Sie seufftzen Beyde
Du pflegest dich gantz laut/ ich heimlich zu beklagen/1
Die Seufftzer sind gemein bey dir und mir/ mein Kind:2
Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind/3
Von deinen weiß ich nichts zu sagen.4
Ein Ander mag uns Neyd um unsre Seufftzer tragen:5
Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind.6
Wohin die deinen gehn/ mein allerliebstes Kind/7
Da weiß ich nichts/ und will nichts sagen.8
Du pflegest dich gantz laut/ ich heimlich zu beklagen/1
Die Seufftzer sind gemein bey dir und mir/ mein Kind:2
Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind/3
Von deinen weiß ich nichts zu sagen.4
1 Du pflegest dich gantz laut/ ich heimlich zu beklagen/
Analyse
Der ist kompositorisch durch die barocke Paarung du/ich strukturiert und führt eine klare Antithese ein: gantz laut versus heimlich. Diese Polarität organisiert den gesamten Kommunikationsraum des Gedichts zwischen öffentlicher Expressivität und privater, verborgener Affektökonomie.
Das Verb pflegest markiert Habitualität (du pflegst gewöhnlich…) und verweist auf wiederkehrende Verhaltensmuster, nicht bloß auf einen singulären Affektmoment. Dadurch wird Seufzen/Klagen als charakterliche Praxis, fast als sozialer Habitus, kenntlich.
Die Reflexivkonstruktion dich … beklagen (bei du) akzentuiert Selbstbezogenheit des Klagens, während beim Sprecher (ich … zu beklagen) das Reflexivpronomen stillschweigend bleibt; der Fokus kippt vom Selbstklagen der Adressatin hin zum unmarkierten, diskreten Leiden des Sprechers.
Orthographie und Interpunktion (gantz, Schrägstriche) verorten den Text im barocken Sprachgebrauch; die Schrägstriche fungieren als starke Zäsuren und visualisieren zugleich das semantische Gegenüber von Lautheit und Heimlichkeit.
Die syntaktische Parallelisierung (zweigliedrige Konstruktion mit koordinierender Gegenüberstellung) erzeugt einen fast sprichwortartigen Duktus; die Balance hat eine argumentierende Funktion: der Sprecher ordnet die Beziehung durch antithetische Rollen fest.
Interpretation
Der etabliert zwei Liebes- bzw. Leidensstile: die Adressatin exponiert ihre Affekte sichtbar, der Sprecher internalisiert sie. Daraus entsteht ein impliziter Kommentar zur Geschlechter- und Gesellschaftsrolle im galanten Milieu: demonstratives Empfinden versus diskrete Contenance.
Laut und heimlich markieren nicht nur Intensitätsgrade, sondern soziale Räume: Öffentlichkeit (Gerücht, Blick der Dritten) gegen Intimität (das Innerlich-Unausgesprochene). Das Gedicht interessiert sich für die Moral der Sichtbarkeit von Gefühl.
Die reflexive Wendung beim du kann eine leise Kritik signalisieren: Wer sich beklagt, kreist um das eigene Leid; das Ich hingegen leidet nicht selbstreferenziell, sondern – wie die folgenden Verse zeigen – ausgerichtet auf die Geliebte.
Insgesamt eröffnet der ein Spannungsfeld zwischen Performanz und Authentizität: Ist das laute Klagen performativ, das heimliche hingegen wahrer? Der Text bereitet diese Wertung vor, ohne sie vorschnell zu fixieren.
2 Die Seufftzer sind gemein bey dir und mir/ mein Kind:
Analyse
Seufftzer ist ein barockes Liebestopos; als physiologisches und rhetorisches Zeichen bündelt es Atem, Stimme und Affekt. Der Plural generalisiert und macht das Seufzen zum gemeinsamen Band.
Das Adjektiv gemein ist polysem: hier bedeutet es gemeinsam, schwingt aber etymologisch den Beiklang des Gewöhnlichen mit. Dadurch bleibt offen, ob das Geteilte edel verbindend oder trivialisierend wirkt.
Die Symmetrie bey dir und mir schließt an die Parallelstruktur von 1 an; so entsteht eine semantische Klammer der Wechselseitigkeit trotz der zuvor markierten Differenz.
Die zärtliche Anrede mein Kind moduliert die Sprechhaltung: Sie ist zugleich liebevoll und leicht herablassend-paternal; sie rahmt das Folgende als lehrhafte, quasi didaktische Aussage.
Der Doppelpunkt kündigt eine Bestimmung/Präzisierung an, die im nächsten erfolgt: Ein logischer Fortgang wird syntaktisch vorbereitet.
Interpretation
Das Gedicht bewegt sich vom Gegensatz (laut/heimlich) zur Gemeinsamkeit (gemeinsame Seufzer): Die Beziehung wird als paradox beschrieben – differente Ausdrucksformen, aber ein identischer affektiver Grundton.
Die ambivalente Valenz von gemein öffnet zwei Lesarten: Entweder adelnde Kommunion der Liebenden im Leid oder eine Ernüchterung, die Seufzen als allzu gängige, fast modische Geste des Galanten entlarvt.
Mein Kind signalisiert ein Asymmetrie-Moment: Der Sprecher positioniert sich als der Erfahrungs- und Deutungsträger, der nun definieren wird, wie die gemeinsamen Seufzer eigentlich zu verstehen sind.
Insgesamt spannt der die Bühne für eine Rekalibrierung der Symmetrie: Gemeinsam ist das Phänomen, doch die Zielrichtung der Affekte könnte ungleich sein.
