An seine Augen
Ihr Augen/ deren Licht mit diesem Lichte spielt/1
Das eure Stralen dunkel macht/2
Gebt wohl auff eure Sachen acht/3
Seht/ wie mein Feind bereits auff unser Unglück zielet.4
Ich kan den Angelstern in mein Gemütte schlüssen5
Der in gewünschten Hafen führt;6
Ihr aber/ Augen/ ihr verliert7
Das Licht/ ohn das ihr irrt in trüben Finsternissen.8
Seht/ weil ihr sehen könt/ eh Nacht und Regen kommen/9
Schöpfft kurtzen Trost vor lange Pein10
Von diesen süssen Augen ein/11
Eh euch Gelegenheit durchs Scheiden wird benommen.12
1 Ihr Augen/ deren Licht mit diesem Lichte spielt/
Sprachlich: Der doppelte Gebrauch des Wortes Licht wirkt bewusst klanglich und semantisch verschränkt. Ein Parallelismus entsteht, der den Kontrast von innerem und äußerem Licht vorbereitet.
Das Pronomen Ihr stellt die Augen personifiziert als selbständige Instanz heraus.
Rhetorisch: Die Augen werden direkt apostrophiert (Anrede), wodurch eine lebendige, fast theatralische Nähe zwischen Sprecher und den adressierten Organen entsteht.
Die Wendung spielt ist eine Metapher, die Leichtigkeit, Wechselhaftigkeit und Interaktion zwischen zwei Lichtquellen betont (Augenlicht und äußeres Licht).
Inhaltlich: Die Augen sind Träger von Glanz und Ausdruck, zugleich Spiegel und Gegner des äußeren Lichts.
Schon hier klingt eine Spannung an: das eigene Sehen ist nicht autonom, sondern abhängig von einem anderen Licht (wahrscheinlich das Licht der Geliebten oder das Licht der Wahrheit/der Sonne).
Beginn einer Konstellation: die Augen als Verbündete oder als gefährdete Mitspieler im Drama der Liebe.
2 Das eure Stralen dunkel macht/
Sprachlich: Der Satz ergänzt syntaktisch Vers 1 und verdeutlicht die Relation: das andere Licht überstrahlt, ja verdunkelt das eigene Augenlicht.
Das Wort Stralen (Strahlen) verweist auf Intensität und Kraft der Augen, die aber nun relativiert wird.
Rhetorisch: Antithese von Stralen (Helligkeit, Glanz) und dunkel machen (Verdunkelung, Schwächung).
Implizite Hyperbel: das Licht, das die eigenen Augen überstrahlt, muss von überwältigender Macht sein.
Inhaltlich: Inhaltlich deutet sich hier das Motiv der Unterlegenheit an: das Auge, Symbol der Wahrnehmung, verliert seine Macht im Angesicht eines höheren Prinzips (wohl das Auge oder Antlitz der Geliebten, vielleicht auch die feindliche Macht).
Dieses dunkel Machen könnte sowohl als erotische Überwältigung wie auch als existenzielle Bedrohung gelesen werden.
3 Gebt wohl auff eure Sachen acht/
Sprachlich: Imperativ an die Augen: Gebt wohl auff – altertümliche orthographische Fügung, die Dringlichkeit und Mahnung transportiert.
Das Wort Sachen ist relativ unspezifisch, aber gerade dadurch allgemein warnend: die Augen sollen auf alles achten.
Rhetorisch: Exhortatio (ermahnende Redeform), typisch für barocke Lyrik, die eine moralische Dimension anklingen lässt.
Der Sprecher tritt als Wächter seiner eigenen Organe auf – ein paradoxes Rollenspiel, das ironische Nuancen enthält: das Ich redet mahnend zu sich selbst durch die Augen.
Inhaltlich: Der Vers steigert die Spannung: die Augen müssen wachsam sein, da Gefahr droht.
Gleichzeitig klingt die Ohnmacht des Ich an: es kann nicht direkt handeln, sondern muss seine Organe bitten, selbst achtzugeben.
Dies reflektiert eine barocke Anthropologie, in der die Sinne autonome Kräfte sind, die kontrolliert oder zur Wachsamkeit ermahnt werden müssen.
4 Seht/ wie mein Feind bereits auff unser Unglück zielet.
Sprachlich: Der Imperativ Seht knüpft direkt an den Imperativ des dritten Verses an – eine Verdichtung der Mahnrede.
mein Feind und unser Unglück verbinden Individuum und Augen in einer Schicksalsgemeinschaft.
