Die Flutten/ die du siehst von meinen Augen rinnen/1
Lieb-werthe Rosilis/ sind nicht gemeine Thränen/2
Wie deine Göttligkeit wohl irgend möchte wehnen!3
Wo wolt ich solche Ström und Bäche fassen künnen?4
Sie werden ausgebrennt vermittelst meiner Sinnen5
Von Liljen deiner Schos/ von Rosen deiner Wangen/6
Und müssen den Geruch von deiner Gunst erlangen/7
Dem keine Specerey den Preiß wird abgewinnen.8
Die Liebe giebt die Glutt/ der Ofen steht im Hertzen/9
Der dicken Seufftzer Wind bläst mir das Feuer auff/10
Der Augen Helm vergönnt dem Wasser freyen Lauff/11
Und weil so hitzig ist die Flamme meiner Schmertzen/12
So müssen in die Höh so viel der Dünste steigen/13
Und durch der Augen Röhr ohn Ende sich verseygen.14
Die Flutten/ die du siehst von meinen Augen rinnen/1
Lieb-werthe Rosilis/ sind nicht gemeine Thränen/2
Wie deine Göttligkeit wohl irgend möchte wehnen!3
Wo wolt ich solche Ström und Bäche fassen künnen?4
1 Die Flutten/ die du siehst von meinen Augen rinnen/
Analyse
1. Der eröffnet mit einer emphatischen Metapher: Flutten (barocke Schreibweise für Fluten) überhöht die Tränen zu naturhaften, unaufhaltsamen Wassermassen und etabliert sofort den Topos der petrarkistischen Klage.
2. Die Relativkonstruktion die du siehst bindet die Adressatin als Zeugin ein; Wahrnehmung wird zum Beweis der Authentizität des Gemütszustands, wodurch der performativ wirkt.
3. Das Verb rinnen konkretisiert den stetigen, unwillkürlichen Abfluss und kontrastiert klanglich mit der Schwere der Flutten; so entsteht ein Spannungsbogen zwischen Übermaß (Flut) und Kontinuität (Rinnen).
4. Metrisch und stilistisch erinnert der an den barocken Alexandriner mit Zäsur; die gedehnte Periodik trägt die pathetische Ausmalung.
5. Im Hinblick auf die Reimstruktur des Quartetts markiert rinnen (a) bereits die Klammer zum vierten (künnen), was den Eindruck eines umschlingenden Reims unterstützt und das Bildfeld der Wasserbewegung rahmt.
Interpretation
1. Das lyrische Ich präsentiert sein Leiden als elementare Naturgewalt; dadurch wird Liebesleid in den Rang eines kosmisch wirksamen Ereignisses erhoben.
2. Indem die Geliebte ausdrücklich sieht, wird ihre Verantwortung miterzeugt: Sie kann das Leiden nicht leugnen und soll affektiv involviert werden.
3. Das Rinnen verweist auf Unkontrollierbarkeit—Gefühl ist nicht inszeniert, sondern bricht hervor; so legitimiert der die nachfolgenden Überhöhungen.
4. Das Zusammenspiel von Flutten und rinnen deutet eine barocke Ambivalenz an: Das Ich ist sowohl überwältigt als auch in der Lage, seine Überwältigung kunstvoll zu artikulieren—Leid und Rhetorik stützen einander.
2 Lieb-werthe Rosilis/ sind nicht gemeine Thränen/
Analyse
1. Der doppelt markierte Anredegestus (Lieb-werthe Rosilis) ist höfisch-galant und pastoral; Rosilis fungiert als artifizielle Schäfern-Maske und verlegt das Liebesgeschehen in einen mythisch-galanten Raum.
2. Die Negation nicht gemeine Thränen baut eine Wertskala auf: gemein meint gewöhnlich bzw. nieder; die Tränen des Ich beanspruchen Singularität und Adel.
3. Die Zeile ist syntaktisch pointiert: Prädikativkonstruktion mit betontem Prädikat, die Wertung steht im Satzmittelpunkt und lenkt auf die semantische Aufwertung des Leidens.
4. Stilistisch operiert der mit Antithese (gemein vs. erhaben) und sozialem Register (galante Form der Anrede), was dem barocken Geschmack für Hierarchisierung entspricht.
Interpretation
1. Das Ich adelt sein Weinen als außergewöhnlich und setzt es symbolisch von alltäglichen Tränen ab; dadurch beansprucht es moralische und emotionale Höherwertigkeit.
2. Die Galanterie der Anrede mildert zugleich die Selbstaufwertung: Verehrung und Demut umspielen einander, sodass das Korrigieren der Geliebten (3) rhetorisch akzeptabel wird.
3. Im Subtext erscheint ein ökonomisches Modell des Affekts: Edle Tränen verlangen entsprechend edle Resonanz—Mitleid, Gunst, vielleicht Gegenliebe.
4. Die pastorale Maske Rosilis signalisiert Kunstwelt und Stilisierung; das Nicht-Gemeine ist auch poetologisches Programm: Diese Dichtung will nicht profan sein.
3 Wie deine Göttligkeit wohl irgend möchte wehnen!
Analyse
1. Die Exklamation adressiert die Göttligkeit der Geliebten—eine barocke Deifikation der Dame—und führt zugleich ein höfliches Korrektiv ein: wohl irgend möchte wehnen heißt vielleicht annehmen, also fehlgehen in der Einschätzung.
2. Die Höflichkeitsadverbien (wohl, irgend) polstern die Zurückweisung ab; so entsteht die typische barocke Mischung aus Unterwerfungsgestus und subtiler Gegenrede.
3. Semantisch entsteht ein Paradox: Eine Göttlichkeit kann irren, sofern sie sich im Menschenraum der Liebe bewegt; der nivelliert allmächtige Distanz zugunsten intersubjektiver Verhandlung.
4. Intertextuell berührt die Deifikation die Mythologik des Zyklus (Adonis): Die Dame wird auf die Achse Venus—Göttin der Liebe—bezogen, deren Irrtum und Eifersucht in antiken Stoffen sprichwörtlich sind.
Interpretation
1. Das Ich reklamiert Deutungsmacht über sein affektives Geschehen: Nicht die Göttin legt fest, was diese Tränen sind; es widerspricht, ohne die Hierarchie offen zu brechen.
2. Der verschiebt das Machtgefälle: Verehrung bleibt, doch die Diagnosekompetenz über das eigene Leiden liegt beim Ich—ein höfischer Aushandlungsakt.