3 Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind/
Analyse
Der Sprecher setzt epistemische Sicherheit: Ich weiß. Damit erhebt er einen Wahrheitsanspruch über die Intentionalität seiner Affekte.
Der Fokuspartikel nur schließt jedes andere Ziel aus und verleiht dem Bekenntnis Exklusivität.
gerichtet semantisiert die Seufzer als intentionalen Akt, nicht bloß als unwillkürliche Regung. Liebe erscheint als zielende, lenkende Kraft – fast wie ein rhetorischer Pfeil.
Die Präpositionalgruppe auff dich stellt die Geliebte als Telos und Referenzpunkt her; syntaktisch rückt sie an prominente Stelle nach dem Fokus nur.
Die Wiederaufnahme der Zäsuren rhythmisieren den Beweisgang: erst Behauptung des Wissens, dann inhaltliche Bestimmung, dann Zielangabe.
Interpretation
Der macht aus Affekt eine Ethik der Ausrichtung: Das Ich definiert sein Leiden als intentional auf die Geliebte hingeordnet, mithin als Altruismusform (das Seufzen gilt dir, nicht mir).
Damit beansprucht der Sprecher moralisches Übergewicht: Sein heimliches Seufzen (1) ist nicht Selbstmitleid, sondern Hingabe. Das verstärkt die mögliche Kritik am lauten Selbstbeklagen der Adressatin.
Die Exklusivität (nur) schließt Konkurrenzobjekte und Selbstzweck aus: Die Liebe ist nicht diffuse Empfindsamkeit, sondern fokussierte Relation.
Zugleich ist das ein performatives Liebesbekenntnis: Das Ich weiß wirkt wie ein Gelöbnis, das emotionale Wahrhaftigkeit beglaubigen soll.
4 Von deinen weiß ich nichts zu sagen.
Analyse
Die Epistemik kippt: Nach der Gewissheit über das Eigene folgt die Agnostik über das Fremde. nichts zu sagen ist eine Negation des Wissens, aber auch eine rhetorische Verweigerung, ein Urteil zu fällen.
Der Genitiv/die Possessivbestimmung deinen verweist auf die Seufzer der Adressatin, die semantisch weitergeführt, aber nicht expliziert werden.
Die syntaktische Kürze kontrastiert mit der vorausgehenden Affirmation und setzt einen pointierten, nüchternen Schluss der Strophe.
Rhetorisch lässt sich das als praeteritio/reticentia lesen: das Ausstellen des Nicht-Sagens kann mehr insinuieren, als explizites Sagen erlauben würde.
Interpretation
Der Sprecher markiert eine Erkenntnisgrenze: Er beansprucht nicht, in das Innere der Geliebten sehen zu können. Das kann Demut sein – oder eine elegante Form des Misstrauens.
Indem er nichts zu sagen behauptet, impliziert er zugleich, dass es etwas zu sagen gäbe: Motiviert sie ihr Seufzen wirklich durch ihn – oder klagt sie sich (1) und damit an sich vorbei?
Der Schluss rückt die Frage nach Authentizität abermals ins Zentrum: Seine Seufzer sind intentional auf dich gerichtet; ihre Seufzer bleiben uneindeutig. So entsteht ein Rest an Unverbundenheit trotz gemeinsamer Affektsignatur.
Die Strophe endet absichtsvoll offen: Das Schweigen über die andere Seite hält den Dialog in der Schwebe und motiviert die Fortsetzung in Strophe 2 – als ob die Liebe an der Grenze des Wissbaren spreche.
Strophe 1 entfaltet ein Dialektik-Modell der Liebe: Gemeinsamkeit der Zeichen (Seufzer) bei gleichzeitiger Divergenz der Modi (laut/heimlich) und der Teleologie (selbstbezogen vs. auf den Anderen gerichtet).
Der Sprecher profilierte sich als Zeuge eigener Wahrhaftigkeit und als vorsichtiger, vielleicht skeptischer Beobachter der Geliebten. Die Rhetorik bewegt sich zwischen Bekenntnis (Ich weiß) und Retizenz (weiß ich nichts zu sagen).
In barocker Tradition werden Affekt, Moral und Sozialform der Liebe miteinander verschränkt: Sichtbarkeit ist nicht neutral, sondern ethisch codiert; Aufrichtigkeit zeigt sich eher in der kontrollierten Innerlichkeit als in lauter Performanz.
Hier ist der vers-für-vers-Kommentar zur 2. Strophe (Vv. 5–8) von Sie seufftzen Beyde:
Ein Ander mag uns Neyd um unsre Seufftzer tragen:5
Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind.6
Wohin die deinen gehn/ mein allerliebstes Kind/7
Da weiß ich nichts/ und will nichts sagen.8
5 Ein Ander mag uns Neyd um unsre Seufftzer tragen:
Analyse
Die eröffnende Formulierung Ein Ander mag ist eine konzessive Wendung, die möglichen Widerspruch oder Missgunst der Außenwelt antizipiert und dadurch den eigenen Standpunkt indirekt stärkt.
Neyd … tragen verwendet eine barocktypische Kollokation, in der Neid als dauerhaft zu tragende Last erscheint; so wird Missgunst als Schwäche der Anderen und nicht als Makel des lyrischen Wirs geframt.
Das Pronomen uns und das Possessiv unsre verlagern den Fokus vom Individuum auf das Paar; die Seufftzer werden als gemeinsamer Ausdruck eines zweistimmigen Affekts markiert.
