Sie bittet um seinen heiligen Geist und dessen Gaben

Angelus Silesius

Sie bittet um seinen heiligen Geist und dessen Gaben

Komm, heilger Geist, du höchstes Gut,
Entzünd mein Herz mit deiner Glut.
Schlag deines Feuers süße Flammen
Ganz kräftig über mich zusammen.
Erweck in mir durch deine Gunst,
O Herr, der ewgen Liebe Brunst.

Erleuchte mich, du wahres Licht,
Daß ich im Finstren sterbe nicht.
Beschatte mich mit deiner Kühle,
Daß ich nicht fremde Hitze fühle.
Erquicke meines Herzens Au
Mit deiner heilgen Gottheit Tau.

Komm, komm, du allerbester Trost,
Der unsre Seelen liebekost.
Komm, komm, du Geber aller Gaben,
Ohn welchen wir nichts können haben.
Erfülle meines Herzens Schrein
Mit deiner starken Gottheit Wein.

Gib, daß ich wie ein liebes Kind
Gott fürcht und ihme folg geschwind.
Laß mich die Frömmigkeit erlangen
Und wahre Wissenschaft empfangen,
Daß ich den Weg der Seligkeit
Betrete mit Bescheidenheit.

Gib mir die Stärke, daß ich kann
Dir dienen wie ein Kriegesmann.
Dein Rat regiere meine Sinnen,
Daß sie recht unterscheiden können.
Verleih mir göttlichen Verstand,
Daß mir dein Wille sei bekannt.

Geuß deiner Weisheit güldnen Fluß
In mich durch deiner Liebe Kuß,
Daß ich in meinem Herzen wisse,
Wie gut du bist und wie so süße.
Daß ich anschau zu jeder Frist
Die Wahrheit, die du selber bist.

O Jesu, der du diesen Gast
Mir gar gewiß versprochen hast,
Laß ihn doch komm'n in meine Seele
Und benedeien diese Höhle.
Send ihn grad in mein Herz hinein
Und laß ihn ewig bei mir sein.

Einordnung und Aufbau des Gedichts

Angelus Silesius (Johann Scheffler, 1624–1677) verfasst seine geistlichen Texte im Barock, einer Epoche, in der dichterische Bilder und üppige Metaphorik bewusst eingesetzt werden, um Glaubens- und Welterfahrung zu verdichten. Das hier vorliegende Lied „Sie bittet um seinen heiligen Geist und dessen Gaben“ besteht aus sieben Strophen zu je sechs jambischen Versen mit Paarreimen. Die konsequenten Imperative („Komm“, „Gib“, „Erleuchte“, „Geuß“) verleihen dem Gedicht eine eindringliche Bitt- und Anrufungsform – es ist ein Gebet in poetischer Gestalt. Wiederholfiguren wie Anaphern („Komm, komm“) und Alliterationen („Feuers süße Flammen“) intensivieren die Dringlichkeit. Zugleich führt Silesius einen reichen Bilderteppich vor Augen: Feuer, Licht, Tau, Wein, Fluss, Kind, Soldat – jedes Bild betont einen anderen Aspekt des Wirkens des Heiligen Geistes.

