Mein allein/ oder laß es gar seyn?
Beliebe mich für andern zu erwehlen/1
Mein Hertze giebt sich gantz zu eigen dir.2
Doch wo du dir ein Fremdes wirst vermählen/3
Nehm ich das Mein hinwieder auch zu mir.4
Wie sehr mich ie Gelück und Himmel hasset/5
Bleibt doch mein Hertz und meine Treue rein;6
Wann aber dich ein fremdes Joch umfasset/7
Soll mir dein Strick der Weg zur Freyheit seyn.8
1 Beliebe mich für andern zu erwehlen/
Das lyrische Ich bittet oder fordert die Geliebte auf, eine klare Entscheidung zu treffen.
Beliebe signalisiert höfische, aber auch eindringliche Redeweise: es soll im Willen der Geliebten liegen, den Sprecher zum Auserwählten zu machen.
Zugleich ist das für andern ein scharfer Gegensatz: es geht um ein exklusives Wahlverhältnis.
Das Grundthema des Gedichts wird hier eingeführt: Entweder alleinige Hingabe oder völliger Verzicht.
2 Mein Hertze giebt sich gantz zu eigen dir.
Das lyrische Ich stellt seine Bereitschaft zur absoluten Hingabe klar.
Die Herzmetapher verweist auf Innerlichkeit, Treue und Authentizität.
Gantz zu eigen betont Totalität: es gibt keine Halbheit oder Teilung.
In der Logik der Barock-Liebe wird damit eine Art Bindungsvertrag formuliert, in dem Ganzhingabe nur Ganzhingabe erwidern darf.
3 Doch wo du dir ein Fremdes wirst vermählen/
Hier erscheint die Bedingung: sollte die Geliebte ihre Zuneigung oder ihre Ehe an einen Fremden verschenken, so würde der Bund gebrochen.
Das Wort vermählen verweist sowohl auf Eheschließung als auch auf intime Verbindung, wodurch die existenzielle Bedrohung des Ichs deutlich wird.
Das Fremde markiert die Konkurrenz, aber auch die Fremdheit der Alternative: wer nicht der Sprecher ist, ist ein anderer und somit dem Ich entgegengesetzt.
4 Nehm ich das Mein hinwieder auch zu mir.
Schlussfolgerung: die Gabe des Herzens, die zunächst vorbehaltlos angeboten wurde, wird im Falle der Untreue oder Nicht-Erwiderung zurückgenommen.
Hinwieder bedeutet wieder zurück – das Geschenk ist nicht bedingungslos, sondern an Exklusivität gebunden.
Damit schließt sich ein kontrastiver Gedankenkreis: Hingabe vs. Rücknahme, Exklusivität vs. Fremdheit.
5 Wie sehr mich ie [je] Glück und Himmel hasset/
Der Sprecher eröffnet mit einer lamentoartigen Klage: das Schicksal (Glück) und die göttlich-kosmische Ordnung (Himmel) scheinen ihm feindlich gesinnt.
Dies entspricht dem barocken Topos der Fortuna adversa, des wechselhaften oder feindlichen Glücks.
Die hyperbolische Formulierung hasset deutet eine existenzielle Tiefe an: nicht bloß Gleichgültigkeit, sondern bewusste Feindschaft.
Zugleich spiegelt sich hier der barocke Dualismus von weltlicher Liebeserfahrung und metaphysischem Hintergrund.
6 Bleibt doch mein Hertz und meine Treue rein;
Trotz aller widrigen Mächte bleibt das Innere unversehrt: Herz und Treue sind rein.
Hier steht das Motiv der constancy, der beständigen, reinen Liebe im Zentrum, ein Kernideal barocker Liebesethik.
Der Vers wirkt wie ein Kontrastsatz (adversativ: doch): Gegen die Feindseligkeit von Glück und Himmel behauptet sich die Integrität der Treue.
Diese Selbstvergewisserung wird im höfisch-galanten Kontext zugleich zum Beweis der Liebeswürdigkeit.
7 Wann aber dich ein fremdes Joch umfasset /
Der hypothetische Nebensatz öffnet ein dramatisches Szenario: Die Geliebte könnte in die Fesseln eines fremden Jochs geraten, also in die Bindung an einen anderen Mann, sei es aus Zwang, gesellschaftlicher Notwendigkeit oder wechselnder Neigung.
Das Bild des Jochs entstammt dem Bereich der Knechtschaft und Unterdrückung und hebt die Schwere der Situation hervor.
Zugleich klingt ein ökonomisch-sozialer Subtext mit: Heirats- und Bündniszwänge in der höfischen Gesellschaft.
8 Soll mir dein Strick der Weg zur Freyheit seyn.
Die Pointe und paradoxe Wendung: Das Joch oder der Strick, der die Geliebte bindet, wird für den Sprecher zur Freyheit.
Damit artikuliert sich ein ambivalenter Gedanke: Entweder meint er, dass ihre Untreue oder anderweitige Bindung ihn selbst von der Verpflichtung entbindet, also frei macht von leidenschaftlicher Gefangenschaft.
Oder er meint ironisch, dass selbst in ihrer Bindung seine Treue paradox bestehen bleibt, indem er in ihrer Loslösung den eigenen Ausweg findet.
Dieses barocke Oxymoron (Strick als Weg zur Freiheit) inszeniert den inneren Konflikt von Liebe, Treue und Selbstbehauptung.