Dass gerade Seufftzer Neid erregen, etabliert eine paradoxe Wertung: Ein Zeichen der Klage wird zum kostbaren Distinktionsmerkmal, das die Exklusivität der Liebe verrät.
Orthographisch archaisierte Formen (Neyd, Seufftzer) und die Emphase auf Affekt zeigen barocke Liebesrhetorik, in der die Sichtbarkeit des Gefühls sozial performativ ist.
Im Reimschema der Strophe rahmt dieser den Schlussvers (tragen/sagen) und bildet mit ihm einen umarmenden Reim (ABBA), der die Strophe formal zusammenbindet.
Interpretation
Der Sprecher behauptet, ihre liebevollen Seufzer seien so intensiv oder vorbildhaft, dass Außenstehende sie beneiden; dadurch verklärt er das Leid der Liebe zur Trophäe der Innigkeit.
Das Wir-Pronomen konstruiert eine symbolische Gemeinschaft gegen die Anderen und transformiert die private Regung in ein Identitätszeichen des Paares.
Die Konzession an den Neid immunisiert die Beziehung gegen sozialen Blick und Gerede: Was die Welt missgönnt, bestätigt nur umso mehr den Wert der Zweisamkeit.
Die paradoxe Ehre der Seufzer deutet auf die petrarkistische Tradition, in der Seufzer als Boten der Leidenschaft gelten und dadurch soziale Lesbarkeit gewinnen.
Implizit bereitet der die spätere Spannung vor: Aus dem gemeinsamen unsre Seufftzer wird sogleich eine Asymmetrie der Gewissheit und des Nicht-Wissens hervorgehen.
6 Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind.
Analyse
Der Beginn mit Ich weiß setzt eine epistemische Gewissheit gegen das soeben angerufene Urteil der Außenwelt und etabliert das Ich als autoritative Instanz seiner Gefühle.
Das Adverb nur markiert Exklusivität; gerichtet inszeniert die Seufzer als zielgerichtete Bewegung, fast wie Geschosse oder Boten mit klarer Adresse.
Die elliptische Wiederaufnahme von Seufftzer aus 5 (nun als meine) vollzieht den Übergang vom gemeinsamen Affekt zum individuellen Bekenntnis.
Die Präposition auff dich betont die lineare, einlinige Ausrichtung des Begehrens; semantisch entsteht eine Vektor-Metaphorik, in der Affekt räumlich und intentional gedacht wird.
Syntax und Rhythmus sind klar und ungebrochen; diese Glätte unterstreicht die Selbstsicherheit des Sprechers in Bezug auf seine Loyalität.
Interpretation
Der Sprecher legt ein Treueversprechen ab: Seine Affekte sind ungeteilt und monodirektional, was als Gegenbild zu möglicher Vielstimmigkeit oder Zerstreuung der Gefühle fungiert.
Die Ziel-Metaphorik der Seufzer (gerichtet) bindet Körperliches (Atem, Seufzen) und Geistiges (Intention, Wille) zu einer Einheit und adelt den Affekt zur bewussten Handlung.
In der Dramaturgie der Strophe fungiert dieser Satz als Ausgangspunkt für die folgende Frage nach der Gegenseite: Das sichere Wissen über das Eigene kontrastiert mit der Ungewissheit über das Du.
Die semantische Eindeutigkeit ist performativ: Indem er die Ausschließlichkeit ausspricht, verlangt er implizit spiegelbildliche Exklusivität von der Adressatin.
7 Wohin die deinen gehn/ mein allerliebstes Kind/
Analyse
Die Fragepartikel Wohin markiert den Eintritt von Ungewissheit; mit die deinen ist elliptisch deine Seufftzer gemeint, wodurch die semantische Kohärenz zur vorherigen Zeile gewahrt bleibt.
Der Anredezusatz mein allerliebstes Kind ist eine barocke Liebesformel, die Zärtlichkeit performiert, zugleich aber die hierarchische Sprecherposition stabilisieren kann.
Der bildet mit 6 eine strukturelle Antiphonie: Auf meine … gerichtet folgt die deinen … gehn, wodurch Reziprozität thematisiert und sogleich problematisiert wird.
Das Verb gehn hält die Bewegungs-Metaphorik der Seufzer aufrecht, betont aber Offenheit und Unbestimmtheit im Gegensatz zum präzisen gerichtet des Vorverses.
Die syntaktische Suspension (offene Frage, Komma) erzeugt Spannung, die erst im nächsten durch die Doppelnegation von Wissen und Sprechen aufgelöst bzw. verschärft wird.
Interpretation
Hinter der höflich-zärtlichen Anrede schimmert Eifersucht: Der Sprecher möchte Gewissheit über die Exklusivität der Gegenliebe, wagt aber (noch) keine direkte Anklage.
Die Verschiebung von gerichtet (Zielklarheit) zu gehn (bloßes Wandern) suggeriert Zweifel, ob die Regungen der Geliebten ebenso zielstabil sind wie seine eigenen.
Die intime Diminutivformel allerliebstes Kind weicht den möglichen Vorwurf ab und dient als rhetorisches Polster für eine potenziell heikle Nachfrage.
Die Frage exponiert die epistemische Asymmetrie der Liebe: Was im eigenen Innern gewiss ist, bleibt im Anderen ein Rätsel, das nur indirekt – über Zeichen wie Seufzer – lesbar wäre.
