Was rauscht und brummet deine Flutt1
Du helle Bach/ im Mittel dieser Auen.2
Du kanst das süsse Kind Climenen täglich schauen.3
Was hat bey solchem edlen Gutt4
Sich zu beschweren deine Flutt?5
Was klaget sich dein zarter Mund/6
Du Feder-Schaar/ in dieser grünen Hecken?7
Besinge deine Brunst/ sie kommt dich zu entdecken.8
Wo solche Zeugen sind vergunnt/9
Was klaget sich dein zarter Mund?10
Ihr Lüffte/ was beseufftzet ihr/11
Die ihr den Ort im Sommer pflegt zu kühlen?12
Ihr könt nach eurer Lust um ihre Wangen spielen.13
Ach/ wär ich Wind und Lufft/ als ihr/14
Wie wohl gerathen wäre mir!15
Was rauscht und brummet deine Flutt1
Du helle Bach/ im Mittel dieser Auen.2
Du kanst das süsse Kind Climenen täglich schauen.3
Was hat bey solchem edlen Gutt4
Sich zu beschweren deine Flutt?5
1 Was rauscht und brummet deine Flutt
Analyse: Die Anrede in der zweiten Person etabliert eine Apostrophe: Der Bach wird als Gegenüber personalisiert, was seine Geräusche (rauscht und brummet) semantisch zu Handlung und Affekt auflädt. Die Paarung zweier lautmalerischer Verben schafft Klangnähe und Steigerung; das dunkle Vokalgefüge (au, u, u) und die konsonantische Dichte (r, m, t) erzeugen akustische Mimesis des Wasserlärms. Das Substantiv Flutt (archaisierende Schreibung) verallgemeinert den Bach zur bewegten Wassermasse und hebt das Moment der Dynamik hervor. Der einleitende Fragesatz entwirft sogleich ein Problem: Geräusch wird als Beschwerde gedeutet und verlangt Erklärung.
Interpretation: Der Sprecher hört im Naturlaut eine Art Unmutsäußerung und spiegelt damit eine barocke Affektenlehre, die Naturstimmen als Signaturen seelischer Lagen liest. Die Personifikation verschiebt den Bach vom Landschaftsdetail zum moralisch adressierbaren Subjekt; sie bereitet die folgende Zurechtweisung vor. Gleichzeitig erzeugt der Ton der Frage eine zarte Ironie: Ausgerechnet Wasser, Inbild fließender Heiterkeit, scheint zu murren – ein Widerspruch, der die Spannung zwischen locus amoenus und innerem Verstimmtsein aufblendet.
2 Du helle Bach/ im Mittel dieser Auen.
Analyse: Die Apposition Du helle Bach vertieft die direkte Anrede und fügt ein wertendes Epitheton (helle) hinzu, das optische Klarheit, Reinheit und moralische Lauterkeit konnotiert. Die Ortsangabe im Mittel dieser Auen verankert die Szene im klassischen Schäfer-Topos des locus amoenus: offene Wiesen, mildes Licht, zentrale Gelassenheit. Der Schrägstrich markiert im frühneuzeitlichen Druck häufig eine spürbare Zäsur; syntaktisch entsteht eine feierliche, fast invokative Setzung.
Interpretation: Der Bach erscheint nicht nur als Teil, sondern als Mitte der Idylle; er ist das pulsierende Zentrum des Glücksraums. Diese Zentralität begründet rhetorisch die Erwartung an sein zufriedenes Verhalten: Wer im Mittelpunkt der Auen fließt und zudem hell ist, steht unter dem impliciten Gebot der Harmonie. Die idyllische Rahmung steigert damit die Irritation des Eingangs: Das Brummen wird gerade im schönsten Milieu als Anstößigkeit figuriert.
3 Du kanst das süsse Kind Climenen täglich schauen.
Analyse: Fortgesetzte Apostrophe und Prosopopoiie: Der Bach erhält epistemisches Vorrecht, denn er kann … täglich schauen. Der Temporaladverb täglich akzentuiert Kontinuität und Überfluss. Die Formulierung das süsse Kind Climenen verbindet eine zärtliche, galante Anrede (Kind als Liebkosungsformel) mit dem höfisch-mythologisierenden Eigennamen Climene(n), der in barocker Dichtung als Pastorale-Maske der Angebeteten fungiert. Die Sichtbarkeit (schauen) ist nicht bloß optische Wahrnehmung, sondern ein symbolisches Teilhaben am Wert der Geliebten.
Interpretation: Der formuliert den Grund der Ermahnung: Der Bach ist privilegierter Zeuge der Geliebten; sein Weg führt täglich am Ort des Begehrens vorbei. Diese visuelle Gnade stellt im barocken Wertehorizont ein kostbares Gut dar. Subtextuell klingt Eifersucht des lyrischen Ichs an: Die Natur — und nicht der Sprecher — hat den Dauerkontakt zur verehrten Climene. Das Naturwesen wird so zum rivalisierenden Begünstigten, dessen Undank (das Brummen) moralisch auffällig wird.
4 Was hat bey solchem edlen Gutt
Analyse: Der erneute Fragesatz nimmt die Argumentation auf und verschiebt sie vom Akustischen (Rauschen) zur Ethik des Besitzens (bey solchem edlen Gutt). Edlen Gutt bündelt eine Wertskala: Adel, Seltenheit, Würde; das Deiktikum solchem verweist rückwärts auf Climene und die idyllische Mitte der Auen. Die syntaktische Öffnung mit Hinauszögern des Prädikats erzeugt Spannung bis in den Folgeverst.
Interpretation: Der Sprecher moralisiert den Blick auf die Geliebte zur Gütertheorie des Glücks: In der Nähe Climenen zu sein, gilt als höchstes Gut, das Undank ausschließt. Der entwirft damit ein kleines Ethos des Dankes in der Idylle: Wer ein edles Gut genießt, sollte schweigen, staunen, danken — nicht murren. Die Frage ist rhetorisch und legt die Antwort bereits nahe: nichts.
