Vaterlandslied

Ernst Moritz Arndt

Vaterlandslied

1812

Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Der wollte keine Knechte,
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
Dem Mann in seine Rechte,
Drum gab er ihm den kühnen Mut,
Den Zorn der freien Rede,
Daß er bestände bis aufs Blut,
Bis in den Tod die Fehde.

So wollen wir, was Gott gewollt,
Mit rechter Treue halten
Und nimmer im Tyrannensold
Die Menschenschädel spalten,
Doch wer für Tand und Schande ficht,
Den hauen wir zu Scherben,
Der soll im deutschen Lande nicht
Mit deutschen Männern erben.

O Deutschland, heil'ges Vaterland!
O deutsche Lieb' und Treue!
Du hohes Land! Du schönes Land!
Dir schwören wir aufs neue:
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Der füttre Krähn und Raben!
So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben.

Laßt brausen, was nur brausen kann,
In hellen, lichten Flammen!
Ihr Deutschen alle Mann für Mann
Fürs Vaterland zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan!
Und himmelan die Hände!
Und rufet alle Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!

Laßt klingen, was nur klingen kann,
Die Trommeln und die Flöten!
Wir wollen heute Mann für Mann
Mit Blut das Eisen röten,
Mit Henkerblut, Franzosenblut –
O süßer Tag der Rache!
Das klinget allen Deutschen gut,
Das ist die große Sache.

Laßt wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut uns Mann für Mann
Zum Heldentode mahnen:
Auf! Fliege, stolzes Siegspanier
Voran dem kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
Den süßen Tod der Freien.

Historischer Kontext

• Das Vaterlandslied wurde 1812 von Ernst Moritz Arndt verfasst, inmitten der Befreiungskriege gegen die napoleonische Fremdherrschaft. Diese Zeit war geprägt von wachsendem Nationalbewusstsein in den deutschen Staaten. Arndt war ein glühender Verfechter der nationalen Einheit und Freiheit von Fremdherrschaft, insbesondere gegen Frankreich, das seit den Revolutionskriegen und der Kaiserzeit unter Napoleon großen Einfluss auf deutsche Territorien ausübte.
• Die Veröffentlichung des Gedichts erfolgte kurz vor dem Zusammenbruch von Napoleons Russlandfeldzug — eine Zeit, in der viele Deutsche Hoffnung auf nationale Erhebung setzten.
• Arndts Vaterlandslied ist ein hochgradig rhetorisch und ideologisch durchdrungener Text. Seine philologische Analyse zeigt eine gezielt mobilisierende, archaisierende und nationalistisch geprägte Sprache, die durch stilistische Mittel wie Parallelismen, martialische Lexik und Pathosverdichtung eine kollektive Identifikation schaffen will. Der Text ist ein eindrückliches Beispiel für Sprache als Waffe im Dienst des nationalen Kampfes – und ein Dokument des frühen deutschen Nationalismus mit problematischer, aber historisch aufschlussreicher Wirkungskraft.
• Es entstand 1812 im Kontext der antinapoleonischen Befreiungskriege. Es ist ein zentrales Dokument des deutschen Nationalismus und der politischen Romantik im frühen 19. Jahrhundert. Die ideengeschichtliche Bewertung muss dabei sowohl Arndts Zeitumstände als auch die langfristige Wirkungsgeschichte einbeziehen.
• Ein Schlüsseltext des frühen deutschen Nationalismus, in dem sich Befreiungspathos und Gewaltverherrlichung verbinden. Seine ideengeschichtliche Relevanz liegt nicht nur in der politischen Mobilisierung gegen Napoleon, sondern auch in seiner Funktion als Sprachrohr eines ideologisch aufgeladenen Nationalgedankens, der bis ins 20. Jahrhundert hinein wirksam blieb – mit allen problematischen Konsequenzen. Als Dokument seiner Zeit ist es ebenso wichtig wie ambivalent: ein Aufruf zur Selbstbestimmung und zugleich ein Beleg für die gefährlichen Grenzen ideologischer Nationalkonstruktionen.

