Betrüger/ die ich ehr/1
Untreue/ die ich liebe/2
Was stralet ihr so sehr3
Ihr schlauen Hertzens-Diebe!4
Wer siehet wie ihr spielt/ und bildet ihm nicht ein/5
Ihr werdet voll Erbarmen seyn?6
Die falsche Freundligkeit7
Und eur verliebtes Blicken/8
Zeigt Sonn und schöne Zeit/9
Pflegt Blitz und Nacht zu schicken.10
Wer siehet wie ihr spielt/ und kan ihm bilden ein/11
Daß ihr so grausam sollet seyn?12
Macht Augen/ daß euch nicht13
Die Welt Cometen nennet!14
Seyd das gepaarte Licht15
Dem Tifis Opffer brennet/16
Führt uns durch euren Glantz in sichern Hafen ein:17
Man wird euch ewig danckbar seyn.18
1 Betrüger/ die ich ehr/
Sprachlich: Die Anrede in der Mehrzahl (Betrüger) verstärkt den Eindruck eines Kollektivs von Täuschenden; die Kürze des Verses, durch die Zäsur und die Schrägstriche unterstützt, schafft eine Art lakonisches Verdikt.
Rhetorisch: Paradoxe Verbindung: Betrüger – negativ konnotiert – wird durch die ich ehr in eine widersprüchliche Nähe zur Verehrung gesetzt. Ein Oxymoron-artiger Effekt.
Inhaltlich: Die Sprecherfigur gibt zu, dass sie Täuschende nicht etwa meidet, sondern im Gegenteil achtet – ein Hinweis auf eine paradoxale Liebessituation, in der Betrug und Ehrung ineinander verschränkt sind.
2 Untreue/ die ich liebe/
Sprachlich: Wiederholung des Musters: negativ belegter Begriff (Untreue) + überraschende positive Haltung (die ich liebe).
Rhetorisch: Eine Figur der Antithese: Liebe und Untreue werden direkt verbunden. Zugleich wirkt eine Klimax gegenüber 1: von Betrüger ehr’n zu Untreue lieben.
Inhaltlich: Die Sprecherhaltung enthüllt sich als widersprüchlich-selbstironisch: er liebt gerade das, was ihn verletzt. Das lyrische Ich ist in den Bann des Täuschenden gezogen.
3 Was stralet ihr so sehr
Sprachlich: Das Fragepronomen Was leitet eine rhetorische Frage ein. Stralen verweist auf glänzende, blendende Wirkung.
Rhetorisch: Metapher des Strahlens – das Täuschende erscheint als hell, attraktiv, fast göttlich. Ironischer Kontrast: moralisch finster, äußerlich hell.
Inhaltlich: Das Lyrische Ich wundert sich über die Attraktivität der Negativfiguren: sie wirken glänzend, obwohl sie betrügen.
4 Ihr schlauen Hertzens-Diebe!
Sprachlich: Apposition zu den Angesprochenen: Hertzens-Diebe. Das Adjektiv schlau betont ihre List.
Rhetorisch: Metapher: Die Geliebten (oder Frauen allgemein) werden als Herzensdiebe beschrieben – sie rauben Gefühle. Die Exklamation (!) verstärkt den Ausrufcharakter.
Inhaltlich: Klarer Vorwurf, doch zugleich Anerkennung der Kunstfertigkeit: das Herz wird geraubt, und der Sprecher nimmt diese Rolle der Diebe fast bewundernd wahr.
5 Wer siehet wie ihr spielt/ und bildet ihm nicht ein/
Sprachlich: Hypotaktisch eingeleitete rhetorische Frage: Wer ... und nicht ...? Spielt trägt eine doppelte Bedeutung: spielerisches Verhalten, aber auch verführerisches Schauspiel.
Rhetorisch: Anaphorische Struktur: Wieder wird eine Frageform verwendet, diesmal mit eingeschlossener Antwort (kein Beobachter bleibt unberührt).
Inhaltlich: Das Verhalten der Angesprochenen wirkt wie ein Spiel – kokettierend, täuschend, inszenierend – und niemand kann sich der Illusion entziehen, sie könnten auch ernsthaft fühlen.