Rhetorisch: Personifikation des Feindes, der zielet – militärische Metaphorik, die den Topos von Liebe als Krieg aufruft.
Kontrast: mein Feind versus unsere Augen; das Kollektiv wird in das Ich hineingezogen.
Dramatische Steigerung: von warnender Mahnung zur akuten Gefahrenmeldung.
Inhaltlich: Der Feind ist wohl die Macht der Geliebten, die mit ihrem Blick (Licht) die Augen des lyrischen Ichs bedroht.
Barocktypische Motivik: der Liebende erlebt sich als Opfer, ja als Kriegsgefangener des Blickes.
Die Augen werden zur Frontlinie, an der die Schlacht um das Ich ausgetragen wird.
Der letzte Vers der Strophe bringt die Wendung von reinem Lichtspiel hin zur tödlichen Bedrohung.
5 Ich kan den Angelstern in mein Gemütte schlüssen
Sprachlich: Das Verb schlüssen ist ein frühneuhochdeutscher Ausdruck für einschließen, festhalten und trägt zugleich einen metaphorischen Beiklang: etwas ins Innere, in die Schatzkammer der Seele aufnehmen. Angelstern verweist auf den Nordstern (Polaris) oder allgemein auf den Leitstern, der in der Navigation Orientierung gibt.
Rhetorisch: Wir haben hier eine Metapher, die zwischen Kosmologie und Innerlichkeit vermittelt: das äußere Himmelsphänomen wird als geistig verinnerlicht. Der Angelstern ist zudem ein Emblem für konstante Orientierung.
Inhaltlich: Das lyrische Ich betont seine Fähigkeit zur Innerlichkeit: Es kann den Leitstern (also das höchste, richtungsgebende Prinzip) in sein Gemüt aufnehmen. Dies ist Ausdruck einer geistigen Sammlung und einer Art inneren Kompasses, der auf das Gute, Wahre oder Geliebte ausgerichtet ist.
6 Der in gewünschten Hafen führt;
Sprachlich: Die nautische Metapher wird fortgeführt. Hafen ist hier nicht bloß der geographische Zielort, sondern symbolisiert Ruhe, Sicherheit, Geborgenheit – häufig auch das Jenseits oder die Liebe als Zielhafen. Das Adjektiv gewünscht verweist auf Sehnsucht und Teleologie: der Hafen ist ersehnt und vorbestimmt.
Rhetorisch: Die klassische Topik der Lebensfahrt wird aktiviert. Der Stern als Führer und der Hafen als Ziel bilden eine Allegorie des menschlichen Lebensweges, gesteuert durch Orientierung am Höheren.
Inhaltlich: Der Stern (als Symbol des Göttlichen oder des Ideals) ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel: er leitet sicher in den ersehnten Endzustand. Damit wird eine Perspektive der Heilsgewissheit eröffnet, die zugleich spirituell wie auch amourös gelesen werden kann.
7 Ihr aber/ Augen/ ihr verliert
Sprachlich: Die Apostrophe Ihr aber/ Augen setzt einen deutlichen Bruch im Redefluss. Das lyrische Ich wechselt von der allgemeinen nautisch-astralen Metaphorik zur direkten Anrede seiner Augen, die in das Gedicht als handelnde oder leidende Instanz einbezogen werden.
Rhetorisch: Typisch barocke Antithetik: Das aber kontrastiert die Fähigkeit des Gemüts mit der Schwäche der Augen. Zugleich tritt eine Personifikation ein: die Augen verlieren aktiv etwas, als seien sie selbstständige Akteure.
Inhaltlich: Während das Gemüt den Leitstern einschließen kann, erweisen sich die Augen als unzuverlässig, da sie das Licht verlieren. Damit wird die Spannung zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung markiert: die Seele hat geistige Orientierung, die Sinne hingegen erleiden Mangel.
8 Das Licht/ ohn das ihr irrt in trüben Finsternissen.
Sprachlich: Ohn das bedeutet ohne welches. Irrt deutet auf Verirrung, Verfehlen des rechten Weges hin. Trübe Finsternisse ist eine tautologische Steigerung, die die absolute Abwesenheit von Orientierung betont.
Rhetorisch: Antithetik und Paradoxie wirken zusammen: Während das Gemüt durch den Stern geführt wird, verlieren die Augen ihr Licht. Das Licht-Motiv fungiert als zentraler Topos der barocken Erkenntnislehre: Licht = Wahrheit, Finsternis = Irrtum. Die Wiederholung (trübe und Finsternisse) erzeugt eine rhetorische Amplifikation, die das Bild der Sinnestäuschung verstärkt.
