Könte man für Liebe sterben/ wär ich längstens kalt und todt/1
Solte sie ein Feuer heissen/ wär ich längstens Asch und Koth:2
Doch ist sie kein Tod zu nennen/ woher fühl ich solche Schmertzen?3
Und ist sie kein brennend Feuer/ was kocht so in meinem Hertzen?4
1 Könte man für Liebe sterben/ wär ich längstens kalt und todt/
Sprachlich: Der Konditionalsatz (Könte man …) eröffnet das Gedicht mit einem hypothetischen Gedankenexperiment. Die altertümliche Form Könte (statt könnte) und die Verdopplung kalt und todt erzeugen Intensität und bilden eine dichterische Steigerungsfigur.
Rhetorisch: Es liegt ein Konjunktivus irrealis vor: die Rede von einer Möglichkeit, die nicht Realität ist. Dies schafft Pathos und unterstreicht die existentielle Überhöhung der Liebe. Die Verdopplung (kalt und todt) dient als Hendiadyoin: nicht bloß Tod, sondern die anschauliche Konkretion der physischen Kälte.
Inhaltlich: Das lyrische Ich behauptet, dass die Liebe eine so übermächtige Kraft sei, dass, wenn sie tatsächlich tödlich wäre, es selbst längst gestorben wäre. Die Hyperbel hebt die Intensität des Liebesleidens hervor. Der Tod erscheint paradoxerweise als schon überwunden oder vorweggenommen – eine Topik, die an petrarkistische Liebeslyrik erinnert.
2 Solte sie ein Feuer heissen/ wär ich längstens Asch und Koth:
Sprachlich: Wiederholung der konditionalen Struktur. Feuer heissen ist eine poetische Umschreibung: nicht nur metaphorisch brennen, sondern als Feuer benannt werden. Asch und Koth verbindet Erhöhung (Asche als klassisches Bild der Leidenschaftsvernichtung) mit Degradierung (Koth als grobstofflicher Rest).
Rhetorisch: Die Wiederholung (Solte …) verstärkt den Parallelismus mit Vers 1 und erzeugt eine antithetische Variation. Asyndetische Doppelung Asch und Koth wirkt drastisch, beinahe derb, und durch die Alliteration von k (kalt, koth) wird eine lautliche Verbindung zu Vers 1 hergestellt.
Inhaltlich: Liebe als Feuer ist ein jahrhundertealtes Topos (Ovid, Petrarca). Der Sprecher greift dieses Bild auf, verkehrt es aber ins Extreme: er wäre längstens (d.h. längst, schon vor geraumer Zeit) verbrannt und zur gänzlichen Substanzauflösung herabgesunken. Die Betonung des völligen Verzehrens steigert die Liebesqual ins Apokalyptische.
3 Doch ist sie kein Tod zu nennen/ woher fühl ich solche Schmertzen?
Sprachlich: Mit Doch tritt ein adversativer Umschlag ein. Die Formulierung kein Tod zu nennen ist litotisch: die Liebe sei zwar nicht wirklich der Tod – und doch kommt das Sterben im Gefühlserlebnis nahe. Die Interjektion in Frageform (woher fühl ich…?) signalisiert inneres Aufbegehren.
Rhetorisch: Antithese und rhetorische Frage sind hier die zentralen Mittel. Durch den Bruch mit den bisherigen Hypothesen entsteht Spannung: es wird eingeräumt, dass Liebe nicht Tod sei, aber dann sofort die Realität der empfundenen Schmerzen geltend gemacht. Die rhetorische Frage verleiht Unruhe und Bewegung.
Inhaltlich: Der Sprecher problematisiert die Differenz zwischen Metapher und Erfahrung. Liebe ist kein Tod – und dennoch wird ein Schmerz erfahren, der nicht geringer als der des Todes scheint. Hier tritt ein Reflexionsmoment auf: nicht mehr bloß Hyperbel, sondern philosophisches Staunen über die Diskrepanz von Begriff und Empfindung.
4 Und ist sie kein brennend Feuer/ was kocht so in meinem Hertzen?
Sprachlich: Wieder eine adversative Struktur mit erneuter rhetorischer Frage. Brennend Feuer ist ein Pleonasmus, der die Bildhaftigkeit verstärkt. Kocht im Herzen evoziert ein fast körperlich-sinnliches Bild innerer Glut, zugleich auch eine naturphilosophische Metapher (Körper als Gefäß).
Rhetorisch: Die Figur der Anapher (Wiederholung der Verneinung: kein Tod … kein brennend Feuer) erzeugt Parallelität. Der Kontrast zwischen Verneinung und zugleich drastisch erfahrener innerer Erhitzung steigert den paradoxalen Effekt. Die rhetorische Frage setzt einen offenen Schlusspunkt, der keine Antwort erlaubt, sondern nur das Leiden exponiert.
