tal mi fec'io di mia virtude stanca,
e tanto buono ardire al cor mi corse,
ch'i' cominciai come persona franca:
poetisch, bildlich orientiert
So war ich nun, erschöpft an eigner Kraft,
doch Mut, ein edler, flutete mein Herz,
und ich begann wie einer, der frei spricht:
nah am italienischen Wortlaut
So machte ich mich, ermüdet an meiner Stärke,
und solcher guter Mut lief mir ins Herz,
dass ich begann wie einer, der frei ist:
modern, verständnisorientiert
Ich fühlte mich schwach und ohne Kraft,
doch plötzlich durchströmte mich großer Mut,
und ich sprach wie jemand, der sich nichts scheut:
Kontext
Diese Verse stehen am Ende des 2. Gesangs der Divina Commedia, in dem Dante, noch zögernd und voller Angst, sich zum Abstieg in die Hölle mit Vergil bereitmacht. Nachdem er von Vergil erfahren hat, dass Beatrice aus dem Himmel selbst ihn geschickt hat, verspürt Dante eine plötzliche innere Wandlung: Zweifel und Furcht werden von einem neu entflammten Mut verdrängt.
Vers 130: "tal mi fec'io di mia virtude stanca"
Wörtlich: »So machte ich mich selbst, (obwohl) meiner Kraft müde.«
Stilistisch: »Virtude« (Tugend, Kraft) ist hier als moralisch-spirituelle Energie zu verstehen. Das »stanca« betont Dantes Erschöpfung nach innerem Ringen.
Rhetorik: Die reflexive Form «mi fec'io” zeigt bewusste Selbstüberwindung – ein innerer Akt der Transformation.
Vers 131: "e tanto buono ardire al cor mi corse"
Bildhaftigkeit: »Buono ardire« – ein edler, tugendhafter Mut, nicht bloß wagemutige Kühnheit.
Dynamik: »mi corse al cor« (lief mir ins Herz) vermittelt plötzliches, lebendiges Empfinden. Der Mut ergreift Dante, wird zur treibenden Kraft.
Konnotation: Der Mut hat göttliche, übernatürliche Quelle – vermittelt durch Beatrices Gnade und die Fürsprache der Seligen.
Vers 132: "ch'i' cominciai come persona franca"
"persona franca": Bedeutet ursprünglich eine freie Person (politisch oder sozial), aber hier im Sinne von freimütig, offen, beherzt.
"cominciai": Der Beginn ist mehr als Sprechen – es ist die Entscheidung zur Reise, der Übergang vom Zweifel zum Handeln.
Klang und Rhythmus: Der Vers schließt den inneren Wandel mit Selbstbehauptung. Die Konsonanz in "persona franca" verstärkt die Entschlossenheit.
Thematische Bedeutung
Transformation durch Gnade: Dantes Angst wird nicht durch eigenes Nachdenken überwunden, sondern durch Vertrauen auf die göttliche Ordnung und Beatrices Liebe.
"Virtù" vs. "Ardire": Die menschliche Kraft reicht nicht aus (»virtù stanca«), aber der von außen kommende »ardire« verwandelt ihn.
Psychologischer Realismus: Dante zeichnet seine innere Schwelle glaubhaft – zuerst Schwäche, dann Mut, dann Handlung. Ein archetypischer Moment der Wandlung, vergleichbar mit der klassischen Katarsis.
Vergleich mit anderen Stellen
Diese Stelle erinnert an spätere Momente, etwa in Purgatorio I, wo Dante nach Reinigung und innerer Klärung wieder zu freier Handlung fähig ist.
Im weiteren Verlauf der Commedia kehrt das Motiv des »Kraftverlassens« und plötzlicher innerer Stärkung öfter wieder, oft im Zusammenhang mit transzendenten Eingriffen.
Gesamtüberblick von Inferno, Canto II
Der zweite Gesang des Inferno dient als erweiterte Exposition – ein psychologisch und dramaturgisch zentraler Moment, der Dantes Zögern vor dem Abstieg in die Hölle schildert. Es ist ein Canto der inneren Bewegung, geprägt von Angst, Zweifel und schließlich von Trost und Ermutigung durch höhere Mächte.