Inhaltlich: Das Bild kulminiert: ohne Licht (also ohne das göttliche oder geistige Prinzip) irren die Augen durch Dunkelheit. Sinnliche Wahrnehmung führt ohne geistige Orientierung in die Irre. Das ist ein typisch barocker Dualismus von sensualitas und spiritualitas: der Leib täuscht, der Geist trägt.
9 Seht/ weil ihr sehen könt/ eh Nacht und Regen kommen,
Sprachlich: Der Vers beginnt mit einem Imperativ Seht, der Aufmerksamkeit fordert und als apostrophische Anrede wirkt. Der Einschub weil ihr sehen könt hat einen fast tautologischen Charakter, verstärkt aber den Moment des Augenblicks: das Sehen soll geschehen, solange das Sehen selbst möglich ist. Die Konjunktion eh (ehe) bringt eine zeitliche Dringlichkeit.
Rhetorisch: Anapherartiger Beginn (Seht / sehen) verstärkt die Sinnesdimension. Die Metaphern Nacht und Regen tragen einen topischen Charakter: Nacht = Dunkelheit, Ende der Schau, vielleicht auch Tod; Regen = Trübung, Verhüllung des Blicks, Leiden. Hier wird die klassische Metaphorik von Licht und Finsternis verwendet.
Inhaltlich: Der Sprecher mahnt zum Schauen, bevor das Unvermeidliche kommt: Nacht als Bild für Vergänglichkeit, Regen für Tränen, Leid oder trübe Lebensumstände. Der Vers enthält einen memento mori-Ton: Nutzt den Augenblick, bevor er vorbei ist.
10 Schöpfft kurtzen Trost vor lange Pein
Sprachlich: Archaische Orthographie (kurtzen statt kurzen) verweist auf das Zeitempfinden: Kürze und Länge stehen in Kontrast. Der Lautklang von Trost und Pein kontrastiert auch semantisch.
Rhetorisch: Antithetische Gegenüberstellung: kurz vs. lang, Trost vs. Pein. Das Paradox besteht darin, dass etwas Flüchtiges (kurzer Trost) gegen etwas Dauerndes (lange Pein) aufgewogen werden soll. Die Imperativform (schöpfft) appelliert erneut an den Leser.
Inhaltlich: Der Blick in die Augen der Geliebten wird als Quelle eines momentanen Trostes beschrieben, der zwar vergänglich ist, aber doch Linderung verschafft im Angesicht langer Leiden. Zeitliche Spannung: das Jetzt gegen die kommende Ewigkeit der Entbehrung.
11 Von diesen süssen Augen ein/
Sprachlich: süssen Augen ist eine konventionalisierte Petrarkistische Metapher für das Geliebte; süß verbindet Sinnlichkeit, Sehnsucht, Liebe. Die Syntax bricht hier syntaktisch den Fluss: der Vers bleibt formal unvollständig, läuft ins nächste hinein (Enjambement).
Rhetorisch: Metonymische Figur: die Augen stehen für die ganze Geliebte, aber auch für die Quelle des Blickkontakts, der Trost spendet. Hyperbaton durch die ungewöhnliche Stellung verstärkt den Fokus auf Augen.
Inhaltlich: Der Trost wird lokalisiert und konkretisiert: er entspringt einzig und allein dem Anblick der Augen. Die Augen sind Quelle der Liebeserfahrung, sie vermitteln Nähe, auch wenn die physische Vereinigung nicht möglich ist.
12 Eh euch Gelegenheit durchs Scheiden wird benommen.
Sprachlich: Wiederum eh = zeitliches ehe, unterstreicht den flüchtigen Charakter. Gelegenheit (Chance, Möglichkeit) ist eine abstrakte Größe, die durch Scheiden (Trennung, Abschied, vielleicht Tod) aufgehoben wird. Der Satz ist syntaktisch geschlossen, führt die Strophe zum Ende.
Rhetorisch: Personifikation der Gelegenheit, die benommen wird – d.h. geraubt, entzogen. Antithese von Gegenwartsmöglichkeit vs. zukünftiger Entzug.
Inhaltlich: Der Vers markiert die Endgültigkeit des Verlustes: das, was jetzt noch möglich ist (das Schauen, das Trostschöpfen), wird bald durch die Trennung verwehrt. Scheiden kann sowohl physische Trennung zweier Liebender bedeuten als auch metaphysisch den Tod.