5 Sich zu beschweren deine Flutt?
Analyse: Die Satzspannung entlädt sich in der Infinitivkonstruktion Sich zu beschweren, die das anfängliche brummet semantisch präzisiert und als Klage kennzeichnet. Die Wiederaufnahme von deine Flutt schafft eine Ringfigur (V. 1 ↔ V. 5) und rahmt die Mini-Argumentation. Das Verb beschweren spielt doppeldeutig: Es meint sowohl klagen als auch beschweren/lasten — eine feine, mit dem Medium Wasser spielende Paronomasie, die das Klang- in ein Gewichtsargument überführt.
Interpretation: Der Schluss stellt den Bach vor das Paradox, beschwert zu sein, obwohl er das höchste Geschenk empfangen hat; die Wasser-Leichtigkeit wird als Last entlarvt, die allein aus Undank entsteht. Zugleich deutet der auf Selbstprojektion des Ichs: Indem es der Natur das Beschweren vorwirft, artikuliert es das eigene latente Missverhältnis zwischen Begehren und Besitz. So schließt die Strophe mit einer barocken Lehre des Maßes: Sicht der Schönheit (Climene) verpflichtet zur stillen Freude, nicht zur Klage — eine Norm, die der Sprecher an der Natur exemplifiziert und an sich selbst erprobt.
Was klaget sich dein zarter Mund/6
Du Feder-Schaar/ in dieser grünen Hecken?7
Besinge deine Brunst/ sie kommt dich zu entdecken.8
Wo solche Zeugen sind vergunnt/9
Was klaget sich dein zarter Mund?10
6 Was klaget sich dein zarter Mund/
Analyse
Die Strophe eröffnet mit einer rhetorischen Frage, die den klagenden Ton problematisiert und damit sofort eine dialogische Situation schafft.
klaget sich nutzt die reflexive Form und hält so die Klage beim Subjekt selbst; das verstärkt die Selbstbezogenheit des Affekts und verfeinert den seelischen Zustand als nach innen gekehrte Lamentation.
Die Attributierung zarter Mund mischt Sinnlichkeit und Empfindsamkeit: Mund als Organ des Kusses und des Gesangs, zart als barocke Feinkennzeichnung von Körper und Gemüt.
Der Auftakt in Frageform setzt ein normatives Moment: Klage erscheint nicht nur als Beschreibung, sondern steht implizit zur Disposition — sie wird in Frage gestellt.
Interpretation
Der Sprecher korrigiert einen Affekt, indem er ihn zunächst benennt: Die Frage zielt auf Affektlenkung weg vom Wehklagen hin zur angemessenen Redeform (bald: Gesang).
zarter Mund markiert die adressierte Stimme als prädestiniert für Lyrik und Liebessprache; wer zart ist, soll nicht jammern, sondern veredeln.
Die Konstellation kündigt ein erotisches Thema an: Der Mund ist Schwelle zwischen innen und außen, zwischen Gefühl und Ausdruck; seine Klage deutet Hemmung oder Scham an, die der Sprecher auflösen will.
Die Frage formuliert damit bereits einen leisen Tadel: Die Situation verlangt ein anderes Sprechen als Klage.
7 Du Feder-Schaar/ in dieser grünen Hecken?
Analyse
Der Vokativ Du Feder-Schaar konkretisiert plötzlich den Adressaten als Vogelschar; die Szene springt ins Pastoral-Idyll des locus amoenus (grüne Hecken).
Die Apposition verschiebt die Klage vom abstrakten Mund zu einem chorischen Naturkollektiv; damit gewinnt die Strophe an Bildhaftigkeit und Klangvorstellung (Vogelgesang).
grüne Hecken kodieren Jahreszeit und Stimmung: frühlingshafte Fülle, Sichtschutz, Intimität — klassisches Terrain des Liebeswerbens.
Die Interpunktion hält den Fragegestus aus 6 fort und dehnt ihn über die Situationsmalerei.
Interpretation
Die Feder-Schaar ist doppelt lesbar: wörtlich als Vogelchor in der Hecke, figural als Schaar der Federn im Sinne der Dichter-Federn; Natur- und Dichtungschor fallen ineins.
In der Frühlingsszene wirkt Klage besonders deplaziert; der Ort selbst widerlegt den Affekt.
Die Hecke stiftet einen halb verborgenen Raum: ein erotischer Zwischenraum, in dem Gesang (Balz) sozial legitim ist; die Situation erlaubt das erotisch-poetische Sprechen.
Der Sprecher richtet also die Stimme auf ihren natürlichen Ton ein: Nicht klagen, sondern singen wie die Vögel.
8 Besinge deine Brunst/ sie kommt dich zu entdecken.
Analyse
Der Imperativ Besinge ersetzt die Fragehaltung durch Aufforderung: Affekt soll in Kunst (Gesang) umgearbeitet werden.
Brunst ist ein starkes, bewusst derb-naturhaftes Wort; es benennt Sexualtrieb ungeschönt und stellt den Menschen in eine Kontinuität mit tierischer Natur.
Die Personifikation ist deutlich: sie kommt dich zu entdecken — die Brunst als feminine Instanz, die aktiv entdeckt (aufdeckt, überführt, findet).
Semantisch spielt entdecken frühneuhochdeutsch mit den Valenzen finden und enthüllen; der Trieb wird so oder so sichtbar werden, ob besungen oder verschwiegen.
Interpretation
Der propagiert barocke Affektökonomie: Das Unvermeidliche soll ästhetisch sublimiert werden; Singen wird zur legitimen Form der Triebbewältigung.
Durch die Personifikation wird der Trieb zur souveränen Macht; angesichts dieser Macht ist Verbergung zwecklos — Kunst ist die würdige Antwort.
Die Wahl des Wortes Brunst bricht höfische Zierlichkeit und erzeugt die typische barocke Kontrastfigur zwischen hohem Stil (Gesang) und niederer Natur (Trieb), um gerade daraus Energie für die Dichtung zu gewinnen.
Der Imperativ enthält auch einen Schutzgedanken: Wer singt, nimmt der Enthüllung ihre Beschämung, weil er sie selbst gestaltet.
9 Wo solche Zeugen sind vergunnt/
Analyse
Der Konditionalsatz Wo … liefert die Begründung: Die Situation selbst stellt Zeugen.
Zeugen ist doppeldeutig: forensisch (Zeugen als Beistand, Legitimation) und erotisch-biologisch (Wurzel zeugen = hervorbringen, befruchten); das Wort spannt ein Feld zwischen Recht und Fortpflanzung.
vergunnt (vergönnt) setzt den Ort als Gabe: Die Natur gewährt die Zeugen, sie schenkt Legitimität.
