der Raum ändert sein Wesen. Das ist ein höfisch-allegorisches Machtbild: Natur gehorcht der Schönheit.
2. Der Körperteil Fuß betont Erd- und Bodennähe statt distanzierter Transzendenz: nicht himmlische Strahlen, sondern ein Schritt in die Wiese genügt – ein sanft naturalisiertes Wunder.
3. Der Anklang an Spuren-Motivik (Fußspur als Signatur der Geliebten) rahmt die folgenden Wachstumseffekte: was bleibt, ist fruchtbare Spur, nicht Zerstörung.
4. Poetologisch kündigt der Vers das barocke Spiel mit miracula naturae an: Die Geliebte wird zum Prinzip der Generativität, das in den nächsten Versen konkretisiert wird.
6 Muste Klee und Schmirgel blühn/
Analyse
1. Die Modalität Muste (mhd./frnhd. mußte) zeigt Notwendigkeit: Die Natur kann nicht anders, als zu blühen. Rhetorisch ist dies Hyperbel und Personifikation in einem.
2. Klee fungiert als Emblem pastoral-ländlicher Fülle und Sanftheit (Weide, Unschuld, Weichheit); er setzt einen vertrauten, volksnahen Florenklang.
3. Schmirgel ist ein frühneuzeitlicher/dialektaler Pflanzenname für das Scharbockskraut (Ficaria verna) bzw. verwandte, glänzend gelb blühende Hahnenfuß-Gewächse; gerade dessen lackartig glitzernde Blüten sind sprichwörtlich. Damit gewinnt die Farbe Gold-Gelb eine ikonische Rolle (Glanz, Pracht, Venus-Licht). ([Internet Archive][2])
4. Die Reihung Klee und Schmirgel schafft eine klangliche und ikonische Doppelung: Wiesenfülle (Klee) + blitzender Blütenglanz (Scharbockskraut/Butterblume-Typus) → dichter Farben- und Texturteppich.
Interpretation
1. Der Vers visualisiert eine sofortige, zwangsläufige Verwandlung des Bodens in ein Fest der Blüten – Schönheit erzeugt Naturgesetz.
2. Die gelbe Glanzfarbe (Schmirgel) bindet die Geliebte an die Sphäre des Hellen, Kostbaren und Spiegelnden; sie ist gleichsam eine irdische Lichtquelle, die die Wiese vergoldet.
3. Der pastoral-mythologische Subtext (Venus-/Frühlingsflora) deutet die Geliebte als Nymphe/Flora-Figur: wo sie schreitet, ist Mai.
4. Poetisch entsteht eine Emblematik der liebenden Spur: amor wird in Klee (Nahrung, Sanftheit) und Schmirgel (Glanz, Vitalität) materialisiert.
7 Die Crystallne Bach hielt auff/
Analyse
1. Die … Bach (fem. Gebrauchsweise) und Crystallne (kristallklar) zeichnen ein antikisierendes Naturrequisit: der klare Quell-/Bachlauf als locus amoenus.
2. hielt auff (aufhalten, innehalten) personifiziert den Bach und verleiht ihm Intentionalität. Die Natur reagiert bewusst auf die Geliebte.
3. Die Alliteration Crystallne … hielt ist subtil; wichtiger ist der semantische Bruch: Fließendes (Bach) wird zum Stillstand gezwungen – ein paradoxes Wunder, ein Tops der barocken admiratio.
4. Prosodisch bildet der Vers die Zäsur der Bewegung ab: kurzer, fast schlagender Satz, der den Stillstand performativ spürbar macht.
Interpretation
1. Das Motiv erinnert an klassische Erzählmuster (Orpheus, Nymphen, Ovid): Kunst/Schönheit bindet die Elemente – hier stoppt reine Schönheit den Lauf der Zeit/Natur.
2. Kristall verstärkt Reinheit/Keuschheit: Das Wasser ist geeignet, Spiegel zu sein; sein Innehalten bereitet die Spiegel-Szene vor.
3. Der Stillstand deutet sich als staunende Verehrung der Elemente: Natur unterbricht ihren Zweckbetrieb, um der Schönheit zu dienen – eine höfische Weltordnung im Bild.
4. Symbolisch: was läuft, steht für Zeit, Schicksal, Vergängnis; der angehaltene Lauf ist die Gunst der Stunde – ein Augenblick, der Dauer beansprucht.
8 Sie zu sehen/ ihren Lauff/
Analyse
1. Die Infinitivgruppe Sie zu sehen benennt klar den Zweck des Stillstands: Schauen, Kontemplation, Bewunderung.
2. ihren Lauff bezieht sich syntaktisch auf den Bach; semantisch spielt der Vers mit Polyvalenz: Lauf ist Flusslauf, aber im Barock oft auch Lebenslauf (biographische Zeit).
3. Die Stellung der Infinitivgruppe zwischen Subjekt (Bach) und Objekt (ihren Lauff) ist eine Hyperbaton-Figur: der Blick auf sie schiebt sich zwischen den Bach und seine natürliche Bestimmung – der Blick suspendiert Funktion.
4. Klanglich binden sehen / … / Lauff die motivische Brücke zur nächsten Strophenhälfte (Spiegel-Topos), die im Gedicht folgt.
Interpretation
1. Natur wird zur Zuschauerin: Die Welt hält an, um der Geliebten das Schauen zu weihen; kontemplatives Sehen ersetzt mechanisches Fließen.
2. Doppelbödigkeit von Lauf: Der Bach hält an, um in ihrem Lauf (Gang/Schreiten) das Ideal zu erkennen; zugleich wird seine Zeit für ihre Zeit angehalten – Galanterie als kosmische Höflichkeit.
3. Poetologische Selbstspiegelung: Wie der Bach sein Fließen anhält, hält die Dichtung die Zeit im Bild fest; das Gedicht ist die verbaute Pause der Welt.
4. Vorausdeutung: Der Spiegel-Gedanke, der in den Folgeversen explizit wird (das Wasser bietet sich als Spiegel an), ist hier motivisch bereits gelegt: Sehen → Spiegel → Ruhm.
1. Topos und Struktur: Die Strophe gestaltet in zwei Schritten das barocke Programm der Natur in Liebe: Zuerst die spontane Florierung der Wiese (Klee und Schmirgel), dann die personifizierte Reaktion des Elements Wasser (der Bach hält an). Der Übergang von Boden (Fußspur) zu Wasser (Bach) weitet den Wirkungskreis der Geliebten vom Nah-Kontakt (Spur) zur Fernwirkung (die Elemente).
2. Ikonographie und Farbe: Mit Klee (grün) und Schmirgel/Scharbockskraut (gold-gelb, glänzend) entwirft der Text ein höfisches Farbpaar: Grün als Leben/Milde und Gold als Glanz/Preis. Der Bach als kristall fügt das Weiß/Klar hinzu – das klassische Trias-Spektrum pastoral-galanter Emblematik (grün-gold-klar). Die Identifikation von Schmirgel mit dem volkstümlichen Namen für das Scharbockskraut bzw. gelbglänzende Hahnenfuß-Arten verstärkt den Eindruck lackartig funkelnder Blumen – eine visuelle Entsprechung der auratischen Geliebten. ([Internet Archive][2])
3. Poetische Verfahren: Hyperbel (Wiese muß blühen), Personifikation (Bach hält auf), Hyperbaton (Sie zu sehen eingeschoben) und die anmutige Kürze der Zeilen erzeugen eine Bewegung von Raschheit (Schritt → Blüte) zu Ruhe (Stillstand des Bachs). Das Gedicht abbildet seinen Inhalt performativ: Bewegung in V. 5–6, Ruhe in V. 7–8.
4. Zeitmotiv: Der Stopp des Laufs allegorisiert die barocke Sehnsucht, den günstigen Augenblick zu fixieren. Der Blick (Sehen) triumphiert über das Verfließen (Lauf). Die Strophe ist somit sowohl Liebes-Apotheose als auch kleine Meditation über Kunst: Dichtung hält, wie das Wasser, für einen Moment die Zeit an.