Das Gedicht ist in drei Strophen von jeweils vier Versen gebaut. Es entfaltet sich in einer Bewegung von Wahrnehmung über Reflexion hin zu Mahnung:
1. Strophe 1: Die Augen des lyrischen Ichs (oder der Geliebten?) stehen im Zentrum. Sie spielen mit einem anderen Licht, doch werden von diesem verdunkelt. Schon hier tritt ein Feind auf, der auf Unglück zielt. Die Augen sind damit nicht nur Organe des Sehens, sondern auch Orte der Gefährdung.
2. Strophe 2: Das lyrische Ich hat in sich selbst einen Angelstern, einen inneren Leitstern, der zum sicheren Hafen führt. Die Augen hingegen verlieren ihr Licht und drohen, in Finsternis zu geraten.
3. Strophe 3: Mahnung und Appell: Die Augen sollen Trost aus einem höheren Licht (oder von den süssen Augen Christi?) schöpfen, bevor Nacht, Regen und endgültige Trennung hereinbrechen. Der Schluss markiert eine Barock-gemäße Vanitas-Dramaturgie: Gelegenheit ist flüchtig, und das Heil hängt am rechten Gebrauch des Sehens.
Psychologisch zeigt das Gedicht eine Spannung zwischen innerem Halt und äußerer Verführbarkeit.
Die Augen sind in der barocken Symbolik zugleich das Tor zur Seele und das Organ der Versuchung. Sie werden hier als anfällig beschrieben: Sie spielen mit Licht, lassen sich blenden, verlieren Orientierung.
Das Ich dagegen behauptet, in sich einen Angelstern zu tragen – ein Selbstbild des inneren, geistigen Sehens. Dies ist psychologisch ein Konflikt zwischen innerer Sammlung und äußerer Zerstreuung.
Die Mahnung richtet sich weniger gegen ein äußerliches Übel, sondern gegen die eigene Neigung zur Ablenkung, zum Verweilen im falschen Licht.
Ethisch deutet das Gedicht auf die Verantwortung hin, das Sehen richtig zu gebrauchen.
Die Augen sind nicht neutral, sondern schuldig zu machen, wenn sie das falsche Licht wählen oder die rechte Gelegenheit versäumen.
Ethik erscheint hier als Disziplinierung der Sinne: Wer das Sehen zügellos den Verlockungen überlässt, läuft Gefahr, die innere Wahrheit zu verlieren.
Zugleich tritt die ethische Verantwortung des Augenblicks hervor: man soll Trost und Heil erkennen, solange es noch Zeit ist (eh Nacht und Regen kommen).
Hier öffnet sich die tiefste Schicht des Gedichts.
1. Das Spiel der Lichter: Die Augen spielen mit einem Licht, das sie selbst verdunkelt. Theologisch lässt sich das als Allegorie der sündigen Neigung deuten: die Augen suchen das falsche, vergängliche Licht (Eitelkeit, Schönheit, Weltglanz) und verlieren darüber das wahre, göttliche Licht.
2. Der Angelstern: Der Leitstern, der ins Heil führt, ist eine uralte christliche Metapher für Christus (stella maris in der marianischen Tradition, aber auch der Morgenstern der Offenbarung). Das Ich bekennt, diesen Stern im Innern zu haben – eine mystische Wendung zur inneren Christusgegenwart.
3. Finsternis und Verirrung: Wenn das innere Licht verloren geht, bleibt nur Verblendung, trübe Finsternisse. Das ist die barocke Eschatologie: ohne göttliches Licht gibt es Orientierungslosigkeit und Verderben.
4. Zeit und Gelegenheit: Barocke Theologie betont die Dringlichkeit des Kairós – der rechte Augenblick muss ergriffen werden, sonst ist es zu spät. Die Augen sollen sehen, solange sie können, bevor Nacht und Regen (Tod, Gericht) eintreten.
5. Christologische Dimension: Die süssen Augen (V. 11) lassen sich als die Augen Christi lesen, die Trost und Heil spenden. Das Ich ermahnt seine eigenen Augen (oder die der Geliebten), daraus Trost zu schöpfen, bevor die Trennung von Gott durch Sünde und Tod geschieht.
Das Gedicht trägt eine klare moralische Botschaft: Nutze die Sinne, solange sie dir gegeben sind, nicht zum Spiel mit eitlen Lichtern, sondern zur Hinwendung zum göttlichen Licht.
Moralisch ist dies ein Appell zur Enthaltsamkeit, Wachsamkeit und zum rechten Gebrauch der Augen.
Auch steckt darin die barocke Vanitas-Moral: alles Irdische vergeht, nur das göttliche Licht bleibt. Deshalb soll man nicht im Spiel mit dem falschen Licht sich verlieren, sondern den Angelstern suchen.