Formale Analyse

• Strophenbau: 6 Strophen mit je 8 Versen, meist im Kreuzreim (abab cdcd)
• Metrum: vierhebiger Jambus, martialisch und rhythmisch eindringlich, betont die Dringlichkeit und Kampfeslust
• Sprachstil: pathetisch, emphatisch, stark rhetorisch mit klarer Appellstruktur („Laßt brausen“, „Auf!“)
• Wortwahl: stark militarisiert und nationalistisch („Henkerblut“, „Rache“, „Heldentod“, „Vaterland“)

Inhaltliche Gliederung

Strophe 1–2: Gottes Wille und moralische Legitimierung des Kampfes
• Gott selbst wird als Schöpfer des Eisens präsentiert – Symbol für Waffen und damit den Kampf.
• Der Mensch soll frei und nicht Knecht sein; der bewaffnete Widerstand wird als göttlich legitimierte Handlung dargestellt.
• Die Gegnerschaft zu "Tyrannen" ist ein moralisches Ideal; Knechtschaft wird als unnatürlich betrachtet.
Strophe 3: Kampf gegen Unwürdige im Inneren
• Nicht nur äußere Feinde (Franzosen), sondern auch innere Verräter („Tand und Schande“) werden verurteilt.
• Wer sich nicht dem Vaterland verpflichtet fühlt, soll kein Anrecht auf das deutsche Erbe haben – ethnisch-nationale Exklusion.
Strophe 4: Schwur auf das Vaterland
• Emotional aufgeladene Anrufung Deutschlands („heil'ges Vaterland“) mit einem Treueschwur.
• Direkte Referenz zur Hermannsschlacht, mythischer Sieg der Germanen über die Römer – Mobilisierung nationaler Mythen für den gegenwärtigen Kampf.
• Aufruf zur Rache — wird mit religiösem Ernst und nationalem Pathos aufgeladen.
Strophe 5: Mobilmachung und Gewaltfantasie
• Fast hymnisch: Klang und Feuer als Symbole für Erhebung und Mobilmachung.
• Exzessive Gewaltfantasie: „Mit Blut das Eisen röten“ – besonders die explizite Erwähnung von „Franzosenblut“ zeigt offen chauvinistische und blutrünstige Sprache.
• Der „süße Tag der Rache“ als Höhepunkt nationaler Wiedergeburt.
Strophe 6: Todesbereitschaft und Siegeswille
• Kulmination im Aufruf zum Heldentod („süßer Tod der Freien“) – Anlehnung an antikes Freiheitsideal.
• Entweder Sieg oder Tod – kein Platz für Rückzug oder Schwäche.

Deutung und Ideologiekritik

Nationalismus und Militarismus
• Arndt verschmilzt Religion, Nation und Krieg zu einem geschlossenen Weltbild. Der Krieg ist nicht nur erlaubt, sondern geboten – weil Gott ihn will. Der Soldat wird zum Freiheitskämpfer verklärt, der Tod zum höchsten Opfer.
Exklusion und Feindbildkonstruktion
• Das Gedicht grenzt aus:
• „Knechte“ und „Buben“ stehen für Feiglinge, Verräter oder Kollaborateure.
Franzosen werden pauschal dämonisiert.
• Die Gemeinschaft ist exklusiv, homogen, männlich und kämpferisch.
Romantisierung des Todes
• Mit der Formel vom „süßen Tod der Freien“ zeigt sich eine romantisierende Verklärung des Krieges. Der Kampf fürs Vaterland wird als höchstes Ideal dargestellt.

Wirkungsgeschichte

• Das Vaterlandslied wurde ein Leitgedicht der nationalistischen Bewegung im 19. Jahrhundert.
• Es war auch Teil der Erziehung im Kaiserreich und erlebte eine Wiederbelebung im Nationalsozialismus.
• Nach 1945 wurde das Gedicht aufgrund seines aggressiven Nationalismus kritisch bis distanziert rezipiert.

Gesamtbewertung

• Ernst Moritz Arndts Vaterlandslied ist ein typisches Produkt des deutschen Frühnationalismus:
• Es ist literarisch wirksam in Pathos, Rhythmus und Appellstruktur.
• Es ist politisch und ethisch problematisch durch seine Verherrlichung von Gewalt, seine ethnozentrische Ausrichtung und seine aggressive Exklusion von „Feinden“.
• Es steht exemplarisch für den Übergang von romantischem Idealismus zur politischen Ideologie im Kontext der europäischen Nationalstaatsbildung.

Sprachhistorischer Kontext

Das Gedicht entstand 1812 während der Befreiungskriege gegen Napoleon. Die Sprache spiegelt die politische und sprachliche Situation eines Deutschlands wider, das noch nicht geeint war, sich aber über gemeinsames „Deutschsein“ definieren wollte. Arndt ist eine Schlüsselfigur des deutschen Nationalismus, und seine Sprache ist darauf ausgelegt, kollektive Identität und emotionale Mobilisierung durch sprachliche Mittel zu fördern.