8 Da weiß ich nichts/ und will nichts sagen.
Analyse
Da nimmt deiktisch auf die offene Frage Bezug und lenkt die Aufmerksamkeit auf den neuralgischen Punkt: die Zielrichtung der Seufzer der Geliebten.
Die koordinierte Doppelnegation (weiß ich nichts / und will nichts sagen) verknüpft epistemisches Nicht-Wissen mit volitiver Selbstbeschränkung; Wissen und Sprechen werden gekoppelt verweigert.
Rhetorisch liegt eine Praeteritio/Paralipse vor: Der Sprecher betont, nichts sagen zu wollen, sagt damit aber doch sehr viel, nämlich dass es etwas Sagbares gäbe.
Durch den Endreim auf 5 (tragen/sagen) wird die Strophe formal geschlossen; semantisch schließt sich der Bogen vom sozialen Blick (Neid) zur privaten Diskretion (Schweigen).
Die Parataxe und die lakonische Kürze kontrastieren mit der zuvor entfalteten Zärtlichkeit und erzeugen eine scharfe Zäsur in Ton und Haltung.
Interpretation
Der inszeniert Diskretion als Tugend und als Waffe: Der Sprecher wahrt höfische Selbstkontrolle, lässt jedoch eine latente Anklage zwischen den Zeilen stehen.
Das Bekenntnis zum Nicht-Wissen kann echte Demut sein, wirkt aber im Kontext der Eifersucht wie eine strategische Selbstzensur, die Verantwortung für einen Vorwurf an die Adressatin delegiert.
Schweigen erscheint doppeldeutig: als Respekt vor der Autonomie des anderen Inneren und als subtile Machtausübung, die Unklarheit instrumentalisiert.
Die Strophe endet damit in einer produktiven Ambivalenz: Die Liebe bleibt offiziell unangefochten, doch die Struktur von Wissen, Zeichen und Schweigen verrät eine fragile Vertrauenslage.
Von der gemeinschaftsstiftenden Konzession (V. 5) über das exklusive Treuebekenntnis (V. 6) und die zärtlich getarnte Nachfrage (V. 7) führt der Weg zur ostentativen Diskretion (V. 8).
Formal bindet der umarmende Reim die semantische Bewegung, während die Metaphorik der Seufzer als gerichtete, gehende, sozial lesbare Boten die barocke Affekt-Poetik verdichtet.
Der Schluss lässt die zentrale Spannung offen: Zwischen öffentlichem Neid, privater Gewissheit und vorsätzlichem Schweigen bleibt das Verhältnis von Zeichen und Wahrheit prekär.
1. Das Gedicht entfaltet sich in einer schlichten, aber spannungsvollen Dialogstruktur, die in Wahrheit ein monologisches Zwiegespräch ist: der Sprecher richtet sich an das Kind, eine geliebte Person, die zugleich Objekt seiner Sehnsucht wie auch Spiegel seiner Unsicherheit ist.
2. In der ersten Strophe etabliert sich ein Gegensatz zwischen offenem und heimlichem Klagen. Der Sprecher stellt die Differenz in den Ausdrucksformen der Seufzer heraus – das laut gegen das heimlich –, was sofort ein Spannungsfeld zwischen Innerlichkeit und Öffentlichkeit, zwischen verborgener und offenkundiger Leidenschaft eröffnet.
3. Das Motiv der gemeinen Seufftzer – die beiden teilen ein ähnliches Schicksal des Klagens – verleiht dem Gedicht eine Symmetrie, die aber sogleich unterlaufen wird: die Absicht, die Richtung, die Adressierung der Seufzer ist nicht mehr identisch.
4. In der zweiten Strophe wird diese Unsicherheit vertieft. Während der Sprecher sicher weiß, dass seine Seufzer ausschließlich auf die Geliebte gerichtet sind, bleibt er über die Richtung ihrer Seufzer im Ungewissen. Hier kippt das Gedicht vom Gleichklang ins Auseinanderdriften: die gemeinsame Klage wird durch asymmetrisches Wissen und ungleiche Gewissheit gebrochen.
5. Der Abschluss in 8 (Da weiß ich nichts, und will nichts sagen) erzeugt eine doppelte Bewegung: Resignation und Schweigen, aber auch eine Geste der Selbstzucht. Das Gedicht endet nicht in Lösung, sondern in einem Schweigen, das ebenso Ausdruck von Schmerz wie von Würde sein kann.
1. Psychologisch gesehen liegt das Zentrum des Gedichts in der Spannung zwischen Gewissheit und Zweifel. Der Sprecher kennt die Richtung seiner Gefühle, ist sich ihrer Klarheit und Exklusivität sicher.
2. Gleichzeitig wird diese Sicherheit von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Gefühlen des Gegenübers begleitet: die Geliebte seufzt zwar, doch unklar bleibt, ob ihre Seufzer wirklich dem Sprecher gelten oder einem anderen.
3. Das Gedicht verhandelt damit ein typisches Muster der Liebespsychologie: asymmetrische Gewissheit. Einer liebt vorbehaltlos und transparent, der andere bleibt unbestimmt, womöglich mehrdeutig.
4. Diese Unsicherheit erzeugt eine Mischung aus Eifersucht, Selbstvergewisserung und Selbstschutz. Der Sprecher wiederholt, fast beschwörend, die Feststellung Ich weiß, daß meine nur auf dich gerichtet sind, als wolle er sich selbst daran festhalten.