Inhaltlich: Die Liebe wird wiederum nicht als Feuer anerkannt – und doch brennt es im Innern. Das Kochen markiert eine Eskalation der inneren Bewegung, eine Vitalisierung des Schmerzes. Liebe erscheint hier als paradoxes Phänomen: sie ist nicht Tod und nicht Feuer, und doch übertrifft sie beides in der Realität ihrer Wirkungen.
Das Gedicht besteht nur aus einer Strophe von vier Versen, entfaltet aber in einer kunstvollen Parallelführung eine innere Logik:
1. Hypothetische Bilder des Todes und der Verbrennung: Der Sprecher entwirft zwei Szenarien (Tod durch Liebe, Verbrennen im Feuer der Liebe). Beide werden verworfen, da sie nicht zutreffen – und dennoch behauptet er, schon längst untergegangen zu sein.
2. Negationen und Fragen: In den letzten beiden Versen wendet sich der Sprecher paradoxen Fragen zu: Wenn Liebe weder Tod noch Feuer ist, wie lassen sich dann die empfundenen Schmerzen und die innere Glut erklären?
3. Paradoxe Bewegung: Der Aufbau ist kreisförmig: vom Bild des Todes über das Bild des Feuers hin zur paradoxen Unmöglichkeit einer begrifflichen Fassung. Die Liebe wird so poetisch als unaussprechliche, weder rational noch metaphorisch fassbare Macht dargestellt.
Der Verlauf ist also progressiv in der Bildgebung (Tod → Feuer → unbenennbare Schmerzen), zugleich regressiv in der begrifflichen Fassung (alles wird negiert).
Das Gedicht erfasst die Liebe als Affekt, der die Seele überwältigt.
Die paradoxe Redeweise (kein Tod, kein Feuer, und doch Schmerz und Glut) zeigt, dass der Sprecher nicht in der Lage ist, seine Empfindungen in kohärente Kategorien zu fassen.
Das verweist auf eine psychologische Erfahrung der Ambivalenz: Liebe als Lust und Schmerz, als Lebenskraft und Todesnähe zugleich.
Die Fragen im dritten und vierten Vers sind Ausdruck von innerer Zerrissenheit und Selbstbeobachtung: Der Liebende betrachtet sein eigenes Erleben und scheitert an der Erklärung.
Damit wird eine frühe Form psychologischer Reflexion literarisch gestaltet: das Bewusstsein, dass Gefühle stärker sind als die begriffliche Logik.
Ethik ist hier nicht moralisch im Sinne sozialer Normen, sondern im Sinne einer Reflexion des Lebensvollzugs angesprochen:
Die Liebe wird als eine Macht dargestellt, die den Menschen übersteigt und ihn an die Grenze von Leben und Tod führt.
Indem der Sprecher Liebe nicht einfach verklärt, sondern in ihrer Schmerzhaftigkeit thematisiert, stellt sich die Frage nach der legitimen Hingabe: Darf man sich einer solchen Macht ausliefern, wenn sie doch den Menschen zerstört?
Es liegt ein leiser Unterton von Selbstkritik: Der Sprecher erkennt, dass er in etwas verstrickt ist, das er weder beherrschen noch rechtfertigen kann.
Die paradoxe Logik der Verse (Liebe ist kein Tod, aber sie tötet; kein Feuer, aber sie brennt) erinnert an mystische Sprachfiguren, etwa bei Bernhard von Clairvaux oder später Angelus Silesius: die Liebe als eine Realität, die in Gegensatzpaaren nicht auflösbar ist.
1. Ontologische Dimension: Liebe wird als etwas Drittes vorgestellt, das über Tod und Feuer hinausgeht – eine eigene Substanz oder Kraft. Sie ist nicht wie etwas anderes, sondern sui generis.
2. Theologische Nähe: In christlicher Tradition ist die göttliche Liebe (caritas) selbst ein Feuer, das nicht vernichtet, sondern verwandelt. Abschatz spielt unbewusst mit dieser Dimension, indem er die zerstörerische Seite der Liebe (Eros) hervorhebt, aber in paradoxer Nähe zur göttlichen Liebesflamme steht.
3. Philosophische Tiefenschicht: Die Paradoxien deuten auf eine frühe Einsicht in das, was später in der Romantik gesteigert wird: dass die Liebe eine Erfahrungsform des Absoluten ist, die sich rationaler Bestimmung entzieht.
Moralisch gesehen konfrontiert das Gedicht mit der Frage: Was richtet die Liebe im Menschen an?
Sie entzieht ihm Kraft und Ruhe, stellt ihn an den Rand des Todes.
