LYRIKATLAS
Der Kompass im Lyrikdschungel

Hans Aßmann von Abschatz

Gedicht 11 aus dem Zyklus
Anemons und Adonis Blumen

An ihre Augen

Ihr Augen/ die ich lieb und ehr/1
Ihr meine Lust und süsse Pein/2
Was netzet ihr die trüben Wangen/3
Was sagt mir euer blasser Schein?4
Habt ihr mein Hertze nicht empfangen?5
Was fodert/ was verlangt ihr mehr?6

Ihr Augen/ die ich lieb und ehr/7
Ihr sehet meine Schmertzen an/8
Und kennt die Menge meiner Plagen:9
Wofern ich euch vergnügen kan/10
Will ich mit Lust den Tod ertragen.11
Was fodert/ was verlangt ihr mehr?12

Vers-für-Vers-Kommentar

1 Ihr Augen/ die ich lieb und ehr/

Sprachlich: Die direkte Apostrophe Ihr Augen etabliert den lyrischen Blickpunkt sofort. Die Augen werden nicht als Teil des Körpers, sondern als selbständige, fast personifizierte Instanz angesprochen. Die Alliteration von lieb und ehr verstärkt den emotionalen Ton.

Rhetorisch: Es handelt sich um eine Anredefigur (Apostrophe), verbunden mit einer Parallelisierung zweier Affekte: Liebe (Eros, Sehnsucht) und Ehr (Respekt, Anerkennung). Damit entsteht ein Spannungsfeld zwischen Leidenschaft und gesellschaftlicher Distanz.

Inhaltlich: Die Augen sind Zentrum der Zuwendung und Projektionsfläche der Gefühle. Sie erscheinen zugleich als Objekt der Leidenschaft und als würdiges Gegenüber, dem man Achtung schuldet. Dies weist auf die höfische Tradition des Liebesgedichts hin.

2 Ihr meine Lust und süsse Pein/

Sprachlich: Der Parallelismus Lust und süsse Pein ist eine typische Antithese barocker Liebesdichtung. Das Adjektiv süss verwandelt die Pein in eine paradoxe, genießbare Qual.

Rhetorisch: Oxymoron bzw. Contradictio in adiecto (süße Pein) – ein Kernmotiv barocker Erotik. Die Wiederaufnahme des anaphorischen Ihr bindet den eng an den ersten.

Inhaltlich: Augen werden Träger ambivalenter Affekte: Sie schenken Lust (Erfüllung der Sehnsucht), zugleich verursachen sie Schmerz (Unerreichbarkeit, Distanz). Dieses barocke Spannungsmotiv verweist auf die Polarität menschlicher Existenz zwischen Anziehung und Leiden.

3 Was netzet ihr die trüben Wangen/

Sprachlich: Das Bild ist indirekt – die Augen netzen die Wangen, d. h. sie weinen. Poetische Umschreibung statt direkter Benennung der Tränen. trübe charakterisiert die Wangen durch die Spuren des Weinens.

Rhetorisch: Metonymie: Augen steht für den ganzen Akt des Weinens. Netzen hat sinnliche Konnotationen (Befeuchtung, Berührung).

Inhaltlich: Der Sprecher beobachtet die Traurigkeit der Geliebten. Die Augen, die bisher Lust und Pein bereiteten, werden hier zur Quelle von Tränen. Zugleich verschiebt sich der Fokus: von der Wirkung der Augen auf ihn hin zur inneren Befindlichkeit der Geliebten selbst.

4 Was sagt mir euer blasser Schein?

Sprachlich: blasser Schein evoziert Schwäche, Verlust von Lebenskraft, zugleich ein Bild für die gedämpfte Strahlkraft der Augen. Schein hat Doppeldeutigkeit: äußerer Glanz, aber auch nur Erscheinung.

Rhetorisch: Rhetorische Frage: Das lyrische Ich sucht eine Botschaft im Blick. Personifikation: der Schein sagt etwas.

Inhaltlich: Der Blick der Geliebten wird als Kommunikationsmittel gelesen. Die Blässe verweist auf Krankheit, Trauer oder Schwermut, wodurch die Geliebte in einer Leidenspose erscheint, fast wie eine Petrarkistische donna angelicata in Melancholie.

5 Habt ihr mein Hertze nicht empfangen?

Sprachlich: Ausdruck der völligen Hingabe: das Herz ist Inbegriff der innersten Gefühle. empfangen deutet auf ein fast sakrales Bild – Aufnahme, Annahme, möglicherweise auch Konnotation der Empfängnis.