5. Soziale Codierung: In der höfisch-galanten Semantik ist die Natur nicht wild, sondern kultiviert: Sie reagiert gesittet auf die Dame. Die Anrede bleibt implizit, doch die Welt hält Höflichkeit. Das verleiht der Geliebten eine souveräne, quasi-monarchische Aura.
6. Vorausdeutung und Kohärenz im Gedicht: Was hier als Staunen der Elemente erscheint, wird im folgenden Teil der Szene zur Spiegel-Ökonomie: Das Wasser bietet sein Silber als Spiegel an, um den Ruhm der Geliebten zu tragen – ein Motiv, das in barocker Lyrik (und in Abschatz’ Zyklus insgesamt) wiederkehrt und die Verschränkung von Natur, Blick und fama (Ruhm) fortschreibt. ([Scribd][1])
Bott ihr helles Silber-klar9
Ihr zu einem Spiegel dar:10
Sagte/ zwar dein schönes Bild/11
Wenn du Nimphe scheiden wilt/12
9 Bott ihr helles Silber-klar
Analyse
1. Die Form Bott ist eine barocke/ältere Schreibweise von bot (Präteritum zu bieten); sie setzt die Handlung in die Vergangenheit und markiert eine erzählerische, zugleich bildhafte Szene.
2. Das Subjekt bleibt implizit (naheliegend: der Bach/Fluss), wodurch der Vers mit einer elliptischen, sofort bildkonstituierenden Bewegung einsetzt. Das steigert die Anschaulichkeit und vermeidet erklärendes Vorspiel.
3. Die Wortfügung helles Silber-klar bündelt synästhetisch Farbe, Glanz und Reinheit. Die kopulative Zusammensetzung mit Bindestrich intensiviert den Eindruck einer metallisch spiegelnden Wasseroberfläche.
4. Klanglich verdichten sich S- und L-Lautungen (helles, Silber), was das Fließende und Glatte der Szene phonetisch stützt. Die Kürze des Verses erzeugt einen knappen, fast aufblitzenden Bildeinsatz.
Interpretation
1. Das Wasser präsentiert sich als kostbares Element—Silber erhebt den Bach ästhetisch und moralisch (Reinheit, Keuschheit), was im Barock häufig als Vorbedingung für Spiegel-Motivik fungiert.
2. Die Ellipse lenkt den Fokus weg von einer erzählerischen Erklärung hin zum ikonischen Status des Moments: Nicht wer bietet, sondern was sichtbar wird—der Glanz—ist entscheidend.
3. Der Vers etabliert eine Bühne für Eitelkeit und Selbsterkenntnis: Wo Silber-klar ist, kann sich Schönheit spiegeln; hier kündigt sich die Vanitas-Frage an, wie dauerhaft solche Schönheit sei.
4. Im Kontext des Zyklus (Anemone/Adonis: Liebe und Vergänglichkeit) markiert das Anbieten des Wassers einen höflich-galanten, gleichwohl schicksalsschweren Auftakt: Natur tritt als höfischer Diener der Schönheit auf—ein barocker Topos.
10 Ihr zu einem Spiegel dar:
Analyse
1. Das Dativpronomen ihr präzisiert die Empfängerin der Geste: der Nymphe. Es entsteht eine höfische Konstellation von Gabe und Rezeption.
2. Zu einem Spiegel macht die Funktion des Wassers explizit: Aus bloßer Oberfläche wird Instrument der Selbstschau. Der Doppelpunkt schaltet von Beschreibung auf (potentielle) Rede/Lehre um.
3. Die Syntax setzt Vers 9 fort und schließt die elliptische Konstruktion: bot … ihr … dar. Dadurch entsteht eine periodische Spannung, die in direkter Ansprache münden kann.
4. Semantisch wird das Wasser personifiziert: Es bietet sich dar—eine aktive, intentionale Geste, die die Natur in den Status eines höfischen Akteurs versetzt.
Interpretation
1. Der Spiegel ist im Barock doppeldeutig: Er ermöglicht Selbstvergewisserung (Schönheitsschau) und moralische Prüfung (Erkenntnis der Eitelkeit). Die Strophe balanciert beide Möglichkeiten.
2. Der Akt der Darbietung ist zugleich Verführung und Warnung: Schönheit zeigt sich, aber im Spiegel ist sie nur Bild, nicht Wesen—ein leises Memento der Instabilität des Schönen.
3. Indem die Natur der Nymphe den Spiegel darbietet, wird die Szene vom Naturbild zum moralischen Emblem: Die Leserin/der Leser soll das mirabile pictura als Exempel der Vergänglichkeit lesen.
4. Der Doppelpunkt bereitet direkte Rede vor: Der Spiegel/das Wasser wird gleich sprechen; dies kündigt eine prosopopoiia an, also die rhetorische Vermenschlichung eines Nicht-Menschlichen als Sprecher.
11 Sagte/ zwar dein schönes Bild/
Analyse
1. Die eingeführte direkte Rede verleiht dem Spiegel eine Stimme: Die Personifikation tritt in die zweite Stufe und macht das emblematische Bild explizit lehrhaft.
2. Die Partikel zwar ist argumentativ vorbereitend (Konzession). Sie deutet eine zwar–aber-Struktur an, deren aber (implizit oder in der folgenden Fortsetzung) eine Korrektur, Einschränkung oder Pointe nach sich zieht.
3. dein schönes Bild macht die Differenz zwischen Bild und Subjekt sichtbar. Die Wahl von Bild statt Antlitz/Gestalt unterstreicht den Repräsentationscharakter—es geht um Spiegelung, nicht um Substanz.
4. Die Schrägstriche markieren im frühneuzeitlichen Druck oft syntaktische Einschnitte und heben die rhetorische Gliederung hervor; hier verstärken sie die concessio-Bewegung.
Interpretation
1. Die Stimme des Spiegels anerkennt zunächst die Schönheit: zwar dein schönes Bild—das ist der honette, höfische Zug; zugleich wird damit die argumentative Falle gestellt, denn Bild ist per se flüchtig.
2. Der Vers bereitet die Vanitas-Dialektik vor: Anerkennung (Schönheit) → Relativierung (nur Bild) → moralische Konsequenz (Vergänglichkeit).
3. Die Rede markiert eine Art memento speculi: Das Spiegelbild bekräftigt die Präsenz und zugleich die Distanz zur eigenen Leiblichkeit—ein Spiel von Nähe (ähnlich) und Ferne (nur Schein).
4. Rhetorisch ist das die concessio, die gleich didaktisch gewendete Widerlegung oder Einordnung erlaubt: Das Gedicht arbeitet mit barocker Antithetik.
12 Wenn du Nimphe scheiden wilt/
Analyse
1. Die Konditionalkonstruktion (Wenn) öffnet einen hypotaktischen Rahmen: Die Aussage aus Vers 11 wird an eine Bedingung geknüpft, deren Folge erst in der Fortsetzung der Strophe (Vv. 13–16) oder des Gedichts vollends ausgelotet werden dürfte.
2. Nimphe (ältere Orthographie) ruft den mythologischen Hofstaat der Natur auf; zugleich individualisiert das Dativ-ihr von V. 10 nun zur direkten Anrede in der 2. Person.
3. scheiden trägt die barocke Doppelsemantik von sich entfernen und sterben. In einem Adonis-Kontext ist die memento-mori-Schattierung stark mitgemeint.
4. Das finiten Verb wilt (für willst) enthält einen voluntativen Aspekt, der überraschend klingt: als ob das Scheiden in der Macht/Absicht der Nymphe stünde—ein ironisches Spiel mit Freiheit und Notwendigkeit.
Interpretation
1. Der Spiegel bindet seine Zusage an die Bedingung des Abschieds/Todes: Das deutet auf eine paradoxe Trostfigur—das Bild bleibt (oder spricht), wenn die Person geht. So verkehrt sich die Eitelkeit des Spiegelns in einen Speicher der Erinnerung.
