Achim von Arnim
Stiftungslied
Am Krönungstage den 18. Januar 1812.
Unsre Krone ward erstritten
Durch der deutschen Ritter Blut,
Als die Heiden mußten bitten
Um des ew'gen Friedens Gut;
Seit die Heiden sind bekehret,
Kam die gnadenfrohe Zeit.
Und der Adel währt und lehret
Freiheit in Ergebenheit;
Freiheit christlich deutscher Treue
Uns mit deinem Segen weihe!
Ew'ger Glaube lebe hoch!
Chor.
Unser Glaube lebe hoch!
Als am ersten Krönungstage
Friedrich setzte auf die Stirn
Unsre Krone, daß er trage
Unsres Reiches Glanzgestirn,
Einte uns mit höhrer Krone
Zu dem großen Weltgeschick,
Gott der Herr auf seinem Throne
Mit der Hoffnung Segensblick,
Ließ dem Könige zum Zeichen
Seine heil'ge Salbung reichen.
Daß die Krone lebe hoch.
Chor.
Unsre Krone lebe hoch!
Unsres Volkes alte Rechte
Halten beide Kronen fest,
Schützt sie kommendem Geschlechte,
Schützt die Adler in dem Nest,
Bis sie auf den jungen Schwingen
Über uns in hohem Flug
Zu dem Glanz der Sonne dringen,
Im vereinten Heldenzug;
Schwört dem alten Herrscherhause,
Bei der Krönung Jubelschmause,
Ruft dem König Lebehoch!
Chor.
Unserm König Lebehoch!
Nimmer sollen Fremde herrschen
Über unsern deutschen Stamm,
Allen wilden Kriegesmärschen
Setzt die Treue einen Damm.
Unsres Volkes treue Herzen
Bindet eine Geisterhand,
Und wir fühlen Sie in Schmerzen,
Sie, die uns von Gott gesandt,
Daß sich Glaub' und Liebe finde,
Und in Hoffnung sich verkünde,
Ewig lebt die Königin.
Chor.
Ewig lebt die Königin!
Steigt der Wein uns in die Krone
Bei der Krone frohem Fest,
Freudengeber schone, schone,
Daß uns Demuth nicht verläßt;
Ernstes Leben muß uns weihen,
Was der Einzelne vermag.
Soll er dienend Allen leihen,
Viele Strahlen machen Tag.
Schwört, daß keiner will vor allen,
Jeder treu mit allen schallen,
Hier zu Preußens Lebehoch.
Chor.
Alle Preußen leben hoch!
Analyse
Achim von Arnims Stiftungslied wurde am 18. Januar 1812 zur Feier eines Krönungstages verfasst und verbindet patriotische Gesinnung mit christlicher Frömmigkeit und einem romantischen Ideal nationaler Einheit. Der Text ist ein paradigmatisches Beispiel für die Verbindung von Romantik, Geschichtsbewusstsein und monarchischer Legitimation in der Literatur des frühen 19. Jahrhunderts.
Es ist ein dichterischer Ausdruck nationaler Erneuerung im Zeichen von Monarchie und Christentum. Es bündelt romantische Vorstellungen von Geschichte, Nation und Transzendenz in einer hymnischen Sprache und verleiht dem preußischen Königtum eine fast sakrale Weihe. Der Text ist exemplarisch für das romantische Nationenverständnis, das sich aus Mythos, Religion, Volk und König zusammensetzt.
1. Historischer Kontext
Der 18. Januar war das traditionelle Datum preußischer Königskrönungen (etwa 1701 Friedrich I.). Arnims Gedicht entstand in einer Zeit politischer und kultureller Umwälzung: Nach den Niederlagen Preußens gegen Napoleon (1806/07) befand sich das Land in einem Prozess der Erneuerung. Das Lied ist somit als Beitrag zur geistigen Mobilisierung gegen die Fremdherrschaft zu verstehen.