6 Ihr werdet voll Erbarmen seyn?
Sprachlich: Eine Frage, durch den Konjunktiv-Charakter mit skeptischem Ton. Voll Erbarmen deutet Mitleid, Mitgefühl an.
Rhetorisch: Rhetorische Frage mit ironischem Unterton: wird den Täuschenden Barmherzigkeit zugetraut? Kaum. Die Frage markiert ein Spiel zwischen Hoffnung und Unglauben.
Inhaltlich: Der Sprecher zweifelt, ob die Herzensdiebe jemals Erbarmen zeigen; er projiziert dennoch die Hoffnung. Hier kulminiert die paradoxe Situation: das Opfer hofft auf Milde der Täter.
7 Die falsche Freundligkeit
Sprachlich: Barocke Orthographie (Freundligkeit statt Freundlichkeit). Substantivierung als abstrakter Charakterzug. Der bestimmte Artikel (Die) signalisiert Typisierung, nicht Einzelfall.
Rhetorisch: Alliteration falsche/Freundligkeit; prägnanter Antagonismus im Wort selbst (Freund-lichkeit vs. falsch). Ursprungsmarkierung eines Topos: simulatio (verstellte Liebenswürdigkeit).
Inhaltlich: Der Sprecher setzt das Leitmotiv der Täuschung: scheinbare Affabilität wird als Maske gebrandmarkt — Auftakt zu einem Demaskierungsstück.
8 Und eur verliebtes Blicken/
Sprachlich: eur = frühneuhochdeutsch für euer; direkte Anrede (2. Pl.). verliebtes als adjektivisch substantiviertes Partizip → der Blick selbst wird zum handelnden Agenten.
Rhetorisch: Synekdoche/Metonymie: der Blick steht für das ganze Verführungsdispositiv. Parataktische Fortführung mit Und verstärkt die Akkumulation scheinbarer Reize.
Inhaltlich: Zum falschen Wesen (V. 7) tritt die performative Oberfläche (der Blick) — ein Code des Kokettierens; die zweite Säule des Scheins.
9 Zeigt Sonn und schöne Zeit/
Sprachlich: Prädikat im Singular (Zeigt) trotz zusammengesetztem Subjekt (V. 7–8) → barocktypische Kongruenz zum näherstehenden oder als Einheit verstandenen Subjekt (hier: das Gesamtphänomen der Verführung).
Rhetorisch: Hendiadyoin (Sonn und schöne Zeit) und Lichttopik; Idylle-Feld. Antithetische Vorbereitung (Licht vs. Dunkel folgt).
Inhaltlich: Die Wirkung der Maske: Sie produziert meteorologische Metaphern des Glücks (Sommer, Helligkeit, Verheißung) — ein ästhetischer Vor-Schein.
10 Pflegt Blitz und Nacht zu schicken.
Sprachlich: Periphrastische Gewohnheitsformel pflegt … zu = ist gewohnt/ist geneigt. schicken im Sinn von senden/bringen. Schlagender Gegensatz zu V. 9.
Rhetorisch: Antithese (Sonne/Tag ↔ Blitz/Nacht); zugleich paradoxale Klimachiasmus-Bewegung: das Licht verspricht, die Tat bringt Finsternis. Blitz (plosive Lautung) gegen Nacht (dumpfer Verschluss) → klangliche Härte.
Inhaltlich: Entlarvung: Hinter der Süße steht die Katastrophe. Blitz (plötzlich, verletzend), Nacht (dauerhafter Entzug) — Bild für Lust-Versprechen, die in Schmerz/Verlassenheit umschlagen.
11 Wer siehet wie ihr spielt/ und kan ihm bilden ein/
Sprachlich: Theater-Semantik spielt = inszeniert/kokettiert. Konstruktion kann ihm bilden ein = ältere Stellungsvariante von einbilden; ihm als Dativus ethicus ≈ sich (reflexiv) → kann sich einbilden.
Rhetorisch: Theatralmetapher (Leben als Bühne, Liebesspiel als Rolle). Die Enjambement-Spannung über den Vers: das Verb ein-bilden wird gespalten (Trennpräfix ein nachgestellt) — ikonische Verzögerung der Einsicht.