3. Im mythologischen Schatten wird Liebe als Bereich begrenzter göttlicher Souveränität gezeigt: Göttinnen können wähnen, wenn sie menschliche Herzen deuten; daraus erwächst Raum für Bitte, Belehrung und Gnade.
4. Rhetorisch bereitet der die hyperbolische Pointe von 4 vor: Wenn die Göttligkeit irrt, muss die wahre, übermäßige Natur der Tränen gleich demonstrativ entfaltet werden.
4 Wo wolt ich solche Ström und Bäche fassen künnen?
Analyse
1. Die rhetorische Frage steigert das Bildfeld: Aus Flutten werden Ström und Bäche, eine ausgreifende Hydrometaphorik, die das Ausmaß des Weinens in topographische Dimensionen überführt.
2. Fassen spielt doppeldeutig auf begreifen und auffangen/enthalten an; es geht zugleich um kognitives und physisches Unvermögen gegenüber dem Übermaß.
3. Der Gradationszug (Fluten → Ströme → Bäche) erzeugt eine räumliche Proliferation von Tränen-Gewässern; das Individuelle wird landschaftlich-kosmisch.
4. Durch den Reim-Rückbezug auf 1 (rinnen/künnen) wird das Quartett gerahmt; die Unmöglichkeitsfigur (Aporie) schließt das Argument: Dieses Leiden sprengt jeden Behälter.
Interpretation
1. Das Ich erklärt sein Leid für prinzipiell nicht zu fassen—weder zu beherrschen noch zu vermessen; dadurch erhält es eine Würde des Unendlichen, eine barocke Unermesslichkeit des Affekts.
2. Die Frage ist implizite Bitte um Erbarmen: Wenn nicht einmal der Sprecher seine Tränen fassen kann, soll die Geliebte sie wenigstens deuten und erwidern.
3. Poetologisch reklamiert der eine Grenze des Ausdrucks, die nur durch Metaphernflut darstellbar wird; die Dichtung selbst wird zum einzig möglichen Becken, das Übermaß zu kanalisieren.
4. In mythischer Tiefenschicht klingt die Metamorphosen-Logik an (Adonis/Anemone): Tränen schaffen Ströme, Ströme gebären Blumen; so bereitet die Hyperbel die poetische Verwandlungswelt des Zyklus vor.
Sie werden ausgebrennt vermittelst meiner Sinnen5
Von Liljen deiner Schos/ von Rosen deiner Wangen/6
Und müssen den Geruch von deiner Gunst erlangen/7
Dem keine Specerey den Preiß wird abgewinnen.8
5 Sie werden ausgebrennt vermittelst meiner Sinnen
Analyse
Die Zeile nutzt ein medizinisch-alchemistisches Bildfeld: ausgebrennt bezeichnet das Läutern oder Ausbrennen von Krankheits- oder Fremdstoffen (Cauterium), zugleich das alchemische Reinigen durch Feuer (Calcinatio).
vermittelst (mittels) markiert die Sinne als Instrumente des Vorgangs: Sehen, Riechen, Tasten usw. sind nicht nur Wahrnehmungskanäle, sondern tätige Werkzeuge der Transformation.
Das unbestimmte Sie knüpft referentiell an ein vorangehendes Kollektiv an (in gallant-barocker Diktion oft Begierden, Schmerzen, Seufzer, Wunden Amors). Die Grammatik lässt bewusst offen, was genau ausgebrannt wird; die semantische Leerstelle lädt zur Projektion des Liebesaffekts ein.
Rhetorisch liegt eine emphatische Passivkonstruktion vor (Sie werden … ausgebrennt) mit finaler Instrumentalangabe (vermittelst …), die den Prozessual-Charakter betont: Affekte sind Material, das bearbeitet wird.
Interpretation
Der Sprecher imaginiert seine Liebesaffekte als ein krankes oder rohes Material, das durch die Sinne gereinigt wird. Liebe ist hier nicht bloß Empfindung, sondern eine Art seelischer Chemie, die Reinigung und Veredelung verlangt.
Die Sinne fungieren paradoxerweise zugleich als Ursache der Liebeswunde (durch den Anblick der Geliebten) und als Heilmittel: genau vermittelst ihrer wird das Leiden geläutert.
Das Offenlassen des Sie weitet die Aussage: Alles, was in ihm unrein, leidvoll oder ungestaltet ist, soll durch den kultischen Akt der Wahrnehmung (ein quasi-liturgisches Sehen/Riechen) gebrannt und geläutert werden.
6 Von Liljen deiner Schos/ von Rosen deiner Wangen/
Analyse
Der Doppelvers entfaltet die klassische Petrarkistische Blason-Topik: Lilien und Rosen stehen als Farb- und Blütenmetaphern für Weiß (Reinheit, Keuschheit) und Rot (Lebendigkeit, Eros).
deiner Schos (Schoß) verweist im 17. Jh. sowohl auf den Brust-/Leibesbereich als auch auf den Schoß als erotisch markierten Ort; deiner Wangen konkretisiert den Rosenschmuck im Gesicht.
Die parallele Syntax (von Liljen … / von Rosen …) erzeugt einen antithetischen Parallelismus (weiß/rot), der die synästhetische Verschmelzung von Farbe, Blüte und Körperpartie vorbereitet.
Das Präpositional-von kann sowohl Quelle als auch Mittel anzeigen: Die Reinigung geschieht von/aus den Lilien und Rosen her — die Geliebte ist Ursprung der wirksamen Tinktur.
Interpretation
Der Sprecher bezieht seine Läuterung ausdrücklich aus der sinnlichen Anschauung der Geliebten: Ihre Körperzeichen (Schoß/Brust als Lilie; Wangen als Rosen) sind die wirksamen Substanzen der seelischen Apotheke.
Die Weiß-Rot-Opposition bündelt ein barockes Ideal der vollkommenen Schönheit: Keuschheit und Begehren sind nicht Gegensätze, sondern komplementäre Kräfte derselben Figur und nähren gemeinsam den Läuterungsprozess.
Indem der Schoß (hoch erotisch konnotiert) zur Lilie vergeistigt wird, überschneidet sich Eros mit Reinheit; das Gedicht moralisiert den erotischen Blick nicht, sondern adelt ihn als heilkräftig.
7 Und müssen den Geruch von deiner Gunst erlangen/
Analyse
Semantischer Dreh: von der Optik (Lilien/Rosen) wechselt die Zeile zur Olfaktion (Geruch). Das ist ausgeprägte Synästhesie: Sichtbare Schönheit transponiert sich in Duft.