Lexik und Wortwahl

1. Archaismen und historische Bezüge:
• "Fehde", "Knecht", "Acht", "Hermannsschlacht", "Heldentod", "Siegspanier": Diese Wörter sind bewusst historisch aufgeladen. Sie evozieren das Mittelalter, das Alte Reich, oder die Varusschlacht als Symbol nationaler Stärke.
• "Der Gott, der Eisen wachsen ließ": Die mythopoetische Vorstellung eines Gottes, der direkt ins Weltgeschehen eingreift, ist Ausdruck einer archaisierenden, nationalromantischen Sprache.
2. Gewaltlexik und Blutmetaphorik:
• „Säbel, Schwert und Spieß“, „mit Blut das Eisen röten“, „Henkerblut, Franzosenblut“, „Knechtschaft hat ein Ende“: Die Sprache ist martialisch, drastisch, ja blutrünstig. Sie dient der Heroisierung des Kampfes und der moralischen Legitimation von Gewalt durch göttlichen Willen.

Syntax und Stil

1. Parallelismus und Anapher:
• „Laßt brausen, was nur brausen kann / Laßt klingen, was nur klingen kann / Laßt wehen, was nur wehen kann“ – rhythmische Wiederholung zur Steigerung und Erzeugung von Dynamik, eine Art „poetisches Trommelfeuer“.
• Solche syntaktischen Parallelen verstärken die rhetorische Wucht.
2. Ausrufe und Imperative:
• „So wollen wir...“, „Dir schwören wir...“, „Auf!“, „Rufet alle Mann für Mann!“: Der Appellcharakter ist zentral. Es handelt sich fast um eine sprachliche Mobilmachung.
3. Inversion und Ellipse:
• „Dem Mann in seine Rechte“ (statt: in seine Rechte dem Mann) – poetische Inversion zur Hervorhebung.
• „Der füttre Krähn und Raben!“ – elliptisch, aggressiv. Subjekt unklar, Imperativ an alle gerichtet.

Metrik und Klang

1. Versmaß:
• Meist vierhebiger Jambus, der mit seinem marschartigen Rhythmus die militärische Haltung betont.
> Der Gott / der Ei / sen wach / sen ließ...
• Der gleichmäßige Rhythmus unterstreicht das Pathos der Geschlossenheit und Ordnung.
2. Klangfiguren:
• Alliteration: „Säbel, Schwert und Spieß“, „Dem Buben und dem Knecht die Acht“ – verstärken die Eindringlichkeit und memorierbare Struktur.
• Assonanz und Binnenreime erzeugen klangliche Dichte, besonders in „Mit Blut das Eisen röten“.

Rhetorische Figuren

• Personifikation: Das Vaterland wird angesprochen wie ein Wesen: „O Deutschland, heil’ges Vaterland!“
• Metapher: „Mit Blut das Eisen röten“ – die Metapher für das Schlachtfeld wird zur sakralen Handlung.
• Hyperbel: „O süßer Tod der Freien“ – paradox übersteigerte Heroisierung des Todes.
• Ironischer Zynismus: „Der füttre Krähn und Raben“ – grausame Vorstellung des Feindes als Aas.

Ideologischer Sprachgebrauch

Arndts Sprache ist nicht „neutral“ – sie ist ein sprachliches Instrument der politischen Mobilisierung. Seine Wortwahl und stilistische Strukturierungen erzeugen ein geschlossenes Weltbild: Gott, Vaterland, Ehre, Freiheit, Kampf. Die Sprache ist performativ: Sie wirkt nicht nur beschreibend, sondern aufrufend.

Semantisch-pragmatische Felder

• Feld „Krieg/Wehr“: Säbel, Schwert, Spieß, Schlacht, Fehde, Blut, Eisen, Tod
• Feld „Nation/Vaterland“: Deutschland, Vaterland, deutsche Männer, Treue, Liebe
• Feld „Gegner/Feind“: Tyrannensold, Buben, Knechte, Franzosenblut, Henkerblut
• Diese Felder strukturieren die semantische Landschaft des Textes binär: Wir (die Guten) – Sie (die Feinde).