Inhaltlich: Wahrnehmungsfalle: Wer nur die Spiel-Oberfläche sieht, wird sich zwangsläufig täuschen. Erkenntniskritische Pointe: Blickregie produziert Fehlurteil.
12 Daß ihr so grausam sollet seyn?
Sprachlich: sollet (2. Pl., Modal/ Konjunktionsnähe) als Potential-/Indirektheitsform — markiert Erstaunen und Indiz einer moralischen Bewertung. grausam als harscher Gegenbegriff zur anfänglichen Freundligkeit.
Rhetorisch: Rhetorische Frage (erregte interrogatio) krönt die antithetische Struktur; Antiklimax der Erwartung: Von verliebt zu grausam. Klanglich hartes gr am Versbeginn.
Inhaltlich: Pointe der Demaskierung: Das Subjekt der Anrede (Plural — womöglich ein Damenkreis oder das Geschlecht der Koketten) erscheint im Kern als grausam, weil es Lust durch Entzug und Täuschung regiert.
13 Macht Augen/ daß euch nicht
Sprachlich: Imperativ (Macht) eröffnet eine apostrophische Anrede; Augen steht ohne Artikel und wirkt damit wie ein Eigenname bzw. eine Personifikation. Die barocke Orthographie mit Schrägstrich markiert den Binnen-Kolon bzw. die metrische Zäsur (alexandrinischer Duktus).
Rhetorisch: Apostrophe (Direktanrede an die Augen), Personifikation, latent praemonitio (Warnformel daß … nicht).
Inhaltlich: Die Augen der Geliebten (oder eines lobadressierten Paars) werden als wirkkräftige Akteure angeredet: Sie sollen sich machen (sich richten, benehmen), um einen drohenden Fehl-Ruf zu vermeiden. Auftakt zur Gegenüberstellung von gefährlichem und heilsamem Leuchten.
14 Die Welt Cometen nennet!
Sprachlich: Parataxisch zugespitzte Drohung mit starker Endstellung (nennet!). Cometen im barocken Wortschatz konnotiert Unheil, Staatskrisen, Krieg.
Rhetorisch: Metapher (Augen ↔ Himmelszeichen), Topos des Kometen als Unheilsomen; Exklamation steigert Affekt.
Inhaltlich: Gefahr der Missdeutung: Zu grelles, ungeordnetes Leuchten wird als Komet (schweifender Einzelstern, Vorzeichen des Unheils) gelesen. Der Sprecher warnt vor einer Wirkung, die Angst statt Orientierung stiftet.
15 Seyd das gepaarte Licht
Sprachlich: Imperativ Seyd; gepaarte Licht als markante Determinativfügung (Paar-Sein als semantischer Kern).
Rhetorisch: Antithese zum Kometen (einzeln, schweifig) – nun das Paar-Licht (geordnet, doppelt). Emblematische Definition: Was die Augen sein sollen.
Inhaltlich: Umdeutung: Nicht das vereinzelte, irrende Leuchten (Komet), sondern das duale und wohlgeordnete Licht. Subtext: Augen als Zwillinge; Anspielung auf Castor und Pollux bzw. auf die nautische Erscheinung der Zwillingslichter (St.-Elms-Feuer) als glückverheißender Schutz für Seefahrer.
16 Dem Tifis Opffer brennet/
Sprachlich: Mythologisches Eigennamen-Signal: Tifis (Típhys), Steuermann der Argo. Opffer in älterer Schreibweise; Verb brennet hält die Licht-Bildwelt zusammen. Der Schrägstrich schließt die Kolon.
Rhetorisch: Mythologische Allusion (Argonautensage), Metonymie (Opfer = Kult/Bitte der Seefahrt), Symboltransfer (Liebes-Augen → Navigationslichter).
Inhaltlich: Die gepaarten Lichter werden auf Tiphys’ Opferaltar gedacht: Wie Schutzlichter, die auf ein frommes Seefahrer-Opfer antworten, sollen die Augen brennen. Das Liebes-Leuchten gewinnt sakral-rituellen Sinn (nicht wildes Omen, sondern kultisch gebändigtes Licht).