Das Gedicht richtet sich in dialogischer Form an die eigenen Augen des lyrischen Ichs. Die Augen erscheinen nicht nur als Sinnesorgane, sondern als selbständige Wesen, die Verantwortung tragen und Warnungen empfangen können. Anthroposophisch gesehen stehen die Augen für das Tor zwischen innerer und äußerer Welt: sie sind Spiegel des Ichs, aber auch Gefahr, da sie von äußeren Lichtern geblendet und in Finsternis geführt werden können.
Das Licht ist mehr als optisch: es ist eine geistige Helligkeit, die Orientierung schenkt.
Der Angelstern verweist auf eine überirdische, richtungsweisende Kraft (Stern als Schicksals- und Geisteszeichen), die ins Innere (in mein Gemütte) aufgenommen werden kann.
Die Aufforderung, sich zu besinnen, bevor Nacht und Regen kommen, erinnert an anthroposophische Mahnungen: den rechten Moment zur seelischen Sammlung zu nutzen, ehe die dunklen Mächte von Vergessenheit und Schmerz die Seele überwältigen.
Das Gedicht entfaltet ein barockes Spiel mit Gegensätzen: Licht und Dunkel, Sehen und Irren, Trost und Pein, Nähe und Scheiden. In dieser Polarität entfaltet sich die barocke Ästhetik der Vanitas: alles Schöne (die süssen Augen) ist vergänglich und muss genossen werden, solange es gegenwärtig ist.
Der Klang des Gedichts ist kunstvoll gebaut: Assonanzen (Licht / mit diesem Lichte) und Parallelismen strukturieren die Strophen.
Der Wechsel zwischen warnendem Ton und zärtlicher Bitte erzeugt eine dynamische Ästhetik: Bedrohung und Sehnsucht halten einander in Balance.
Auch der Titel An seine Augen betont eine barocke Selbstreflexivität: Schönheit und Gefahr liegen im eigenen Ich, nicht nur in der Außenwelt.
Das Gedicht arbeitet mit der Apostrophe – die Augen werden direkt angeredet wie eigenständige Gesprächspartner. Dies verleiht dem Text dramatische Unmittelbarkeit.
Antithesen strukturieren den Text: Licht vs. trübe Finsternisse, kurz vs. lang, Trost vs. Pein.
Es gibt auch eine rhetorische Warnfigur: die Mahnung Seht, weil ihr sehen könt ist eine Epizeuxis, die den Augen ihre Pflicht ins Gedächtnis ruft.
Der Gebrauch des Imperativs (Gebt wohl auff, Seht, Schöpfft) verleiht den Versen den Charakter einer Ermahnung und zugleich einer inneren Selbstzucht.
Das lyrische Ich spaltet sich in ein sprechendes Bewusstsein und in adressierte Organe – eine Metapher für die innere Zerrissenheit barocker Existenz. Auf dieser Metaebene reflektiert das Gedicht über die Bedingungen von Wahrnehmung selbst: Was ist das Sehen wert, wenn es nicht geistig gelenkt wird?
Die Augen können das Licht verlieren, was metaphorisch auf die Gefährdung der Erkenntnisfähigkeit hinweist.
Damit wird das Gedicht zugleich zu einer Reflexion über den Prozess des Erkennens und über die Grenzen sinnlicher Wahrnehmung.
Das Ich zeigt sich als in sich gespaltenes Subjekt: es besitzt die Fähigkeit zur geistigen Orientierung (Angelstern im Gemütte), muss aber seine eigenen Augen davor warnen, das Wesentliche zu verfehlen.
Das Gedicht ist zugleich Selbstkommentar zur barocken Lyrik:
Die Augen sind nicht nur Organe, sondern auch poetische Medien. Sie nehmen Schönheit auf, doch zugleich verwandeln sie diese Wahrnehmung in Dichtung.
Das Ringen zwischen Licht und Dunkel ist poetologisch auf die Spannung zwischen Inspiration und Verlust bezogen: der Angelstern ist auch das Bild der poetischen Eingebung, die den Dichter in den gewünschten Hafen (d. h. in die Form des Gedichts) führt.
Abschatz reflektiert implizit die Rolle der Poesie als Trostspenderin angesichts der Vergänglichkeit: die Verse selbst sind kurzer Trost vor langer Pein.
Der Appell an die Augen ist daher auch ein Appell an die poetische Imagination, die aus Sinneseindrücken geistige Wahrheit zu formen vermag.