Rhetorisch: Wieder rhetorische Frage, die das Gedicht stark dialogisch strukturiert. Hyperbolische Übertragung: Die Augen empfangen ein Herz.

Inhaltlich: Die Augen haben bereits das Innerste des Sprechers aufgenommen, er hat sich vollständig ihnen hingegeben. Damit steigert sich die Spannung: Wenn die Hingabe bereits vollzogen ist, warum zeigen die Augen dann Trauer?

6 Was fodert/ was verlangt ihr mehr?

Sprachlich: Doppelung von fodert und verlangt unterstreicht die Dringlichkeit. Repetitive Struktur erzeugt rhythmischen Nachdruck.

Rhetorisch: Rhetorische Frage, verbunden mit Anapher. Implizite Klage: Alles ist gegeben, doch das Gegenüber bleibt unzufrieden.

Inhaltlich: Das lyrische Ich deutet die Trauer der Augen als Forderung nach mehr – vielleicht nach größerer Hingabe, vielleicht nach unerfüllbarem Ideal. Die Augen erscheinen als unerbittliche Instanz, fast als Richter über die Liebe.

7 Ihr Augen/ die ich lieb und ehr/

Sprachlich: Die Anredeform Ihr Augen setzt eine Personifizierung voraus: die Augen der Geliebten werden als selbstständiges Gegenüber angesprochen. Die Parallelität von lieb und ehr verbindet Affekt (Liebe) und Norm (Ehre).

Rhetorisch: Apostrophe – der Sprecher richtet sich nicht an die Geliebte selbst, sondern an deren Augen. Durch diese Metonymie verschiebt er die Aufmerksamkeit vom ganzen Menschen auf das Organ, das als Spiegel der Seele gilt.

Inhaltlich: Die Augen werden als höchste Instanz der Liebe und Bewunderung gesetzt. Ehre deutet auf frühbarocke Höfischkeit: nicht nur erotische, sondern auch soziale Wertschätzung schwingt mit.

8 Ihr sehet meine Schmertzen an/

Sprachlich: Ein einfacher, fast prosaischer Satzbau, der die Unmittelbarkeit der Klage betont. Sehet verweist auf die aktive Wahrnehmung der Augen, die nicht nur gesehen werden, sondern selbst sehend handeln.

Rhetorisch: Wiederholung der Anrede (Ihr) schafft Kohärenz und Intensität. Personifikation: die Augen sind Zeugen und Richter zugleich.

Inhaltlich: Die Augen der Geliebten haben Einblick in die innere Not des Liebenden – sie sehen nicht nur äußerlich, sondern erkennen das Leiden. Damit wird das Motiv des Seelenspiegels aktiviert.

9 Und kennt die Menge meiner Plagen:

Sprachlich: Verstärkung durch Menge: das Leiden ist nicht punktuell, sondern vielfältig und überwältigend. Plagen ist ein starkes, fast religiös aufgeladenes Wort (Anklang an biblische Strafplagen).

Rhetorisch: Parallelismus zum vorigen (Ihr sehet … / Und kennt …), wodurch ein Steigerungseffekt entsteht: nicht nur sehen, sondern auch erkennen und wissen.

Inhaltlich: Die Augen der Geliebten haben fast allwissenden Charakter: sie durchschauen das ganze Ausmaß des Schmerzes. Damit werden sie zu einer Art göttlichem Spiegel oder Orakel, vor dem der Liebende sich offenbart.

10 Wofern ich euch vergnügen kan/

Sprachlich: Die konditionale Form Wofern bringt eine Bedingung ins Spiel, die den Ton formeller und bedächtiger macht. Vernügen verweist auf eine Mischung aus Freude, Wohlgefallen, vielleicht auch erotischer Befriedigung.

Rhetorisch: Inversion und Konjunktiv verstärken die hypothetische Färbung. Der wirkt wie eine Kehrtwende: vom Leiden zur Möglichkeit einer Auflösung.

Inhaltlich: Hier tritt das Motiv des Dienstes auf: das eigene Leiden ist relativ, wenn nur das Wohlgefallen der Geliebten erlangt werden kann. Es ist die barocke Formel des amour courtois: die Geliebte ist Richterin, der Sprecher Diener.