2. Mit dem Todes-/Abschiedssemantem rückt die Strophe in den Kern barocker Existenzreflexion: Pulchritudo ist präsent, doch sie ist nur transitiv; was bleibt, ist Repräsentation (Bild, Name, Blume)—nicht Substanz.
3. Die Anrede Nimphe hält das Szenario im mythischen Register, was Distanz und Allgemeingültigkeit zugleich schafft: Die Nymphe ist Typus weiblicher Schönheit, nicht bloß Individuum.
4. Das offene Wenn erzeugt Suspense: Die pointierende Folgerung (Trost? Warnung? Konditionalversprechen?) wird ins Nachfolgede verschoben—ein periodischer Zug, der der barocken Sentenzbildung entspricht.
1. Dramaturgie der Spiegel-Szene: Die Strophe entfaltet in vier Schritten eine emblematische Szene: (a) Installation des glänzenden Wassers als ästhetische Oberfläche; (b) höfische Darbietung an die Nymphe; (c) Anhebung zum lehrhaften Sprechen durch Personifikation; (d) Konditionalrahmung mit Vanitas-Akzent (scheiden). Diese Bewegung führt von Anschauung zu Moral, von Naturbild zu Sentenz.
2. Barocke Antithetik und concessio: Durch das zwar wird Schönheit zunächst bestätigt, um sie im nächsten Schritt relativiert zu sehen. Das Erwartungsmanagement bereitet eine doch-Pointe vor (vermutlich in den folgenden Versen), die den barocken Grundgestus—Pracht und Verfall—kompositorisch spürbar macht.
3. Bild/Substanz-Differenz: Der Spiegel exponiert die ontologische Kluft zwischen Erscheinung und Wesen. Das schöne Bild ist Evidenz der Gegenwart und zugleich deren Aushöhlung: Es zeigt, indem es entwirklicht. In einem Zyklus, der Adonis/Anemone aufruft, wird diese Differenz zum Leitmotiv: Aus Blut wird Blume, aus Person wird Zeichen—aus Leben Bild.
4. Personifikation als Lehrmittel: Dass das Wasser bot und sagte, lässt die Natur zur moralischen Instanz werden. Der Spiegel spricht wie ein Hofmeister: höflich, anerkennend, aber auf eine Konsequenz hinlenkend. Damit verschränkt das Gedicht galanten Ton und asketische Reflexion.
5. Zeitlichkeit und Erinnerung: Das konditionale Wenn du … scheiden wilt deutet darauf, dass das Bild eine Art Nach-Bleiben stiftet. So tritt an die Stelle des Körpers eine Spur (Spiegelbild, später vielleicht Blume/Lied), die barocke Trostökonomie aktiviert: Kunst/Natur verwahren, was das Leben verliert.
6. Mythischer Rahmen, allgemeine Geltung: Die Anrede Nimphe verankert das Einzelbild im mythischen Universum. Das verleiht dem Szenario exemplarische Dignität: Jede Schönheit ist nymphisch, und jede nymphische Schönheit steht unter dem Gesetz des Scheidens.
7. Formale Beobachtung: Elliptische Syntax, deutliche Kolonstruktur (auch typographisch markiert), und die Progression zur direkten Rede schaffen einen periodischen Zug, der Spannung aufbaut und die Pointe hinauszögert. Klanglich unterstreichen s- und l-reiche Fügungen die Glätte der Oberfläche; der Doppelpunkt fungiert als Scharnier zur Lehre.
Kurzfazit: Die Strophe modelliert eine höfische Natur-Szene, in der der klare Bach sich als Spiegel darbietet und zum Sprecher einer barocken Vanitas-Wahrheit wird: Schönheit ist gegeben und anerkannt, aber sie ist Bild—und als Bild tritt sie ins Amt der Erinnerung wenn die Person scheidet. In dieser doppelten Bewegung von Verheißung und Einschränkung liegt der leise Ernst des Gedichts, der im weiteren Verlauf voraussichtlich zur sentenziösen Auflösung führt.
Führt mein linder Strom mit sich/13
Uber dir zu Ruhm laß ich14
Alle Jahr die bunten Aun15
Diesen Tag benetzet schaun.16
13 Führt mein linder Strom mit sich/
Analyse
Der Vers setzt mit einer personifizierten Naturmetapher ein: Strom fungiert als Subjekt und trägt die Attribuierung linder, die den Ton der Bewegung als mild, sanft und beruhigend kennzeichnet. Der Euphemismus linder markiert bereits eine Affektsteuerung: Nicht der reißende Fluss des Schmerzes, sondern ein gezähmter, tröstender Lauf.
Die Verbfügung führt … mit sich ist transitiv angelegt, lässt das Objekt jedoch in der Schwebe; syntaktisch entsteht so eine gespannte Erwartung, die sich erst in den Folgeversen semantisch einlöst. Dieses Hinauszögern ist ein barockes Mittel der Affektführung.
Strom ist semantisch polyvalent: Er kann wörtlich den Wasserlauf bedeuten, tropologisch den Strom der Zeit und pathetisch den Strom der Tränen. Durch die adjektivische Qualifizierung wird die Mehrdeutigkeit nicht aufgelöst, sondern harmonisiert.
Klanglich fällt die ruhige, gleitende Abfolge von Betonungen auf; der Vers wirkt kurz und knapp, was den Eindruck einer sanft fortbewegten, nicht stockenden Bewegung steigert.
Interpretation
Der Sprecher entwirft sein eigenes Affektgeschehen als regulierte Naturkraft. Die Trauer ist präsent, aber gezähmt; sie trägt, statt zu zerreißen. Der linde Strom wird zum Modell einer ethisch-ästhetischen Mäßigung.
Das Unbestimmte (führt … mit sich) öffnet den Raum für eine symbolische Last: Erinnerungen, Ruhm, Name oder Gedenken der angeredeten Person werden mitgeführt. Der Fluss wird so zum Vehikel der Memorialisierung.
In barocker Perspektive lässt sich der Strom zugleich als Zeitstrom lesen, der das Vergängliche fortträgt, und als Tränenstrom, der es heiligt. Die Sanftheit konvertiert den Vanitas-Affekt in einen kultischen Gestus des behutsamen Bewahrens.
14 Über dir zu Ruhm laß ich
Analyse
Der Vers eröffnet mit der Präpositionalgruppe Über dir, die eine räumliche (über einem Grab, einer Stätte, einem Namen) oder auch soziale Positionierung (über dich hinaus, dich betreffend) markiert.
Zu Ruhm fungiert als Finalbestimmung (Zweckangabe): Die intendierte Handlung zielt auf Fama, auf das öffentliche Fortleben der Ehre.
Laß ich markiert Sprechermacht: Der Sprecher setzt nicht nur empfangend, sondern lenkend einen Akt des Gedenkens in Gang. Die Konstruktion antizipiert das Akkusativ-mit-Partizip-Gefüge des Folgeverses.
Rhetorisch entsteht eine Votivformel: Der Sprecher gelobt eine Handlung über dir und zu Ruhm, wodurch das Private in ein öffentlich-rituelles Register überführt wird.
Interpretation
Der Vers verschiebt Trauer in Repräsentation: Nicht bloß Wehklage, sondern Kanalisierung ins Ruhmvolle. Das Pathos wird in eine Gedächtnispolitik der Ehre transformiert.
Über dir kann epitaphischen Nachklang haben: gedacht ist an eine Grab- oder Kultstätte; zugleich kann das Über als Schutz- und Überhöhungsgeste gelesen werden.
Die Sprecherinstanz versteht sich als Stifter von Ruhm. Das Lyric-Ich nimmt die Rolle eines Priesters/Ordners eines Gedenkrituals ein: Es reguliert, was erinnert und wie es erinnert wird.