2. Struktur und Aufbau
Das Gedicht besteht aus sechs Strophen, jeweils gefolgt von einem Chorvers. Diese chorische Wiederholung verleiht dem Text musikalische Qualität und ruft liturgische oder hymnenhafte Assoziationen hervor. Die Refrains stärken die kollektive Wirkung und feiern jeweils „Glaube“, „Krone“, „König“, „Königin“ und schließlich „Preußen“.
3. Themen und Motive
a. Krone und Königtum
Die Krone symbolisiert nicht nur weltliche Macht, sondern ist religiös überhöht („heil'ge Salbung“, „Gott der Herr auf seinem Throne“). Die Krönung Friedrichs I. erscheint als göttlich legitimierter Gründungsakt eines „Reiches“, das religiöse und nationale Einheit verheißt.
b. Glaube und Christentum
Die Bekehrung der Heiden steht paradigmatisch für die Verbreitung des wahren Glaubens. Damit ist ein Geschichtsbild verbunden, in dem das Christentum als Grundlage nationaler und politischer Ordnung erscheint. Der Glaube wird als Fundament von Freiheit und Adel (Strophe 1) betrachtet – eine christlich-römische Vorstellung im Sinne des „rex iustus“.
c. Volk und Adel
Adel und Volk erscheinen hier nicht als Gegensätze, sondern als komplementäre Träger einer gemeinsamen Sendung. Die aristokratische Führung wird bejaht, jedoch unter dem Ideal christlicher Demut und Pflichterfüllung gegenüber dem Gemeinwohl („dienen“).
d. Fremdherrschaft und Nationalgeist
In der fünften Strophe wird die Ablehnung fremder Herrschaft deutlich formuliert: „Nimmer sollen Fremde herrschen / Über unsern deutschen Stamm“. Dies reflektiert die nationalistische Grundhaltung der Zeit, richtet sich klar gegen napoleonische Fremdherrschaft und artikuliert den Wunsch nach Selbstbestimmung.
e. Die Königin als geistige Gestalt
In einer bemerkenswerten Wendung erscheint in der fünften Strophe die Königin nicht als reale Herrscherin, sondern als symbolische oder geistige Instanz, durch die „Glaub’ und Liebe“ sich finden. Sie ist „von Gott gesandt“ – womöglich eine Allegorie auf die Nation selbst, die in Schmerz und Hoffnung zusammengeführt wird. Die weibliche Figur könnte auch als romantische Chiffre für das „ewige Weibliche“ im Sinne Goethes verstanden werden.
4. Stil und Sprache
Arnims Sprache ist bewusst hymnisch und pathetisch, mit häufigem Einsatz von Enjambements, Ausrufesätzen und Personifikationen. Die Wortwahl (z. B. „Glanzgestirn“, „Geisterhand“, „heil’ge Salbung“) oszilliert zwischen religiöser Symbolik und nationaler Mythopoetik. Die Verflechtung sakraler, heroischer und volkstümlicher Elemente entspricht dem romantischen Stilwillen, Geschichte als mythisch durchdrungenes Ganzes zu sehen.
5. Ideologische und poetologische Deutung
Das Gedicht ist ein typisches Produkt der Frühromantik im Sinne der sogenannten Heidelberger Romantik. Es verbindet:
• eine poetische Vergöttlichung monarchischer Ordnung,
• eine romantische Auffassung von Geschichte als Heilsgeschichte,
• und ein volkstümliches Pathos, das auf Gemeinschaft und kollektive Identität abzielt.
• Dabei ist der Text keineswegs bloß reaktionär: Die Betonung von „Demut“, „Treue“ und „Dienen“ verweist auf eine ethisch fundierte Monarchievorstellung, nicht auf bloßen Machtwillen.
6. Funktion und Wirkung
Das Stiftungslied ist sowohl Festgesang als auch ideologische Programmschrift. Es legitimiert das preußische Königtum religiös und historisch, hebt das deutsche Volk als Träger eines göttlich geführten Geschichtsprozesses hervor und ruft zum Widerstand gegen Fremdherrschaft auf – ohne revolutionär zu sein. Die Monarchie wird als „Bindemittel“ einer idealisierten Einheit zwischen Adel, Volk und Glauben verstanden.