11 Will ich mit Lust den Tod ertragen.

Sprachlich: Die Paradoxie mit Lust … den Tod ertragen verbindet Gegensätze: Freude und Vernichtung. Ertragen mildert das Bild leicht ab – es ist kein aktiver Selbstmord, sondern ein leidvoller Konsens.

Rhetorisch: Antithese (Lust ↔ Tod), zugleich Hyperbel, die die Bereitschaft zur Selbstaufopferung übersteigert. Diese Figur ist ein klassisches Element barocker Liebeslyrik.

Inhaltlich: Tod erscheint nicht als Schrecken, sondern als erträglicher, ja lustvoller Preis, wenn er die Geliebte erfreut. Damit wird die Liebe über das Leben gestellt – ein absoluter, fast mystischer Zug.

12 Was fodert/ was verlangt ihr mehr?

Sprachlich: Doppelte Frageform (fodert / verlangt) intensiviert die Endkadenz. Sie wirkt rhetorisch zugespitzt, fast herausfordernd.

Rhetorisch: Rhetorische Frage als Abschluss: Sie markiert den Höhepunkt der Hingabe. Die Wiederholung mit Synonymen steigert den Eindruck der Endgültigkeit.

Inhaltlich: Der Sprecher hat das Äußerste angeboten – den Tod. Mehr kann keine Geliebte, keine Instanz fordern. Der Schluss ist somit ein Ultimatum der Liebe: totale Selbsthingabe ohne Rest.

Fazit

Die erste Strophe entfaltet eine Steigerungsbewegung:

1. Verehrung der Augen (7),

2. deren sehend-erkennende Macht (V. 8–9),

3. die Bereitschaft, unter ihrer Bedingung das höchste Opfer zu bringen (V. 10–11),

4. der Abschluss mit der rhetorischen Frage, die die Totalität dieser Opferbereitschaft unterstreicht (V. 12).

Die Augen der Geliebten sind hier nicht nur Objekte der Bewunderung, sondern auch Instanz des Urteils, fast wie ein göttliches Tribunal. Der Sprecher entwirft sein Liebesverhältnis als radikale Hingabe bis in den Tod, was typisch für barocke Liebeslyrik ist, die gern mit Extremen, Antithesen und paradoxen Formeln arbeitet.

Organischer Aufbau und Verlauf

Das Gedicht folgt einer streng geschlossenen Struktur, die sich durch Parallelismen und Wiederholungen (besonders V. 1/7 und V. 6/12) stabilisiert:

Erste Strophe (V. 1–6): Der Sprecher wendet sich direkt an die Augen der Geliebten. Er fragt nach ihrer Trübung, ihrem blassen Schein, und ob sie nicht bereits sein Herz empfangen hätten. Am Ende steht die wiederholte Frage Was fodert/ was verlangt ihr mehr?.

Zweite Strophe (V. 7–12): Die Wiederaufnahme der Anrede intensiviert die Klage. Nun ist das Leiden des Dichters selbst im Zentrum: Die Augen sehen seine Schmerzen, kennen seine Menge von Plagen. Der Sprecher steigert seine Bereitschaft zur Hingabe bis zur Todesbereitschaft, sofern er den Augen ein Vergnügen bereiten kann. Wiederum schließt das Gedicht mit derselben Frage: Was fodert/ was verlangt ihr mehr?

Damit entsteht ein kreisförmiger, organischer Aufbau: Ausgangspunkt ist die Anrede an die Augen, Endpunkt die gleiche, unbeantwortete Frage. Der Mittelteil bringt eine Steigerung von zarter Beschwerde zu existenzieller Opferbereitschaft. So wirkt das Gedicht wie eine kleine, geschlossene Bewegung von Sehnsucht, Schmerz und Hingabe.

Psychologische Dimension

Psychologisch liegt hier eine Projektion vor: Der Sprecher liest in die Augen der Geliebten Zeichen, die sowohl Anklage als auch Forderung zu sein scheinen. Ihre Trübung und ihr blasser Schein werden als Spiegel seiner eigenen inneren Not interpretiert.

Ambivalenz: Die Augen sind zugleich Lustquelle und Pein.

Selbstentäußerung: Der Sprecher unterstellt, dass die Geliebte ihn kennt und versteht (ihr sehet meine Schmertzen an), was seine Abhängigkeit von ihrer Resonanz verstärkt.

Todessehnsucht: Der Wunsch, im Tod Erfüllung oder Genugtuung zu finden, hat psychologisch die Struktur einer ultimativen Hingabe, die an Selbstzerstörung grenzt.