15 Alle Jahr die bunten Aun
Analyse
Die Temporalbestimmung Alle Jahr etabliert Zyklizität. Erinnerung wird nicht einmalig, sondern als wiederkehrender Ritus konzipiert.
Die bunten Aun personifiziert die Flussauen als farbige, lebendige Zeugen. Das Attribut bunt ruft die Vielfalt der Blumen hervor und bindet die Szene an den Zyklus von Blühen und Vergehen.
Als Akkusativobjekt zum nachfolgenden schaun vorbereitet, werden die Auen grammatisch zu denjenigen, die sehen; semantisch werden sie damit zu Mit-Subjekten des Gedächtnisvollzugs.
Natur und Ritus verschränken sich: Die Topographie des Flusses (Auen) ist nicht bloßer Hintergrund, sondern liturgischer Raum.
Interpretation
Das Gedenken wird in den Jahreslauf eingeschrieben: Natur selbst feiert mit. So entsteht eine Theopoetik der Erinnerung, in der Schöpfung zur Mitträgerin von Ruhm wird.
Die bunten Auen erinnern an mythopoetische Floramotive (Anemone/Adonis): Blut, Träne und Blüte bilden im Barock oft eine Kette der Verwandlung. Die Farbe (Buntheit) verbildlicht die Substitution von Tod durch Blüte.
Indem die Auen sehen, wird die Öffentlichkeit des Gedenkens stark gemacht: Nicht der einsame Mensch, sondern die ganze Umwelt ist Zeuge. Das steigert die Idee von Dauer und Verbreitung der Fama.
16 Diesen Tag benetzet schaun.
Analyse
Grammatisch handelt es sich um eine A.c.P.-Konstruktion: jemanden/etwas benetzet schauen. Objekt ist Diesen Tag, Prädikativpartizip benetzet. So wird nicht die Au, sondern der Tag als befeuchtet vorgestellt.
Benetzet knüpft an den Wasser-Topos an und konkretisiert das zuvor schwebende führt … mit sich: Der Tag selbst ist von Feuchtigkeit gezeichnet—als wäre ihm eine Taufe, Tränen- oder Libationshandlung widerfahren.
Der Ausdruck erzeugt eine synästhetische Reibung: Ein temporales Datum (Tag) erhält eine physische Eigenschaft (benetzt) und wird visuell erfahrbar (schaun). Dadurch gewinnt der Memorialakt Körperlichkeit.
Durch die Deixis Diesen wird der Tag als Fest- oder Jahrestag markiert; die Wiederkehr (Alle Jahr) macht ihn zum Kalenderereignis.
Interpretation
Der Tag der Erinnerung wird rituell befeuchtet—durch Tau, Tränen oder bewusste Libation. So verwandelt sich Affekt in Handlung, Handlung in sakralen Vollzug.
Das Bild der Benetzung erhebt den Tag in einen quasi-sakramentalen Rang: Wasser als reinigende, segnende, zugleich fruchtbarkeitsstiftende Substanz, die den Ruhm nährt.
Indem die Auen diesen Tag benetzet schaun, wird die Natur zur liturgischen Gemeinde, der Tag zum feuchten Denkmal. Das Gedenken ist nicht abstrakt, sondern sinnlich, beinahe greifbar.
Die vierte Strophe schließt den gedanklichen Bogen, indem sie ein privates Affektgeschehen in eine öffentliche, naturgestützte Memorialordnung überführt. Der linde Strom (V. 13) fungiert als polyvalentes Leitbild: Er ist Zeit, Träne und Fluss zugleich—ein Medium, das trägt, statt zu zerreißen. Diese Sanftheit ist nicht Schwäche, sondern kontrollierte Stärke des Gefühls. Mit Über dir zu Ruhm laß ich (V. 14) artikuliert das lyrische Ich einen Stiftergestus: Es will Erinnerung nicht dem Zufall überlassen, sondern sie über der adressierten Person (nahegelegt ist ein epitaphischer Kontext) zur Ehre ordnen. Der Vollzug gewinnt durch Alle Jahr (V. 15) den Charakter eines wiederkehrenden Ritus, der die bunten Auen als Zeugen und Mitfeiernde einbindet; Natur wird so vom Schauplatz zum Akteur. Die Schlusspointe, Diesen Tag benetzet schaun (V. 16), verleiht dem Gedenktag körperliche Dichte: Der Tag ist nicht bloß Datum, sondern erfährt eine sakrale Benetzung, die Tränen, Tau und Weihegestus ineinanderblendet.
Insgesamt transformiert die Strophe barocke Vanitas-Sensibilität in eine Poetik der Fama: Vergänglichkeit wird nicht verleugnet, sondern durch ritualisierte, naturverzahnte Erinnerung in Ruhm überführt. Die Wasser-Metaphorik vermittelt dabei zwischen affektiver Tiefe und kultischer Form; sie besiegelt, dass Gedenken nicht stürzt wie ein reißender Strom, sondern—lind geführt—dauernd wirkt.
1. Einführung der idealisierten Figur (Verse 1–4)
Das Gedicht eröffnet mit der zarten Bewegung Adelindens, deren Hand Blumen pflückt. Diese Handlung ist von Anfang an doppeldeutig: einerseits ein zierliches, galantes Motiv der Naturverbundenheit, andererseits ein Akt schöpferischer Macht. Denn dort, wo sie pflückt, wachsen neue Blumen nach. Der Eingriff in die Natur (das Pflücken) wird so zur Quelle neuer Blüte. Der poetische Raum wird dadurch zu einem Kreislauf von Zerstörung und Wiedergeburt, der von der Anmut der Protagonistin getragen ist.
2. Ausweitung des Wunders auf die Umwelt (Verse 5–8)
Das Wunderhafte, das von Adelinden ausgeht, setzt sich in der Umgebung fort: Auch ihr Fuß bewirkt Blühen, und selbst der Bach hält inne, um sie zu betrachten. Die Bewegung weitet sich von der Hand (dem instrumentellen, schöpferischen Organ) zum Fuß (dem tragenden, richtungsgebenden Teil) und schließlich zur Natur im Ganzen, die auf sie reagiert. Dadurch entsteht ein organischer Aufbau vom menschlichen Zentrum zur kosmischen Peripherie.
3. Dialog zwischen Natur und Schönheit (Verse 9–12)
Die Natur, personifiziert im crystallnen Bach, wird zum Spiegel, der Adelindens Bild aufnimmt. Hier kippt das äußere Geschehen in eine innere, symbolische Ebene: Der Bach spricht, er erkennt die Flüchtigkeit des Augenblicks (wenn du Nimphe scheiden wilt) und will ihr Bild festhalten. Es entsteht ein poetischer Dialog zwischen der vergänglichen Erscheinung und dem dauerhaften Naturbild.
4. Schluss in Verklärung und Dauer (Verse 13–16)
Im Schlussversprechen des Baches wird die Verwandlung der sinnlichen Schönheit in ein Naturgedächtnis vollendet. Sein Wasser will jedes Jahr die bunten Aun (Auen) am Gedenktag benetzen, als rituelles Gedenken an Adelinden. Der organische Verlauf führt somit von der lebendigen Bewegung zur dauernden Verklärung – vom Moment zur Wiederkehr.
1. Adelinde als Projektion idealer Weiblichkeit
Adelinde ist keine individuelle Figur, sondern ein poetisches Ideal: Reinheit, Anmut, schöpferische Kraft und stille Wirksamkeit verbinden sich in ihr. Sie repräsentiert das barocke Ideal der galanten Seele – schön, tugendhaft, und in Harmonie mit der Schöpfung. Psychologisch wirkt sie als Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Vollkommenheit im Irdischen.
2. Das staunende Subjekt im Hintergrund
Obwohl kein lyrisches Ich explizit spricht, ist das Gedicht durchzogen vom Blick des Bewunderers. Diese Perspektive ist typisch barock: der Dichter bleibt unsichtbar, doch die Welt wird zur Bühne seiner inneren Empfindung. Psychologisch entspricht dies einem stillen, ehrfürchtigen Liebesblick, der sich im Spiegel der Natur wiederfindet.