Der Halbsatz bleibt syntaktisch geöffnet; die Schlusszeile beantwortet ihn performativ mit der Wiederholung des Anfangs.
Interpretation
Der signalisiert: Die Natur selbst bezeugt und rechtfertigt den Liebes- und Gesangsantrieb; im Frühling ist Begehren nicht nur erlaubt, sondern gefordert.
Die forensische Metapher kehrt die Schamlage um: Nicht der Liebende steht vor Gericht, sondern seine Umgebung tritt als entlastender Zeugenchor auf.
Die erotische Nebenbedeutung von Zeugen bindet die Szene an Fruchtbarkeit; Gesang wird zur Teilnahme an generativer Ordnung.
Daraus erwächst eine Norm: Wer solche Zeugen hat, soll nicht klagen, sondern bekennen.
10 Was klaget sich dein zarter Mund?
Analyse
Die Wiederholung des Auftaktverses schafft Rahmung (Ringkomposition) und schließt die Strophe mit insistierender Epiphora.
Durch die Reprise erhält die anfängliche Frage eine neue Valenz: Nach Imperativ und Begründung klingt sie nun nicht mehr tastend, sondern korrektiv.
Klanglich bindet die Wiederkehr die Binnenreime und Assonanzen der Strophe zusammen und stabilisiert den Kehrreim-Charakter.
Die syntaktische Kürze verleiht Schlagkraft; die Strophe endet im prägnanten Imperativ-Echo.
Interpretation
Die Rückkehr zur Frage zeigt die vollzogene Affektkorrektur: Der Hörer soll seine Lage neu bewerten — Klage ist unstatthaft.
Im Lichte von 8–9 bedeutet die Wiederholung: Da Passion ohnehin sichtbar wird und die Natur sie legitimiert, ist Klage Maskerade; Gesang ist Wahrheit.
Der zarte Mund wird so zum Ort der Transformation: Was Schwäche schien (Zartheit), wird zur Stärke der rechten Redeform (Lied).
Insgesamt formuliert die Strophe ein barockes Programm: Natur-Affekt → poetische Form → soziale Legitimität; Klage weicht Kunst.
Ihr Lüffte/ was beseufftzet ihr/11
Die ihr den Ort im Sommer pflegt zu kühlen?12
Ihr könt nach eurer Lust um ihre Wangen spielen.13
Ach/ wär ich Wind und Lufft/ als ihr/14
Wie wohl gerathen wäre mir!15
11 Ihr Lüffte/ was beseufftzet ihr/
Analyse
1. Der beginnt mit einer feierlichen Apostrophe an die Lüffte, wodurch ein Element der Natur zum ansprechbaren Gegenüber erhoben wird; dies verleiht der Szene einen theatralischen, barock-rhetorischen Eingang.
2. Die Form beseufftzet (frühneuhochdeutsch mit -fftz-) spielt etymologisch auf seufzen an und aktiviert akustische und affektive Nuancen: Es geht um hörbares, klagendes Atmen, wodurch das Lamentotonfeld sofort gesetzt ist.
3. Die Fragepartikel was lässt sich semantisch doppeldeutig lesen: als worüber seufzt ihr? (Gegenstandsfrage) und als warum seufzt ihr? (Kausalfrage). Diese Ambivalenz öffnet Interpretationsräume zwischen Mitklage und Tadel.
4. Klanglich stützen die weichen Liquiden und Frikative (L-, f-, s-/z-Laute) eine atmende, hauchige Phonetik, die den Wind mimetisch nachahmt.
5. Die direkte Anrede verschiebt agency: Die Natur tut nicht nur etwas, sondern empfindet scheinbar. Das ist eine barocke Projektionstechnik (pathetic fallacy), die das seelische Befinden des lyrischen Ichs in den Elementen spiegelt.
Interpretation
1. Die Lüfte werden zur Chorgemeinschaft des Klagens gemacht: Das lyrische Ich ventriloquiert sein eigenes Seufzen in die Natur hinein und sucht so eine kosmische Resonanz für den Liebesschmerz.
2. Zugleich klingt sanfter Vorwurf an: Die Lüfte sollten trösten, nicht klagen. Der Sprecher ruft sie zur rechten Funktion auf und markiert damit einen Erwartungsbruch in der momentanen Naturordnung.
3. In der Zykluslogik (Anemons und Adonis Blumen) wird die Wind-Adressierung motivisch: Die Anemone als Windblume verknüpft Windbewegung, Klage und zarte Berührung – der stellt diese Trias programmatisch vor.
4. Die rhetorische Frage setzt affektive Bewegung statt sachlicher Auskunft: Nicht Erkenntnis, sondern Erregung (intentio movere) ist das Ziel; barocke Rede will rühren.
12 Die ihr den Ort im Sommer pflegt zu kühlen?
Analyse
1. Der Relativsatz die ihr … bestimmt die adressierten Lüfte näher und verankert sie in einem locus amoenus: der Ort wird als jahreszeitlich qualifizierter Liebesraum profiliert.
2. pflegt zu kühlen ist eine periphrastische Gewohnheitsformel; sie konventionalisiert die Funktion der Lüfte als wohltuende, regulierende Kraft gegen sommerliche Hitze.
3. Semantisch entsteht ein Kontrast zwischen der erwarteten Kühlung (Ordnung, Mäßigung) und dem zuvor erwähnten Seufzen (Unruhe, Erregung). Diese Spannung strukturiert die Strophe.
4. Der erweitert die Sinnesmodalität: vom Akustischen (Seufzen) zum Thermischen (Kühlen) und Atmosphärischen (Sommer), wodurch ein sinnlich dichter Rahmen entsteht.
Interpretation
1. Der Sprecher ruft eine ideale, harmonische Natur in Erinnerung, um den aktuellen affektiven Missstand zu markieren: Die Welt müsste kühlen, statt die Hitze der Leidenschaft zu befeuern.
2. Im Liebeskontext bedeutet Kühlen mehrdeutig Mäßigung der erotischen Glut und zugleich pflegliche Nähe; die Lüfte verkörpern das rechte Maß zwischen Erregung und Beruhigung.