Das Gedicht ist also Ausdruck einer seelischen Überwältigung: das Ich verliert seine Autonomie an den Blick der Geliebten.

Ethische Dimension

Ethisch gesehen wird hier das Verhältnis von Liebe, Begehren und Selbstaufgabe thematisiert:

Die Augen der Geliebten erscheinen als richterliche Instanz: Sie fordern, urteilen, verlangen.

Das lyrische Ich bietet totale Selbsthingabe: nicht nur Leben, sondern auch Tod als Dienstleistung, sofern die Geliebte dadurch vergnügt werde.

Dies wirft eine ethische Frage auf: Ist diese radikale Selbstaufgabe Ausdruck höchster Treue oder eine Form der Selbstentwürdigung? In barocker Liebesdichtung oszilliert dies oft zwischen heroischer Opferbereitschaft und destruktiver Selbstverleugnung.

Hier spiegelt sich auch das barocke Ideal der Dienstbarkeit in der Liebe, das zugleich kritisch hinterfragt werden kann: Wo endet legitime Hingabe, wo beginnt Selbstvernichtung?

Philosophisch-theologische Tiefenanalyse

1. Augen als Spiegel und Richter: In der Tradition barocker Emblematik stehen die Augen nicht nur für Schönheit, sondern auch für Seelenmächte. Sie werden hier fast göttlich überhöht: Sie fordern mehr, als der Sprecher geben kann.

2. Liebe und Transzendenz: Die Bereitschaft, mit Lust den Tod zu ertragen, lässt sich als Verklärung des Leidens im Sinne einer Passionsanalogie deuten: wie Christus durch Leiden Heil bewirkt, so hofft der Sprecher, durch Hingabe und Tod die Geliebte zu erfreuen.

3. Vanitas-Motiv: Der blasse Schein, die trüben Wangen, die Klage um den Tod zeigen die barocke Grundstimmung: alles ist vergänglich, selbst die Freude an der Liebe ist mit Leid und Tod verknüpft.

4. Anthropologische Dimension: Die Frage Was fodert/ was verlangt ihr mehr? klingt wie eine Verzweiflungsformel: der Mensch ist endlich und hat nur Herz, Leib und Leben anzubieten – mehr kann er nicht. Damit rührt das Gedicht an die Grenze menschlicher Existenz und an die Unmöglichkeit, die Ansprüche der Liebe oder des Absoluten je ganz zu erfüllen.

5. Theologische Tiefenschicht: Subtil spiegelt sich hier ein theologischer Konflikt: Wenn die Geliebte zum absoluten Richter wird, tritt sie an die Stelle Gottes. Der Sprecher vergöttlicht den Blick der Geliebten. In christlicher Perspektive ist das eine Überhöhung der Kreatur – die zugleich tragisch und gefährlich wirkt, weil sie Heil und Erlösung im Blick des Menschen sucht, nicht in Gott.

Anthroposophische Dimension

Das Gedicht setzt die Augen als Spiegel des inneren Wesens in den Mittelpunkt.

In anthroposophischer Lesart wird das Auge nicht nur als Sinnesorgan, sondern als Tor zur Seele verstanden.

Das lyrische Ich erkennt in den Augen der Geliebten sowohl Liebe wie auch Schmerz: meine Lust und süsse Pein.

Sie werden zur Instanz des Urteilens, zur seelisch-geistigen Instanz, die das Herz des Dichters empfängt und doch zugleich mehr fordert.

Augen sind hier wie ein geistiges Organ der Durchdringung – sie schauen tiefer als nur körperlich, sie sind Zeugen des Leidens und Prüfsteine der Hingabe.

Damit öffnet sich die Deutung in Richtung einer seelischen Schulung: der Mensch durchlebt Lust und Schmerz, um sich an der Erkenntnis des Anderen und seiner Forderungen innerlich zu verwandeln.

Ästhetische Dimension

Die Ästhetik des Gedichts lebt vom Spiel von Symmetrie und Wiederholung.

Die beiden Strophen schließen beide mit der rhetorischen Frage: Was fodert / was verlangt ihr mehr? – ein Refrain, der eine musikalische, fast liedhafte Qualität hervorruft.

Gleichzeitig schafft die antithetische Verschränkung von Freude und Schmerz, Leben und Tod eine barocke Kontrastästhetik.