3. Spiegelung als psychisches Moment
Der Bach fungiert nicht nur als Naturmotiv, sondern als seelischer Spiegel. Er symbolisiert das Streben des Menschen, das Schöne zu bewahren, das ihm entgleitet. In dieser Spiegelung liegt ein psychologisches Paradox: das Verlangen, das Flüchtige festzuhalten, und das Bewusstsein, dass es unweigerlich zerrinnt. Das Gedicht hält diese Spannung zart in Balance.
4. Affektstruktur: vom Staunen zur inneren Ruhe
Der emotionale Verlauf des Gedichts führt von lebendigem Staunen über das Wunder (erste Hälfte) hin zu einer stillen inneren Beruhigung (zweite Hälfte). Diese Ruhe entsteht aus der Akzeptanz des Vergänglichen, das in poetischer Erinnerung fortlebt. Psychologisch wird so der Affekt sublimiert.
1. Harmonie von Mensch und Natur als Tugendideal
Adelindens Handeln ist nicht zerstörerisch, obwohl sie pflückt. Ihr Tun bleibt eingebettet in ein höheres Gleichgewicht: das, was sie nimmt, wird sogleich erneuert. Damit verkörpert sie eine Ethik der maßvollen Teilhabe – der Mensch darf die Natur berühren, ohne sie zu vernichten.
2. Sanftheit als moralische Kraft
Immer wieder betont das Gedicht die Zartheit und Lindheit: zarte Hand, linder Strom. Das Ethos des Gedichts liegt in dieser Sanftheit, die nicht Schwäche bedeutet, sondern die höchste Form von Wirksamkeit. Sanftheit wird zur ethischen Kategorie der Schönheit – sie verwandelt, ohne zu verletzen.
3. Dank und Erinnerung als moralische Gegengabe
Der Bach bietet sein Silber-klar als Spiegel dar und verspricht, jährlich in Gedenken zu fließen. Dieses Versprechen symbolisiert eine Ethik des Dankes: Die Natur antwortet auf die menschliche Schönheit mit dauernder Erinnerung. Schönheit verpflichtet – sie ruft eine moralische Gegengabe hervor.
4. Das Gute als stille Wirkung
Im ganzen Gedicht wird nicht gehandelt im moralischen Sinne, sondern gewirkt im stillen. Die Ethik des Gedichts besteht in der unsichtbaren Wirksamkeit – einem barocken Ideal, das Tugend nicht als Tat, sondern als Aura versteht. Adelindens Sein ist ihr Handeln.
1. Das Schöne als Offenbarung des Göttlichen
Die Natur reagiert auf Adelinden, als erkenne sie in ihr eine übernatürliche Präsenz. Ihre Spur bewirkt neues Leben – sie ist gleichsam Gnadenvermittlerin. Damit wird sie zur Epiphanie göttlicher Schönheit, in der sich das Ideal der imago Dei (Gottesbild im Menschen) manifestiert.
2. Schöpfung als fortwährende Neuschöpfung
Wo Blumen gepflückt werden, wachsen neue. Das verweist auf ein metaphysisches Prinzip: die Schöpfung ist kein abgeschlossenes Ereignis, sondern eine lebendige, sich selbst erneuernde Bewegung. In Adelindens Gegenwart tritt diese Dynamik zutage; sie ist der Ort, an dem das Sein schöpferisch bleibt.
3. Die Spiegelung als Symbol des göttlichen Wissens
Der Bach, der ihr Bild spiegelt, erinnert an die platonisch-christliche Vorstellung, dass die Welt ein Spiegel der göttlichen Ideen ist. Adelindens Schönheit ist die irdische Erscheinung einer himmlischen Form. Das Spiegelbild verweist auf das Verhältnis zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem – das Sichtbare als Gleichnis des Unsichtbaren.
4. Zeit, Ewigkeit und Wiederkehr
In der Schlusspassage verzeitlicht sich die Ewigkeit: jedes Jahr kehrt der Gedenktag wieder. Damit verschränkt Abschatz zyklische und lineare Zeit. Theologisch deutet das auf die barocke Hoffnung hin, dass das Schöne, wenn auch vergänglich, im göttlichen Gedächtnis fortbesteht. Das jährliche Wiederkehren ist ein Abbild der ewigen Erinnerung Gottes an das Gute und Reine.
5. Mensch und Natur als Teilhabe am göttlichen Logos
Adelinde, die Natur und der Bach sind keine getrennten Subjekte, sondern Ausdruck eines einheitlichen göttlichen Wortes. Die Sprache des Gedichts selbst wird zum Medium dieser Einheit: sie schafft mit Worten, was Adelinde durch ihre bloße Gegenwart schafft – Leben, Ordnung, Schönheit.
6. Die Metaphysik der Sanftheit
Das Leitmotiv des Linden, des Sanften, kann in einem christologisch-theologischen Sinne gelesen werden: Es ist die Sanftheit Christi, die in der Welt wirkt, ohne Gewalt. Adelinde erscheint somit als Bild der gratia, der göttlichen Gnade, die unmerklich verwandelt und heiligt.
Gesamtheitliche Zusammenfassung
Abschatz’ Gedicht gestaltet in barocker Galanterie und allegorischer Dichte die Verwandlung der Natur durch die Präsenz einer idealen Frauengestalt. Diese Wandlung ist zugleich psychologisch als Projektion des Liebesblicks, ethisch als Modell stiller Tugend, und theologisch als Offenbarung göttlicher Schönheit zu lesen.
Der organische Verlauf führt von der sinnlichen Bewegung (das Pflücken) über die poetische Spiegelung (das Erkennen) zur metaphysischen Dauer (das Gedenken). Die zarte Adelinde wird so zur Vermittlerin zwischen Natur und Geist, zwischen Zeit und Ewigkeit – eine nympha divinitatis, deren Spur die Welt heiligt.
In dieser Struktur spiegelt sich das barocke Weltgefühl: die Sehnsucht, im Vergänglichen die Spur des Ewigen zu erkennen.
1. Ideal der Tugendhaften Schönheit:
Adelinde erscheint nicht bloß als äußerlich schöne Frau, sondern als Verkörperung sittlicher Reinheit. Ihre Hand, die Blumen pflückt, zerstört nichts, sondern bewirkt neues Leben. Diese poetische Metapher legt nahe, dass wahre Schönheit im moralischen Sinne schöpferisch und nicht zerstörerisch wirkt. Es ist das Ideal einer Tugend, die die Natur durch ihr bloßes Dasein veredelt.
2. Einheit von Handeln und Natur:
Jeder Schritt und jede Bewegung Adelindens führt zu neuer Blüte. Damit verknüpft das Gedicht ethisches Handeln mit natürlicher Ordnung: Der sittlich gute Mensch steht in harmonischem Einklang mit der Welt, und sein Wirken ist von Lebensförderung geprägt. Moral wird so nicht als Gebot verstanden, sondern als Resonanzverhältnis zur Schöpfung.
3. Respekt und Ehrfurcht der Natur vor dem Guten:
Der Bach hält seinen Lauf an, um Adelinde zu betrachten. Die Natur verhält sich ehrfürchtig vor der moralischen Schönheit des Menschen. Diese Vorstellung einer beseelten, moralisch empfindenden Natur weist auf eine barocke Sicht, in der Tugend und Welt in gegenseitiger Spiegelung stehen.
4. Vergänglichkeit und moralischer Nachklang:
Wenn der Bach verspricht, jedes Jahr an diesem Tag die Au zu benetzen, so bleibt das sittliche Beispiel der Tugendhaften als Erinnerung im Kreislauf der Natur lebendig. Moralische Schönheit überdauert das Individuum und prägt die Welt bleibend.