5. Das finale Schweigen (will nichts sagen) deutet eine psychologische Abwehrbewegung an: der Schmerz über das Nichtwissen wird nicht in Vorwurf, sondern in Zurückhaltung verwandelt. So wird psychische Spannung nicht in Aggression, sondern in Selbstbeherrschung kanalisiert.
1. Ethisch betrachtet berührt das Gedicht die Frage nach Treue und Transparenz in einer Liebesbeziehung. Der Sprecher legt seine eigene Treue offen, während er die mangelnde Gewissheit über die Gegenseite problematisiert.
2. Es entsteht ein implizites moralisches Gefälle: der Sprecher betont seine Lauterkeit, während er die Geliebte indirekt des Schweigens oder der Mehrdeutigkeit verdächtigt.
3. Gleichzeitig wahrt er eine ethische Zurückhaltung. Obwohl er Grund zu Misstrauen oder Eifersucht sieht, verweigert er sich dem direkten Vorwurf. Das Schweigen am Ende ist Ausdruck einer ethischen Selbstdisziplin.
4. Die Figur der Neyder (5) öffnet zudem eine gesellschaftlich-ethische Dimension: Seufzer, Ausdruck innerster Gefühle, können von außenstehenden Dritten beneidet oder missverstanden werden. Somit erscheinen die Liebenden nicht in isolierter Intimität, sondern im sozialen Feld von Konkurrenz und Urteil.
5. Die Ethik des Gedichts liegt in der Balance zwischen Aufrichtigkeit und Selbstbeschränkung: das Bekennen der eigenen Treue wird nicht verbunden mit Anklage, sondern mit Zurückhaltung – eine Art Ehrenkodex der Liebesrede.
1. Auf einer tieferen Ebene erscheinen die Seufftzer nicht nur als psychologische Äußerungen von Sehnsucht, sondern als Metaphern für die conditio humana zwischen Innerlichkeit und äußerem Ausdruck. Im barocken Kontext tragen Seufzer häufig religiöse Konnotationen: sie erinnern an das Seufzen der Seele nach Gott (vgl. Paulus, Röm 8,26: Der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern).
2. In dieser Perspektive könnte der Sprecher seine ungeteilte, auf eine einzige Richtung ausgerichtete Hingabe als Spiegel einer monotheistischen Ausrichtung lesen: wie der Gläubige einzig auf Gott gerichtet ist, so sind seine Seufzer einzig auf die Geliebte gerichtet. Die Unsicherheit über die Gegenseite verweist damit auf das Problem der Gnadenunsicherheit: weiß man je, ob die Erwiderung durch das Göttliche geschieht?
3. Philosophisch drängt sich das Motiv der Asymmetrie auf: die Liebe ist nicht symmetrisch, auch wenn sie es vorgibt zu sein. Das gemein der Seufzer wird unterlaufen durch die Differenz in Ziel und Gewissheit. Hier liegt eine anthropologische Wahrheit: selbst im scheinbar geteilten Gefühl bleibt die Individualität unaufhebbar.
4. Die wiederholte Bekräftigung des eigenen Wissens (Ich weiß...) steht im Kontrast zum Nichtwissen über die andere Seite. Dies evoziert die epistemologische Grenze menschlicher Existenz: Gewissheit gibt es nur über das eigene Innere, nie über das Fremde. Damit berührt das Gedicht die fundamentale Frage nach der Unerkennbarkeit des Anderen.
5. Theologisch könnte das Schweigen am Ende als eine Form mystischer Disziplin gelesen werden: wo das Wissen versagt, bleibt das Schweigen. Es ist die Haltung des Menschen, der vor dem Unaussprechlichen zurücktritt – sei es in der Beziehung zu Gott oder zum geliebten Menschen.
6. Die Struktur des Gedichts (Verdopplung der Strophe, Spiegelung der Aussage) verweist auf die barocke Idee von vanitas und Schein: die Ähnlichkeit der Klage ist nur Oberfläche, dahinter verbirgt sich fundamentale Differenz. Das ist zugleich eine anthropologische Lehre: wahre Einheit der Seelen ist schwer zu erreichen.
1. Die Spannung zwischen Aufrichtigkeit und Ungewissheit – Der Sprecher bekennt offen, dass seine Seufzer ausschließlich auf die Geliebte gerichtet sind. Dies zeigt eine moralische Haltung der Treue und Aufrichtigkeit. Zugleich bleibt jedoch ein Rest an Ungewissheit über die Seufzer der Geliebten, was die moralische Grundfrage nach Vertrauen oder Zweifel in der Liebe aufwirft.
2. Die Anerkennung des Anderen als selbstbestimmtes Wesen – Der Sprecher verzichtet darauf, das Geheimnis der Geliebten zu durchdringen oder ihre Seufzer zu deuten. Diese Haltung enthält eine moralische Anerkennung ihrer Eigenständigkeit: er beansprucht nicht, über ihr Inneres zu richten.
3. Die Ambivalenz zwischen Eifersucht und Großmut – Zwar klingt in den Versen ein Unterton von Unsicherheit und möglicher Eifersucht an, doch entscheidet sich der Sprecher moralisch für Zurückhaltung. Statt das mögliche Misstrauen auszusprechen, bleibt er bei einem Schweigen, das von Respekt getragen ist.
4. Die moralische Veredelung des Leidens – Die Seufzer, obwohl Zeichen von Schmerz, werden hier nicht als Schwäche, sondern als edle Bekundungen der Liebe verstanden. Moralisch wird Leiden in Treue und Hingabe umgedeutet.