3. Mythologisch-zyklisch lässt sich Sommer als Adonismoment lesen: Blüte, Fülle, aber auch die Prekarität des kurzlebigen Glücks – die Lüfte sind gewöhnlich Verbündete dieser Fülle, hier aber in eine Klagebewegung gerückt.
4. Der hält die Balance von Naturbeschreibung und Affektinszenierung: Er gibt Ort und Zeit der Empfindung und verleiht dem kommenden Wunsch (V. 14–15) die Plausibilität eines vertrauten Schauplatzes.
13 Ihr könt nach eurer Lust um ihre Wangen spielen.
Analyse
1. Die Anapher Ihr… knüpft an 11 an und stärkt die dialogische Struktur; der Sprecher bleibt im intensiven Direktkontakt mit den Elementen.
2. nach eurer Lust betont die Autonomie der Lüfte; sie agieren frei, ohne soziale Schranken. Das schafft eine Hierarchie des Zugangs: Natur darf, was der Mensch nicht darf.
3. Die Formulierung um ihre Wangen spielen verbindet kinästhetisches und haptisches Bild: Zirkulation, Zartheit, Tast-Nähe. Spielen hält es leicht und dezidiert unaggressiv.
4. Der Possessivartikel ihre ist bewusst schillernd: Er kann die Geliebte meinen, aber im Zyklusrahmen ebenso die Windblume Anemone, deren Blütenblätter wie Wangen personifiziert werden.
5. Klanglich beschwören Vokale und Nasale eine weiche, schmeichelnde Bewegung, die den Sinngehalt ikonisch begleitet.
Interpretation
1. Der stellt die eigentliche Kränkung frei: Die Lüfte besitzen die intime Berührungsnähe, die dem Sprecher verwehrt ist. Eros artikuliert sich als Neid auf das Element.
2. Lust kippt vom harmlosen Spiel ins erotische Feld: Die Lüfte sind Mittler und Komplizen körperlicher Annäherung; sie sind zugleich Spiegel des Begehrens und sein Vollzugsersatz.
3. Liest man ihre Wangen als Blütenblätter, verschränkt der Text Menschen- und Pflanzenkörper: Die Natur wird zum Stellvertreter der Geliebten; diese Metonymie erlaubt keusche Rede über sinnliche Erfahrung.
4. Das Motiv des Spielens bewahrt Konvenienz: Zartes Wind-Spiel legitimiert Nähe, ohne Grenzen der decorum-Ethik zu brechen. So hält der Text barocke Sittsamkeit und sinnliche Intensität zusammen.
14 Ach/ wär ich Wind und Lufft/ als ihr/
Analyse
1. Die Exklamation Ach markiert den Umschlag von Beschreibung zu Wunsch; das Moduszeichen des Irrealis (wär) legt den Satz als unerfüllte Möglichkeit an.
2. Die Hendiadyoin Wind und Lufft verdoppelt das Element, um Totalität der Verwandlung zu signalisieren; es geht nicht nur um Ähnlichkeit, sondern um Identität.
3. als ihr (im Sinn von wie ihr) ist ein frühneuhochdeutscher Vergleichsausdruck, der das Maß der gewünschten Verwandlung ausdrücklich an den angeredeten Lüften nimmt.
4. Der Satzbau mit Einschüben erzeugt Atem-Rhythmus; der atmet förmlich und imitiert damit erneut die thematisierten Lüfte.
Interpretation
1. Der Sprecher formuliert ein Metamorphose-Begehren: Nur als Element könnte er jene Berührungsrechte gewinnen, die der menschlichen Person versagt bleiben – eine poetische Selbstentgrenzung.
2. Das Wunschbild negiert soziale und körperliche Barrieren; der Liebende strebt in den status naturalis, um in reiner Zirkulation und Beweglichkeit zu existieren – ein barocker Traum von Freiheit im Medium der Luft.
3. Im Adonis-Kontext klingt Transmutation an: Wie aus Blut Blume wird, so möchte das Ich aus Mensch Wind werden; das mythische Modell legitimiert die radikale Wunschfigur.
4. Der Irrealis markiert zugleich Ohnmacht: Die Intensität des Wunsches verrät die Unmöglichkeit seiner Erfüllung – ein Kernbarockes Memento der Grenze zwischen Imagination und Wirklichkeit.
15 Wie wohl gerathen wäre mir!
Analyse
1. Die Exclamatio mit Wie fungiert als affektiver Abschluss; sie zieht das vorherige Irrealisbild in eine Bilanzformel des Glücks.
2. gerathen (im Sinn von gelingen, gut ausgehen) steht als Ergebnisvokabel und schließt die kleine Argumentationskette: Wenn Verwandlung, dann Nähe; wenn Nähe, dann Gelingen.
3. Das Dativpronomen mir fokussiert die subjektive Heilsökonomie: Es geht um das Wohlergehen des sprechenden Ichs, nicht um ein allgemeines metaphysisches Gut.
4. Der besitzt den Charakter einer Kadenz, die das Pathos bündelt und als Wunschformel memorierbar macht.
Interpretation
1. Das Glücksideal wird an taktiler Nähe bemessen: Wohlgeraten wäre das Leben, wenn die Berührungsdistanz zur Geliebten (oder zur Windblume) aufgehoben wäre – Glück als Haptik, nicht als Abstraktum.
2. Die Pointe bleibt bewusst hypothetisch; der Text hält das Begehren in der Schwebe und wahrt damit die barocke Dialektik aus Sehnsucht und Verzicht.
3. Im größeren Zyklusrahmen klingt Vanitas feinst an: Gerade weil Wind und Blume flüchtig sind, bleibt das versprochene Wohlgeraten prekär – ein Glück im Modus des Vorbeihauchens.
4. Poetologisch spricht der auch über das Schreiben selbst: Wenn der Sprecher nicht Wind sein kann, so kann das Gedicht Wind simulieren; das Wohlgeraten ist damit auch eine leise Selbstauskunft über gelingende Dichtung als Ersatzhandlung.
1. Das Gedicht entfaltet sich in einer klar gegliederten, fast dialogischen Bewegung: In jeder Strophe wird ein Naturphänomen angerufen – zuerst der Bach, dann die Vögel, zuletzt die Lüfte. Dieser Aufbau schafft einen organischen Progressionsbogen, indem die poetische Stimme nacheinander die drei Elemente Wasser, Tier und Luft befragt und in ihre Klage oder ihr Seufzen hineinhorcht.