Gunst bezeichnet im höfischen Sprachgebrauch die Huld/Favor der Dame; zugleich schwingt ein theologischer Oberton von Gnade/Huld mit.
den Geruch … erlangen kann wörtlich (Duft annehmen) und metonymisch (in den Geruch/Ruf der Gunst kommen) gelesen werden; das Wortfeld enthält beide Lesarten.
Interpretation
Die geläuterten Affekte (oder Seufzer etc.) sollen den Geruch der Gunst annehmen: Die Dame autorisiert die Veredelung, ihr Wohlwollen ist der eigentliche Duftstoff.
Der synästhetische Effekt ist programmatisch: wahre Schönheit übersteigt einen Einzel-Sinn und wird als Gesamt-Aura erfahrbar; das führt die poetische Alchemie des Textes fort.
In der Doppeldeutigkeit von Geruch/Ruf steckt höfische Strategie: Der Sprecher strebt nicht nur nach sinnlicher Nähe, sondern nach sozialer Legitimation seiner Liebe — in den guten Geruch ihrer Gunst zu kommen heißt, seine Liebe vor dem Hof zu adeln.
8 Dem keine Specerey den Preiß wird abgewinnen.
Analyse
Specerey (Spezerey) meint Gewürze/Edelaromata der Apotheke (Moschus, Ambra, Myrrhe etc.). Das Bildfeld bleibt apothekisch-parfümistisch.
Hyperbolische Wertsteigerung: Kein importiertes Luxusduftstoff kann der Gunst der Dame den Preis entreißen; klassischer Superlativ durch Negativvergleich.
den Preis abgewinnen ist Wettkampfvokabular: Duft als Turnier; die Gunst triumphiert über alle Kunst-Düfte.
Interpretation
Die Zeile krönt die Hierarchie der Düfte: Gegen die duftende Gunst der Geliebten sind alle weltlichen Spezereien unterlegen; Liebe übertrifft Luxus.
Poetologisch behauptet das Gedicht damit die Überlegenheit des naturnahen, vom Subjekt der Geliebten ausgehenden Duftes über jede künstliche Mischung — zugleich ein Lob der Unmittelbarkeit des Erlebnisses (Sinn und Gunst) über Artefakt und Ware.
Theologisch-moralischer Unterton: Gunst als Wohlgeruch erinnert an frühneuzeitliche Frömmigkeitssprache (Opferduft, Wohlgeruch der Tugend). Die höfische Liebe wird so diskret in eine Sphäre quasi-sakraler Wertung gehoben.
Der Sprecher entwirft einen perfumistisch-alchemischen Läuterungsprozess: Seine rohen Liebesaffekte (Sie) werden vermittelt durch die Sinne an der Schönheit der Geliebten ausgebrannt und nehmen den Duft ihrer Gunst an, der alle Spezereien übertrifft.
Stilistisch verbindet die Strophe Petrarkistische Blason-Topik (Lilie/Rose) mit Synästhesie (Sehen → Riechen) und einer apothekisch-alchemischen Fachmetaphorik (Ausbrennen, Spezerey).
Semantisch verschränkt sie Eros und Reinheit, Hof und Kult, Sinnlichkeit und Gnade: Die Dame ist zugleich schöne Ursache, wirksames Heilmittel und höchste Norm der Wertung.
Die Liebe giebt die Glutt/ der Ofen steht im Hertzen/9
Der dicken Seufftzer Wind bläst mir das Feuer auff/10
Der Augen Helm vergönnt dem Wasser freyen Lauff/11
9 Die Liebe giebt die Glutt/ der Ofen steht im Hertzen/
Analyse
1. Der etabliert eine alchemistisch-technische Metaphorik: Liebe fungiert als causa efficiens und gibt die Glut, während das Herz als Ofen, also als locus der Hitzeerzeugung, gesetzt wird. Die Diktion verknüpft Affektphysiologie und Werkstattbildlichkeit, typisch für barocke Concetti.
2. Semantisch liegt eine präzise Ursache-Wirkung-Kette vor: Liebe → Glut → Herz als Brennkammer. Der Verzicht auf schmückende Adjektive verstärkt die technische Nüchternheit des Bildes.
3. Metrisch-syntaktisch wirkt der Doppelpunktrhythmus der Cesur nach Glutt wie ein Scharnier: zwei nominale Blöcke (Liebe/Glutt – Ofen/Herzen) werden parallel gestellt und erzeugen begriffliche Klarheit.
4. Intertextuell greift der die frühneuzeitliche Lehre vom Herzen als Sitz der Leidenschaften auf; zugleich signalisiert Glut das Feuer-Element im barocken Vier-Elemente-Spiel (Feuer/Wind/Wasser/—).
Interpretation
5. Das Liebesaffekt wird als naturgesetzlich notwendig dargestellt: Nicht Willkür oder moralische Schwäche lässt Tränen entstehen, sondern eine Apparatur im Innern. So entlastet das Ich sich rhetorisch von Schuld am Übermaß des Gefühls.
6. Die Wahl des Ofen-Bildes verschiebt Pathos in ein Labor-/Handwerksregister: Leidenschaft erscheint als Prozess (Heizen, Brennen), nicht als bloßes Empfinden.
7. Das Herz als Ofen deutet den Körper zur Maschine der Liebe um—eine barocke Rationalisierung des Affekts, die das Folgende (Sieden, Dünste, Röhren) bereits vorbereitet.
10 Der dicken Seufftzer Wind bläst mir das Feuer auff/
Analyse
1. Der Wind der dicken Seufzer übernimmt die Funktion eines Blasebalgs: Atemluft intensiviert das Feuer. Die Adjektivwahl dicken materialisiert das Seufzen, macht es körper-schwer und fast stofflich.
2. Rhetorisch wird die Animierung der Elemente fortgeführt: Luft (Seufzer) wirkt aktiv auf Feuer (Glut). Das ist eine konsequente Weiterentwicklung des technischen Settings.
3. Die Alliteration Seufftzer … bläst … Feuer (s-/f-Laute) unterstützt akustisch das Aufwallen.
4. Kausalität und Mechanik dominieren weiterhin: Es gibt keinen Zufall, sondern regelhafte Steigerung.
Interpretation
5. Die Seufzer sind nicht nur Symptome, sondern Mit-Urheber des Leidens: Der Liebesschmerz feuert sich selbst an—ein barockes Perpetuum mobile des Affekts.