17 Führt uns durch euren Glantz in sichern Hafen ein:
Sprachlich: Zielgerichteter Imperativsatz mit Finalbestimmung; Glantz (barocke Schreibweise) betont das sichtbare, leitfähige Leuchten.
Rhetorisch: Leit-Metapher Navigation (führen, Hafen, einlaufen); Teleologie (vom Sturm zur Ruhe). Ethopoiia: Das Wir-Kollektiv (uns) bindet Sprecher und Lesende unter den Schutz des Lichts.
Inhaltlich: Vollzug der Bildlogik: Die Augen als Leitsterne/Heillichter bringen die Gemeinschaft in den sicheren Hafen (Topos: portus salutis). Auf der Liebesebene: Die Geliebte (oder das Paar) spendet Orientierungs-Gnade; auf der politischen/sozialen Ebene: gutes Regiment statt cometarischem Unheil.
18 Man wird euch ewig danckbar seyn.
Sprachlich: Unbestimmtes Man als Generalisierung; ewig hyperbolisiert die Dauer der Dankbarkeit; danckbar barock orthographiert.
Rhetorisch: Peroratio im Miniaturformat: Abschluss mit captatio benevolentiae (Dankformel) und Hyperbel (Ewigkeit).
Inhaltlich: Die teleologische Kette schließt: Richtig gedeutetes, gepaartes Licht → sichere Führung → dauerhafte Gratitudo. Das Liebes-/Lobgedicht nimmt die Form eines Votiv-Versprechens an: Für Heils-Leitung erwächst unvergänglicher Dank.
Das Gedicht besteht aus einer einzigen, aber sehr kunstvoll entwickelten Strophe von 18 Versen, die in drei Sinnbewegungen gegliedert ist:
Verse 1–6: Exposition der Ambivalenz. Der Sprecher eröffnet mit paradoxen Aussagen: er ehrt die Betrüger, er liebt die Untreuen. Gleich zu Beginn wird eine Spannung aufgebaut zwischen Verehrung und moralischem Tadel. Die ersten Fragen (V. 5–6) stellen die Erwartung: Wer sieht so viel Anmut, ohne Mitleid zu vermuten?
Verse 7–12: Enthüllung der Täuschung. Falsche Freundlichkeit und verliebtes Blicken werden als trügerische Zeichen entlarvt: Sonnenglanz, der sich in Blitz und Nacht verwandelt. Hier kippt die Stimmung – der äußere Schein führt ins Verderben, nicht ins Heil.
Verse 13–18: Appell und Wendung. Der Sprecher warnt die verführerischen Augen, sie könnten Cometen genannt werden – also Unheilszeichen. Dann aber folgt eine Umkehrung: Der Wunsch, dass sie wie das gepaarte Licht am Opfer des Tiphis (d.h. des Argonautenlenkers) sein mögen, leuchtend, führend, rettend. Der Schluss bringt die Hoffnung auf einen sicheren Hafen und Dankbarkeit.
Der organische Verlauf ist also: Paradoxale Anziehung → scharfe Desillusionierung → ethisch-religiöse Mahnung und Bitte um Läuterung.
Das Gedicht spiegelt eine zutiefst ambivalente innere Haltung:
Faszination: Die Täuschung ist gerade deshalb so mächtig, weil sie Schönheit, Freundlichkeit und Glanz zeigt. Der Sprecher ist von dieser falschen Freundlichkeit geradezu gebannt.
Selbsttäuschung: In den Fragen (wer siehet … und bildet ihm nicht ein…) liegt die Projektion der eigenen Wünsche. Der Mensch sieht, was er sehen will.
Desillusionierung: Der plötzliche Umschlag von Sonnenschein in Blitz und Nacht ist das Erleben der zerstörten Hoffnung, der enttäuschten Liebe.
Wendung zur Mahnung: Aus dieser Verletzung wächst ein psychologischer Selbstschutz: der Sprecher versucht, den Betrügerinnen Augen ein neues Ziel zuzuweisen – sie sollen nicht zerstören, sondern führen.
Psychologisch offenbart sich hier eine innere Dialektik von Begehren, Täuschung, Schmerz und Sublimierung.
Ethisch problematisiert das Gedicht die Unbeständigkeit und Untreue menschlicher Liebe:
Der Betrug wird zwar zunächst paradox geehrt, doch bleibt er Sünde, weil er durch falsche Zeichen Vertrauen erschleicht.
