Die krancke Fillis
Ach Amor/ soll ich dir nicht klagen meine Noth!1
Ich seh die Fillis hier in meinen Armen liegen;2
Die matte Seele will dem siechen Leib' entfliegen;3
Stirbt sie/ so ist dein Ruhm und meine Freude todt.4
Ach/ schick ihr kühle Lufft mit deinen Flügeln zu/5
Laß deine zarte Sehn ihr kranckes Haubt umschlüssen/6
Gib deinen Köcher her zu legen unters Küssen/7
Damit ihr Leib erhöht kan nehmen seine Ruh.8
Verwechsle mit Betrug dem Tode seinen Pfeil/9
Daß sie dein heilsam Gold empfind in ihrem Hertzen/10
Wenn ihr sein rauher Stahl soll bringen Todes-Schmertzen/11
So machest du (in ihr und mir) zwey Hertzen heil.12
Ach Amor/ soll ich dir nicht klagen meine Noth!1
Ich seh die Fillis hier in meinen Armen liegen;2
Die matte Seele will dem siechen Leib' entfliegen;3
Stirbt sie/ so ist dein Ruhm und meine Freude todt.4
1 Ach Amor/ soll ich dir nicht klagen meine Noth!
Analyse
1. Der eröffnet mit einer unmittelbaren Apostrophe (Ach Amor) und verbindet Exclamatio und rhetorische Frage; dadurch entsteht ein pathetischer, dringlicher Ton, der typisch für barocke Klage- und Liebesdichtung ist.
2. Das Verb klagen ruft sowohl die juristische als auch die kultisch-liturgische Sphäre auf: Der Sprecher bringt förmlich Beschwerde vor dem Gott der Liebe ein, was die Szene als eine Art Liebesprozess inszeniert und Amor implizit in die Pflicht nimmt.
3. Die Orthographie und Interpunktion mit Schrägstrich markiert barocke Atem- und Sinnpausen; der syntaktische Schwung (Anrede – Frage – Objekt meine Noth) treibt den Satz performativ nach vorn und macht die Rede selbst zum Rettungsversuch.
4. Semantisch verschiebt Noth den Liebesschmerz in eine existenzielle Dimension; es geht nicht bloß um Sehnsucht, sondern um Gefährdung von Leib und Leben, was die Dringlichkeit des nachfolgenden Geschehens vorbereitet.
Interpretation
1. Der Sprecher positioniert sich als Kläger und flehender Bittsteller zugleich: Liebe wird als Macht adressiert, der Verantwortung zukommt; Amor soll nicht nur entzünden, sondern bewahren.
2. Die rhetorische Frage ist keine echte Anfrage, sondern eine moralische Mahnung: Amor muss sich diese Klage anhören, weil seine Herrschaft über die Liebenden sonst an Legitimation verliert.
3. Die performative Geste der Anrufung deutet die ganze Strophe als Gebet oder Beschwörung; Sprache soll Wirklichkeit verändern und Heilung herbeireden.
4. Eine subtile Provokation mitschwingend: Wer Noth verursacht, gerät in Haftung — der Liebesgott wird in die Rolle des (Mit-)Verantwortlichen für das Leid gedrängt.
2 Ich seh die Fillis hier in meinen Armen liegen;
Analyse
1. Das deiktische hier und das Präsens seh schaffen Nähe und Unmittelbarkeit; wir stehen im Schauaugenblick, nicht in nachträglicher Erzählung.
2. Der Eigenname Fillis (Phyllis) ist ein pastoral geprägter Kunstname und verankert den Text in der europäischen Bukolik- und Liebeslyriktradition; er erhöht die Figur zur Typengestalt der Geliebten.
3. Die Körperlichkeit (in meinen Armen) setzt einen intensiven, zärtlichen, zugleich hilflosen Kontakt: Der Sprecher ist physisch beteiligt und emotional exponiert, aber ohne Macht über den Verlauf.
4. Der kontrastiert die ikonische Gebärde des Liebens (Umarmen) mit dem untypischen Inhalt (Krankheit, Schwäche) — so kippt das vermeintlich Eros-Erfüllte in eine Pietà-ähnliche Notszene.
Interpretation
1. Das Bild des Haltens ist doppeldeutig: Es ist Trost und Stütze, aber auch Zeichen der Ohnmacht; die Liebe vermag zu umfassen, nicht zu heilen.
2. Indem der Sprecher als Augenzeuge auftritt, gewinnt seine Klage Evidenz; er bezeugt, was er sieht, und erhebt damit den Anspruch, dass seine Worte nicht übertrieben, sondern realitätsgesättigt sind.
3. Der pastoral aufgeladene Name verschiebt individuelles Schicksal in einen mythisch-literarischen Resonanzraum: Fillis steht für die Geliebte schlechthin, wodurch die Szene paradigmatische Bedeutung erhält.
4. Die Nähe des Körpers betont die Distanz zur rettenden Kraft: Je enger die Umarmung, desto offensichtlicher die Grenze menschlicher Liebesmacht — ein barocker Grundakzent.
3 Die matte Seele will dem siechen Leib' entfliegen;
Analyse
1. Die Wortwahl bildet eine prägnante Leib-Seele-Antithetik: matt charakterisiert die Seele, siech den Leib; beide sind geschwächt, aber unterschiedlich markiert, was das dualistische Denken der Epoche spiegelt.
2. Entfliegen personifiziert und dynamisiert die Seele; es evoziert das traditionelle Bild der Seele als Vogel, der den Körper verläßt — ein geläufiges barockes Topos von Vergänglichkeit und Transzendenz.
3. Die Konstruktion will … entfliegen legt Volition nahe: Nicht bloß naturhafte Auflösung, sondern ein Drang zum Fortgang; das fügt dem Sterbeprozess eine metaphysische Intentionalität hinzu.
4. Lautlich rhythmisieren die weichen Konsonanten und die Wiederkehr von m-/s-Lauten die Zeile; die semantische Leichtigkeit des Fliegens steht in ironischem Gegensatz zum Gewicht des Sterbens.
Interpretation
1. Der Tod wird nicht direkt benannt, sondern als imminenter Seelenflug umschrieben; so entsteht Schwebe zwischen Angst und Erlösungshoffnung: Tröstung ist denkbar, Verlust gewiss.