6. Das Ich wird zum Getriebenen seiner Physiologie: Selbst wenn es sich beruhigen wollte, würde der eigene Atem die Glut wieder anfachen.
7. Das Bild macht sichtbar, wie das Innere (Seufzen) das Innere (Herzfeuer) steigert und so zur nächsten Prozessstufe überleitet.
11 Der Augen Helm vergönnt dem Wasser freyen Lauff/
Analyse
1. Der Augen Helm vergönnt dem Wasser freien Lauf: lexikalisch ist Helm primär Schutz-/Deckmetapher; konkret ist die Funktion der Lider gemeint, die Tränen nicht mehr zurückhalten.
2. Gleichzeitig evoziert Helm in der damaligen Fachsprache den Kopf einer Destillierblase (Helm/alembic-Kopf): Das Bild fügt sich nahtlos in den alchemistischen Apparat—unter dem Helm kondensiert das Destillat und wird abgeleitet.
3. Der Modus vergönnt markiert das Öffnen einer Sperre: Es liegt kein Bruch, sondern eine regulierte Freigabe vor.
4. Elementarlogik: Nach Feuer und Luft tritt nun Wasser sichtbar hervor—Tränen als Produkt des Prozesses.
Interpretation
5. Die Tränen sind nicht gemein, sondern das notwendige, gleichsam legitime Resultat eines geregelten inneren Verfahrens: Das Ich reklamiert Würde für sein Weinen.
6. Im Doppelsinn von Augenlid/Helm und Destillationshelm wird der Körper als Labor instrumentiert; die Tränen erscheinen wie ein feines, aus Sehnsucht gewonnenes Destillat.
7. Die Vergönnung deutet auf ein kurz zuvor bestehendes Tabu des Weinens: Nun hebt der Sprecher die innere Zensur auf—mit ethischer Selbstrechtfertigung.
Und weil so hitzig ist die Flamme meiner Schmertzen/12
So müssen in die Höh so viel der Dünste steigen/13
Und durch der Augen Röhr ohn Ende sich verseygen.14
12 Und weil so hitzig ist die Flamme meiner Schmertzen/
Analyse
1. Weil so hitzig ist die Flamme meiner Schmerzen liefert die explizite Begründung: Schmerz wird in Flamme transformiert; Hitzegrad = Intensität des Affekts.
2. Syntaktisch setzt der Kausalsatz eine argumentative Klammer: Er erklärt rückwirkend die Freigabe der Tränen und bereitet die Dünste/Steigen-Metaphorik vor.
3. Stilistisch fällt die Verdichtung auf: Flamme meiner Schmerzen verschmilzt physisches und psychisches Register.
4. Die Metaphorik bleibt prozessual: Steigerung der Hitze → nächste Aggregatphase.
Interpretation
5. Der übersetzt seelischen Schmerz in Thermodynamik: Je hitziger der Verlust/Geliebten-Entzug, desto zwingender das Verdampfungs-/Kondensationsgeschehen.
6. Damit wird die Tränenproduktion als naturgesetzliche Folge einer Grenzwertüberschreitung der Affektwärme gedeutet—eine Art barocke Gefühlstechnik.
7. Die Flamme bleibt intentional auf die Geliebte bezogen: Ihre Abwesenheit/Weigerung liefert den Brennstoff.
13 So müssen in die Höh so viel der Dünste steigen/
Analyse
1. Dünste benennen im frühneuzeitlichen Vokabular die aus dem Körper (Herz/Leber) aufsteigenden Dampf-/Atemsubstanzen; physiologisch gedacht als Vermittler zwischen Hitze und Feuchte.
2. Das Steigen in die Höh folgt der Logik des Ofens: Erhitztes wird zu Dampf, der aufsteigt—es ist der Distillationsschritt im Apparat.
3. Die Quantifizierung so viel gibt dem Übermaß eine scheinbar messbare Größe; das ist barockes Übertreibungsverfahren mit pseudo-technischer Präzision.
4. Die Syntax (so … daß/so müssen) ist zwingend: Notwendigkeitsmodi (müssen) ersetzen Wunsch und Wille.
Interpretation
5. Der naturalisiert Emotionsdynamik als Physik der Dünste: Liebe erzeugt Verdampfung; Schmerz wird zu Dunst—ein Transfer vom Inneren zum Sichtbaren.
6. Theologisch-subkutan mag darin eine Meditation über die Unverfügbarkeit des Leidens liegen: Was aus dem Herzen aufsteigt, entzieht sich der Kontrolle des Ichs.
7. Poetologisch setzt Abschatz auf anschauliche Prozesschoreografie statt abstrakter Rhetorik—ein markantes barockes Verfahren, das sinnlich-technische Evidenz erzeugt.
14 Und durch der Augen Röhr ohn Ende sich verseygen.
Analyse
1. Durch der Augen Röhr konkretisiert den Apparat zuletzt anatomisch-mechanisch: Röhren = Tränenkanäle; das Technische (Röhr) schließt den Kreis von Ofen/Helm/Abfluss.
2. ohn Ende sich verseygen: die archaische Schreibung (verseygen) entspricht semantisch versiegen/versickern—hier reflexiv gebraucht als sich (unaufhörlich) ergießen/abfließen, hyperbolisch durch ohn Ende gesteigert.
3. Der bündelt Prozess, Weg und Dauer: Ursache (Herzglut) → Medium (Dünste) → Helm/Lider → Röhren/Abfluss—ohne Schlussventil.
4. Der Klang der vielen offenen Vokale (Augen, Röhr, Ende) verlangsamt, als ob der selbst in Tropfen ausliefe.
Interpretation
5. Der Schluss macht das Weinen zur teleologisch vollendeten Produktion: Tränen sind das unvermeidliche Endprodukt eines lückenlos geschlossenen Systems.
6. ohn Ende überschreitet das Faktische ins Emphatische: Das Ich behauptet eine prinzipielle, nicht erschöpfbare Quelle der Klage—ein barocker Absolutheitsgestus.