Das Gedicht warnt vor der Macht der sinnlichen Verführung, die sich als Tugend oder Zuneigung verkleidet.
Die Cometen-Metapher trägt eine klare ethische Mahnung: falsche Lichter sind keine Führer, sondern Verführer, Zeichen des Unheils.
Am Ende steht ein ethisches Ideal: die Verführenden sollen zu Wegweisern werden, zu einem Licht, das nicht ins Verderben, sondern in den sichern Hafen führt – ein Bild für Treue, Erlösung, Heimkehr.
So oszilliert die ethische Dimension zwischen Verurteilung der Täuschung und Hoffnung auf Umkehr.
Schein und Sein: Das Gedicht kreist um das barocke Problem der Diskrepanz von äußerem Glanz und innerem Wesen. Freundlichkeit und Blick scheinen Tugend, sind aber Trug. Philosophisch deutet dies auf die Skepsis gegenüber den Sinnen und das barocke Vanitas-Bewusstsein.
Paradox der Liebe: Der Sprecher liebt und ehrt gerade das, was ihn betrügt. Theologisch erinnert dies an die sündhafte Verstrickung: der Mensch hängt an dem, was ihn zerstört. Hier klingt Augustins Diagnose der concupiscentia an.
Apokalyptische Dimension: Die Metapher des Cometen verweist auf biblische Endzeitvorstellungen – Kometen galten als Unheilszeichen. Die falschen Augen werden zu kosmischen Zeichen des Verderbens.
Erlösungssehnsucht: Der Schluss aber wendet sich dem Motiv der Führung zum sichern Hafen zu. Die Anspielung auf Tiphis, den Steuermann der Argo, kann als allegorisches Bild Christi gelesen werden: Christus als der wahre Steuermann, der ins Heil führt. So wird aus dem falschen Licht die Bitte um das wahre Licht, das nicht verführt, sondern rettet.
Dankbarkeit und Transzendenz: Der letzte (Man wird euch ewig danckbar seyn) hebt die menschliche Beziehung in die Ewigkeit. Dankbarkeit wird zum theologischen Topos: sie gehört zur Haltung des erlösten Menschen gegenüber göttlicher Führung.
Damit eröffnet das Gedicht eine theologisch dichte Bewegung: von der Erfahrung des falschen Scheins → über die Warnung vor Verderben → hin zur Bitte um wahres, göttliches Licht.
Das Gedicht kreist um Täuschung und Wahrheit im menschlichen Verhältnis, insbesondere in Liebe und Leidenschaft. Aus anthroposophischer Sicht – also in der Perspektive einer tieferen Seelen- und Geistkunde – erscheinen die Herzens-Diebe als Kräfte, die das innere Licht des Menschen rauben und doch zugleich mit blendendem Glanz auftreten.
Das strahlen und Blicken verweist auf das astralische Leuchten, das im Menschen sowohl Verlockung wie auch Gefahr birgt.
Die Spannung von Sonnenglanz und Nacht/Blitz entspricht der Polarität von höheren inspirativen Kräften und niederziehenden, chaotischen Kräften.
Die Bitte am Schluss, dass die Augen gepaartes Licht werden mögen, deutet auf eine mögliche Transformation: Die gefährliche Täuschung soll in wahre Führung verwandelt werden, die das Ich zum sicheren Hafen bringt.
Damit wird das Gedicht zum Spiegel innerer Schulung: die Seele muss durchschauen, dass die verführerische Erscheinung nicht notwendigerweise wahrhaftig ist – und dass sie nur dann heil führt, wenn sie sich dem kosmischen Licht (gepaartes Licht) angleicht.
Das Gedicht entfaltet sich in kunstvoller Ambivalenz. Der Dichter arbeitet mit Kontrasten:
Helligkeit (strahlen, Sonn und schöne Zeit, Glantz) vs. Dunkelheit und Gewalt (Blitz, Nacht, grausam).
Freundlichkeit vs. Betrug.
Die Form ist barocktypisch: Antithesen, rhetorische Fragen, Bilder aus Natur und Kosmos (Sonne, Blitz, Komet, Licht).