1. Mensch als schöpferisches Zentrum des Kosmos:
In anthroposophischem Sinne verkörpert Adelinde das Prinzip der Vergeistigung der Natur durch den Menschen. Ihre Gegenwart verwandelt das Physische in ein geistig durchwirkendes Leben — Blumen wachsen aus ihren Spuren, das Wasser reflektiert ihr Bild. Der Mensch wird so zum Vermittler zwischen Geist und Natur.
2. Korrespondenz von Innerem und Äußerem:
Adelindens Reinheit und Anmut bewirken äußere Blüte. Diese Spiegelung entspricht der anthroposophischen Lehre, dass die äußere Welt Ausdruck innerer geistiger Zustände ist. Ihre Seele bringt die Natur zum Erblühen, weil sie selbst in Harmonie mit den schöpferischen Weltkräften lebt.
3. Vergeistigung der Elemente:
Erde (Blumen, Klee), Wasser (Bach), Luft (Spiegelung im Licht) und Äther (der Glanz ihrer Erscheinung) reagieren auf Adelinde. Diese Ganzheit verweist auf eine anthroposophische Durchdringung der vier Elemente durch menschliche Bewusstseinskraft — eine Wiederherstellung des paradiesischen Urzustandes von Mensch und Natur.
4. Rückbindung an den Jahreskreislauf:
Der Schlussvers mit der bunten Aun, die alljährlich diesen Tag benetzet schaun soll, spiegelt ein zyklisches, kosmisches Denken: menschliches Tun wird in den Rhythmus der Jahreszeiten eingebettet. Das Einmalige (Adelindes Gang) wird zur ewigen Wiederholung, was einer anthroposophischen Auffassung vom Lebenslauf als Teil kosmischer Wiederkehr entspricht.
1. Ideal der barocken Harmonie:
Das Gedicht entfaltet eine perfekte Symmetrie zwischen Bewegung und Wiederkehr, zwischen Handlung und Reaktion der Natur. Diese formale und inhaltliche Harmonie folgt dem barocken Schönheitsideal: das Kunstwerk zeigt das Göttliche durch Ausgewogenheit und musikalischen Rhythmus.
2. Natur als Spiegel des Schönen:
Die Ästhetik des Gedichts beruht auf Spiegelung: der Bach wird zum Spiegel, die Welt reflektiert Adelindes Bild. Schönheit ist hier keine Eigenschaft, sondern ein Verhältnis — das, was die Welt als Resonanz hervorbringt. So entsteht ein ästhetisches Prinzip der Korrespondenz zwischen Subjekt und Welt.
3. Verklärung des Irdischen:
Das alltägliche Motiv des Blumenpflückens wird zur Allegorie der Verwandlung. Die Ästhetik liegt darin, dass das Profane (Garten, Bach, Wiese) in eine höhere, poetische Sphäre gehoben wird. Diese Transfiguration ist typisch für barocke Kunst, in der das Sichtbare Hinweis auf das Unsichtbare ist.
4. Sanfte Bewegung und Lichtcharakter:
Sprachrhythmus und Bildgestaltung sind von Milde und Helligkeit durchzogen (helles Silber-klar, linder Strom). Das Gedicht wirkt wie ein zarter Lichtraum, in dem Bewegung und Ruhe ineinander übergehen — eine Ästhetik des Gleichgewichts und der stillen Verklärung.
1. Metaphorische Belebung der Natur:
Blumen, Bach und Wiese werden personifiziert; sie reagieren aktiv auf Adelinde. Diese Prosopopoiia macht die Natur zum Mitspieler und verstärkt die Wirkung der zentralen Figur. Durch solche rhetorische Belebung entsteht ein allegorisches Universum.
2. Anadiplosis und Klangparallelismen:
Die Wiederholungen und lautlichen Symmetrien (helles Silber-klar, zarter Fuß tratt hin) schaffen Musikalität. Die Lautgestaltung unterstreicht das Bild von Weichheit und harmonischem Fluss. Damit wird die Sprache selbst Teil des dargestellten Naturklangs.
3. Metonymische Struktur:
Die Hand, der Fuß, der Blick stehen metonymisch für das Ganze der Person Adelinde. Diese rhetorische Reduktion auf Teilaspekte intensiviert den Eindruck einer göttlich-leiblichen Schönheit, ohne in Überfülle zu verfallen. Es entsteht eine kontrollierte, konzentrierte Bildsprache.
4. Dialogische Geste der letzten Verse:
Der Bach spricht selbst zu Adelinde (Sagte, zwar dein schönes Bild...). Diese rhetorische Wende zum Dialog bricht die Beschreibung und verleiht dem Gedicht eine dramatische Binnenstruktur. Es entsteht eine kommunikative Bewegung zwischen Mensch und Natur — eine rhetorische Figur der Beziehung, nicht bloß der Darstellung.
Gesamtheitliche Zusammenfassung
Abschatz gestaltet in diesem Gedicht eine Vision der Einheit von sittlicher, geistiger und ästhetischer Ordnung. Adelinde ist nicht einfach eine Frau, sondern eine Allegorie der Tugend, die Natur und Geist versöhnt. Moralisch wird die Reinheit des Herzens zur schöpferischen Kraft; anthroposophisch steht sie als Mittlerin zwischen Mensch und Kosmos; ästhetisch verkörpert sie die Harmonie barocker Weltordnung; rhetorisch entfaltet das Gedicht diese Einheit durch musikalische, dialogische und personifizierende Mittel.
So wird Adelindens zarte Hand zum Symbol eines harmonischen Weltzustandes, in dem menschliche Schönheit und göttlicher Schöpfungssinn sich gegenseitig durchdringen.
1. Das Gedicht stellt eine idealisierte Naturbegegnung dar, in der die Figur Adelinde zur Mittlerin zwischen Schönheit und Natur wird. Ihre körperliche Präsenz — Hand, Fuß, Blick — verwandelt die Umgebung in eine gesteigerte, fast übernatürliche Blühkraft. Die Welt reagiert auf sie, nicht sie auf die Welt.
2. Es handelt sich um eine Darstellung der schöpferischen Macht der Schönheit. Adelindes bloße Berührung lässt Blumen neu erblühen; sie steht damit im Mittelpunkt einer poetischen Theophanie: die Natur offenbart sich als Spiegel der Schönheit, die ihrerseits göttlich konnotiert ist.
3. Die Szene ist zugleich ein Bild höfischer Anmut: Adelinde als galante Dame, die in einem allegorischen Garten wandelt, wird zum Ideal weiblicher Tugend und Reiz. Sie repräsentiert den höfischen Kosmos, in dem Ästhetik und Ethik zusammenfallen.
4. Die Rede des Baches am Ende hebt die Wahrnehmung in eine symbolische Sphäre: die Natur selbst spricht, bekennt Bewunderung, und verwandelt Adelindes Bild in ein dauerhaftes Naturgedächtnis. Damit wird die Schönheit der Frau in poetische Dauer überführt — eine Art Metamorphose von Leib in Lied.
1. Das Gedicht ist selbstreflexiv auf die Kunst des Dichtens bezogen: der Dichter verhält sich zum lyrischen Ich wie die Natur zum Bild der Adelinde — er reagiert, er blüht unter ihrer Anmut. Die schöpferische Geste der Protagonistin spiegelt das poetische Schaffen des Autors.
2. Die Wiederholung des Blühens (Schossen neue Blüten nach) ist poetologisch lesbar als Bild für das Generative der Dichtung: jedes gebrochene Bild, jede gepflückte Blume, erzeugt neue poetische Bilder. Poesie lebt vom paradoxen Verhältnis von Verlust und Erneuerung.
3. Die Spiegelung im Wasser ist eine klassische poetologische Allegorie: der Bach fungiert als poetisches Medium, das die Erscheinung reflektiert und weiterträgt. So wie der Bach Adelindes Bild in seinem Lauf bewahrt, bewahrt das Gedicht ihr Bild in der Zeit.