Inhaltliche Analyse und Interpretation

Strophe 1 ergreift ein klassisches Pfingstmotiv: Das Feuer des Geistes entzündet das Herz. Das „höchste Gut“ soll nicht nur inspirieren, sondern das ganze Ich umschließen („Ganz kräftig über mich zusammen“). Das Bild der „ewgen Liebe Brunst“ deutet an, dass das Ziel mystische Einheit ist, nicht bloß moralische Verbesserung.
Strophe 2 wechselt von Hitze zu Licht und Tau. Der Geist soll im „Finstren“ bewahren und zugleich erfrischen („Beschatte mich mit deiner Kühle“). Die paradoxe Verbindung von Feuer (Strophe 1) und Kühle (Strophe 2) spiegelt die barocke Freude an Kontrasten und unterstreicht die Fülle des Geistes, der tröstet und zugleich lodert.
Strophe 3 verdoppelt das Anrufungsmoment („Komm, komm“) und nennt den Geist „allerbester Trost“ und „Geber aller Gaben“. Die Bitte, den „Schrein“ des Herzens mit „Gottheit Wein“ zu füllen, greift biblische Eucharistie-Symbolik auf: Der Geist vergöttlicht den Menschen, wie Wein Brot in Leib Christi verwandelt.
Strophe 4 fokussiert auf Tugenden: kindliche Gottesfurcht, Eifer des Gehorsams, Frömmigkeit und wahre Erkenntnis. Silesius’ Mystik betont, dass die rechte Lehre („wahre Wissenschaft“) ohne Demut nicht zum Heil führt.
Strophe 5 entwickelt die kämpferische Dimension: Der Beter will „wie ein Kriegesmann“ dienen. Hier klingen mittelalterliche und paulinische Bilder vom „guten Kampf des Glaubens“ an. Die Gabe des Rates („Dein Rat regiere meine Sinnen“) und des „göttlichen Verstands“ verknüpfen Wehrhaftigkeit mit Einsicht.
Strophe 6 vereint Zärtlichkeit („Liebe Kuß“) mit Gelehrsamkeit („Weisheit güldner Fluß“). Die Mystik des Herzens und die Theologie des Geistes verschmelzen, wenn das Herz die göttliche Süße „weiß“ und zugleich fortwährend die Wahrheit „anschaut“. Hier deutet sich das kontemplative Ziel an: eine dauerhafte Vision Gottes bereits im irdischen Leben.
Strophe 7 bringt Christus ausdrücklich ins Spiel: Jesus selbst hat den „Gast“ verheißen. Die Seele wird als „Höhle“ bezeichnet – Anklang an die Tradition des Herzens als Innenraum oder „cellula cordis“. Das Gebet endet nicht mit einer allgemeinen Bitte, sondern mit einem konkreten Pfingstglauben: Der Geist möge „ewig bei mir sein“, was auf die eschatologische Vollendung verweist.

Biblische Bezüge

1. Feuer und Entzündung – Das Pfingstereignis (Apg 2,3) zeigt „Zungen wie von Feuer“, die sich auf die Jünger legen. Auch Jer 20,9 spricht vom „brennenden Feuer“ im Herzen des Propheten.
2. Licht und Finsternis – In Joh 8,12 nennt Christus sich „das Licht der Welt“. Der Geist führt in „alle Wahrheit“ (Joh 16,13) und bewahrt vor geistlichem Tod („daß ich im Finstren sterbe nicht“).
3. Tau, Wasser, Wein – Der „Tau des Hermon“ (Ps 133,3) und der „Tau des Himmels“ (Sach 8,12) sind Sinnbilder göttlicher Frische. In Hos 14,6 verspricht Gott selbst, „wie der Tau“ zu sein. Das Bild des Weines erinnert an Pfingstspott („sie sind voll süßen Weines“, Apg 2,13) und an Eph 5,18 („Berauscht euch nicht mit Wein, sondern werdet voll des Geistes“).
4. Kindliche Furcht und Wissenschaft – Mt 18,3 verlangt, wie Kinder zu werden. Die Gabe der „Furcht des Herrn“, die Isa 11,2-3 als Geistgabe nennt, führt zur wahren „Weisheit“ (vgl. Spr 9,10).
5. Geistliche Waffenrüstung – Eph 6,10-17 schildert Christen als Soldaten mit göttlicher Rüstung. Die Bitte um Stärke („wie ein Kriegesmann“) spiegelt diese paulinische Tradition.
6. Gaben des Geistes – 1 Kor 12,4-11 listet Charismen, Gal 5,22-23 die „Frucht des Geistes“. Silesius greift sie poetisch auf: Trost, Rat, Stärke, Weisheit, Erkenntnis, Gottesfurcht.
7. Jesu Verheißung des Parakleten – Joh 14,16 und 16,7 reden davon, dass Christus den „anderen Beistand“ senden wird, der bei den Gläubigen „in Ewigkeit“ bleibt – genau das, was die Schlussstrophe erbit­tet.

Fazit

Das Gedicht ist mehr als ein Lehrgedicht über die sieben Gaben des Heiligen Geistes; es ist ein persönliches, mystisch gefärbtes Pfingstgebet. Angelus Silesius vereint biblische Bilder, kirchliche Lehre und barocke Sprachkunst, um eine Bewegung der Seele zu schildern: von der sehnenden Bitte, über das Erfüllt-Werden, hin zur dauerhaften Gemeinschaft mit Gott. Jedes Strophenbild öffnet einen neuen Aspekt dieser dynamischen Beziehung – Feuer entfacht, Licht erhellt, Tau erfrischt, Wein berauscht, Rat lenkt, Weisheit strömt, bis schließlich die göttliche Gegenwart das Herz ganz bewohnt. Damit erfüllt Silesius sein Ziel, das ineffabile Wirken des Geistes in menschliche Worte zu fassen und den Leser in denselben Ruf „Komm, heilger Geist“ einzustimmen.

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