7. Das Ingenieurhafte der Bildwelt (Ofen–Wind–Helm–Röhr) adelt das Emotionale: Leid ist nicht bloß passiv erlitten, sondern in seiner inneren Notwendigkeit verstanden und—poetisch—meisterlich gerätetechnisch vorgeführt. ([Textopus][1])
Hinweis zur Lexik: Die Schreibungen mit ey (z. B. verseygen) entsprechen frühneuhochdeutscher/älter-neuhochdeutscher Orthographievarianten; im Kontext der Tränen-Metaphorik bedeutet die Form sinngemäß (unablässig) abfließen/versickern, nicht aufhören, was durch das ohn Ende eindeutig hyperbolisch festgelegt ist. (Zur Textfassung vgl. erneut die zitierte Ausgabe.) ([Textopus][1])1. Das Gedicht beginnt mit einem starken Bild: den Flutten der Tränen, die aus den Augen des lyrischen Ichs rinnen. Schon hier setzt Abschatz auf Hyperbel und barocke Bildlichkeit – nicht einfache Tränen, sondern Ströme und Bäche.
2. Der zweite und dritte wenden sich direkt an Rosilis, die Adressatin. Zugleich grenzt der Sprecher ab: Es seien keine gewöhnlichen Tränen, wie sie vielleicht vermuten könnte. Die Rede ist also zugleich Klage und Verteidigung.
3. Der vierte verstärkt diese Besonderheit: Solche Ströme seien überhaupt nicht mit gewöhnlichen menschlichen Mitteln zu fassen. Das Leiden übersteigt das Alltägliche.
4. In der zweiten Strophe (Verse 5–8) wird die Quelle dieser Tränen benannt: Sie entstammen der Hitze, die durch die Schönheit der Geliebten entzündet wird – Lilien der Brust, Rosen der Wangen. Die Metaphorik bleibt floral und duftbezogen, ein klassisches barockes Topos.
5. Gleichzeitig werden die Tränen als kostbar qualifiziert: Ihr Geruch übertreffe jede Specerey, also Gewürzmischung. Die Tränen werden veredelt, gleichsam zu einer Duft-Essenz, die durch die Liebe selbst entsteht.
6. In der dritten Strophe (Verse 9–14) verschiebt sich das Bild in das Technisch-Mechanische: die Liebe als Glut, das Herz als Ofen, der Wind der Seufzer, der das Feuer anfacht, die Augen als Helm, der dem Wasser freien Lauf gestattet.
7. Die Verse 12–14 treiben die Metapher zur Konsequenz: Aus der Hitze steigen Dünste auf, die sich durch die Augen unaufhörlich verseygen. So entsteht ein physikalisch-physiologisches Bild, das die Liebe als ein System von Feuer, Dampf und Wasser darstellt – eine fast naturwissenschaftliche Allegorisierung.
8. Der Aufbau ist also organisch: vom anfänglichen Pathos der Tränen, über die Verklärung durch Schönheit und Duft, hin zur Mechanik des Liebesleidens. Es wächst eine Bewegung vom subjektiven Ausdruck zur objektivierten Erklärung.
1. Psychologisch gesehen offenbart das Gedicht den Versuch des lyrischen Ichs, das eigene Leid vor der Geliebten zu rechtfertigen: Die Tränen sind nicht Ausdruck von Schwäche, sondern von übermäßiger, veredelter Leidenschaft.
2. Die Selbstwahrnehmung ist gespalten zwischen Ohnmacht (die Fluten sind nicht zu fassen) und Stolz (die Tränen übersteigen das Gemeine). Das Leiden wird in Selbstaufwertung verwandelt.
3. Das lyrische Ich zeigt ein Bedürfnis nach Anerkennung: Rosilis soll verstehen, dass die Tränen ein Beweis ihrer göttlichen Wirkung sind. In ihnen spiegelt sich seine Hingabe.
4. Psychologisch wirkt auch das Bild des Ofens im Herzen: es ist ein Ausdruck für das Gefühl, im Innersten durch ein Feuer verzehrt zu werden, das nicht erlischt. Damit erscheint das Liebesleid als etwas unausweichlich Notwendiges.
5. Die Schilderung der dicken Seufftzer zeigt eine Intensivierung des affektiven Zustands: der Körper ist ein Instrument, das von einer übermächtigen Leidenschaft bewegt wird. Psychologisch deutet dies auf das Gefühl des Ausgeliefertseins hin.
6. Insgesamt zeigt das Gedicht die barocke Tendenz, psychische Vorgänge durch materielle Metaphorik (Feuer, Wasser, Wind) darzustellen, wodurch das Leiden sowohl intensiviert als auch rationalisiert wird.
1. In der barocken Liebesdichtung schwingt immer eine ethische Frage mit: Ist die Überwältigung durch Leidenschaft legitim? Das Gedicht stellt die Tränen als veredeltes Opfer dar und erhebt sie über das Gemeine – dies kann als moralische Rechtfertigung des Leidens gelesen werden.
2. Indem der Sprecher Rosilis als Göttligkeit anspricht, wird sie in den Rang einer fast überirdischen Autorität erhoben. Dies verschiebt die ethische Balance: das eigene Leiden wird zum Kultakt, zur Verehrung. Doch zugleich liegt darin eine problematische Vergöttlichung der Geliebten.
3. Ethisch ist das Gedicht ambivalent: einerseits wird die Hingabe als Tugend gedeutet (Treue, Selbstopfer), andererseits könnte die Selbstvernichtung durch Leidenschaft als Laster oder Maßlosigkeit gelten.
4. Eine barocke Ethik der Mäßigung würde dieses Leiden kritisch sehen, während eine Liebesethik, die Hingabe und Opferbereitschaft hochhält, es als höchstes Gut werten könnte. Das Gedicht bleibt im Spannungsfeld dieser beiden Möglichkeiten.
5. Auch der Gestus, die eigenen Tränen zu überhöhen, wirft die Frage nach Authentizität auf: Sind sie echte Zeichen der Seele oder inszenierte rhetorische Beweise? Ethisch liegt hier eine Reflexion über Wahrheit und Darstellung.
1. Philosophisch ist das Gedicht in der Tradition barocker Anthropologie verankert: Der Mensch wird als ein Wesen beschrieben, in dem die Leidenschaften naturhaft wirken, gleichsam wie physikalische Elemente (Feuer, Wasser, Wind). Diese Allegorisierung verweist auf die Vorstellung eines kosmischen Zusammenhangs zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos.
2. Theologisch bemerkenswert ist die Anrede der Geliebten als Göttligkeit. Hier klingt ein quasi-religiöser Kult an, in dem die menschliche Liebe ins Sakrale überhöht wird. In einem christlichen Horizont ist das gefährlich, weil die Anbetung der Geschöpfe zur Abgötterei tendieren könnte.