2. Jede Strophe beginnt mit einem leisen Vorwurf oder einer Verwunderung über die Klage der Naturkräfte: Warum rauscht die Flut, warum klagen die Vögel, warum seufzen die Lüfte? Dieser repetitive Strukturzug bringt eine rhetorische Kohärenz hervor, die das Gedicht wie eine Kette von Parallelismen zusammenhält.
3. Nach der anfänglichen Verwunderung folgt stets eine Wendung ins Positive: Die Flut darf Climene sehen, die Vögel dürfen ihre Glut besingen, die Lüfte dürfen mit ihren Wangen spielen. Das Gedicht steigert sich also von der Frage nach dem Grund der Klage zu einer Erinnerung an das Glück, das ihnen gegeben ist.
4. In der letzten Strophe kulminiert dieser Aufbau: Die Naturkräfte haben ihr Privileg, aber der Sprecher bleibt außen vor. Daher schließt das Gedicht in einer subjektiven Wendung: Ach/ wär ich Wind und Lufft/ als ihr. Die Sehnsucht des lyrischen Ichs durchbricht den vorherigen Ton der Mahnung und verleiht dem Gedicht ein offenes, sehnsüchtiges Ende.
1. Psychologisch wirkt das Gedicht wie ein Projektionstext: Der Sprecher überträgt seine eigene Liebessehnsucht auf die Naturphänomene, indem er deren Klage als Echo seiner eigenen inneren Bewegung hört. Das vermeintliche Rauschen, Klagen oder Seufzen wird anthropomorphisiert, d. h. als Ausdruck menschlicher Gefühle gelesen.
2. Zugleich liegt darin eine Verdrängung: Indem er die Natur zur Klage befragt, verschleiert der Sprecher, dass es in Wahrheit seine eigene Klage ist, die sich in der Sprache der Flut, der Vögel und der Lüfte äußert.
3. In der Steigerung von Bach über Vögel zu Lüften zeigt sich eine innere Eskalation der Leidenschaft: das Flüssige (Bach) steht für den Grundstrom der Empfindung, die Vögel (stimmlich, hörbar) für die Artikulation, die Lüfte (unsichtbar, atmend) für den Hauch der Sehnsucht selbst. Psychologisch betrachtet steigert sich das Begehren von einer unbewussten Strömung zu einer offenen, nicht mehr zurückhaltbaren Seufzerbewegung.
4. Die abschließende Wendung ins Ach ist ein klassischer Ausdruck unerfüllter Leidenschaft: Der Sprecher erkennt, dass er nicht in die privilegierte Rolle der Natur tritt, sondern nur durch imaginäre Identifikation Teil des Glücks der Geliebten werden kann. Damit enthüllt das Gedicht eine Grundspannung zwischen Begierde und Ohnmacht.
1. Ethisch lässt sich das Gedicht als Auseinandersetzung mit Neid und Dankbarkeit deuten. Der Sprecher tadelt die Naturkräfte, weil sie trotz ihres Vorzugs – Climene sehen, ihre Nähe genießen – sich beklagen. Hier klingt ein moralischer Appell an: Wer ein solches Gut besitzt, sollte sich nicht beklagen, sondern dankbar sein.
2. Doch gleichzeitig schleicht sich eine leise Selbstbezogenheit ein: Denn die Ermahnung an die Natur ist nichts anderes als ein verschobenes Selbstgespräch. Das ethische Urteil gegen das Klagen der Natur verbirgt das eigene Begehren. Das Ich sieht sich selbst als derjenige, der leer ausgeht und daher die vermeintlich Begünstigten zurechtweist.
3. In diesem Sinne spiegelt sich eine moralische Ambivalenz: Einerseits klingt das Ideal an, die Schönheit als Geschenk zu betrachten und sie dankbar zu ehren; andererseits verrät das Ende, dass die Ethik hier nicht trägt, sondern vom Drang der Leidenschaft durchbrochen wird. Der moralische Anspruch wird durch die subjektive Sehnsucht relativiert.
1. In der Tiefe lässt sich das Gedicht in der Tradition der barocken Naturtheologie lesen: Die Natur ist nicht nur Dekor, sondern Spiegel menschlicher Empfindungen und Teil einer göttlichen Ordnung, in der alles zur Lobpreisung des Schönen und Guten berufen ist. Das Klagen der Flut, der Vögel und der Lüfte widerspricht dieser Ordnung – es ist eine Dissonanz im kosmischen Lobgesang.
2. Die Geliebte, Climene, erscheint wie eine irdische Inkarnation der Schönheit, beinahe mythologisch-göttlich. Die Natur darf ihr nahe sein, darf sie schauen, besingen und umspielen – fast wie ein Hofstaat, der um eine zentrale Gestalt kreist. Theologisch betrachtet steht Climene damit in der Position einer vermittelnden Erscheinung zwischen der sinnlichen Welt und einer höheren Ordnung der Schönheit.
3. Das Begehren des lyrischen Ichs, selbst Wind oder Luft zu sein, kann man als metaphysische Sehnsucht deuten: ein Wunsch, die eigene Begrenztheit zu überschreiten und Teil einer umfassenden, immateriellen Bewegung zu werden. Luft und Wind sind hier nicht nur sinnlich, sondern auch geistlich besetzt: Sie erinnern an pneuma, spiritus, den göttlichen Atem. Damit berührt die Sehnsucht des Ichs den Bereich der Transzendenz – im Wunsch nach der Nähe zur Geliebten liegt zugleich ein unbewusster Wunsch nach Vereinigung mit dem Geistigen.
4. Im barocken Kontext lässt sich auch ein vanitas-Motiv hineinlesen: Die Natur hat Zugang zum Schönen, aber der Mensch bleibt ausgeschlossen, gefangen in seiner irdischen Begrenzung. Der Wunsch, Wind oder Luft zu sein, ist letztlich unerfüllbar – und verweist damit auf die Unzulänglichkeit aller sinnlichen Begierde im Vergleich zur ewigen Fülle, die nur im Göttlichen zu finden wäre.