Verse 1–9: Die abendliche Stunde und Dantes Angst
Dante beschreibt die einbrechende Dunkelheit. Der Tag weicht, das aere bruno – die dunkle Luft – senkt sich. Dies ist nicht nur eine Naturbeschreibung, sondern eine metaphorische Vorbereitung: So wie die Nacht naht, beginnt Dantes Seelenwanderung in die Finsternis. Die Stimmung ist melancholisch, voller innerer Spannung. Schon hier spürt man Dantes Furcht vor dem bevorstehenden Weg.
Verse 10–42: Der Zweifel des Dichters
Dante zögert. Er fragt sich, ob er der Reise gewachsen ist. Er denkt an Äneas und Paulus – zwei Vorbilder, die schon einmal »jenseitige« Reiche betreten haben. Beide sind divinamente eletti, während er sich als unwürdig empfindet.
Hier spricht ein tief religiös geprägtes Unzulänglichkeitsgefühl, aber auch der tragende Impuls des gesamten Werks: die Frage nach der eigenen Berufung und Gnade. Dante kennt die Gefahr des hybris, sich selbst mit Heiligen und Heroen zu vergleichen. Und doch steht er am Beginn einer göttlich inspirierten Mission.
Verse 43–93: Vergils Reaktion und der Bericht über Beatrices Auftrag
Vergil beruhigt Dante und erzählt, wie er selbst von Beatrice, der Symbolfigur göttlicher Liebe und Gnade, geschickt wurde. Damit wird eine trinitarische Frauenreihe eingeführt: die Jungfrau Maria, die heilige Lucia und Beatrice. Diese drei handeln per grazia, nicht per Verdienst des Dichters.
Beatrice ist bewegt von Dantes innerer Not. Diese Passage markiert das Einbrechen des Himmels in die irdische Realität, eine erste epiphanische Bewegung. Die göttliche Ordnung steht schützend hinter Dante – und hinter dem gesamten Unternehmen der Commedia.
Verse 94–123: Beatrices Worte an Vergil
Beatrice spricht mit einem Ton reiner Zärtlichkeit. Sie betont, dass nichts sie schrecken könne, denn sie komme vom Himmel. Ihre Rede ist zugleich theologisch bedeutungsvoll – in ihr verbinden sich Gnade, göttliche Liebe und Sendungsbewusstsein.
Mit dieser Formel – Amor mi mosse – verbindet Dante seine persönliche Geschichte mit dem metaphysischen Grund des Universums. Es ist eine klare Anspielung auf das "l'amor che move il sole e l'altre stelle" (Paradiso, XXXIII): Der Liebe verdankt sich alles – sowohl Dantes Reise als auch der gesamte Bau der Commedia.
Verse 124–132: Dantes neue Entschlossenheit
Nach der langen Rede Vergils und der Offenbarung von Beatrices Sendung fühlt sich Dante neubelebt, ermutigt, erfüllt von Mut:
Dante überwindet sein anfängliches Zögern. Die poetische Formulierung – "tal mi fec'io..." – drückt einen Akt der Selbstüberwindung aus. Es ist eine Gnade, die durch das eigene Herz hindurch wirkt, nicht gegen, sondern durch den freien Willen hindurch. Dante wird »persona franca« – ein freier, mutiger Mensch. Es ist ein psychologisch wie geistlich zentrales Moment: die Entscheidung zur Reise in die Selbsterkenntnis und letztlich zu Gott.
Zusammenfassende Deutung
Canto II ist kein äußerlich bewegter Gesang, sondern ein zutiefst innerlicher. In ihm verdichtet sich:
die Spannung zwischen Furcht und Berufung,
das Ineinandergreifen von individuellem Zweifel und göttlicher Fürsorge,
der zentrale Gedanke der Commedia: Gnade wirkt durch die Liebe und sucht den Menschen in seiner Schwäche heim – nicht in seiner Stärke.
Er fungiert als psychologische Schwelle, ein Fegefeuer im Kleinen, noch bevor Dante das eigentliche Inferno betritt.