1. Die Seufzer als Ausdruck seelisch-geistiger Bewegung – In anthroposophischer Perspektive sind Seufzer nicht bloß körperliche Reaktionen, sondern Ausdruck tief innerer, seelischer Prozesse. Der Text zeigt, wie das Innere in einer Art Atemseele nach außen dringt.
2. Das Ungleichgewicht zwischen Bewusstheit und Unbewusstheit – Der Sprecher weiß um die Richtung seiner eigenen Empfindungen, während die der Geliebten im Verborgenen bleiben. Diese Polarität entspricht dem anthroposophischen Motiv von Bewusstsein und Unbewusstem, Licht und Schatten.
3. Die Polarität von Eigenwillen und Hingabe – Indem der Sprecher seine Seufzer als zielgerichtet auf die Geliebte beschreibt, tritt das Motiv der Hingabe hervor. Im Gegensatz dazu erscheinen die Seufzer der Geliebten als geheimnisvoller Eigenwille, den er respektvoll offenlässt.
4. Die Ahnung karmischer Verstrickung – In der anthroposophischen Deutung können gemeinsame Seufzer auch ein Hinweis auf karmische Verbindungen zweier Seelen sein. Die Unklarheit über die Richtung der Seufzer der Geliebten verweist auf ein noch ungelöstes karmisches Rätsel.
1. Die formale Symmetrie der Strophen – Das Gedicht entfaltet in zwei nahezu parallel gebauten Vierzeilern seine Gedanken. Diese Symmetrie verleiht der Dichtung eine Balance, die zugleich mit der thematischen Spannung zwischen Gewissheit und Ungewissheit kontrastiert.
2. Die ästhetische Verdichtung durch Wiederholung – Der Satz Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind wird zweimal eingefügt, wodurch das ästhetische Prinzip der Verstärkung wirksam wird. Die Wiederholung spiegelt das Drängen des Herzens und verleiht musikalischen Charakter.
3. Die Klanggestalt der Seufzer – Schon das Wort Seufftzen evoziert phonetisch ein Ausatmen. Damit wird das Gedicht klanglich zu einem Seufzen in dichterischer Form, wodurch Inhalt und Form kongruent erscheinen.
4. Die Spannung von Offenheit und Schweigen – Ästhetisch wirkt das Gedicht nicht nur durch das Gesagte, sondern auch durch das Ungesagte. Das Schweigen über die Seufzer der Geliebten ist kunstvoll als Leerraum ins Gedicht eingebaut.
1. Die dialogische Ansprache – Mit der direkten Anrede mein Kind wird das Gedicht rhetorisch in die Form eines Gesprächs gefasst. Es wirkt nicht wie ein monologischer Klagegesang, sondern wie eine intime Zwiesprache.
2. Der Einsatz von Parallelismus – Beide Strophen folgen einem ähnlichen Bau: Aussage über die eigenen Seufzer, Kontrast zu den unbekannten Seufzern der Geliebten. Dieser Parallelismus schafft rhetorische Klarheit und Prägnanz.
3. Die bewusste Verwendung von Antithesen – gantz laut versus heimlich, ich weiß versus weiß ich nichts. Diese Gegensätze strukturieren den Text rhetorisch und intensivieren die Spannung.
4. Die rhetorische Wirkung des Schweigens – Das wiederholte Bekenntnis Da weiß ich nichts/ und will nichts sagen ist mehr als eine Feststellung: es ist eine rhetorische Figur der Retizienz (das Zurückhalten des Sprechens), die die innere Spannung zwischen Wissensdrang und moralischer Zurückhaltung ausdrückt.
1. Das Gedicht entfaltet ein Zwiegespräch zweier Liebender, das aber in der Form eines monologischen Sprechens nur eine Stimme zur Geltung bringt. So entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wir (beide seufzen) und dem Ich (das lyrische Ich mit seiner Selbstoffenbarung).
2. Es geht um die Unsicherheit, ob die Gefühle der beiden symmetrisch sind: Während das Ich genau weiß, dass seine Seufzer auf die Geliebte gerichtet sind, bleibt es im Ungewissen, ob die Seufzer der Geliebten die gleiche Exklusivität haben.
3. Die Metaebene macht auch die Erfahrung der Differenz von Intimität und Unwissen deutlich: in der Liebe gibt es Nähe (das gemeinsame Seufzen), aber zugleich auch einen Bereich des Unaussprechlichen oder Undurchschaubaren (die Richtung der Seufzer der Geliebten).
4. Die Redeweise reflektiert das Grundproblem von Kommunikation in Liebesbeziehungen: Man kann die eigenen Gefühle aussprechen, aber die Innerlichkeit des anderen bleibt verborgen und muss gedeutet werden.
1. Das Gedicht ist streng formal gebaut: zwei Strophen mit je vier Versen, die symmetrisch angeordnet sind. Die Wiederholung des dritten Verses (Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind) als 6 schafft ein refrainsartiges Moment, das den fixen Punkt der eigenen Gewissheit hervorhebt.
2. Die Wiederholung dient als poetisches Mittel zur Intensivierung: Die Sicherheit des Sprechers wird fast beschwörend wiederholt, während die Unsicherheit über die Gegenseite bestehen bleibt.
3. Poetologisch setzt das Gedicht auf Parallelismus und Kontrast: das laut gegen das heimlich, das gemein gegen das gerichtet, das wissen gegen das nicht wissen. Damit erzeugt es rhythmische Spannung.