5. So oszilliert das Gedicht zwischen erotischem Naturgedicht und mystischer Tiefendimension: Der Sprecher sucht Nähe zur Geliebten, doch in den Bildern von Atem, Wind und Geist scheint bereits die Sehnsucht nach einem höheren, geistigen Einswerden auf, das die barocke Frömmigkeit mit Gott verbindet.
1. Das Gedicht deutet die Naturerscheinungen – Bach, Vögel, Lüfte – als Mitwisser und Mitgenießer der Schönheit Climenen. Diese Natur wird ermahnt, nicht zu klagen oder zu seufzen, sondern vielmehr ihre Nähe zu der Edlen als Geschenk zu verstehen. Darin liegt ein moralischer Hinweis: das Glück im Schauen und im Dasein zu erkennen, statt es zu verfehlen durch unnötige Klage.
2. Die poetische Stimme konfrontiert die Natur mit der Frage nach ihrem vermeintlichen Schmerz und mahnt sie, den rechten Gebrauch ihrer Stimme zu machen: der Bach soll nicht brummen, die Vögel nicht klagen, die Lüfte nicht seufzen. Das enthält eine sittliche Belehrung, dass jede Kreatur ihre Bestimmung in der Freude und im Lob findet.
3. Moralisch tritt eine Haltung zutage, die dem Menschen als Leser gilt: sich nicht am Unmangelhaften festzubeißen, sondern das Gegenwärtige als Fülle zu begreifen. Im Hintergrund steht eine Tugendlehre, die in der Harmonie mit der Schöpfung das rechte Leben erkennt.
4. In der Sehnsucht des lyrischen Ichs (ach, wär ich Wind und Luft) liegt zugleich eine leise Selbstzucht: es bekennt, dass ihm die Begabung fehlt, so unmittelbar teilzuhaben wie die Lüfte. Das moralische Moment besteht hier in der Anerkennung der eigenen Grenzen und in der Umwandlung von Begierde in einen Wunsch nach reiner Nähe.
1. In anthroposophischer Lesart erscheinen die Naturwesen – Bach, Vögel, Lüfte – als lebendige Äußerungen geistiger Kräfte. Sie sind nicht bloß Materie, sondern Träger seelischer Eigenschaften: der Bach hat einen Mund, die Vögel besitzen Brunst, die Lüfte seufzen. Dadurch tritt die Natur als beseeltes Reich in Erscheinung, in dem geistige Wirkkräfte wirken.
2. Climene selbst erscheint als Gestalt des Schönen, ja fast als Verkörperung einer höheren Wesenheit. Dass der Bach sie täglich schauen darf, deutet sie als ein Bild des kosmisch Weiblichen, das die Naturkräfte nährt und anzieht. In anthroposophischem Sinn lässt sich Climene als ein Ausdruck der Sophia-Kraft oder einer seelenhaft strahlenden Gestalt verstehen.
3. Die Aufforderung an die Naturkräfte, nicht zu klagen, sondern zu besingen und zu erfrischen, verweist auf eine Harmonie zwischen Mensch, Natur und geistigen Mächten. Das lyrische Ich ruft die Natur an, in der rechten Weise mit der Schönheit umzugehen – als wäre sie Teil eines kosmischen Rituals.
4. Die letzte Strophe zeigt den Übergang von der äußeren Natur zur inneren Sehnsucht: das Ich möchte selbst Wind und Luft sein. Damit deutet sich ein Streben des Menschen an, nicht nur Beobachter, sondern selbst Element im geistig durchwirkten Kosmos zu werden – ein Motiv, das der anthroposophischen Idee entspricht, der Mensch solle sich durch Erkenntnis und Hingabe in den kosmischen Organismus einfügen.
1. Ästhetisch lebt das Gedicht von der Parallelführung: drei Naturkräfte werden aufgerufen (Wasser, Vögel, Lüfte), und jede bekommt denselben Tonfall: Frage, Ermahnung, Umdeutung. Dieses formale Prinzip schafft Rhythmus und symmetrische Ordnung.
2. Der Klang der Verse – durch Assonanzen wie Flutt/Gutt/Mund oder spielen/entdecken – trägt den melodischen Charakter. Die Wiederholung von Fragen (Was hat…?, Was klaget…?, Was beseufftzet…?) steigert den Ton einer sanften, aber insistierenden Rede.
3. Die Ästhetik zeigt eine Mischung aus galanter Anmut und feiner Sinnlichkeit: Climene wird nicht direkt beschrieben, sondern indirekt über die Reaktionen der Natur. So entsteht ein zarter Hof der Schönheit, ohne das Subjekt in platte Lobrede zu stellen.
4. Besonders kunstvoll ist die Steigerung der Perspektive: vom Bach (unten, Erde), über die Vögel (Mitte, Luftraum), hin zu den Lüften (oben, Atmosphäre). Ästhetisch ergibt sich ein Bild, das die ganze Natur in Schichten erfasst und zur Mitwirkung an der Schönheit aufruft.
1. Das Gedicht arbeitet mit der rhetorischen Figur der Apostrophe: die Naturkräfte werden direkt angesprochen, als ob sie Menschen wären. Dies verstärkt die Lebendigkeit und macht die Szene dialogisch.
2. Es wird konsequent die rhetorische Frage eingesetzt: Was klaget sich dein zarter Mund? – solche Fragen sind nicht auf Antwort aus, sondern dienen der Verstärkung der Ermahnung und erzeugen eine poetische Spannung.
3. Der Text gebraucht Parallelismus und Wiederholung als rhetorisches Gerüst: Was klaget…? Was klaget…? sowie Ihr Lüffte… ihr könt… Diese Parallelität erzeugt eine feierliche, fast liturgische Wirkung.
4. Die letzte Wendung (Ach, wär ich Wind und Lufft, als ihr) ist rhetorisch als Exklamation und Wunschform gestaltet. Sie schließt die Reihe der Ermahnungen ab und wendet die Rede auf das Ich selbst. Damit vollzieht sich eine rhetorische Volte: von der Belehrung anderer zum Selbstgeständnis.
1. Auf der Metaebene lässt sich das Gedicht als dialogische Inszenierung der Natur lesen, in der die Erscheinungen der Außenwelt – Fluss, Vögel, Luft – angesprochen und befragt werden. Das lyrische Ich tritt nicht isoliert auf, sondern entfaltet sich in einem Wechselspiel mit den Naturkräften, die personifiziert und emotionalisiert werden.