3. Zugleich kann man in der Überhöhung eine Parallele zur Mystik sehen: wie die Tränen der Reue bei den Kirchenvätern und Mystikern ein Zeichen der Gnade sind, so werden hier die Tränen als Specerey gedeutet, also als ein Weihrauch-ähnliches Opfer, das in den Himmel aufsteigt.
4. Die Bewegung von Feuer und Wasser erinnert an alchemistische Symbole: Feuer erzeugt Dampf, Dampf steigt auf, Wasser fließt herab. Das Ganze kann als eine Metapher für die Transformation des Leides in eine geistige Essenz gelesen werden. Philosophisch betrachtet: Leiden wird zum Medium der Vergeistigung.
5. Theologisch könnte man die Tränen mit der mittelalterlichen Tradition der lacrimae compunctionis vergleichen – Tränen der Zerknirschung, die in den Himmel steigen. Doch hier sind es Tränen der erotischen Liebe, die denselben Weg nehmen. Es entsteht eine subtile Spannung zwischen sakralem Muster und profanem Inhalt.
6. Abschatz entwirft also ein Bild, das zwischen profaner Liebeslyrik und religiöser Bildwelt oszilliert. Die Geliebte erscheint als Heilsfigur, die Tränen als Opferrauch, das Herz als Altar. Philosophisch-theologisch geht es um die Frage: Kann die profane Liebe sakrale Züge tragen, oder entlarvt sich darin ein Missbrauch des Religiösen?
7. Letztlich stellt das Gedicht eine barocke Dialektik dar: der Mensch sucht das Absolute, findet es aber in der endlichen Geliebten, und verwandelt sein Leiden in einen quasi-theologischen Ritus. Das ist philosophisch die Spannung zwischen immanenter Leidenschaft und transzendenter Sehnsucht.
1. Das Gedicht zeigt, dass Tränen hier nicht bloß als Zeichen von Schwäche gelten, sondern als Ausdruck einer innerlich brennenden, lauteren und edlen Liebe. Die moralische Lehre liegt darin, dass wahre Gefühle nicht oberflächlich, sondern tief gegründet sind.
2. Die Liebe wird moralisch veredelt, indem sie nicht nur ein sinnliches Begehren bleibt, sondern durch Bilder von Lilien und Rosen in einen hohen, fast tugendhaften Rang erhoben wird: Schönheit erzeugt nicht Laster, sondern Ehrfurcht und Hingabe.
3. Die Glut des Herzens wird moralisch nicht als zerstörerisches Feuer gedeutet, sondern als ein durch Liebe gereinigtes und legitimiertes Brennen. So vermittelt der Text ein positives Bild der Leidenschaft, solange sie von der Liebe geleitet ist.
4. Das Leiden des Liebenden wird nicht beklagt, sondern als Beweis von Wahrhaftigkeit und moralischer Tiefe vorgetragen. Der Schmerz ist hier kein Makel, sondern eine Auszeichnung: Wer wahr liebt, erträgt den inneren Brand und macht ihn zu einem moralisch wertvollen Zeichen.
1. Die Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde erscheinen in subtiler Entsprechung: Tränen als Wasser, Liebesglut als Feuer, Seufzer als Wind, die körperliche Erscheinung der Geliebten als blumige Erde. Dadurch entsteht eine elementare Ganzheit, die anthroposophisch als Spiegel des Kosmos im Menschen gelesen werden kann.
2. Der Ofen im Herzen und die Seufzer als Wind deuten auf einen inneren Mikrokosmos, in dem die seelischen Kräfte nach dem Gesetz der Natur wirken. Die Seele des Liebenden wird so zur Bühne eines kosmischen Dramas.
3. Der Blick durch anthroposophische Zusammenhänge zeigt, dass die Tränen nicht nur individuelle Traurigkeit ausdrücken, sondern ein geistiges Opfer: sie steigen als Dünste in die Höhe und verweisen auf eine Verbindung zwischen Mensch und übersinnlicher Welt.
4. Die Gestalt der Geliebten (Rosilis) erscheint als Inspirationsträgerin: ihre Schönheit entzündet die Seelenkräfte, was anthroposophisch als Hinweis auf die transformative Kraft der Schönheit verstanden werden kann, die den Menschen über das bloß Irdische hinausführt.
1. Das Gedicht entfaltet einen barocken Schönheitsdiskurs: die Augenflut wird nicht als Zerstörung, sondern als kunstvoll geformte Metapher präsentiert, die Schönheit mit Schmerz verbindet. Das Schöne entsteht durch die ästhetische Balance von Leid und Glanz.
2. Der Wechsel von Naturbildern (Lilien, Rosen, Düfte, Ströme, Flammen) schafft ein ästhetisches Geflecht, das einerseits sinnlich konkret wirkt, andererseits symbolisch überhöht. Diese Doppelwirkung ist charakteristisch für die barocke Ästhetik.
3. Das Spiel mit der Übersteigerung – der Liebende kann die Ströme der Tränen kaum fassen, die Glut wird vom Herzen wie aus einem Ofen geblasen – folgt der barocken Lust am Pathos und der gesteigerten Ausdruckskraft.
4. Ästhetisch wirkt auch die Harmonie von innerem und äußerem Bild: die Natur (Blumen, Düfte) ist nicht bloße Kulisse, sondern Ausdruck der inneren Bewegung. Dadurch entsteht eine poetische Einheit, die die emotionale Wahrheit durch Schönheit bestätigt.
1. Das Gedicht arbeitet stark mit Hyperbeln: die Tränenfluten, das unauslöschliche Feuer, die unendliche Verdampfung der Dünste. Diese rhetorische Figur steigert die Intensität und macht die Liebe übermenschlich groß.
2. Metaphorische Gleichsetzungen prägen den Text: das Herz als Ofen, die Seufzer als Wind, die Augen als Helm, die Tränen als Ströme. Hier zeigt sich eine dichte rhetorische Bildsprache, die den Affekt sinnlich nachvollziehbar macht.
3. Der antithetische Aufbau zwischen Wasser (Tränen) und Feuer (Liebesglut) bildet ein zentrales rhetorisches Gerüst. Diese Gegensätze treiben die Spannung voran und halten die Rede in einer beständigen Bewegung.
4. Durch die direkte Anrede (Lieb-werthe Rosilis) wird eine rhetorische Nähe hergestellt, die zugleich Distanz wahrt, indem die Sprache kunstvoll überhöht bleibt. So verbindet das Gedicht persönliche Leidenschaft mit repräsentativer, formaler Rhetorik.