2. In einem christlich-barocken Horizont kann der Flug himmelwärts gelesen werden; zugleich kollidiert diese Transzendenz mit der Anrufung des heidnischen Amor aus V. 1 — der Text lebt aus dieser zarten Spannungsironie.
3. Der Liebesgott erweist sich als ohnmächtig gegenüber der Metaphysik des Sterbens: Eros, der sonst belebt, kann die scheidende Seele nicht binden; das stellt seine Reichweite in Frage.
4. Für den Sprecher ist der Seelenflug ein doppelter Verlust: Er verliert nicht nur den Leib der Geliebten, sondern den resonanten Ort, an dem seine Liebe sinnlich verankert war.
4 Stirbt sie/ so ist dein Ruhm und meine Freude todt.
Analyse
1. Die hypotaktische Wenn-Dann-Fügung (Stirbt sie/ so…) setzt ein scharfes Kausalgefüge: Amors Status (dein Ruhm) und des Sprechers Befindlichkeit (meine Freude) sind an das Leben der Geliebten gekoppelt.
2. Die Parallelsetzung dein Ruhm / meine Freude bildet eine pointierte Zweigliedrigkeit, die mythisch-öffentliche Sphäre (Ruhm des Gottes) und private Affektökonomie (Freude des Liebenden) bündelt.
3. Todt als Endwort schließt die Strophe mit harter Kadenz; die archaische Schreibung verstärkt den gravitätischen Schluss und macht das Wort zum semantischen Schlag.
4. Rhetorisch arbeitet der mit einer subtilen Drohfigur: Nicht nur der Dichter verliert — auch Amor verliert Reputation; Love’s glory hängt am Gelingen seiner Fürsorge, nicht an der bloßen Macht zu verwunden.
Interpretation
1. Der Sprecher versucht Amor zu beschämen und zu motivieren: Wenn die Geliebte stirbt, diskreditiert das die Herrschaft der Liebe selbst; so wird die Rettung der Fillis zur Ehrensache des Gottes.
2. Der verschaltet Makro- und Mikroebene: Kosmische Ordnung (Ruhm der Liebe) und individuelles Glück (meine Freude) werden in einem Schicksalsknoten zusammengezogen — barocke Totalität im kleinen.
3. Die Pointe inszeniert eine paradoxe Logik: Eros lebt vom Lebendigen; wo er den Tod nicht verhindert, stirbt sein Ruhm. Gerade dadurch wird der Liebesgott in eine ethische Verantwortlichkeit hineingeschrieben.
4. Im Subtext zeigt sich die Selbstzentrierung des Sprechers: Neben der großen Geste, Amor zu retten, steht der private Verlust im Vordergrund; der Diskurs der Ehre dient auch der Steigerung der eigenen Klageintensität.
Die vier Verse führen von der pathetischen Anrufung über die demonstrative Schau des Elends zur metaphysischen Zuspitzung und enden in einer rhetorischen Conditio, die Amor moralisch unter Druck setzt. Der Text bündelt barocke Topoi — Klage, Leib-Seele-Dualismus, Vanitas, performative Rede — zu einer kleinen Theodizee der Liebe: Wenn Liebe göttlich ist, muss sie retten; wenn sie nicht rettet, steht sie selbst im Gericht.
Ach/ schick ihr kühle Lufft mit deinen Flügeln zu/5
Laß deine zarte Sehn ihr kranckes Haubt umschlüssen/6
Gib deinen Köcher her zu legen unters Küssen/7
Damit ihr Leib erhöht kan nehmen seine Ruh.8
5 Ach/ schick ihr kühle Lufft mit deinen Flügeln zu/
Analyse
Der eröffnet mit dem klagenden Interjektionsruf Ach, der das Gebetshafte und die Dringlichkeit der Bitte markiert; er rahmt den ganzen Strophenmittelteil als supplicatio an eine übergeordnete, personalisierte Instanz.
Die Anrede zielt auf eine geflügelte mythologische Kraft—naheliegend Amor, dessen Flügel hier pars pro toto für sein ganzes Wesen stehen—und nutzt eine starke Metonymie: Nicht der Gott selbst heilt, sondern die Bewegung seiner Flügel, die kühle Luft erzeugt.
Das Attribut kühle reagiert auf die barocke Topik der Liebeskrankheit als Überhitzung oder Fieber; der Luftstrom wird als gegenwirkende Qualität (Frische, Abkühlung, Erleichterung) inszeniert und bettet den in humoralmedizinische Vorstellungen ein.
Die Alliteration und Vokalführung (k—k; u-Laute in kühle, Lufft, Flügeln) erzeugen eine sinnlich mimetische Klangfläche, die den Eindruck von Weite, Strömung und sanfter Bewegung auditiv unterstützt.
Der Imperativ schick etabliert ein Machtgefälle: Der Sprecher anerkennt Amor als wirkmächtigen Akteur und vollzieht zugleich eine Umdeutung—die Liebesgottheit, sonst Auslöser der Krankheit, soll zum Heilmittel werden.
Interpretation
Der transponiert Eros’ zerstörerische Energie in fürsorgliche Pflege: Das, was Wunden schlägt (Amors Macht), soll als Balsam wirken; darin liegt eine barocke Dialektik von causa und remedium der Liebeskrankheit.
Kühle Luft steht allegorisch für Erleichterung der affektiven Glut; die Szene lässt sich als ärztliche Intervention lesen, in der der Gott der Liebe zum sanften Arzt umgedeutet wird.
Die Bitte ist zugleich performativ und rituell: Sie entwirft einen quasi-liturgischen Akt (Fächeln mit Flügeln), der körperliche (Fieber, Atemnot) und seelische Dimensionen (Unruhe der Leidenschaft) gleichermaßen anspricht.
Indem die Hilfe ausdrücklich ihr gilt, markiert der Text die Liebesbeziehung asymmetrisch: Der Sprecher bleibt aktiv bittend, die Geliebte passiv leidend; so entsteht eine Konstellation von männlicher Fürsorge und weiblicher Vulnerabilität im pastoral-barocken Register.
6 Laß deine zarte Sehn ihr kranckes Haubt umschlüssen/
Analyse
Die Sehn (frühneuhochdeutsch für Sehne, hier eindeutig die Bogensehne) ist ein präzises Requisit Amors; der fokussiert auf den Werkzeug-Körper des Gottes und baut ein kleines blason der Liebeswaffen.