In Inferno Canto 2, Verse 130–132, Dante beschreibt den Moment, in dem ihn neue Kraft und Mut durchströmen:
Er ist nun bereit, Vergil in die Hölle zu folgen. Um diese Wandlung zu verstehen, muss man die Rolle dreier zentraler Figuren betrachten, die in diesem Canto auftreten: Beatrice, Lucia und Vergil.
Beatrice: die himmlische Vermittlerin der Gnade
Beatrice ist die treibende Kraft hinter Dantes Rettung. Sie erscheint nicht direkt in diesem Canto, aber Vergil berichtet von ihrem Eingreifen: Aus Sorge um Dante steigt sie aus dem Himmel in den Limbus herab, um ihn zu retten. Sie verkörpert göttliche Liebe, Barmherzigkeit und Erlösung. Ihre Initiative ist der erste Schritt im dreifachen Akt der Gnade:
Beatrice bewegt Lucia,
Lucia bewegt Maria,
Maria veranlasst das gesamte Rettungsunternehmen.
Beatrices Rede an Vergil (Verse 58–76) hebt ihre Mitleidensfähigkeit hervor – sie »zittre« vor Angst um Dante –, aber auch ihre Stärke: »son Beatrice che ti faccio andare« (»Ich bin Beatrice, die dich sendet«). Sie steht zwischen der Welt der Menschen und dem göttlichen Bereich, vereint Empathie mit Autorität.
Lucia: Lichtträgerin und Gnadenkraft
Lucia ist eine allegorisch aufgeladene Figur, wahrscheinlich identisch mit der heiligen Lucia von Syrakus. Sie wird von Beatrice angesprochen, damit sie Maria um Hilfe bittet. In der mittelalterlichen Allegorie steht sie für lumen gratiae – das Licht der göttlichen Gnade oder die erleuchtete Vernunft.
Ihr Eingreifen markiert die mittlere Station in der Kette der Vermittlung. Als »Nemica di ciascun crudele« (»Feindin jeder Grausamkeit«) bringt sie Licht in Dantes Dunkelheit. Man kann sie auch als die innere Gnadenbewegung deuten, die der Mensch nicht selbst hervorbringt, die ihm aber zuteilwird.
Vergil: Führer, Vernunft und Werkzeug der Gnade
Vergil hat in diesem Canto eine doppelte Funktion:
1. Poetischer und moralischer Führer: Er soll Dante durch die drei Reiche des Jenseits führen, beginnend mit der Hölle. In dieser Rolle steht er für die ratio humana, also die menschliche Vernunft, die zwar bis zu einem gewissen Punkt führen kann (durch Hölle und Läuterung), aber nicht bis zur Gottesschau.
2. Werkzeug göttlicher Gnade: Vergil ist nicht nur aus eigener Motivation unterwegs – er folgt dem Wunsch Beatrices. Das macht ihn zu einem Instrument höherer Mächte. Trotz seiner heidnischen Herkunft wird er in das Erlösungswerk eingebunden. Hierin zeigt sich eine Paradoxie: Die Vernunft kann den Anfang der Erlösung mittragen, obwohl sie nicht selbst erlöst ist.
Verbindung zu Vers 130–132
Nachdem Dante gehört hat, dass drei Frauen aus der Sphäre des Heils sich seinetwegen eingesetzt haben – Maria, Lucia und Beatrice – und dass Vergil selbst aus Mitleid und Gehorsam herabgekommen ist, gewinnt er neuen Mut:
»tal mi fec'io di mia virtude stanca« – seine eigene Kraft war zuvor erschöpft;
»e tanto buono ardire al cor mi corse« – nun strömt Mut in sein Herz;
»ch'i' cominciai come persona franca« – er spricht wie ein freier, vertrauender Mensch.
Diese Wandlung ist nicht psychologisch allein erklärbar, sondern theologisch: sie entspringt der Erfahrung, Teil eines von Liebe getragenen Heilsplans zu sein.
Dante wird von einem Zögernden zu einem Pilger – und der Impuls dazu stammt von der trinitarisch strukturierten Gnadenkette weiblicher Fürsprache und der Vermittlung durch Vergil.