5. Das Sonett-nahe Schema (14 Verse, dreigeteilt) verstärkt den rhetorischen Charakter, da es den Gedanken streng formt und den Pathos in eine geordnete Form zwingt – ein typisches Verfahren barocker Dichtung, wo Rhetorik und Formkunst Hand in Hand gehen.
1. Auf der Metaebene erscheint das Gedicht als ein kunstvoll gestalteter Klagegesang, der die konventionelle Topik barocker Liebesdichtung variiert. Die Tränen des lyrischen Ichs sind nicht gewöhnlich, sondern werden durch den Vergleich mit Düften, Flammen und Dämpfen in einen hochgradig artifiziellen Diskurs überführt.
2. Der Text spiegelt eine übergeordnete Tendenz barocker Poetik: die affektive Intensität wird nicht realistisch ausgedrückt, sondern durch Rhetorik, Bilderfülle und Metaphorik überhöht. Dadurch entsteht ein Theater der Gefühle, das eher auf die Wirkung beim Leser als auf eine innere Authentizität abzielt.
3. Das Gedicht bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Selbstausdruck und Inszenierung. Der Sprecher präsentiert sein Leiden nicht nur, sondern stilisiert es zur Kunstform, in der die Träne selbst zum poetischen Medium wird.
1. Poetologisch fungiert das Gedicht als Beispiel für die barocke Kunstfertigkeit im Umgang mit Emblemen, Allegorien und Metaphern. Abschatz zeigt, dass die poetische Sprache Leiden nicht einfach abbildet, sondern es in einem ästhetischen System der Tropen und Bilder überhaupt erst hervorbringt.
2. Die dichterische Konstruktion macht die Träne zu einem literarischen Produkt: sie wird nicht als natürliche Flüssigkeit verstanden, sondern als gebrannte Essenz, die von der Schönheit der Geliebten hervorgebracht ist. Der Text demonstriert damit das Prinzip der ingeniösen Wendung (concettismo).
3. Der Aufbau – in drei Strophen und 14 Versen, also formal am Sonett orientiert – signalisiert eine bewusste Einbettung in die europäische Liebesdichtungstradition. Zugleich verschiebt Abschatz die Sonettform, sodass das Gedicht eine poetologische Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen barocker Formen impliziert.
1. Die zentrale Metapher ist die Umwandlung von Tränen in eine alchemistische Essenz: sie entstehen nicht aus Trauer, sondern aus der Hitze des Herzens, befeuert von der Liebe, angeregt durch die Schönheit der Geliebten. Dadurch entsteht ein komplexes Zusammenspiel von Elementen (Wasser, Feuer, Luft, Duft).
2. Tränen sind hier keine Zeichen der Schwäche, sondern ein Destillat, das wie ein Specerey (kostbares Gewürz, Parfum) wertvoller ist als jede andere Substanz. Das Leiden des lyrischen Ichs verwandelt sich in ein Artefakt höchster Kostbarkeit.
3. Die Metaphern greifen stark auf Natur- und Elementesymbolik zurück: Feuer im Herzen, Wind der Seufzer, Wasser der Tränen, Dunst in der Luft. Damit wird ein kosmisches Szenario eröffnet, in dem individuelle Emotionen in eine Weltordnung von Stoffen und Kräften eingeordnet sind.
4. Die Augen erscheinen als Instrumente – gleichsam Helme und Röhren –, die Tränen technisch kanalisieren. Damit wird die Physiologie metaphorisch aufgeladen und in einen Mechanismus der Affekterzeugung verwandelt.
1. Das Gedicht steht im Kontext der barocken Liebes- und Gelegenheitsdichtung, die häufig durch kunstvolle Metaphorik, rhetorische Überbietung und Emblematik geprägt ist. Abschatz, ein Dichter des späten 17. Jahrhunderts, ist Teil jener höfischen Kultur, in der Liebespoesie zugleich Spiel und Ausdruck sozialer Codes war.
2. Das Gedicht lässt sich in die Tradition petrarkistischer Liebesdichtung einordnen, die durch eine idealisierte, fast unerreichbare Geliebte geprägt ist. Der Name Rosilis verweist auf die konventionelle Benennung durch florale Allegorien, was im 17. Jahrhundert üblich war.
3. Gleichzeitig verrät die starke Anlehnung an physikalisch-alchemistische und medizinische Vorstellungen (Dünste, Hitze, Ofen, Destillation) eine barocke Neigung zur Verknüpfung von Naturwissenschaft, Mystik und Dichtung. Damit positioniert sich der Text in einer Epoche, in der die Naturlehre und Poetik eng verwoben waren.
4. Literaturgeschichtlich ist das Gedicht auch als Beispiel für die deutsche Adaption europäischer Sonettkultur interessant: zwar ist die Grundstruktur erkennbar, doch die Form wird freier gehandhabt, was auf eine gewisse Eigenständigkeit des deutschen Barock verweist.
1. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist das Gedicht ein paradigmatisches Beispiel für die barocke Rhetorik der Affekte. Die Intensität der Klage wird nicht durch Gefühl selbst, sondern durch das Bildersystem gesteigert. Das Leiden ist ein Diskursphänomen.
2. Die Textanalyse zeigt ein dichtes Netz rhetorischer Figuren: Metapher, Hyperbel, Allegorie und Personifikation. Der Körper der Geliebten wird zum poetischen Auslöser, der Körper des lyrischen Ichs zum alchemistischen Labor, die Tränen zum Resultat dieses Prozesses.
3. Wissenschaftlich relevant ist auch die Frage nach der Performativität des Textes: die Träne ist nicht nur Darstellung, sondern zugleich ein literarisches Ereignis. Das Gedicht selbst produziert die affektive Wirkung, die es beschreibt.
4. Zudem lässt sich das Gedicht im Kontext der barocken Poetik als Exempel für die Verschränkung von Emblematik, Petrarkismus und naturphilosophischer Bildlichkeit deuten. Es steht damit an einer Schnittstelle zwischen literarischem Spiel, sozialem Code und frühneuzeitlichem Weltbild.
1. Das Bild der Flutten aus den Augen evoziert unmittelbar das Pathos von Tränen, jedoch nicht in gewöhnlichem Sinne, sondern als kostbares, durch Liebe hervorgerufenes Element. Man assoziiert Flüsse, Ströme, eine überbordende Natur, die im Innern des lyrischen Ichs ihren Ursprung hat.