Zart qualifiziert das Material als sanft und weich, was eine bewusste Antithese zur schneidenden, spannenden Funktion der Sehne bildet; die Semantik kippt vom Aggressiven ins Pflegende.
Das Verb umschlüssen zeichnet ein kreisendes, behütendes Umschließen nach; syntaktisch verbindet es Zärtlichkeit und Stütze zu einem Gestus der Bandagierung.
Der Ausdruck ihr kranckes Haubt konkretisiert die Symptomzone (Kopf—Sitz von Hitze, Schwindel, Schmerz) und verankert die Metapher im medizinischen Diskurs der Zeit.
Rhetorisch liegt eine Inversion der Zweckbestimmung vor: Die Sehne, die sonst Pfeile abschießt, wird zur Binde umfunktioniert; das ist ein barockes concetto, das Überraschung durch Funktionsvertauschung erzeugt.
Interpretation
Das Umwinden des Hauptes mit der Bognsehne inszeniert eine paradoxe Heilung: Das Instrument der Verwundung verwandelt sich in ein Heilband; der Text arbeitet mit der Idee, dass nur die Macht, die verletzt, auch wirklich heilen kann.
Zart verschiebt Amor von der kriegerischen in die pflegerische Ikonographie, wodurch Liebe als fürsorgliche, fast caritative Praxis sichtbar wird.
Das Motiv des Umschließens lässt auch an Bindung im erotischen Sinn denken: Die Heilbinde ist zugleich Fessel der Zugehörigkeit—Heilung geschieht innerhalb der Bindung an Amor, nicht durch Ablösung von ihm.
Der schreibt eine zarte, beinahe häusliche Pflegeszene aus und bricht damit die heroische Mythologie in intimen Nahraum herunter; barocke Emblematik und alltägliche Sorge verschränken sich.
7 Gib deinen Köcher her zu legen unters Küssen/
Analyse
Wieder Imperativ (Gib), wieder ein Ausrüstungsstück Amors (Köcher): Der setzt die Arsenal-Metonymik fort und macht aus Waffenlager ein Möbel der Krankenpflege.
Zu legen unters Küssen ist orthographisch doppeldeutig (Kissen/Küssen); im Kontext der folgenden Ruheformel spricht vieles für Kissen, doch die Nähe zu Küssen bleibt als bewusstes Wortspiel hörbar.
Semantisch wird der Köcher zur Stütze, zum improvisierten Polster; die Kampftopik weicht einem häuslichen Arrangement, das auf Lagerung und Komfort zielt.
Die syntaktische Schlichtheit (Gib … zu legen …) unterstreicht das Praktische der Handlung; wir sehen beinahe eine Regieanweisung der Pflege.
Interpretation
Die Ambiguität Kissen/Küssen erzeugt einen doppelten Sinnhorizont: Wörtlich dient der Köcher als Kopfstütze, figural liegt unter den Küssen ein erotisches Milieu, in dem Pflege und Zärtlichkeit untrennbar sind.
Der Köcher, sonst Depot der Pfeile, wird in den Ruheraum integriert; damit neutralisiert der Sprecher die Aggression der Liebeswaffen, ohne sie zu entfernen—Liebe bleibt präsent, aber domestiziert.
Die Bitte impliziert Nähe: Der Sprecher organisiert die konkrete Lagerung des Körpers der Geliebten; Pflege wird zur Form gelebter Liebe, in der Zuwendung und Sinnlichkeit zusammenfallen.
Das Versinnbildlicht barocke Witzkunst (concetto): Das martialische Objekt erhält durch einen minimalen Kontextwechsel eine neue, überraschend zärtliche Funktion.
8 Damit ihr Leib erhöht kan nehmen seine Ruh.
Analyse
Der Zwecksatz Damit … schließt die kleine Pflegelogik ab: Kühlung, Bandage, Polsterung sind Mittel, deren Ziel Ruh ist; die Strophe hat eine klare teleologische Struktur.
Ihr Leib erhöht beschreibt eine gezielte Lagerungstechnik; medizinisch verweist die Erhöhung des Oberkörpers auf Linderung von Atemnot und Fieberhitze—ein für barocke Liebesklagen typisches Motiv.
Die Formulierung seine Ruh (maskulines Genus mit Rückbezug auf Leib) betont die Körperlichkeit der Ruhe; es geht nicht nur um seelische Beruhigung, sondern um physischen Schlaf/Erholung.
Klanglich schließen die u-Laute von erhöht … Ruh den Kühle-Klangraum der Strophe und erzeugen ein abklingendes, beruhigendes Timbre.
Interpretation
Ruhe erscheint als Gegenbild zur Unruhe der Passion; der deutet Heilung als temporäre Suspension der Leidenschaft, nicht als deren Aufhebung—die Liebe bleibt, aber sie kommt zur Ruhe.
Die Erhöhung hat neben dem medizinischen auch einen symbolischen Wert: Sie markiert eine milde Form der Erhebung der Geliebten, als ob Pflege die Liebste würdigt und trägt; der Eros wird zum Träger, nicht zum Antreiber.
Die Strophe formuliert ein Programm der liebevollen Regie über den Körper der Geliebten: Kühlung, Umhüllung, Stützung und Ruhe bilden ein vierstufiges Heilritual, das Amors Macht in Sorge transformiert.
Im Ganzen verkehrt die Szene die gewöhnliche Narration der Liebeskrankheit: Nicht asketische Entsagung, sondern die kontrollierte Präsenz Amors (Flügel, Sehne, Köcher) bringt Linderung—eine barocke Apologie des Eros als Heilkunst.
Verwechsle mit Betrug dem Tode seinen Pfeil/9
Daß sie dein heilsam Gold empfind in ihrem Hertzen/10
Wenn ihr sein rauher Stahl soll bringen Todes-Schmertzen/11
So machest du (in ihr und mir) zwey Hertzen heil.12
9 Verwechsle mit Betrug dem Tode seinen Pfeil/
Analyse:
Der Imperativ Verwechsle richtet sich an eine personifizierte Macht – im Kontext der Liebesdichtung der Barockzeit ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit Amor. Die Anrede etabliert sofort eine theatralische Bitte um Eingriff in den Lauf des Schicksals.