2. Gleichzeitig deutet das Gedicht auf eine Art Allegorisierung: die Natur wird zum Resonanzraum der inneren Bewegung, zur Projektionsfläche des Begehrens nach der Geliebten Climene. Das lyrische Ich fragt nicht nur rhetorisch, sondern richtet sein eigenes Sehnen in der Natur aus.
3. Die Metaebene umfasst damit eine poetische Selbstvergewisserung: Dichtung selbst wird hier als Teilhabe an der Naturstimme dargestellt – das Rauschen des Wassers, das Singen der Vögel und das Säuseln der Lüfte sind zugleich Bilder für lyrisches Sprechen, Klagen und Besingen.
1. Das Gedicht entfaltet eine Poetik der Stimme und des Klanges: Wasser brummt, der Mund der Vögel klaget, die Lüfte säuffzen. Poesie wird als Transformation natürlicher Klänge in sprachlich-rhetorische Figuren dargestellt.
2. Das Gedicht reflektiert zugleich über die Funktion der Poesie im Liebesdiskurs. Wie die Naturwesen, so soll auch das Gedicht selbst Zeugnis ablegen von Climene, von Schönheit, Sehnsucht und unerfülltem Begehren.
3. Durch die wiederholten rhetorischen Fragen (Was hat bey solchem edlen Gutt / sich zu beschweren deine Flutt?; Was klaget sich dein zarter Mund?) wird poetische Rede als fragende, tastende Rede charakterisiert. Damit zeigt sich eine barocke Poetik, die im Spannungsfeld von Klage und Lob oszilliert.
4. Auch die Strophenform und das kunstvolle Spiel mit Repetition und Variation (die zweite Strophe spiegelt in Form und Frage die erste) verweisen auf die Poetologie des barocken Concetto, das raffinierte, geistreich verschränkte Rede anstrebt.
1. Der Bach wird zur Metapher des poetischen Sprechens selbst: sein Rauschen entspricht der klagenden Stimme des lyrischen Ichs, das sich über die Distanz zur Geliebten beklagt.
2. Die Vögel (Feder-Schaar) stehen metaphorisch für den poetischen Ausdruck, zugleich auch für die Unmittelbarkeit der Natur, die durch Gesang Zeugnis ablegt von innerer Leidenschaft.
3. Die Lüfte, die um Climene spielen, werden zum Bild der Intimität und des zarten Begehrens: das lyrische Ich möchte selbst Wind sein, um der Geliebten nahe zu sein. Damit ist das Gedicht durchzogen von der Metaphorik der Naturkräfte, die auf anthropomorphe Weise die inneren Affekte des Sprechers spiegeln.
4. Insgesamt wirkt die Metaphorik synästhetisch: Klang (Rauschen, Brummen, Singen, Säufzen) und Bewegung (Fließen, Wehen, Spielen) verschränken sich mit dem Affekt des Begehrens.
1. Das Gedicht gehört in den Kontext der deutschen Barocklyrik und steht exemplarisch für die Tradition der Schäfer- und Naturdichtung, die in mythologische Bezüge eingebettet wird. Die Erwähnung von Climene verknüpft die Szene mit der antiken Götter- und Heldenwelt und orientiert sich am Petrarkismus, der mythologische Namen in den Liebesdiskurs integriert.
2. Abschatz, als Vertreter des schlesischen Späthumanismus und Frühaufklärung, vermittelt in dieser Dichtung zwischen der barocken Rhetorik der Allegorie und einer sich bereits ankündigenden, empfindsameren Naturauffassung.
3. Das Gedicht steht auch in der Tradition der frühneuzeitlichen Emblematik: Naturphänomene werden nicht rein deskriptiv dargestellt, sondern symbolisch aufgeladen und allegorisch gedeutet.
4. Zugleich zeigt sich der Einfluss der italienischen und französischen Liebeslyrik des 17. Jahrhunderts, in der Natur als Spiegel der Liebe verstanden wurde.
1. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht lässt sich das Gedicht als Muster einer apostrophischen Struktur analysieren: das lyrische Ich wendet sich direkt an nicht-menschliche Adressaten (Bach, Vögel, Lüfte) und setzt damit ein Kommunikationsmodell um, das anthropomorphisiert und emotionalisiert.
2. Die Strophen sind formal parallel gebaut, was auf eine bewusste Strukturierung im Sinne der barocken Kunstprosa verweist. Der symmetrische Aufbau verstärkt die rhetorische Wirkung.
3. Im Hinblick auf Intertextualität ist das Gedicht anschlussfähig an zeitgenössische europäische Liebeslyrik, aber auch an die antike Tradition der bukolischen und erotischen Dichtung (Vergil, Ovid).
4. Inhaltlich lässt sich das Gedicht als Ausprägung der barocken Affektenlehre verstehen: die Naturerscheinungen spiegeln Affekte (Seufzen, Klagen, Brummen), wodurch das Gedicht Teil einer Rhetorik der Affektlenkung ist.
5. Methodisch bietet sich eine Analyse in Richtung von Ecocriticism an: das Gedicht nutzt Natur als Partner im Dialog, nicht als neutrale Kulisse. Damit zeigt sich eine frühe Form literarischer Ökologie, bei der Natur als Spiegel und Medium menschlicher Erfahrung dient.
1. Das Gedicht entfaltet sich als ein Spiel der Naturstimmen – Wasser, Vögel, Lüfte – die in ihrer Lebendigkeit anthropomorph erscheinen. Es liegt eine Weltprojektion vor, in der alles Seiende – vom Bach bis zum Wind – als Resonanzkörper für ein zentrales erotisch-liebendes Begehren dient.
2. Die Flut, die rauscht und brummet, erscheint nicht nur als Naturgeräusch, sondern als Symbol des ungestümen Affekts, der durch die Schönheit der Climene bewegt wird. Man kann assoziieren: die innere Erregung des Sprechers bricht sich in den Bewegungen des Wassers Bahn.