4. Das Gedicht arbeitet auch mit der Ökonomie des Schweigens: Das da weiß ich nichts, und will nichts sagen schließt bewusst ab, indem es die Sprachlosigkeit selbst zur Aussage macht.
1. Die Seufzer sind hier das zentrale Bild: Sie symbolisieren das unsichtbare, aber hörbare Zeichen der Liebe, die körperlich-physische Äußerung des Innersten. Der Seufzer ist ein Medium zwischen Innenwelt und Außenwelt.
2. Lautes und heimliches Seufzen stehen metaphorisch für unterschiedliche Arten des Umgangs mit Leidenschaft: die offen gezeigte versus die verschlossene Liebe.
3. Das Motiv der gerichteten Seufzer ist ebenfalls metaphorisch: Liebe wird hier als intentionaler Strahl gedacht, der eine bestimmte Richtung hat – ein Bild, das die Einseitigkeit oder Gegenseitigkeit von Gefühlen überprüfbar machen soll.
4. Das Nichtwissen über die Richtung der Seufzer des anderen ist eine Metapher für die hermetische Verschlossenheit des Anderen: ein Hinweis auf das Unverfügbare in jeder Beziehung.
1. Das Gedicht steht im Kontext der frühbarocken Liebeslyrik, die stark von Petrarkismus, von Emblematik und von der Tradition des höfischen Galanteriediskurses geprägt ist.
2. Es knüpft an die Tradition des frühneuzeitlichen Sonetts an, reduziert aber dessen Form und konzentriert sich auf den Zweistrophenbau. Dies verweist auf eine poetische Experimentierfreude im Barock.
3. Thematisch gehört es in den Diskurs der höfischen Liebe, wo die Frage nach Treue, Gegenseitigkeit und Leidenschaft eine zentrale Rolle spielt. Die Unsicherheit über die Gefühle des Gegenübers ist ein Grundmotiv barocker Minnepoesie.
4. Auch die Rhetorik der Wiederholung und die Reflexion über Gefühle im Modus des Vergleichs (laut vs. heimlich) sind typisch barocke Verfahren, die Ambivalenz und Gegensätzlichkeit hervorheben.
1. Das Gedicht kann gelesen werden als Beispiel für frühbarocke Dialogizität, die im Grunde monologisch bleibt. Es zeigt die Problematik literarischer Darstellung von Innerlichkeit: nur das eigene Innere ist zugänglich, das fremde bleibt Projektion.
2. Die doppelte Struktur (erst das Wissen um sich selbst, dann das Nichtwissen um die andere) verweist auf eine literarische Dramaturgie der Spannung zwischen Gewissheit und Ungewissheit.
3. Es handelt sich zugleich um ein Beispiel für Selbstversicherung durch Sprache: das lyrische Ich formuliert sein Begehren so, dass es durch Wiederholung rhetorisch befestigt wird – gerade im Angesicht der Unsicherheit über die Gegenseite.
4. Literaturwissenschaftlich interessant ist auch die Rolle des Refrains als Verdichtungsstrategie, die zeigt, wie barocke Lyrik Musikalität und rhetorische Intensität miteinander verbindet.
5. Schließlich reflektiert das Gedicht einen Grundgedanken der barocken Anthropologie: Die Liebe ist eine existenzielle Unsicherheit, die sich zwar in körperlichen Zeichen (Seufzern) äußert, aber nie vollständig transparent gemacht werden kann.
1. Die wiederkehrende Figur des Seufzens eröffnet ein Netz von Assoziationen: Seufzer als Ausdruck der Liebessehnsucht, als körperlich-auditive Geste, die den inneren Schmerz nach außen trägt, zugleich aber auch als Zeichen der Nähe zwischen Liebenden, die ein gemeinsames Leiden verbindet.
2. Das Gegensatzpaar von Lautheit und Heimlichkeit: Einerseits das offene, laute Klagen der Geliebten, das hörbar wird und Öffentlichkeit erzeugt, andererseits das stille, heimliche Leiden des lyrischen Ichs, das innerlich bleibt und damit stärker auf Authentizität und innere Wahrhaftigkeit verweist.
3. Die Ambivalenz von Nähe und Distanz: Beide seufzen – sie sind in der Handlung vereint, doch zugleich bleibt Unklarheit über die Richtung der Seufzer der Geliebten. Das Ich ist sicher über seine eigene Zuwendung, aber unsicher über die Gegenseite.
4. Eine Eifersuchtskonstellation im Hintergrund: Der Sprecher deutet an, dass ein Ander Neid auf ihre beider Seufzer tragen könnte, womit Konkurrenz, Rivalität und die Fragilität der Liebesbindung ins Spiel kommen.
5. Der Dialog zwischen Wissen und Nicht-Wissen: Das lyrische Ich betont die Sicherheit seiner eigenen Ausrichtung, zugleich aber gesteht es Unwissenheit und Schweigen im Hinblick auf die Geliebte. Assoziativ ruft das die Unmöglichkeit hervor, völlige Transparenz in der Liebe zu erlangen.
6. Ein Spiel mit Gegenseitigkeit: Die Seufzer als Spiegelbilder, aber mit gebrochenem Symmetrieeffekt. Der Mann ist sicher in seiner Liebe, doch die Frau bleibt unbestimmt. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld von Vertrauen und Misstrauen.