Mit Betrug fungiert als instrumentales Dativgefüge und markiert offen das Mittel: List. Der semantische Rahmen ist barock-kasuistisch; moralisch ambivalente Mittel werden aus Not legitimiert.
dem Tode seinen Pfeil setzt den Tod als bewaffnete Personifikation; der Pfeil steht metonymisch für die tödliche Wirkung. Der baut eine Antagonistik Amor vs. Tod auf, die die Strophe trägt.
Metrisch ist ein Alexandriner mit Zäsur nach Betrug plausibel, wodurch der Befehl (Verwechsle mit Betrug // dem Tode seinen Pfeil) in zwei Handlungsschritte gegliedert wird: erst das listige Mittel, dann das Ziel.
Klanglich kontrastieren die stimmlosen Plosive und Frikative in Betrug … Tode … Pfeil mit der weicheren Vokalfolge des folgenden Verses; der eröffnet hart und konfrontativ.
Interpretation:
Der Sprecher fordert Amor auf, den Todespfeil auszutauschen – ein mythischer counter-spell, der den Verlauf der Krankheit der Fillis umkehrt. Liebe soll nicht nur affektiv, sondern als operative Macht gegen den Tod auftreten.
Betrug wird paradox als rettende Tugend eingesetzt: In der extremen Situation wird List nicht verurteilt, sondern als höhere Klugheit gelesen; dies spiegelt barocke Vanitas-Erfahrung und eine flexible Ethik der Selbsterhaltung.
Der Pfeiltausch entwirft ein Emblem der Substitution: Wo sonst Amor verwundet, soll er diesmal heilen; der Mythos wird medizinisch umcodiert.
Die Szene rahmt das Gedicht als Rettungsbitte: Nicht Gott oder Arzt, sondern Amor soll die kosmische Ordnung für einen Augenblick beugen – ein kühner, halbironischer Gestus barocker Liebesrede.
10 Daß sie dein heilsam Gold empfind in ihrem Hertzen/
Analyse:
Die Konjunktion Daß bindet den als Finalsatz an den Imperativ: Ziel des Pfeiltauschs ist, dass sie (Fillis) dein heilsam Gold im Herzen fühlt.
heilsam Gold bündelt doppelte Semantik: Zum einen verweist Gold auf Amors goldene Liebespfeile (Gegensatz zu den bleiernen), zum anderen schwingt die frühneuzeitliche medizinisch-alchemische Vorstellung vom aurum potabile als Heilmittel mit.
Das Verb empfind (statt empfindet) bewahrt eine barocke Flexionsform und betont das körperlich-affektive Spüren; der Sitz des Affekts ist explizit im Hertzen, dem traditionellen locus der Leidenschaft.
Der wahrscheinlich mit Zäsur nach Gold (… heilsam Gold // empfind …) inszeniert das Gold als klanglichen Schwerpunkt; der Binnenreim-Effekt heilsam/Herz verstärkt die semantische Kopplung von Heil und Innerlichkeit.
Interpretation:
Amor soll nicht nur Schaden abwenden, sondern aktiv ein Heilmittel einpflanzen: Liebe wird zum pharmakon, das körperliche und seelische Krankheit wendet.
Das Gold steht als positive Wertfarbe gegen den Stahl im nächsten Vers; der barocke Antithetik-Mechanismus (Gold/Heil vs. Stahl/Tod) bereitet die argumentative Pointe vor.
Indem das Spüren im Herzen verortet wird, verbindet der Text petrarkistische Affektanthropologie mit frühneuzeitlicher Medizin: die Liebeswunde wird zur Heilwunde.
Im Subtext wird Amor in eine quasi-ärztliche Rolle gerückt; er verabreicht Gold wie ein Arzneimittel – eine poetische Therapie, die zugleich mythologisch beglaubigt ist.
11 Wenn ihr sein rauher Stahl soll bringen Todes-Schmertzen/
Analyse:
Der Konditionalsatz Wenn … setzt die drohende Alternative: Sollte ihr (Fillis) sein rauher Stahl – der Todespfeil – Todes-Schmertzen bringen, dann greife Amors Heil ein.
sein referiert auf den Tod; rauh charakterisiert den Stahl haptisch und akustisch, wodurch Härte und Brutalität ikonisch hörbar werden.
Die Kompositum-Schreibung Todes-Schmertzen (mit barocker Graphie) koppelt Schmerz lexikalisch an den Tod; die Alliteration s/Sch-Sequenzen (Stahl … soll … Schmertzen) hämmern den drohenden Effekt ein.
Der spiegelt strukturell 10: Auch hier lässt sich eine Zäsur lesen (… rauher Stahl // soll bringen …), wodurch die formale Balance der Antithese (Gold/heilsam vs. Stahl/tödlich) sichtbar wird.
Interpretation:
Der Text dramatisiert den Augenblick der Entscheidung zwischen Liebe und Tod: Der Stahl ist nicht nur Waffe, sondern auch Gegenbild zum Gold. Wo Gold heilt, verletzt Stahl.
Die Konditionalität macht die Bitte dringlich und realistisch: Der Tod ist bereits im Anmarsch; Amors Eingriff ist kein Luxus, sondern letzte Option.
Semantisch entsteht ein barockes Memento mori im Miniaturformat: Die Präsenz des Todes erinnert an Vergänglichkeit, der Liebesdienst opponiert dieser Einsicht ohne sie zu leugnen.
Indem der Schmerz explizit genannt wird, verschiebt sich das Register von allegorischer Pointe zu physiologischer Erfahrung; der Text bleibt in der Körpersemantik der Krankheit verankert.
12 So machest du (in ihr und mir) zwey Hertzen heil.
Analyse:
Die Folgerungspartikel So schließt die hypotaktische Konstruktion: Aus Tausch (V. 9) und Ziel (V. 10) unter der Bedingung (V. 11) resultiert die Wirkung (V. 12).
Die Parenthese (in ihr und mir) ist ein barockes Gestaltungsmerkmal; sie erweitert die Heilsperspektive vom Objekt der Liebe auf den Sprecher. Das schafft eine symmetrische Doppeladressierung der Heilung.
zwey Hertzen heil bündelt den doppelten Sinn von heil: körperlich-gesund und religiös-soteriologisch (heil als Ganzsein/Heilsein). Der Schlussreim Pfeil/heil umklammert die Strophe (umarmender Reim: a b b a) und vollendet die Gold-/Stahl-Antithese.
Metrisch wirkt die Zäsur nach der Parenthese wahrscheinlich (So machest du (in ihr und mir) // zwey Hertzen heil), wodurch der finalen Heilbehauptung eine eigene Kadenz gegeben wird.