Historischer Kontext und Entstehungssituation

Das Gedicht entstand während der napoleonischen Fremdherrschaft über große Teile Europas. Deutschland war territorial zersplittert und politisch dominiert von Frankreich. Arndt, ein glühender Nationalist, verfasste das „Vaterlandslied“ als Aufruf zum Widerstand gegen die französische Besatzung und zur Schaffung eines vereinten deutschen Nationalstaats.
> Zentrale Ereignisse:
> Auflösung des Heiligen Römischen Reiches (1806)
> Rheinbund (1806–1813) als französisches Satellitensystem
> Preußische Niederlagen (1806) und Reformbewegungen
> Aufruf zum Volkskrieg nach spanischem Vorbild

Ideengehalt und politische Programmatik

Das Gedicht ist ein Beispiel für den romantisch-nationalistischen Aufruf zur „Volksgemeinschaft“ im Zeichen des Krieges und der Selbstbehauptung. Es verbindet christlich-theologische Rhetorik mit gewaltgeladenem Freiheitskampf.
1. Theologie des Widerstands
> „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, / Der wollte keine Knechte“
> – Gott als Schöpfer von Waffen und Freiheit.
> – Der Kampf gegen Tyrannei wird zur religiösen Pflicht.
> – Ideengeschichtlich: Nähe zu lutherischer Freiheitsdeutung und protestantischem Widerstandsdenken (z. B. Magdeburger Bekenntnis).
2. Nationalismus und Feindbildkonstruktion
> „Mit Henkerblut, Franzosenblut – / O süßer Tag der Rache!“
> – Feindbild: Franzosen = Henker, Tyrannen, Untermenschen.
> – Betonung von „deutscher Ehre“, „deutschem Mann“, „Vaterland“.
> – Ideengeschichtlich: Radikalisierung des aufklärerischen Freiheitsgedankens in einen exklusivistischen ethnokulturellen Nationalismus.
3. Volkskrieg und Männerbund
> „Wir wollen heute Mann für Mann / Mit Blut das Eisen röten“
> – Militarisierung der Männlichkeit.
> – Betonung von Treue, Ehre, Opferbereitschaft.
> – Ideengeschichtlich: frühe Form einer politischen Männlichkeitsästhetik, die später auch in völkischen Bewegungen wiederkehrt.

Kritik und problematische Aspekte

1. Gewaltverherrlichung und Heroisierung des Krieges
• Das Gedicht glorifiziert den Krieg als Akt göttlicher Gerechtigkeit. Es hebt nicht nur die Notwendigkeit des Widerstands hervor, sondern stilisiert den Krieg selbst als sakralen Akt.
2. Exklusion und Feindrhetorik
• Die Linie zwischen Freund und Feind ist absolut gezogen:
> „Doch wer für Tand und Schande ficht, / Den hauen wir zu Scherben“
> – Die eigene Nation wird moralisch aufgeladen, der Gegner dämonisiert.
> – Eine Vorform völkischer Rhetorik, die im 19. und 20. Jh. weiterwirkt.
3. Protofaschistische Elemente?
• In der Forschung wird diskutiert, inwiefern Arndts Lied Vorläufer totalitärer Ideologeme enthält:
• Volksgemeinschaft
• Kult der Gewalt
• ethnisch-kulturelle Homogenität
• messianisches Sendungsbewusstsein
• Es wäre anachronistisch, Arndt direkt mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen, aber seine Sprache und Rhetorik wurden im 20. Jahrhundert vereinnahmt, z. B. in Wehrmachtsausgaben oder NS-Schullesebüchern.

Wirkungsgeschichte

• 19. Jh.: Arndt gilt als Nationaldichter, sein Gedicht wird zu einem „Kampfgesang“ in den Befreiungskriegen und später im preußischen Militarismus.
• 1870/71 und 1914: Wiederbelebung im Kontext nationalistischer Kriegspropaganda.
• 1933–1945: Ideologisches Missbrauchspotenzial durch Nationalsozialisten.
• Nach 1945: Stark kritisierte Textebene, aber literaturhistorisch bedeutend als Zeugnis der nationalen Mobilisierung.

Ideengeschichtliche Einordnung in größere Strömungen

• Politische Romantik | Subjektive Emphase, nationale Mythen (z. B. Hermannsschlacht)
• Frühliberalismus | Ambivalenz: Freiheitspathos ja – aber nur in nationaler Exklusivität
• Konservatismus | Ablehnung der französischen Revolution und ihrer „Entartung“
• Vormärzlicher Nationalismus | Wegbereiter eines einheitlichen deutschen Nationalstaats
• Völkischer Nationalismus (ab 1871) | Rhetorische Vorlagen: Blut, Boden, Männlichkeitsideal, Ausschlussdenken

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