Auch die formale Geschlossenheit (2 Strophen à 6 Verse, mit Parallelität zwischen Strophe 1 und 2) spiegelt die barocke Liebe zu Ordnung und rhetorischem Bau.

Die Schönheit ist nicht nur im Inhalt (die Augen, die Schönheit, die Leidenschaft), sondern in der Formstruktur sichtbar.

Rhetorische Dimension

Das Gedicht ist reich an rhetorischen Figuren:

Anapher: Ihr Augen, die ich lieb und ehr eröffnet beide Strophen und schafft Betonung durch Wiederholung.

Antithese: Lust und Pein, Leben und Tod stehen nebeneinander.

Rhetorische Fragen: Was fodert, was verlangt ihr mehr? wirken als Selbstbefragung und zugleich als Klage.

Apostrophe: Die Augen werden direkt angeredet, was Intensität und Unmittelbarkeit erzeugt.

Diese Mittel verstärken den Eindruck eines Klage- und Liebesliedes, das sich an ein Objekt wendet, das sowohl verehrungswürdig als auch quälend wirkt.

Metaebene

Das Gedicht reflektiert auf subtile Weise die Macht des Blicks.

Augen sind nicht nur physiologisch, sondern auch kulturell ein Symbol für Erkenntnis, Wahrheit, Durchdringung.

Das lyrische Ich erkennt sich selbst im Spiegel dieser Augen – sein Schmerz wird von ihnen gesehen, seine Hingabe an ihnen gemessen.

Auf der Metaebene stellt das Gedicht also die Frage: Was vermögen Worte gegen die stumme Macht des Blicks? Der Text thematisiert die Unausweichlichkeit der Kommunikation über die Augen, die zugleich empfangen und fordern.

Damit ist es auch ein Gedicht über die Grenzen der Sprache: Der Blick ist stärker als die Rede.

Poetologische Dimension

Barocke Poesie sucht oft, die Macht der Dichtung im Spiel mit Affekten zu erweisen.

Hier zeigt sich, wie Poetik als Rhetorik der Gefühle funktioniert: Schmerz und Lust werden künstlerisch geordnet, in Strophen, Refrains, rhetorischen Figuren gebannt.

Die Wiederholung von Versen und Motiven (lieb und ehr / Was fodert…?) verweist auf die Musikalität des Gedichts, das sich selbst als Lied entwirft.

Poetologisch wird also sichtbar, dass Dichtung ein Instrument der Affektsteuerung ist: das lyrische Ich ordnet sein Leiden, indem es es in poetische Form gießt.

Gleichzeitig reflektiert der Text das barocke Motiv von amor und mors (Liebe und Tod): Poetik dient hier als Bühne, auf der die existentiellen Gegensätze durch Sprache zur Darstellung gelangen.

Fazit

Das Gedicht entfaltet in geschlossener, kreisförmiger Struktur den Monolog eines Liebenden, der seine gesamte Existenz an den Blick der Geliebten bindet.

Psychologisch zeigt es die völlige Selbstaufgabe bis hin zur Todesbereitschaft.

Ethisch thematisiert es die prekäre Grenze zwischen hingebungsvoller Treue und Selbstzerstörung.

Philosophisch-theologisch rührt es an barocke Schlüsselthemen: Vergänglichkeit, Überhöhung der Liebe zur absoluten Instanz, Passionsnachahmung, und die Grenze menschlicher Existenz.

Das Resultat ist ein Gedicht, das – trotz seiner Kürze – das barocke Spannungsfeld von Eros, Vanitas und Transzendenz in hochkonzentrierter Form ausdrückt.

Das Gedicht von Hans Aßmann von Abschatz entfaltet auf mehreren Ebenen die barocke Liebeserfahrung als Polarität von Lust und Pein.

Anthroposophisch sind die Augen Tore zur Seele und Prüfsteine innerer Läuterung.

Ästhetisch entfaltet sich eine kunstvolle Struktur mit Refrain, Symmetrie und Kontrasten.

Rhetorisch dominieren Anaphern, Apostrophen und Fragen, die Intensität und Emotionalität steigern.

Metaebene: Die Macht des Blicks übersteigt die Sprache und macht den Text zugleich zu einer Reflexion über Ausdrucksgrenzen.

Poetologisch wird sichtbar, dass das Gedicht selbst als Akt der Affektformung funktioniert: Sprache macht Leiden erträglich, indem sie es gestaltet.

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