Interpretation:
Der Sprecher erklärt seine Mit-Betroffenheit: Ihre Rettung heilt zugleich seine Liebespein. Liebe erscheint als kommunizierendes Gefäß – Leid und Heil bewegen sich zwischen beiden Herzen.
Die Pointe verallgemeinert das zuvor entwickelte pharmakologische Bild: Amors Eingriff ist kein Nullsummenspiel; er schafft Mehrwert an Leben und Ganzheit für zwei.
Durch das Wort heil klingt – neben medizinischer Gesundung – eine religiöse Obertönung an: Barocke Dichtung verschränkt oft Eros und Soteriologie; das Heil der Liebe trägt Züge des Heils im theologischen Sinn, ohne die Profanperspektive zu verlassen.
Der klangliche Schluss mit dem hellen Diphthong heil lässt die Strophe auf einer lichten, versöhnenden Note enden; ästhetisch wird die Härte des Stahl im vorigen rückwirkend gemildert.
1. Das Gedicht setzt mit einem eindringlichen Klageruf ein, der sich direkt an Amor, den Liebesgott, richtet. Diese Anrufung stellt die kommunikative Grundsituation her: der Sprecher wendet sich hilfesuchend an eine mythische Instanz, die über Leben, Liebe und Tod verfügt.
2. Die erste Strophe führt die existenzielle Not ein: Fillis, die Geliebte, liegt sterbend in seinen Armen. Der drohende Verlust wird sowohl in persönlichen als auch in übergreifenden Kategorien beschrieben – nicht nur die Freude des lyrischen Ichs, sondern auch der Ruhm Amors selbst wäre bedroht, wenn sie stirbt.
3. In der zweiten Strophe folgen konkrete Bitten an Amor: er soll durch seine Flügel Kühlung verschaffen, sein Band um das kranke Haupt legen, seinen Köcher als Ruhepolster anbieten. Hier verschränkt sich die Bildwelt der antiken Liebesmythologie mit einer fürsorglichen, fast medizinisch-imaginären Sorge.
4. Die dritte Strophe steigert die Bitte ins Dramatische: Amor möge den Tod täuschen, dessen tödlichen Pfeil in einen heilenden Liebespfeil verwandeln. So wird eine paradoxe Umkehrung vorgeschlagen – der Todespfeil soll zum Lebensspender werden, und die Schmertzen der Liebe die Todesqualen aufheben.
5. Der Verlauf bewegt sich also von Klage über konkrete Hilfsbitten hin zu einem metaphysischen Gegenvorschlag: die göttliche Liebe möge den Tod überlisten. Der Aufbau ist klar gesteigert: vom situativen Elend über poetische Mittelbilder bis zum kosmisch-ethischen Appell.
1. Der Sprecher befindet sich in einer Grenzsituation: er erlebt das Sterben der Geliebten als unmittelbare Bedrohung des eigenen Seins. Psychologisch wird hier eine tiefe Abhängigkeit deutlich: die Identität und Lebensfreude des Ichs sind an das Leben von Fillis gebunden.
2. Zugleich zeigt sich ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle: indem er Amor anspricht, versucht der Sprecher, der Hilflosigkeit zu entkommen. Der Appell ist ein psychisches Rettungsmanöver gegen das Ohnmachtsgefühl.
3. Die vorgeschlagenen Bilder (Kühle durch Flügel, Köcher als Kopfkissen) sind Ausdruck einer kindlich-magischen Wunschhaltung: die Realität des Todes soll durch imaginative Umschreibung aufgehoben werden.
4. Die psychologische Spannung liegt zwischen Resignation und Trotz: einerseits wird der Tod als drohende Realität anerkannt, andererseits besteht der verzweifelte Wille, ihn überlistet zu sehen.
5. Damit offenbart sich ein tiefes Bedürfnis nach Transzendenz: die Liebe soll stärker sein als die Endlichkeit, das Ich weigert sich, die Zerstörung des Du anzunehmen.
1. Das Gedicht formuliert eine implizite Ethik der Liebe: der Wert des Lebens wird nicht an abstrakten Kriterien gemessen, sondern am Erhalt der Liebesbeziehung. Der Tod der Geliebten erscheint nicht nur als privates Unglück, sondern als moralisches Unrecht.
2. Amor wird zur Rechenschaft gezogen: wenn er als Gott der Liebe wirklich ernst genommen werden will, muss er den Tod neutralisieren. Das Gedicht erhebt damit den Anspruch, dass göttliche Instanzen Verantwortung für das menschliche Leiden tragen.
3. Ethisch problematisch ist die totale Abhängigkeit des Ichs vom Anderen: das Glück, ja das Recht auf Leben, wird ausschließlich aus der Erhaltung der Geliebten begründet. Dies verweist auf eine Ethik der Bindung, die kein autonomes Individuum, sondern eine relationale Existenz voraussetzt.
4. Die Bitte um Täuschung des Todes (Verwechsle mit Betrug dem Tode seinen Pfeil) zeigt eine Ethik des Widerstands: erlaubt ist, was Leben rettet und Liebe bewahrt, selbst wenn es gegen die Ordnung des Schicksals geht. Wahrheit und Recht weichen hier der höheren Verpflichtung zur Liebe.
5. Damit tritt das Gedicht für ein Vorrangrecht der Liebe gegenüber Naturgesetz und kosmischer Ordnung ein – ein ethischer Protest gegen die Macht des Todes.
1. Theologisch verschränkt sich hier die antike Mythologie (Amor, Pfeile, Flügel) mit einer christlich grundierten Todesproblematik. Der Tod ist nicht einfach ein Übergang, sondern eine radikale Bedrohung, die das Heil in Frage stellt.
2. Philosophisch gesehen erscheint Amor als Stellvertreter einer transzendenten Macht, die das Verhältnis von Eros und Thanatos ordnen könnte. Der Appell an ihn verweist auf die Frage, ob Liebe ontologisch stärker ist als der Tod.
3. Der Gegensatz von rauhen Stahl (Todespfeil) und heilsamem Gold (Liebespfeil) ist mehr als ein poetisches Bild: er symbolisiert das Spannungsfeld von Negativität (Endlichkeit, Nichtigkeit, Schmerz) und Positivität (Lebensfülle, Heil, Einheit).