Das Gedicht umfasst zwei Strophen mit jeweils vier Versen, die einen geschlossenen, fast dialektischen Aufbau besitzen:
Strophe 1 (V. 1–4): Liebesbekenntnis und totale Hingabe, jedoch mit sofortigem Vorbehalt: sollte der Geliebte/die Geliebte einen anderen wählen, nimmt das sprechende Ich sein Herz zurück. → Spannung zwischen Totalität der Hingabe und bedingter Reversibilität.
Strophe 2 (V. 5–8): Vertiefung ins Schicksalhafte. Trotz Unglück bleibt die Treue rein; aber wenn das Gegenüber sich an ein fremdes Joch bindet, wird das Band selbst zum Befreiungsakt. → paradoxe Logik: Treue bis zur Grenze – dann Umwandlung in Freiheit.
Der Verlauf ist somit organisch: von Zuwendung → Bedingung → Treue → Überstieg in Freiheit. Ein kleiner, in sich geschlossener Zyklus von Liebe, Prüfung, Läuterung und Loslösung.
Das Gedicht spiegelt den Konflikt zwischen Bindung und Freiheit. Liebe ist nicht nur Hingabe, sondern auch Selbstbewahrung.
Es berührt die Frage nach der Kontingenz des Anderen: das Ich kann sich nicht selbst genügen, aber es muss die Freiheit behalten, sich zurückzunehmen.
Dialektik von Treue und Autonomie: wahre Treue ist kein Selbstverlust, sondern enthält die Möglichkeit, Freiheit zurückzugewinnen, wenn der Bund verraten wird.
Implizit steckt eine Reflexion über das Subjektsein in der Liebe: das Ich ist nicht nur passiv gebunden, sondern aktiv, souverän und frei.
Starke Ambivalenz: totale Hingabe (fast ekstatisch) versus Selbstschutz (fast defensiv).
Der Sprecher zeigt Verletzlichkeit: er bietet alles, weiß aber um die Möglichkeit der Zurückweisung.
Psychologischer Mechanismus: Vorwegnahme von Verlust, um ihn innerlich zu entschärfen – ein Schutzmechanismus gegen mögliche Enttäuschung.
Gleichzeitige Demonstration von Selbstachtung: das Ich will nicht in Abhängigkeit verfallen, sondern behält seine Integrität.
Treue ist der höchste Wert: selbst unter Unglück und Hass der Welt bleibt sie unversehrt.
Aber diese Treue ist nicht blind; sie ist an Wechselseitigkeit gebunden.
Ethisch zeigt sich hier eine Haltung zwischen Selbsthingabe (caritas) und Selbstbehauptung (justitia).
Das Gedicht impliziert eine moralische Grenze: Liebe darf nicht zu Knechtschaft werden; sobald das Band unrechtmäßig wird (das fremde Joch), ist Befreiung geboten.
In anthroposophischer Sicht (Steiner) wäre die Dialektik zwischen Hingabe und Freiheit ein Grundmotiv der Entwicklung des Ich.
Liebe wird nicht als bloße Emotion verstanden, sondern als Ich-Tat: das Ich gibt sich, aber es bleibt Herr seiner Kräfte.
Der Übergang vom Strick (Bindung) zur Freiheit deutet eine Transformation an: das Niederziehende wird zum Impuls des Befreienden.
Man könnte sagen: der Mensch übt sich hier in der Bewusstseinsseele, indem er die Beziehung als geistige Prüfung deutet, die sein Ich zu Freiheit führt.
Sprachlich zeigt sich die für den Barock typische Antithetik: Herz geben – Herz zurücknehmen; Treue rein – fremdes Joch.
Der Klangfluss (Alliterationen, Assonanzen) verstärkt die Emotionalität (Herz, Hass, rein, Freiheit).
Das Gedicht lebt von der Verdichtung in paradoxen Wendungen: der Strick, der fesselt, wird zum Weg in die Freiheit.
Ästhetisch also ein Miniatur-Beispiel für barocke Concettokunst: scharfe, pointierte Wendungen, die eine geistige Überraschung erzeugen.
Auf der Metaebene reflektiert das Gedicht die Bedingungen von Liebeslyrik selbst: wie kann Dichtung zwischen Hingabe und Distanz balancieren?
Es thematisiert die Poetik der Autonomie: das Ich inszeniert sich als leidenschaftlich, aber nicht willenlos.
Man könnte es auch als eine barocke Selbstversicherung des lyrischen Subjekts lesen: ein Experiment, wie man Liebe sagt, ohne sich sprachlich und existenziell zu verlieren.
Darüber hinaus wird die anthropologische Grundfrage gestellt: ist der Mensch im Innersten gebunden (Herz, Treue) oder frei (Weg, Selbstzurücknahme)?
Hans Aßmann von Abschatz’ kurzes Gedicht ist eine barocke Miniatur über die Dialektik von Liebe, Treue und Freiheit.
Es entfaltet einen organischen Verlauf von Hingabe über Bedingung bis zur Befreiung.
Philosophisch berührt es das Problem der Selbstbestimmung im Angesicht der Liebe;
psychologisch zeigt es die Spannung von Hingabe und Selbstschutz;
ethisch thematisiert es die Grenze zwischen legitimer Treue und illegitimer Knechtschaft;
anthroposophisch lässt sich eine Transformation des Fesselnden ins Befreiende erkennen.
Ästhetisch ist es ein Beispiel für barocke Antithetik und Concetto-Kunst, während es auf Metaebene die poetische Selbstbehauptung des Subjekts reflektiert.