4. Die letzte Wendung (Alle Jahr die bunten Aun / Diesen Tag benetzet schaun) ist poetologisch zu lesen als Selbstbehauptung lyrischer Dauer: das Gedicht sichert dem Ereignis der Schönheit — dem Augenblick — durch Wiederkehr und Erinnerung poetische Ewigkeit.
1. Die zentrale Metapher des Gedichts ist die der wechselseitigen Durchdringung von Schönheit und Natur: die Hand pflückt nicht nur Blumen, sondern ruft sie hervor. Das Pflücken — eigentlich ein Akt der Zerstörung — wird zur schöpferischen Geste. So kippt der Gegensatz von Leben und Tod, von Abbrechen und Erblühen, in ein barockes Paradox.
2. Der Fuß Adelindes als Blühursache ist eine Metapher der Anmut: körperliche Bewegung wird in ästhetische Wirkung übersetzt. Der Schritt verwandelt sich in Spur, die Spur in Vegetation — ein Bild für die schöpferische Präsenz des Schönen.
3. Der Bach ist Metapher für das Wahrnehmen und Erinnern. Er hält inne, wird Spiegel, Bewahrer und schließlich Verkünder der Schönheit. Wasser fungiert als Medium zwischen Diesseits und Dauer, zwischen Zeit und Bild.
4. Das Silber des Baches verweist auf den metallischen Glanz dichterischer Sprache. Silber ist der Werkstoff des poetischen Spiegels: es reflektiert und idealisiert, ohne zu verfälschen. Die Metapher des Silbers verbindet Ästhetik mit Reinheit.
5. Schließlich steht die Blumenmetaphorik im Kontext barocker Vanitas-Tradition, doch bei Abschatz wird sie umgewendet: nicht Vergänglichkeit, sondern regenerative Schönheit tritt in den Vordergrund. Das Blühen ist unendlich reproduktiv, nicht sterbend.
1. Das Gedicht steht in der Tradition des galanten Barock um 1670–1700, in dem Natur und höfische Liebe als allegorische Sphären idealisierter Empfindung erscheinen. Abschatz war Teil des frühaufklärerischen Hofmilieus, das unter dem Einfluss französischer und italienischer Galanterie stand.
2. Formal folgt das Gedicht der Emblematik des 17. Jahrhunderts, in der Naturerscheinungen allegorisch codiert werden: Blumen, Wasser, Spiegel, Fußspur sind emblematische Träger moralisch-ästhetischer Bedeutungen.
3. Innerhalb des Zyklus Anemons und Adonis Blumen reflektiert das Gedicht eine Bewegung vom mythologischen Bezug (Adonis) zur Individualisierung höfischer Gestalten (Adelinde). Abschatz ersetzt mythologische Götter durch galante Menschenfiguren, wodurch sich die Mythologie in galante Poesie verwandelt.
4. Das Motiv der sprechenden Natur verweist auf die barocke Poetik der Weltensprache: die Natur ist Zeichen, das gelesen werden will. Diese semiotische Sicht verbindet sich hier mit einem galanten Empfindungsdiskurs.
5. Zugleich kündigt sich in der weichen, empfindsamen Tonlage bereits eine Vorstufe der Empfindsamkeit an: das Naturschöne wird nicht nur beschrieben, sondern emotional erlebt, fast wie in späteren empfindsamen Gedichten der Frühaufklärung.
1. Strukturell zeigt das Gedicht einen klaren narrativen Bogen: von der Handlung (Adelindes Gang) zur Verwandlung (die Natur reagiert) hin zur Reflexion (der Bach spricht). Diese Dreistufigkeit spiegelt das barocke Prinzip der imitatio–translatio–innovatio: Natur wird im Gedicht nicht abgebildet, sondern poetisch umgewandelt.
2. Das lyrische Subjekt bleibt ungenannt, was auf eine objektivierende Sprecherhaltung hindeutet. Der Sprecher tritt zurück hinter die Schönheit der Figur, wodurch der Text seine galante Distanz wahrt und den Eindruck von höfischer Beobachtung erzeugt.
3. Die Syntax mit parataktischer Struktur (Schossen neue Blüten nach. / Wo ihr zarter Fuß tratt hin…) schafft eine rhythmische Gleichmäßigkeit, die die mühelose Wirkkraft Adelindes betont. Die Form folgt dem Inhalt: Schönheit wirkt ohne Anstrengung.
4. Rhetorisch nutzt Abschatz Alliteration, Assonanz und Klangharmonie als Mittel galanter Anmut. Klang und Inhalt verschmelzen; das Gedicht selbst wird zu einem klanglich florierenden Garten.
5. Intertextuell steht der Text zwischen Ovids Metamorphosen (Transformation durch Schönheit) und der galanten Lyrik eines Hofmannswaldau oder Lohenstein, die den weiblichen Körper zum Medium der Weltverklärung machen. Doch Abschatz mildert den Pathos: seine Sprache ist ruhiger, kontemplativer, weniger rhetorisch überladen.
6. Aus moderner Sicht lässt sich das Gedicht als Beispiel einer ästhetischen Ontologie der Schönheit lesen: Schönheit ist nicht ein Attribut der Dinge, sondern eine Energie, die Realität hervorbringt. Damit wird das Gedicht zu einem frühen Modell des ästhetischen Idealismus im deutschen Barock.
Gesamtschau
In Adelindens zarte Hand gestaltet Hans Aßmann von Abschatz eine poetische Epiphanie der Schönheit, die Natur, Dichtung und Wahrnehmung in einen Kreislauf wechselseitiger Verklärung stellt. Die galante Dame ist nicht nur Objekt der Betrachtung, sondern selbst schöpferische Kraft, deren Wirken die Natur erneuert. Damit verschmilzt höfische Ästhetik mit metaphysischer Bedeutung: Schönheit ist hier eine göttliche Form der Schöpfung im Kleinen, die das Gedicht als Dauerform bewahrt. Abschatz’ Text steht exemplarisch für den Übergang von barocker Allegorie zu empfindsamer Symbolik — ein Moment, in dem Naturpoesie zur Reflexion über das Wesen der Kunst wird.
1. Natur als Spiegel des Schönen und der Tugend
Das Gedicht entfaltet eine Szene, in der die Natur unmittelbar auf die Berührung durch Adelinde reagiert. Ihr Handeln – das Pflücken der Blumen – führt paradoxerweise nicht zu Zerstörung, sondern zu Vermehrung und Erneuerung: An statt deren, die sie brach, / Schossen neue Blüten nach. Assoziativ öffnet sich hier der Gedanke einer idealen, harmonischen Welt, in der Schönheit produktiv ist und nicht verzehrt wird. Adelinde steht somit im Zentrum einer poetischen Transfiguration, durch die das Natürliche vergeistigt wird.
2. Die Frau als schöpferisches Prinzip
Adelinde wird nicht als passives Objekt männlicher Bewunderung gezeichnet, sondern als aktiv wirkende Gestalt: ihre Hand pflückt, ihr Fuß tritt, ihr Wesen verwandelt. Sie ist gleichsam eine mythische natura naturans, eine Inkarnation von Fruchtbarkeit und Schönheit. Assoziativ verbindet sich dies mit antiken Göttinnenfiguren wie Flora oder Cythere, aber auch mit allegorischen Vorstellungen von Tugend, Reinheit und göttlicher Anmut.
3. Korrespondenz von Innerem und Äußerem
Die äußere Natur reagiert auf die innere Schönheit Adelindens – der Kristallbach hält auf, sie zu sehen. Damit wird eine barocke Idee von sympathia universalis sichtbar: die Welt ist ein Spiegel menschlicher Qualitäten; die Ordnung der Natur reflektiert die moralische oder ästhetische Ordnung des Menschen. Adelinde wirkt somit als Medium einer höheren Harmonie.