4. Tiefenstrukturell reflektiert das Gedicht damit die Frage, ob Liebe eine heilsgeschichtliche Kraft besitzt, die nicht nur psychisch, sondern ontologisch-religiös wirkt: Kann die Liebe wirklich heilen – bis hinein in die Todesnot?
5. In christlich-theologischer Perspektive ließe sich diese Bitte als eine säkularisierte Vorahnung der Auferstehung deuten: der Tod soll durch eine höhere, göttlich gestiftete Liebe überwunden werden. Amor übernimmt dabei in mythischer Verkleidung eine Christusfunktion.
6. Philosophisch stellt sich schließlich die Frage nach der Identität: wenn zwei Herzen heil werden, ist gemeint, dass das Leben und das Bewusstsein des Ichs untrennbar mit dem Du verbunden sind. Das Gedicht verhandelt also die Relationalität des Selbst – ein Thema, das in metaphysischen Liebeskonzepten (von Platon bis zu Schelling) zentral ist.
7. Damit wird das Gedicht zum Ort einer metaphysischen Revolte: es weigert sich, den Tod als letzte Instanz anzuerkennen, und behauptet die Möglichkeit, dass Liebe stärker ist als das Schicksal.
1. Das Gedicht führt eine enge Verbindung zwischen Liebe und Leben vor Augen: das Sterben der Geliebten bedeutet nicht nur den Tod eines einzelnen Menschen, sondern den Verlust der Freude, des Sinnes und auch des Ruhmes des lyrischen Ichs. Moralisch wird hier die Abhängigkeit des Ichs von der Geliebten betont – das Glück des Einzelnen ruht auf dem Wohlergehen des Anderen.
2. Die Bitte an Amor, den Tod zu hintergehen und Heilung zu schenken, zeigt eine moralische Spannung: der Sprecher wünscht die Umkehrung der Naturordnung, nicht um des Eigeninteresses willen allein, sondern weil Liebe als höherer Wert über dem physischen Verfall steht.
3. Amor wird in die Verantwortung gerufen, nicht nur als Gott des Begehrens, sondern als Hüter des Lebens und des Mitgefühls. Daraus ergibt sich eine moralische Erhöhung der Liebe: sie wird nicht mehr nur als Leidenschaft, sondern als erhaltende und heilende Macht gedeutet.
4. Der Gedanke, dass zwei Herzen zugleich geheilt werden – das der Fillis und das des Sprechers –, bringt die moralische Dimension der Gemeinschaft hervor: Liebe wird zur wechselseitigen Verantwortung, zum gemeinsamen Schicksal.
1. Die krancke Fillis lässt sich anthroposophisch als Bild für die Gefährdung der Seele verstehen: die matte Seele will aus dem kranken Leib entfliehen. Hier wird der duale Zusammenhang von Leib und Seele aufgerufen, der in der anthroposophischen Geisteswissenschaft zentral ist.
2. Amors Eingreifen entspricht dem Wirken von höheren Hierarchien, die heilend in das menschliche Schicksal eingreifen können. Amor ist nicht nur mythologischer Liebesgott, sondern ein geistiges Wesen, das zwischen Sterblichkeit und Unsterblichkeit vermittelt.
3. Der Wunsch, dass der Pfeil des Todes mit einem heilsamen Gold vertauscht werde, kann anthroposophisch als Hinweis auf die Verwandlung destruktiver Kräfte in schöpferische gedeutet werden – ein Prozess, der an den alchemistischen Gedanken der Veredelung erinnert.
4. Dass zwei Herzen zugleich geheilt werden, verweist auf die Idee, dass das menschliche Ich nicht isoliert, sondern karmisch und schicksalhaft mit anderen verbunden ist. Die Heilung des Einen ist zugleich die Heilung des Anderen.
5. Die Bitte um kühle Lufft und zarte Sehn lässt sich als Anrufung der elementarischen Kräfte deuten, die in der anthroposophischen Kosmologie den Menschen umgeben und in Krankheit und Genesung eingreifen.
1. Das Gedicht entfaltet eine kunstvolle Verbindung von Todesnähe und Liebessehnsucht: Krankheit und Sterben werden in eine poetische Szene verwandelt, in der Amor – der Liebesgott – zum Retter und Heiler stilisiert wird. Das schafft eine ästhetische Spannung zwischen Tragik und Hoffnung.
2. Die Struktur von drei Strophen zu je vier Versen verleiht dem Gedicht eine klare Ordnung, die den inneren Aufruhr des Sprechers zugleich fasst und formt. Die äußere Form wirkt beruhigend gegenüber der inneren Unruhe.
3. Besonders wirksam ist das Spiel mit paradoxen Bildern: der Pfeil des Todes soll mit einem heilsamen Pfeil der Liebe vertauscht werden. So verschmelzen Gegensätze – Tod und Heilung, Schmerz und Freude – zu einem poetischen Bild der Umwandlung.
4. Die Bildlichkeit bewegt sich zwischen Sinnlichkeit (Küsse, Umhüllung des Hauptes, Ruhen auf dem Köcher) und Metaphysik (die Seele, die dem Leib entflieht). Dadurch entsteht eine ästhetische Schichtung von Körperlichkeit und Geistigkeit.
5. Der Ton des Gedichts ist klagend und bittend, aber in seiner dichterischen Form zugleich edel und kunstvoll gefasst, was den Schmerz des Inhalts in eine schöne, beinahe erhabene Sprache hebt.
1. Das Gedicht ist als Klagelied an Amor angelegt, was eine rhetorische Grundform des Exclamatio und der Apostrophe darstellt: das lyrische Ich wendet sich direkt an eine göttliche Instanz, um Hilfe zu erflehen.
2. Es werden zahlreiche rhetorische Bitten (Precationes) eingebracht: Ach Amor/ soll ich dir nicht klagen meine Noth!, Ach/ schick ihr kühle Lufft. Diese intensiven Anrufungen verstärken die Emotionalität.
3. Die Wiederholung von Ach am Beginn der Strophen setzt ein klagendes Pathos, das den gesamten Text durchzieht. Damit wird rhetorisch das Leid ins Zentrum gestellt.
4. Der Gegensatz von Amor und Tod wird als rhetorische Antithese inszeniert: Verwechsle mit Betrug dem Tode seinen Pfeil. Diese Gegenüberstellung schärft die Dramatik und betont Amors Macht.
