Sie bereitet sich, ihren Lieben im heiligen Sakrament zu empfangen

Angelus Silesius

Sie bereitet sich, ihren Lieben im heiligen Sakrament zu empfangen

Auf, auf, mein Herz, und du, o meine Seele,
Ermuntre dich in deines Leibes Höhle!
Du sollst den Herrn der Herrlichkeit empfangen
Und in dir selbst zu seinem Kuß gelangen.

Wirf alles das, was irdisch, auf Seiten
Und tu dich nur ihm würdig zubereiten.
Sei rein und fein geschmücket und gezieret,
Wie einer Braut des Sohnes Gotts gebühret.

Er kömmt und will dir seine Lieb beweisen
Und dich, sein Kind, mit seinem Leibe speisen.
Er will dir von der Lebensquelle schenken
Und dich vollauf mit seinem Blute tränken.

O große Gnad und unerhörte Liebe!
Damit er ganz dein Leibeseigner bliebe
Und dir dadurch erteilete sein Leben,
Hat er sich selbst dir wolln zur Speise geben.

Dies haben vor in etlich tausend Jahren
Die Väter nie empfangen und erfahren.
Sie trunken nur vom Fels bedeutungsweise
Und aßen Mann', das Vorbild dieser Speise.

Drum geh heraus mit feurigen Begierden
Und nimm ihn an mit jungfräulichen Zierden.
Verschließ ihn ganz in deinem keuschen Herzen
Und klag ihm da die heilgen Liebesschmerzen.

Wirst du das tun und deine lautren Sinne
Zu seinen Ehrn in Demut halten inne,
So wirst du ihn als seine Braut genießen
Und er wird dich auch als dein Bräutgam küssen.

Analyse (Form, Sprache, Stil)

Form | 7 vierzeilige Strophen (28 Verszeilen), durchgängig jambischer Alexandriner (sechs Hebungen, Zäsur nach der dritten Hebung). Kreuzreim (a b a b). | Strenge barocke Form vermittelt Ordnung und Feierlichkeit; das gleichmäßige Klang-Muster unterstützt die meditative Aufforderung.
Adressat | „mein Herz … o meine Seele“ – ein innerer Soliloquium-Ton. | Selbstansprache betont die innere Dimension des Geschehens; Leser\in wird in dieselbe Bewegung hineingenommen.
Leitmotiv | Braut-Bräutigam-Symbolik, Hochzeitsfest, Speise/Trank. | Typisch barock-mystische Bildwelt lenkt auf eine intime, liebende Gottesbeziehung.
Imperative & Parallelismen | „Auf, auf“ – „Wirf …“, „Sei rein …“, „geh heraus“. | Dynamik, Dringlichkeit und Steigerung: die Seele soll aktiv werden.
Antithetik | „irdisch“ ↔ „Herr der Herrlichkeit“, „Leibes Höhle“ ↔ „Lebensquelle“. | Barocker Grundzug: Kontrast verstärkt das Transzendente.

Interpretation (Theologie & Mystik)

Angelus Silesius (1624 – 1677) spricht als christlicher Mystiker. Er ruft die Seele dazu auf,
1. sich zu bereiten: alles Weltliche abwerfen, sich „rein und fein“ schmücken – klassische Anima-Christi-Askese.
2. Christus sakramental zu empfangen: „Er will dir … mit seinem Leibe speisen“ weist direkt auf die Eucharistie. Das Liebes- und Hochzeitsbild (Braut/Bräutigam) deutet diese Kommunion als mystische Vereinigung – ein „Kuss“ Christi im Innern.
3. die Einzigartigkeit der Gnade zu würdigen: Frühere Generationen „trunken nur vom Fels … aßen Mann’“ – sie hatten bloß Vorbilder. Jetzt aber kommt die Erfüllung.
• Die poetische Bewegung geht von außen nach innen: körperliche Vorbereitung → geistige Sehnsucht → inneres Eins-Werden. Am Ende verschmelzen Braut und Bräutigam: „So wirst du ihn … genießen / Und er wird dich … küssen.“ Es ist eine reciproce delectatio: Christus schenkt sich und empfängt zugleich die Liebe der Seele.

Fazit

Das Gedicht ist eine dichte barock-mystische Meditation über die Eucharistie als Hochzeit zwischen Christus und der gereinigten Seele. Es verbindet klassische Antithetik und Imperativ-Rhetorik mit biblischer Typologie. Die Seele wird eingeladen, in einer Liebesbewegung das Sakrament zu empfangen, wodurch Christus sie innerlich verklärt und endgültig mit sich vereint.

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