4. Verklärung und Unsterblichkeit durch das Natürliche
In den Schlussversen tritt das Motiv des Gedächtnisses hervor: der Bach verspricht, Adelindes Bild und Ruhm fortzutragen – Uber dir zu Ruhm laß ich / Alle Jahr die bunten Aun / Diesen Tag benetzet schaun. Assoziativ erinnert dies an den barocken Wunsch nach Ruhm und Gedächtnis über den Tod hinaus. Doch die Vergänglichkeit ist hier in Harmonie aufgehoben: das Erinnern geschieht zyklisch, jedes Jahr, im ewig wiederkehrenden Kreislauf der Natur.
5. Das Wunder des poetischen Augenblicks
Alles steht still, um Adelinde zu betrachten – der Bach hält an, die Natur erblüht. Assoziativ evoziert dies eine epiphanische Szene: die Zeit steht still, das Schöne offenbart sich als göttlicher Moment. So wird die Frau zum Zentrum eines poetischen, fast mystischen Stillstands der Welt, in dem das Schöne als Offenbarung des Göttlichen erscheint.
1. Aufbau und Struktur
Das Gedicht umfasst 4 Strophen zu je 4 Versen (insgesamt 16 Verse). Der streng symmetrische Aufbau unterstützt die Idee der Harmonie und Ausgewogenheit. Jede Strophe stellt eine Szene oder Bewegung dar, die jedoch in einem einheitlichen poetischen Atem zusammengehalten wird.
2. Versmaß und Klang
Das durchgehend paarweise Reimschema (aabb / ccdd / eeff / gghh) erzeugt eine geschlossene, gleichmäßige Klangstruktur, die dem harmonischen Naturbild entspricht. Die Hebungen und Senkungen des Verses fließen sanft ineinander, ohne harte Zäsuren – ein sprachliches Abbild des ruhigen, gleitenden Baches.
3. Sprachlich-stilistische Mittel
Alliteration: Blumen durch diß Land, Crystallne Bach – betont die Sinnlichkeit und Klangfülle.
Personifikation: Der Bach wird zum bewundernden Subjekt (hielt auff / Sie zu sehen), die Natur reagiert wie beseelt.
Antithetik in milder Form: Der Gegensatz von Pflücken und Wachsen (An statt deren, die sie brach…) wird aufgehoben in harmonischer Versöhnung.
Metaphorik des Spiegels: Der Bach als helles Silber-klar bietet sich als Spiegel an – Symbol der Selbsterkenntnis, Schönheit und göttlicher Klarheit.
4. Syntax und Rhythmus
Die Syntax ist fließend, ohne abrupte Einschnitte. Das Fehlen von Ausrufezeichen und der ruhige Fluss der Zeilen spiegeln die sanfte Bewegung der Szene wider. Der Rhythmus erzeugt eine leise Musik der Bewunderung – passend zum Thema einer verklärten, fast göttlichen Schönheit.
1. Natura viva / belebte Natur – die Natur lebt, empfindet und reagiert.
2. Spiegelmotiv – als Symbol für Schönheit, Wahrheit und Transzendenz.
3. Carpe diem und Memorialtopos – die Schönheit soll nicht vergehen, sondern im Gedächtnis der Welt bleiben.
4. Idylle / locus amoenus – die Szene spielt in einer idealisierten Landschaft, einem paradiesischen Raum der Harmonie.
5. Mythische Anmutung – Anklänge an Nymphen, Flora oder andere mythische Naturwesen, wodurch Adelinde in einen überindividuellen Bedeutungsraum tritt.
6. Transformation der Natur – ein barocker Topos der moralisch-ästhetischen Wirkung: die edle Gestalt verwandelt das sie Umgebende.
1. Barocke Grundstimmung
Obwohl das Gedicht zunächst idyllisch wirkt, trägt es die barocke Dialektik von Zeitlichkeit und Ewigkeit in sich. Die Natur, die jedes Jahr neu erblüht, wird zum Bild zyklischer Erneuerung – und damit zur Antwort auf die Vergänglichkeit. Das Streben nach Ruhm (zu Ruhm laß ich...) entspricht der barocken Sehnsucht nach Fortdauer über das irdische Leben hinaus.
2. Adel als Idealfigur
Adelinde verkörpert barocke Tugendideale: Reinheit, Anmut, sittliche Schönheit. Der Name Adelinde spielt bereits auf adel an – sie ist die Verkörperung des vornehmen Geistes, dessen äußere Erscheinung aus innerer Tugend hervorgeht. Diese moralisch-ästhetische Verbindung ist typisch für höfische Dichtung des 17. Jahrhunderts.
3. Verknüpfung von Sinnlichkeit und Geistigkeit
Barocke Poesie ist oft von einer Doppelbewegung geprägt: das Sinnliche wird nicht verneint, sondern vergeistigt. Abschatz gestaltet die Schönheit Adelindens nicht erotisch, sondern als Offenbarung einer höheren Ordnung. Damit steht das Gedicht an der Schwelle zwischen sinnlicher Idyllendichtung und moralisch-theologischer Emblematik.
4. Emblematische Lesbarkeit
Die Szene ließe sich als Emblem verstehen: Pictura (die bildhafte Szene), Inscriptio (etwa Virtus Naturam Ornat) und Subscriptio (die moralische Lehre: die wahre Schönheit bewirkt Güte und Harmonie). Damit steht Abschatz in der Tradition der barocken Emblematik, die allegorisch-moralische Deutungen hinter lyrischen Bildern verbirgt.
1. Zentrale Bewegung und Symbolik
Das Gedicht entfaltet eine Szene der poetischen Verklärung: Adelinde bewegt sich durch die Landschaft, und die Natur reagiert auf ihre Gegenwart mit spontaner Erneuerung. Die Handlung – Pflücken, Gehen, Betrachtetwerden – wird zur symbolischen Offenbarung eines Einklangs von Mensch, Natur und Geist.
2. Die Frau als Medium der göttlichen Ordnung
Adelinde ist nicht bloß eine schöne Frau, sondern eine Figur der Vermittlung zwischen Schöpfung und Schöpfer. Ihr Handeln bringt Segen hervor, ihr Bild spiegelt sich in der Natur wider. So wird sie zur Inkarnation des barocken Ideals einer von Tugend durchleuchteten Schönheit.
3. Natur und Kunst als Spiegel der Unvergänglichkeit
Der Bach, der ihr Bild führt und jedes Jahr den Tag ihres Erscheinens feiert, steht allegorisch für die Dichtung selbst. Der poetische Akt, der sie besingt, perpetuiert ihre Erscheinung – so wie der Bach das Bild mit sich trägt. Natur und Kunst verschmelzen zu einem Gedächtnis des Schönen.
4. Die barocke Aufhebung der Vergänglichkeit
Das Gedicht überwindet die Vergänglichkeit nicht durch asketische Verneinung, sondern durch harmonische Integration in den Kreislauf der Natur. Adelindes Schönheit vergeht nicht, sondern kehrt wieder – poetisch, rhythmisch, jährlich. Dies ist eine typische barocke Form der Erlösung im Irdischen.
5. Gesamteindruck und Wirkung
In seiner milden Klangstruktur, der klaren Bildlichkeit und der poetischen Gelassenheit steht das Gedicht zwischen barocker Emblematik und frühaufklärerischer Anmut. Es zeugt von einem feinen Übergang zwischen religiös grundierter Weltordnung und einer aufkommenden Ästhetisierung der Natur, in der das Schöne selbst eine ethische Wahrheit trägt.
Fazit:
Hans Aßmann von Abschatz gestaltet mit Adelindens zarte Hand eine idealisierte, fast mythische Szene, in der Schönheit, Tugend und Natur zu einer harmonischen Einheit verschmelzen. Hinter der idyllischen Oberfläche liegt die barocke Sehnsucht nach Dauer, Ruhm und geistiger Verklärung des Irdischen. Das Gedicht ist ein Musterbeispiel für höfisch-barocke Kunstpoesie, die sinnliche Anmut mit moralischer Bedeutung und kosmischer Ordnung verbindet.