5. Die letzte Pointe des Gedichts – So machest du (in ihr und mir) zwey Hertzen heil – dient als rhetorische Klimax und Auflösung: nach der Aufzählung von Krankheit, Gefahr und Bitte mündet das Gedicht in eine Vision des Heils.
1. Das Gedicht inszeniert sich als Klagegedicht, in dem der Sprecher nicht einfach eine äußere Situation schildert, sondern in ständiger Anrede an Amor die Macht der Liebe über Leben und Tod thematisiert.
2. Es steht ein dramatischer Moment im Zentrum: Fillis liegt sterbend in den Armen des lyrischen Ichs. Diese Situation ist nicht als schlichter Realitätsbericht gedacht, sondern als rhetorisch aufgeladene Szene zwischen Mythos (Amor) und persönlicher Liebeserfahrung.
3. Die innere Spannung besteht darin, dass Liebe und Tod in eins fallen: wenn Fillis stirbt, ist zugleich der Ruhm Amors wie auch die Freude des Sprechers verloren. Das Gedicht stellt damit die eigene Existenz des lyrischen Ichs in unlösbare Abhängigkeit von der Geliebten.
4. Durch die konstante Anrufung Amors wird das Gedicht zugleich performativ: es ist Gebet, Bitte und Beschwörung in einem. Es will eine Wirkung hervorbringen und nicht nur beschreiben.
1. Der Text arbeitet mit einer kunstvollen Strophenstruktur, die gleichsam Gebetsstrophen bildet: jede Strophe kulminiert in einer Bitte an Amor. Damit verweist er auf die barocke Tradition, Gedichte als kunstvolle rhetorische Rede zu entwerfen.
2. Die Figur des Amor fungiert als poetologischer Vermittler: er ist nicht nur mythologische Gestalt, sondern zugleich ein Bild der Poesie selbst, die zwischen Tod und Leben, Schmerz und Trost vermittelt.
3. Das Spiel mit Metaphern von Pfeilen, Köcher und Flügeln verweist auf die literarische Tradition der Petrarkisten, wo solche Requisiten zur festen Bildsprache gehören. Poetologisch gesehen zeigt Abschatz damit seine Zugehörigkeit zum höfischen und kunstvollen Dichtungsstil.
4. Die poetische Rede nimmt sich selbst ernst als ein Ort, an dem Liebe gegen Tod ausgespielt werden kann. Gerade in der barocken Poetik, in der Dichtung als Machtmittel über Affekte verstanden wird, zeigt das Gedicht seine Funktion: es soll nicht nur beschreiben, sondern affizieren.
1. Amor erscheint als personifizierte Metapher der Liebeskraft, die zugleich heilend wie tödlich wirken kann. Seine Pfeile werden einerseits als gefährlich (Tod bringend), andererseits als rettend (heilbringend Gold) inszeniert.
2. Der Köcher wird zu einem paradoxen Ruhepol: normalerweise Träger der Waffen, soll er hier zum Lager und Stützpunkt für den Leib der Geliebten werden. Damit wird der Gegensatz von Verletzung und Heilung poetisch verschränkt.
3. Die Flügel Amors sind doppeldeutig: sie sind einerseits Symbole des Flüchtigen, Unbeständigen, andererseits sollen sie hier kühlende, schützende Luft bringen. Das Gedicht arbeitet mit solchen Umkehrungen der Konnotationen.
4. Der Tod wird metaphorisch als Konkurrent Amors dargestellt, mit Pfeilen ausgestattet, die das Leben bedrohen. Das Spiel besteht darin, dass Amor den Tod täuschen, ihm den Pfeil entwenden und durch seine eigene Liebeswaffe ersetzen soll.
1. Das Gedicht gehört zum Zyklus Anemons und Adonis Blumen (1689), einem der frühesten und wichtigsten Beiträge des jungen deutschen Barockdichters Abschatz, der den petrarkistischen Liebesdiskurs in das Deutsche überträgt.
2. In der Tradition der galanten Lyrik zeigt sich eine Verbindung von antiker Mythologie (Amor als zentrale Figur) mit der höfischen Liebeserfahrung. Der Text ist Ausdruck einer europäisch vernetzten, barocken Liebesdichtung.
3. Typisch barock ist die enge Verbindung von Eros und Thanatos: Liebe und Tod erscheinen nicht als getrennte Bereiche, sondern als ineinander verschränkte Kräfte. Damit knüpft der Text an die zeitgenössische Vanitas-Kultur an.
4. Das Gedicht lässt sich einordnen in die höfische Lyrik, die mit mythologischen Topoi arbeitet, dabei aber immer eine raffinierte Affektdarstellung im Blick hat. Es zeigt auch die deutsche Rezeption des französischen préciosité-Stils.
1. Das Gedicht ist in seiner Form streng gebaut: drei Quartette mit reicher Binnenrhetorik (Klage, Bitte, Umkehrung, Zuspitzung). Man kann es als barocke Variante der complaint analysieren.
2. Intertextuell greift der Text auf ein Arsenal europäischer Liebesmetaphorik zurück, die bis zu Petrarca reicht, zugleich aber im deutschen Sprachraum neu konfiguriert wird. Ein literaturwissenschaftlicher Zugriff kann hier die Frage nach Traditionsbildung stellen.
3. Auffällig ist das Verfahren der Metaphorisierung von Affekten: Liebe wird nicht beschrieben, sondern in Bilder von Waffen, Flügeln, Pfeilen transformiert. Damit tritt eine semantische Übercodierung ein, die für die barocke Lyrik charakteristisch ist.
4. Aus narratologischer Sicht ist interessant, dass die Geliebte selbst stumm bleibt: Fillis liegt krank und spricht nicht; alles wird durch das lyrische Ich und die Anrufung Amors vermittelt. Das zeigt eine Struktur von männlicher Sprecherdominanz und weiblicher Passivität, die literaturwissenschaftlich als Teil des galanten Diskurses analysiert werden kann.
5. Schließlich ist das Gedicht auch ein Zeugnis für die barocke Dichtung als Performanz der Bitte: der Text ist kein Bericht, sondern eine Handlung in der Sprache selbst. Es wird ein Effekt intendiert – Amors Eingreifen, Rettung der Geliebten – und darin liegt die literaturtheoretische Pointe.
