Angelus Silesius
Sie erzählt die Herrlichkeit seiner Auferstehung
Nun danket Gott, ihr Christen all,
Und jauchzet ihm mit großem Schall,
Dieweil er seiner Gottheit Macht
Durch seinen Sohn an Tag gebracht.
Triumph, Triumph schrei alle Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.
Er ist erstanden von dem Tod,
Der Lebens-Fürst, der wahre Gott.
Er hat des Teufels Burg zerstört
Und Gottes Himmelreich gemehrt.
Triumph, Triumph schrei alle Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.
Er ist erschienen wie der Blitz
Und hat betört der Feinde Witz.
Er hat erweiset mit der Tat,
Was er zuvor verkündigt hat.
Triumph, Triumph schrei alle Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.
Er hat nun überwunden
Sein Leiden, Trübsal und Gefahr.
Sein Haupt trägt schon mit großem Glanz
Den ewig grünen Lorbeerkranz.
Triumph, Triumph schrei alle Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.
Die Wunden, die er hier empfing,
Da er ans Kreuz genagelt hing,
Die leuchten wie die Morgenstern
Und strahlen von ihm weit und fern.
Triumph, Triumph schrei alle Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.
Er ist nun voller Seligkeit
Und herrschet über Ort und Zeit.
Er lebt voll Freud im Paradeis
Und hört mit Lust sein Lob und Preis.
Triumph, Triumph schrei alle Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.
Drum danket Gott, ihr Christen all,
Und jauchzet ihm mit großem Schall.
Ihr sollt in ihm auch auferstehn
Und in die ewge Freude gehn.
Drum schrei Triumph die ganze Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.
Einordnung und Aufbau des Gedichts
1. Autor und Kontext
Dieses Gedicht ist nicht mystisch in spekulativer Weise, sondern liturgisch und katechetisch geprägt – es entfaltet das Ostergeheimnis (Auferstehung Christi) in hymnischer Form.
2. Formaler Aufbau
• Strophenzahl: 7 Strophen
• Versmaß: vierzeilige Strophen mit Paarreim (aabb)
• Refrain: Am Ende jeder Strophe steht der Kehrvers:
„Triumph, Triumph schrei alle Welt,
Denn Jesus hat den Feind gefällt.“
• Dieser Triumphruf evoziert die Atmosphäre eines Osterjubels, der kosmisch-universale Dimensionen annimmt („alle Welt“).
Inhaltliche Analyse und Interpretation
Strophe 1
Einleitung und Aufruf zum Dank:
• Die Christen sollen Gott danken und mit lautem Jubel seinen Sieg feiern.
• Theologische Pointe: Die Macht Gottes ist „durch seinen Sohn an Tag gebracht“ – also offenbar geworden in der Auferstehung.
Strophe 2
Christus als „Lebens-Fürst“ und „wahrer Gott“:
• Die Christologie ist deutlich hoch – Jesus wird in seiner göttlichen Identität benannt.
• Sieg über Tod, Teufel und Erweiterung des Himmelreichs:
• Klassisches Thema der „Christus Victor“-Theologie (s. weiter unten bei biblischen Bezügen).
Strophe 3
• Auferstehung als plötzlicher, durchdringender Akt („wie der Blitz“)
• Entmachtung der Feinde durch List und Tat:
Es klingt der Gedanke an, dass die Gegner durch Kreuzigung glaubten zu siegen, aber betrogen wurden.
Strophe 4
• Überwindung des Leidens:
• Jesu Passion ist nicht das Ende, sondern wird in Herrlichkeit verwandelt.
• Siegeszeichen: Lorbeerkranz:
• Ein Symbol antiken Sieges, aber in geistlicher Wendung – ewig grün (unvergänglich).
Strophe 5
• Verklärung der Wunden:
• Die Kreuzesmale leuchten nun wie Morgensterne – also Zeichen des Heils und nicht mehr des Leidens.
→ Paradoxe Verherrlichung des Schmerzes: Der Tod selbst wird verklärt.
Strophe 6
• Christi Herrschaft über Zeit und Raum:
• Er thront im „Paradeis“, lebt in „Freud“ und hört das Lob seiner Gläubigen.
• Es ist ein Zustand vollkommener Glückseligkeit und Transzendenz.
Strophe 7
• Erneuter Aufruf an die Gläubigen:
• Dank, Jubel und Hoffnung auf eigene Auferstehung.
• Verknüpfung von Christi Sieg mit der eschatologischen Hoffnung der Christen:
• Wer in Christus ist, wird ebenfalls auferstehen – der Triumph Christi ist nicht isoliert, sondern kommunikabel.
Biblische Bezüge
Das Gedicht ist tief verwurzelt in der biblischen Osterverkündigung, vor allem im Lichte des Neuen Testaments und der frühchristlichen Theologie:
1. Christi Sieg über den Tod und Teufel
1 Kor 15,55–57: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? \[…] Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus!“
Kol 2,15: „Er hat die Mächte und Gewalten entwaffnet und sie öffentlich zur Schau gestellt – in ihm hat er über sie triumphiert.“
Offb 1,18: „Ich war tot, doch siehe, ich bin lebendig in alle Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Unterwelt.“
2. Die Wunden als Lichtquellen
Joh 20,27: Der auferstandene Christus zeigt dem Thomas seine Wunden.
Die sichtbaren Wunden sind in der christlichen Ikonographie Zeichen von Herrlichkeit, nicht mehr Leid.
Jes 53,5: „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“
→ Die Wunden behalten ihre Heilsfunktion auch in der Verklärung.
3. Teilnahme der Gläubigen an Christi Auferstehung
Röm 6,5: „Denn wenn wir mit ihm verwachsen sind in der Gleichheit seines Todes, so werden wir es auch in der seiner Auferstehung sein.“
Phil 3,10–11: „Ihn will ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung \[…] ob ich irgendwie hingelangen möge zur Auferstehung von den Toten.“
4. Der „Lorbeerkranz“
2 Tim 4,8: „Hinfort liegt für mich bereit der Siegeskranz der Gerechtigkeit.“
1 Kor 9,25: „Sie tun es, um einen vergänglichen Kranz zu empfangen, wir aber einen unvergänglichen.“
Fazit
Angelus Silesius’ Gedicht ist ein hymnischer Lobpreis auf die Auferstehung Christi im Stil barocker Dichtung, der sich stark an biblischen Motiven orientiert. Der Text kombiniert liturgisches Pathos, theologische Tiefe und eschatologische Hoffnung. Formal ist er einfach, fast liedhaft – der ständige Triumphruf verstärkt die Wirkung – inhaltlich aber komplex: Die Auferstehung Christi wird nicht nur als singuläres Ereignis gepriesen, sondern als kosmischer Sieg, der die Ordnung der Welt verändert und alle Gläubigen zur Teilnahme an der neuen Wirklichkeit einlädt.