Die Schönheit liegt also gerade in der Täuschung: Der Schein lockt, während der Kern zerstörerisch sein kann. Dieses ästhetische Paradox ist selbst Spiegel der barocken Weltsicht, in der Erscheinung und Wahrheit auseinanderfallen.
Das Gedicht lebt von rhetorischen Figuren:
Anrede: Betrüger… Untreue… – direkte Apostrophe, die ein dramatisches Du (bzw. Ihr) etabliert.
Rhetorische Fragen: Wer siehet wie ihr spielt… und bildet ihm nicht ein…? – sie verstärken den Eindruck von Unausweichlichkeit und locken den Leser in den Bann der Täuschung.
Antithese und Paradoxon: falsche Freundlichkeit, Sonne die Nacht bringt.
Metapher: Herzens-Diebe – das Motiv des Raubes verweist auf seelische Verwundbarkeit.
Kosmische Bilder: Cometen, gepaartes Licht – sie heben das Gedicht aus dem bloß Persönlichen ins Weltallische.
Auf der Metaebene reflektiert der Text über die Macht der Erscheinung selbst.
Die Herzens-Diebe sind nicht nur konkrete Personen (Untreue Geliebte), sondern auch Repräsentationen poetischer Sprache: Poesie selbst ist ein Spiel von falscher Freundlichkeit und lieblichen Blicken, die mehr versprechen als sie halten.
Das Gedicht wird so zur Selbstreflexion des poetischen Mediums: Wie kann Dichtung zwischen Verführung und Wahrheit vermitteln?
Die Aufforderung, das falsche Leuchten in ein gepaartes Licht zu verwandeln, klingt wie ein Appell an die Dichtung, aus Blendung wahres Erkenntnislicht zu machen.
In poetologischer Hinsicht entfaltet sich hier ein barockes Programm:
Dichtung als Blendwerk und Wahrheit zugleich: Sie täuscht mit schönen Worten, aber sie kann auch führen (in sichern Hafen ein).
Das Spiel (V. 5, 11) ist nicht nur das Spiel der Untreue, sondern auch das poetische Spiel selbst. Damit wird das Spiel zum zentralen Modell barocker Lyrik: verführerisch, gefährlich, aber potenziell erlösend.
Die Metapher des Navigierens (Hafen, Tifis, Opfer): Dichtung soll den Leser wie ein Steuermann leiten – sie ist nicht nur Ornament, sondern geistige Führung.
Das Gedicht entfaltet in einer einzigen, aber kunstvoll gegliederten Strophe den barocken Grundkonflikt zwischen Verführung und Wahrheit, Täuschung und Erlösung.
Der Sprecher schildert die paradoxale Macht der Untreue, enthüllt die Täuschung, warnt vor dem kosmischen Unheil und schließt mit der Hoffnung, dass dieselben Augen, die verführen, auch zum Heil führen könnten.
Psychologisch zeigt sich die Spannung von Anziehung und Desillusionierung;
ethisch die Mahnung zur Umkehr von Verführern zu Führern;
philosophisch-theologisch die tiefe Reflexion über Schein und Sein, menschliche Schwäche, apokalyptische Warnung und die Sehnsucht nach göttlicher Führung.
Abschatz’ Gedicht ist ein barockes Miniaturdrama über die Macht der Erscheinung. Es zeigt die Untreue und den Betrug, die doch mit Glanz, Strahlen und Schönheit auftreten und dadurch das Herz rauben.
Auf einer tieferen, anthroposophischen Ebene symbolisieren diese Bilder die Auseinandersetzung der Seele mit verführerischen Kräften des Scheins.
Ästhetisch ist das Gedicht geprägt von barocken Kontrasten und kosmischen Metaphern.
Rhetorisch glänzt es durch Anrede, rhetorische Fragen und antithetische Spannungen.
Auf der Metaebene reflektiert es das Wesen der Täuschung selbst und deutet zugleich auf die Gefahr, dass auch Poesie ein Blendwerk sein kann.
Poetologisch schließlich entwirft es die Aufgabe der Dichtung als Führungskunst: Aus Täuschung kann ein gepaartes Licht werden, das den Leser in den sicheren Hafen leitet.