1. Das Gedicht evoziert unmittelbar die Atmosphäre des Krankenzimmers, in dem Eros/Amor angerufen wird wie ein heilender Gott. Es assoziiert eine Nähe zwischen Liebeskrankheit und körperlicher Krankheit: die Geliebte liegt siech in den Armen, und die Sorge des lyrischen Ichs steigert sich zu einer Klage an Amor.
2. Die Gegenüberstellung von kühle Luft und Flammen (implizit durch Amor als Gott der Liebe) erzeugt ein Spannungsfeld von Hitze, Glut, Leidenschaft und der kühlenden Linderung, die Heilung verspricht.
3. Mit der Vorstellung, Amor solle seinen Köcher als Kissen hergeben, verschmelzen Waffenmetaphorik und häuslich-intime Pflege; ein martialisches Attribut wird zum Lager der Ruhe. Das verbindet Gewalt und Sanftheit in einem paradoxen Liebesbild.
4. Die Täuschung des Todes (verwechsle mit Betrug dem Tode seinen Pfeil) erinnert assoziativ an mythologische Tricksterfiguren, aber auch an barocke Vorstellungen der Vanitas: der Tod wird nicht aufgehoben, sondern verschoben, überlistet.
5. Die Vorstellung, dass Amors heilende Pfeile das Herz gesund machen, führt zu einer paradoxen Verknüpfung: das, was sonst als Ursache der Liebeswunde gilt, wird nun zum Heilmittel gegen den Tod.
1. Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils vier jambischen Versen, insgesamt also 12 Versen. Es folgt dem barocken Sonettgedanken formal nicht, sondern eher einer liedhaften Kürze, die dem Zyklus Anemons und Adonis Blumen eigen ist.
2. Reimstruktur: überwiegend Paar- und Kreuzreime, wobei sich auch Binnenklänge einstellen. In der ersten Strophe erscheint ABBA-ähnliche Struktur, danach CDDC und so fort, was auf eine lose gehaltene Ordnung verweist.
3. Metrisch finden sich weitgehend jambische Vierheber, wie in höfisch-barocken Gedichtzyklen üblich, allerdings nicht streng reguliert, sondern mit rhythmischen Freiheiten.
4. Der Sprachstil verbindet die höfische Liebeslyrik mit barocker Metaphorik: mythologische Anrufung (Amor), Verkörperlichung der Leidenschaft (Pfeile, Flügel), allegorische Aufladung (Luft, Stahl, Gold).
5. Auffällig ist die Dialogstruktur: das Gedicht ist in der Form eines Gebets oder einer Anrufung an Amor gestaltet. Damit wird eine rhetorische Nähe zur Elegie und zum Gebetsgedicht hergestellt.
1. Amor-Topos: Amor als allgegenwärtige Macht des Liebens, hier in der Rolle eines Heilenden, nicht nur Verwundenden.
2. Liebeskrankheit: Die Geliebte erkrankt und ihr Siechtum wird mit der Leidenschaft des Ichs verbunden; ohne sie stirbt auch meine Freude.
3. Vanitas und Tod: Der drohende Tod wird als unvermeidliche Macht präsent, die nur durch List aufgehalten werden kann.
4. Paradoxe Waffenmetaphorik: Amors Waffen werden entwaffnet; Pfeil und Köcher verwandeln sich in Heilmittel oder Lagerstätte.
5. Gold vs. Stahl: klassische barocke Dichotomie: das heilende Gold der Liebespfeile kontrastiert mit dem rauhen Stahl des Todes.
6. Täuschung des Todes: typisches barockes Motiv, in dem List und Kunst (hier die Dichtkunst selbst) gegen den Tod eingesetzt werden.
Literaturepochentypische Kontextualisierung1. Das Gedicht gehört in die barocke Tradition der Liebeslyrik, die stets mit der Dialektik von Eros und Thanatos spielt: Liebe als lebensspendende Kraft, die zugleich krank macht und heilt.
2. Die mythologische Ausstattung mit Amor als zentraler Figur ist ein typisches barockes Verfahren, antike Götter als Allegorien in die poetische Rede einzubinden.
3. Die stark rhetorische Anrufungsstruktur (Ach Amor…) entspricht barocken Formen des Gebetsgedichts und der Emblematik, bei der Gottheiten oder Mächte beschworen werden, um das eigene Leid zu rahmen.
4. Die barocke Vanitas-Semantik zeigt sich in der Vorstellung, dass der Tod unvermeidlich bleibt, aber durch Kunst, Liebe oder List für einen Moment besiegt oder aufgeschoben werden kann.
5. Die Verbindung von Intimität (die Geliebte liegt in meinen Armen) und allegorischer Weite (Amor, Pfeile, Tod) ist charakteristisch für die barocke Spannung zwischen persönlichem Ausdruck und allegorischer Codierung.
1. Das Gedicht stellt eine dramatische Szene dar: die Geliebte Fillis liegt krank und dem Tode nahe in den Armen des lyrischen Ichs. Aus dieser Extremsituation erhebt sich die Klage und der Hilferuf an Amor.
2. Amor wird in einer paradoxen Doppelrolle angerufen: als Gott, der sonst mit Pfeilen verwundet, soll er diesmal seine Waffen zur Heilung einsetzen. Dadurch wird die barocke Idee der Verkehrung, des Paradoxons, poetisch wirksam.
3. Die Liebe wird als lebensnotwendige Kraft gezeichnet: Stirbt die Geliebte, so stirbt auch die Freude des Sprechers, ja sogar Amors Ruhm. Das bedeutet: Liebe ist untrennbar mit Leben und Tod verwoben.
4. Die poetischen Bilder verschränken Zärtlichkeit mit allegorischer Gewalt: Köcher als Kissen, Flügel als Fächer, Pfeil als Heilmittel. Solche Verschiebungen sind typisch für barocke Bildkunst, die Gegensätze vereint.
5. Formal inszeniert das Gedicht eine Gebetsrede, die in ihrer Kürze und Intensität den Ernst der Situation spiegelt. Die komprimierte Form steigert die Dramatik, da die Strophen wie aufeinander folgende Atemzüge wirken.
6. In der Gesamtanlage tritt die barocke Dialektik von Amor und Tod, von Heilung und Vernichtung, von zarter Intimität und allegorischem Pathos hervor. Das Gedicht wird damit zu einer kleinen Emblematik der Liebeskrankheit, in der Amor und Thanatos im Streit um ein Menschenleben stehen.