2. Die Gegenüberstellung von Rosen und Lilien, die als Metaphern für Wangen und Brust der Geliebten erscheinen, ruft Assoziationen von höfischer Schönheit, Reinheit und Liebesideal hervor, verbunden mit Farben Weiß und Rot als traditionelle Chiffren der Liebespoesie.
3. Der Vergleich der Tränen mit Spezereien, also kostbaren Gewürzen oder Düften, führt in die Welt der Sinnlichkeit, der Kostbarkeit und des Luxus. Das verweist assoziativ auch auf orientalische Düfte, Handelswaren, Exotik.
4. Das Herz als Ofen, die Liebe als Glut, die Seufzer als Wind, die Tränen als Wasser: das ist ein ganzes kleines Kosmosmodell, eine alchemistisch anmutende Weltmaschine, in der alle Elemente ineinandergreifen. Man assoziiert Feuer, Luft, Wasser, Erde – ein universaler Zusammenhang, der sich im Körper des Liebenden abbildet.
5. Der Helm der Augen, der das Wasser freilässt, evoziert militärische Assoziationen: Panzer, Schutz, Öffnung. Das Auge wird zum Gefäß, zur Rüstung, die doch nicht standhält. Hier mischt sich Liebesklage mit einer martialischen Bildsprache.
6. Die Bewegung in die Höh verweist auf eine Transformation der Tränen in Dampf oder Rauch. Man assoziiert die Bewegung des Gebets, des Opfers, des Aufstiegs zur Geliebten oder gar zum Göttlichen – die Liebe gewinnt eine fast mystische Vertikaldimension.
1. Das Gedicht besteht aus 14 Versen, also der Form eines Sonetts angenähert, auch wenn es formal nicht streng der italienischen Sonettstruktur folgt. Drei Strophen gliedern den Text, was eine gewisse Lockerheit gegenüber dem klassischen Sonett vermittelt.
2. Der Sprachduktus zeigt barocke Bildfülle, Häufung von Metaphern und Vergleichen. Charakteristisch ist das Ineinandergreifen von Natur-, Feuer- und Alchemiebildern.
3. Reimstruktur: Umarmender und verschränkter Reim wechseln, was eine gewisse Beweglichkeit schafft, passend zu den bewegten Flutten und der Dynamik von Feuer und Wasser.
4. Rhythmisch finden sich teils jambische Bewegungen, aber auch durch Enjambements zerrissene Sätze, was den Eindruck von Drängen, Überströmen, Ungehemmtheit verstärkt.
5. Die Sprache arbeitet stark mit Antithesen und Kontrasten: Feuer vs. Wasser, Seufzer vs. Flammen, Glut vs. Tränen. Das ist formal typisch barock, in seiner Affektintensität ausgeprägt.
1. Tränenmetaphorik: Die Tränen als Zeichen wahrer Liebe, als rhetorische Überzeugungsgeste gegenüber der Geliebten.
2. Rosen und Lilien: Traditionelle Topoi der Schönheit, Reinheit, Anmut – bereits biblisch (Hoheslied), später galant-poetisch fortgeführt.
3. Liebe als Feuer: Klassischer Topos von Ovid bis zur Barocklyrik, hier in Kombination mit Ofen und Glut sinnlich und elementar ausgeführt.
4. Seufzer als Wind: Ein geläufiger barocker Topos, der das Innerliche mit der Elementenlehre verbindet.
5. Körper als Mikrokosmos: Herz als Ofen, Augen als Helm und Röhren – barockes Denken setzt den menschlichen Körper als Spiegel des Kosmos ein.
6. Düfte und Spezereien: Topos der kostbaren Sinnlichkeit, zugleich Metapher für die Unvergleichlichkeit der Geliebten.
1. Das Gedicht steht im Horizont der barocken Liebes- und Gelegenheitslyrik, die stark durch Emblematik, Metaphorik und Sinnlichkeit geprägt ist.
2. Typisch barock ist die Übersteigerung der Gefühle in Naturbildern, die Überfülle an Metaphern, die Affektintensität und die allegorische Lesbarkeit: Feuer, Wasser, Wind und Duft als Entsprechungen innerer Zustände.
3. Zugleich klingt die galante Kultur des 17. Jahrhunderts an, die mit mythologischen Namen (Rosilis) und Anklängen an Kostbarkeiten (Spezereien) den höfischen Kontext aufruft.
4. Auch die alchemistische Symbolsprache des Barock findet sich wieder: Feuer im Herzen, Umwandlung von Stoffen, Aufstieg der Dünste – das verweist auf eine Weltanschauung, die Naturprozesse, Liebe und metaphysische Dimensionen ineinanderblendet.
5. Der Text illustriert die Rhetorisierung der Gefühle, wie sie für den Barock typisch ist: nicht nur spontaner Affektausdruck, sondern kunstvolle Verknüpfung von Affekt und Form.
1. Das Gedicht entfaltet ein umfassendes Bild des Liebesaffekts, indem es die Tränen des lyrischen Ichs als natur- und elementekosmisches Ereignis deutet: Sie sind keine gewöhnlichen Tränen, sondern Edeltröpfchen, gespeist aus dem Feuer der Liebe, den Seufzern als Wind und den Reizen der Geliebten.
2. Abschatz verwebt in dichter Folge Naturbilder, mythologische Reminiszenzen und höfische Topoi zu einer poetischen Weltmaschine der Liebe. Der Körper des Liebenden wird zum Schauplatz kosmischer Prozesse, in dem Feuer, Wasser, Wind und Duft sich verbinden.
3. Die Geliebte erscheint nicht nur als Ursache dieser Tränenflut, sondern auch als göttlich-erhöhtes Wesen, dessen Schönheit (Rosen, Lilien) und Gunst (als überirdischer Duft) die physische und psychische Konstitution des Liebenden völlig bestimmen.
4. Das Gedicht steigert die Klage in eine fast mystische Bewegung: die Tränen werden zu Dünsten, die aufsteigen, unendlich fließen, und damit eine Transzendenzlinie eröffnen – die Liebe des lyrischen Ichs geht über das bloß Irdische hinaus.
5. Barocktypisch ist die Gleichzeitigkeit von Sinnlichkeit und Überhöhung, von rhetorischer Kunstfertigkeit und existentiellem Affekt. Das Gedicht steht exemplarisch für eine Liebeslyrik, die Natur, Körper und Gefühl in barocker Bilderpracht durchdringt und zugleich die Affekte in kunstvolle Form bannt.