3. Die Vögel, die in Hecken singen, stehen für eine Schar von Mitwissern, deren Brunst im Gleichklang mit der erotischen Sehnsucht des lyrischen Ichs steht. Das Lied der Natur wird zum Spiegelbild menschlicher Leidenschaft.
4. Die Lüfte, die beseufftzen, rufen ein zartes und zugleich schmerzliches Bild hervor: Luft, die erquickt, verwandelt sich in ein Seufzen. Damit erscheint die Natur zugleich als Liebeshelferin und als Mitschuldige am unerfüllten Begehren.
5. Der Wunsch des lyrischen Ichs, selbst Wind zu sein, verweist auf ein ekstatisches Aufgehoben-Sein in der Nähe der Geliebten, auf eine Entgrenzung des Menschlichen. Man könnte sogar an antike Metamorphosen denken, wo Liebende sich in Naturkräfte verwandeln.
1. Das Gedicht ist in drei Strophen gebaut, jede in sich kreisend und wiederholend: Die erste und zweite Strophe enthalten jeweils eine rhetorische Frage, die das Naturphänomen in seiner Klage oder Bewegung befragt. Diese Struktur erzeugt eine dialektische Bewegung zwischen Natur und Subjekt.
2. Typisch ist die Refrainstruktur: In Strophe 1 (Was klaget sich dein zarter Mund?) und in Strophe 2 kehrt eine identische Formel wieder, wodurch eine rhetorische Beschwörung entsteht. Diese Wiederholung schafft Musikalität und verleiht dem Gedicht einen gesanghaften Charakter.
3. Formal arbeitet das Gedicht mit jambisch geprägten Versen, ohne strenges Metrum, wie es im Barock häufig anzutreffen ist. Der Klangfluss orientiert sich an der Rede, jedoch mit starker Binnenrhythmik (Du helle Bach/ im Mittel dieser Auen).
4. Bildliche Parallelismen strukturieren das Gedicht: Wasser – Vögel – Lüfte. Es entsteht eine Dreiteilung, die wie eine Steigerung wirkt: vom Bach (Element des Irdischen, unten) zu den Vögeln (Mittellage, Tierreich, Stimme) bis zur Luft (das Obere, Ätherische). Am Ende gipfelt diese Bewegung im Wunsch des Ichs, selbst in dieses höchste Element zu transzendieren.
1. Natur als Zeugin der Liebe: Typischer barocker Topos, die Natur in allen ihren Erscheinungen als Resonanzraum und Mitwisserin erotischer Sehnsucht darzustellen.
2. Anthropomorphisierung der Natur: Der Bach klagt, die Vögel haben Brunst, die Lüfte seufzen – eine poetische Technik, die sowohl Petrarkismus als auch bukolische Tradition fortführt.
3. Klage und Freude zugleich: Die klagende Flut und der zarte Mund verbinden Leid und Süße. Dies verweist auf den Topos des dolce dolore – süßes Leiden der Liebe.
4. Wind als Wunschgestalt: Ein Motiv, das antike und petrarkistische Tradition aufnimmt – sich in ein Naturwesen verwandeln, um Nähe zur Geliebten zu erlangen. Hier besonders erotisch aufgeladen: der Wind darf die Wangen der Geliebten berühren.
5. Dialog mit der Natur: Ein klassischer Topos der bukolischen und pastoralen Dichtung, der zugleich barocke Theatralität spiegelt: das lyrische Ich spricht mit Elementen, die selbst als Schauspieler auftreten.
1. Das Gedicht steht deutlich im Kontext des Barock, besonders im Bereich der galanten und bukolischen Liebeslyrik. Charakteristisch ist die Verbindung von rhetorisch durchgestalteter Naturbeschreibung und erotischem Subtext.
2. Die Rhetorik der Wiederholung und der Apostrophen (Du helle Bach, Ihr Lüffte) ist typisch barock: das Sprechen wendet sich direkt an Naturkräfte, wodurch eine szenische, fast theatrale Qualität entsteht.
3. Petrarkistische Einflüsse sind unverkennbar: das Motiv des Blicks auf die Geliebte, der Wunsch nach Nähe, die Seufzer und das Ineinanderfließen von Natur und Gefühl. Abschatz adaptiert diese Tradition in einer deutschen barocken Sprache.
4. Zugleich zeigt sich die barocke Spannung von Diesseitsfreude und unerfüllter Sehnsucht. Der Ton bleibt weltlich-galant, doch untergründig ist die Struktur barocker Melancholie zu spüren: die Natur singt, klagt, seufzt – immer in der Schwebe zwischen Fülle und Mangel.
5. Der Zyklus Anemons und Adonis Blumen deutet schon mythologisch auf die Verbindung von Liebeslust und Vergänglichkeit: Adonis ist der sterbende Geliebte, Anemone die Blume des Windes. Dieses Gedicht steht in genau dieser Tradition des verknüpften Erotischen und Vanitas-Bewusstseins.
1. Das Gedicht entfaltet sich in drei Naturbildern – Bach, Vögel, Lüfte – die als Zeugen der Schönheit Climenen aufgerufen werden. Sie alle spiegeln die innere Bewegung des Ichs, das sein Begehren nicht unmittelbar äußert, sondern in die Sprache der Natur verlegt.
2. Der Grundton ist eine rhetorische Fragehaltung: Warum klagt ihr, warum seufzt ihr, warum singt ihr so? Diese Fragen sind eigentlich Spiegelungen des eigenen Begehrens, das im Modus des Fragens und der Projektion auf Naturkräfte artikuliert wird.
3. Formal verdichtet sich die Bewegung von unten nach oben: Wasser – Vögel – Luft. Diese Stufung entspricht einer poetischen Erhöhung, die zugleich in eine imaginierte Verwandlung des Ichs mündet. Die finale Vision: selbst Wind zu sein, um die Geliebte unmittelbar zu berühren.
4. Die Topoi von Seufzen, Klage, Naturgespräch und Metamorphose verankern das Gedicht im barocken Liebesdiskurs, der zwischen bukolischer Idylle und erotischer Leidenschaft changiert.
5. Insgesamt zeigt das Gedicht die poetische Kraft der Naturallegorie im Barock: die Welt ist beseelt, und jedes Element wird zum Mittler menschlicher Affekte. Die Natur selbst wird zur Bühne, auf der die Liebe des Ichs eine szenische Gestalt gewinnt.