7. Religiös-moralische Untertöne: Das heimliche Seufzen erinnert an Gebetsformen, bei denen der stille Seufzer ein Akt der Demut und Wahrheit ist. Zugleich könnte das laute Klagen an oberflächliche Klagepraktiken erinnern, die weniger auf Innerlichkeit beruhen.
1. Zweiteilige Struktur: Das Gedicht umfasst zwei Strophen à vier Verse, symmetrisch aufgebaut, was die Idee der Gegenseitigkeit (zwei Liebende, zwei Seufzende) formal spiegelt.
2. Reim- und Klangordnung: Es liegt kein streng durchgezogener Reim vor, aber eine deutliche Parallelstruktur: Strophe 1 endet auf sagen, Strophe 2 ebenso, wodurch die Gedichtbewegung kreisförmig wirkt.
3. Parallelismen: Mehrfachformeln wie Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind erscheinen zweimal identisch. Diese Wiederholung verstärkt die Betonung der eigenen Beständigkeit des Ichs und kontrastiert das Nicht-Wissen über die Geliebte.
4. Antithetische Paare: laut vs. heimlich, wissen vs. nicht wissen, reden vs. schweigen. Diese Gegenüberstellungen strukturieren das Gedicht semantisch und rhythmisch.
5. Anredeform: Das Gedicht ist dialogisch angelegt, spricht die Geliebte direkt an (mein Kind, mein allerliebstes Kind). Dadurch wird Nähe und Intimität inszeniert, zugleich aber auch Hierarchie und Zärtlichkeitsformel sichtbar.
6. Epigrammatische Kürze: Mit nur acht Versen wirkt das Gedicht wie ein pointiertes Miniaturstück, das auf Verdichtung und klare Kontrastführung setzt, ganz im Sinne barocker Kunstprosa.
7. Rahmende Struktur: Beginn und Ende sind auf das Motiv des Nicht-Wissens bezogen: Anfangs die Unsicherheit über die Seufzer der Geliebten, am Ende die bewusste Entscheidung, darüber nichts zu wissen und nichts sagen zu wollen.
1. Topos des Seufzens als konventionelles Ausdrucksmittel der Liebe, das seit der antiken Liebesdichtung über Petrarca bis zur Barocklyrik als Signum der Sehnsucht gilt.
2. Topos der Gegenseitigkeit in der Liebe: Das beiderseitige Seufzen dient als Symbol einer spiegelhaften Bindung, auch wenn es hier ironisch gebrochen wird.
3. Topos des Unwissens über die Geliebte: Ein Grundmotiv barocker Liebeslyrik – der Liebende kennt sein eigenes Herz, das Herz der Geliebten aber bleibt ein Rätsel.
4. Topos der Eifersucht und Konkurrenz: Der Hinweis auf den Ander, der neidisch auf ihre Seufzer schaut, verweist auf die klassische Bedrohung durch Rivalen.
5. Topos von Laut und Stille: Schon in der religiösen Tradition sind lautes Klagen und stilles Seufzen kontrastiert; in der Liebesdichtung überträgt sich dieser Gegensatz auf Authentizität und Oberflächlichkeit.
6. Topos des Schweigens: Da weiß ich nichts, und will nichts sagen zeigt die Haltung des resignativen Schweigens, das als würdevoller Akt im Liebesdiskurs tradiert ist.
1. Das Gedicht inszeniert eine Situation zweier Liebender, die beide durch Seufzen ihr Inneres nach außen kehren. Das lyrische Ich betont den Gegensatz zwischen seiner stillen, heimlichen Klage und dem lauten, offenkundigen Klagen der Geliebten. Damit stellt es sich selbst als wahrhaftig und innerlich konzentriert dar, während es der Geliebten eine gewisse Oberflächlichkeit andeutet.
2. In beiden Strophen wird ein Kontrast aus Wissen und Nicht-Wissen durchgespielt. Das Ich weiß um seine eigene Hingabe, aber es gesteht, keine Kenntnis von den Gefühlen der Geliebten zu haben. Dieses Nicht-Wissen steigert sich im Gedicht zu einem bewussten Schweigen: am Ende erklärt das Ich, nichts wissen und auch nichts sagen zu wollen. Damit verschiebt sich das Gedicht von der Beobachtung zur Selbstbeschränkung.
3. Die Wiederholung des Verses Ich weiß/ daß meine nur auff dich gerichtet sind betont die Exklusivität und Sicherheit des Ichs in seiner Zuwendung. Gerade durch diese doppelte Bekräftigung wird die Unsicherheit über die Gegenseite noch stärker hervorgehoben.
4. In die Zweisamkeit drängt ein dritter Blick ein: der eines möglichen Rivalen, der die Seufzer mit Neid betrachtet. Diese Bemerkung fügt eine gesellschaftliche Dimension hinzu und deutet an, dass Liebe nicht rein privat bleibt, sondern stets der Beobachtung anderer ausgesetzt ist.
5. Formal verdichtet Abschatz das Gedicht zu einer Miniatur, die durch Parallelismus, Antithese und Wiederholung arbeitet. Die strenge Kürze und das Spiel mit Spiegelungen lassen es wie ein barockes Liebesepigramm wirken.
6. In seiner Gesamtaussage thematisiert das Gedicht die Dialektik von Nähe und Distanz in der Liebe: Beide sind im Seufzen vereint, doch gerade das Gemeinsame wird zum Ort des Misstrauens. Das Ich verharrt zwischen Selbstgewissheit und Ungewissheit über die Geliebte und findet im Schweigen den einzig würdevollen Ausweg.