Die moralische Ambivalenz liegt darin, dass Liebe hier nicht als Tugend oder sozial verbindendes Band erscheint, sondern als exzessiver Affekt, der die Maßhaltung sprengt.
Die Moral des Gedichts liegt gerade in seiner Warnung: Liebe ist gefährlich, sie lässt sich nicht domestizieren. Wer sich ihr hingibt, riskiert Selbstverlust.
Das Gedicht kreist um Liebe als Kraft, die über bloßes Gefühl hinausgeht und in ihrer Intensität das Leben bedroht oder zu transzendieren scheint. In anthroposophischer Lesart lässt sich Liebe als eine über das Ich hinauswirkende Energie verstehen, die den Menschen mit kosmischen und geistigen Kräften verbindet.
Tod und Feuer werden als Bilder für seelische Transformation eingesetzt. Doch die Liebe erweist sich weder als reiner Tod noch als bloßes Feuer, sondern als ein Zwischenzustand, der den Menschen innerlich aufrüttelt und ihn in einen Wandlungsprozess führt.
Die Spannung zwischen Schmertzen und Kochen im Hertzen verweist auf die Initiationserfahrung: das Ich wird in der Liebe bis an die Grenze geführt, ohne vernichtet zu werden. Dies entspricht einer Erhitzung und Reinigung des inneren Wesens, wie sie anthroposophisch in den Prozessen von Katharsis und Vergeistigung beschrieben wird.
Das Gedicht lebt von Antithesen und paradoxen Wendungen:
Liebe wird zunächst hypothetisch als Tod oder Feuer bestimmt, doch gleich darauf negiert.
Der Effekt liegt in einer ästhetischen Bewegung des Entzugs: die Liebe ist gerade das, was sich nicht eindeutig fassen lässt.
Form: Alexandriner mit deutlicher Kadenz und rhetorischer Schärfe. Das kurze Gedicht gewinnt seine Schönheit aus der präzisen Verdichtung der Bilder und der überraschenden Umkehrungen.
Ästhetisch wird so das Ineffabile inszeniert – die Liebe als das, was sich immer der abschließenden Definition entzieht, und doch in Empfindungsbildern Ausdruck findet.
Das Gedicht ist streng rhetorisch gebaut:
Hypothetische Konditionalsätze (Könte man…, Solte sie…) eröffnen die ersten zwei Verse.
Antithetische Figuren (kein Tod / solche Schmertzen; kein Feuer / was kocht so).
Paradoxon: Liebe ist weder Tod noch Feuer und wirkt doch wie beides.
Fragerhetorik: zwei Fragen in den Versen 3 und 4 verlagern das Gedicht ins Offene, lassen den Sprecher in einer Bewegung des Zweifelns und Staunens zurück.
Rhetorisch wird so eine Spannung zwischen Definition und Negation aufgebaut, die Liebe als unaussprechliche Kraft charakterisiert.
Das Gedicht reflektiert nicht nur über Liebe, sondern zugleich über die Unmöglichkeit, sie sprachlich zu fixieren.
Der Versuch, Liebe in Bildern zu fassen (Tod, Feuer), scheitert an der Erfahrung, die über das Bild hinausgeht.
Auf der Metaebene zeigt sich eine poetische Selbstreflexion: Sprache kann Liebe nur annähern, nie definieren.
Die Unruhe der Fragen spiegelt das Suchen nach adäquatem Ausdruck und enthüllt das Gedicht als Prozess, nicht als abgeschlossene Definition.
Poetologisch steht das Gedicht exemplarisch für die barocke Liebesdichtung, die im Spiel von Antithese, Allegorie und Paradox den Ausdruck der Innerlichkeit sucht.
Liebe ist hier nicht bloß Gegenstand, sondern auch eine poetische Probe auf die Möglichkeiten der Sprache: Wie kann man das Unaussprechliche darstellen?
Das Gedicht verweist auf das Grundproblem der Poesie: sie lebt von Bildern, die aber nie ganz aufgehen.
Damit zeigt sich eine Poetik des Scheiterns im Ausdruck – gerade darin entfaltet die Poesie ihre Kraft.
Das Gedicht von Aßmann ist ein Miniaturbeispiel barocker Verdichtung: in vier Versen wird die Liebe als existenzielle, zugleich lebensgefährliche und schöpferische Macht dargestellt.
Abschatz gestaltet in nur vier Versen eine dichte paradoxale Reflexion über das Wesen der Liebe. Er bewegt sich in der Tradition barocker Liebeslyrik, die das Erleben mit Hyperbeln, Todes- und Feuerbildern steigert, zugleich aber die Grenzen der Metapher reflektiert.
Das Gedicht zeigt in knappster Form die Unfassbarkeit der Liebe: sie ist weder Tod noch Feuer, und doch wirkt sie tödlich und brennend.