Ritt im Mondschein

Achim von Arnim

Ritt im Mondschein

Herz zum Herzen ist nicht weit
Unter lichten Sternen,
Und das Aug', von Thau geweiht,
Blickt zu lieben Fernen;
Unterm Hufschlag klingt die Welt,
Und die Himmel schweigen,
Zwischen beiden mir gesellt
Will der Mond sich zeigen.

Zeigt sich heut in rother Gluth
An dem Erdenrande,
Gleich als ob mit heißem Blut
Er auf Erden lande,
Doch nun flieht er scheu empor,
Glänzt in reinem Lichte,
Und ich scheue mich auch vor
Seinem Angesichte. –

Analyse

Achim von Arnims Gedicht „Ritt im Mondschein“ ist ein typisches Beispiel der romantischen Lyrik, das Natur, Gefühl, kosmische Symbolik und das Ich-Erleben in dichte metaphorische Sprache fasst. Es evoziert eine nächtliche Szenerie, durchdrungen von Bewegung, Innerlichkeit und einem eigentümlich unheimlichen Licht – dem des Mondes.
Es entfaltet auf kleinem Raum eine poetisch verdichtete Vision der Nacht, in der Herz, Kosmos und Gefühl miteinander kommunizieren. Es lebt vom Spannungsverhältnis zwischen Bewegung und Stillstand, Nähe und Scheu, Naturbild und seelischer Resonanz – ein exemplarisches Zeugnis der Frühromantik, das durch seine dunkle Schönheit und vielschichtige Symbolik lange nachwirkt.

Motivik und Handlung

• Das Gedicht beschreibt den nächtlichen Ritt eines lyrischen Ichs unter dem Sternenhimmel. Es richtet seine Aufmerksamkeit auf Herz und Blick, Hufschlag und Himmel, Erde und Mond. Besonders der Mond steht im Mittelpunkt der zweiten Strophe: Er erscheint zunächst in „rother Gluth“, als würde er „mit heißem Blut / … auf Erden“ landen, steigt dann aber rein und licht empor – eine Wendung vom Unheimlichen zum Reinen.
• Der Text besteht aus zwei Strophen mit jeweils acht Versen, wobei jede Strophe ein geschlossenes Bild präsentiert:
• Strophe 1 schildert die gefühlshafte Nähe zwischen Herzen in der Natur.
• Strophe 2 thematisiert eine Verstörung: die blutrote Erscheinung des Mondes weckt Scheu und eine Art metaphysisches Unbehagen.

Sprache und Stilmittel

Achim von Arnim nutzt eine klare, volksliedhafte Sprache, die dennoch doppelbödig ist:
Personifikationen: Der Mond „will sich zeigen“, die „Himmel schweigen“ – Natur ist beseelt.
Synästhesie: „Aug', von Thau geweiht“ verbindet Sehen und Tastsinn, Nässe und Weihe.
Antithesen: Herz und Fernen; Hufschlag und Schweigen; Gluth und Licht.
Symbolische Kontraste: „rothe Gluth“ (Gefahr, Blut) versus „reinem Lichte“ (Reinheit, Ideal).
Klangstruktur: Durchgängiger Kreuzreim mit vierhebigen Versen schafft rhythmische Harmonie und suggeriert den Rhythmus eines Pferderitts.

Symbolik

Herz: Symbol des Gefühls, der Liebe, der inneren Nähe.
Aug' von Thau geweiht: Das Auge erscheint hier als empfindsam, tränen- oder mystisch berührt – eine Art „sehender Seele“.
Hufschlag: Der Rhythmus des Ritts durchdringt die Welt – ein Moment romantischer Verbindung von Subjekt und Kosmos.
Mond: In der Romantik oft ein ambivalentes Zeichen. Hier erscheint er zunächst dämonisch (blutrot), dann vergeistigt (reines Licht). Der Wandel des Mondes könnte den Wandel innerer Zustände spiegeln.

Romantische Themen

Sehnsucht und Ferne: „zu lieben Fernen“ – die Romantik idealisiert das Fernweh und das Unerreichbare.
Naturmystik: Der Himmel „schweigt“, der Mond „zeigt sich“ – die Natur ist Ausdruck tieferer Geheimnisse.
Ich-Erweiterung: Das Subjekt verschmilzt mit kosmischen Rhythmen, ist nicht isoliert, sondern eingebunden in ein größeres Ganzes.
Dualität von Licht und Dunkel: Die Erfahrung der Nacht ist durchzogen von Ambivalenz – zwischen Glut und Licht, Nähe und Scheu.

Psychologische Deutung

Das Gedicht lässt sich auch als seelisches Bild lesen:
• Die „rothe Gluth“ des Mondes evoziert eine Bedrohung – möglicherweise ein aufsteigendes Begehren, das dem Ich unheimlich ist.
• Das „scheue Emporfliehen“ des Mondes wie auch das „Scheuen“ des Ichs vor seinem Angesicht könnten Ausdruck einer Verdrängung oder transzendentalen Scheu sein: das Gefühl, einer höheren Instanz, einem numinosen Licht nicht gewachsen zu sein.
• Diese Bewegung zwischen Nähe und Furcht verweist auf einen inneren Zwiespalt zwischen Liebessehnsucht und Scheu vor Überwältigung.

Deutung und Interpretation

„Ritt im Mondschein“ ist ein romantisches Nachtstück, in dem die Bewegung des Reiters zu einem Bild seelischer Bewegung wird. Es schildert nicht nur eine äußere Landschaft, sondern eine innere Topographie des Gefühls, des Erkennens und des Staunens. Der Mond steht als ambivalentes Zeichen zwischen Bedrohung und Erleuchtung – möglicherweise eine Allegorie auf die Liebe, das Göttliche oder das poetische Schaffen selbst.
Am Ende steht keine Auflösung, sondern eine Schwebe: Das Ich bleibt zurück, geblendet, fast beschämt vor dem reinen Licht, das sich ihm zeigt – als Spiegel der eigenen Tiefe und Unvollkommenheit.

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