Inferno 02 / 124-126

inf02

poscia che tai tre donne benedette
curan di te ne la corte del cielo,
e 'l mio parlar tanto ben ti promette?»

wörtlich-nüchtern
Nachdem sich drei solche seligen Frauen
um dich sorgen im Hof des Himmels
und meine Rede dir so viel Gutes verheißt?

poetisch-elegisch
Da drei gesegnete Frauen dort oben
in Himmels hohen Höfen dich behüten
und meine Worte Gutes dir verheißen —

frei-interpretierend
Wenn schon drei heilige Frauen im Himmel
um dich besorgt sind — und meine Rede
so viel Heil verspricht — was hält dich noch zurück?

Kontext

Diese Verse stammen aus dem zweiten Gesang der Commedia, wo sich Dante, noch am Eingang zur Unterwelt, voller Zweifel und Angst zeigt. Vergil, sein Begleiter, versucht, ihn zu ermutigen, indem er offenbart, dass drei Frauen im Himmel sich um Dantes Rettung sorgen: die Jungfrau Maria, die hl. Lucia und Beatrice. Diese Verse bilden den rhetorischen Höhepunkt von Vergils Ermutigungsrede.
Vergil spricht zu Dante und appelliert an dessen Mut, indem er ihn an die drei »donne benedette« erinnert, die im Himmel für ihn eintreten: Maria (die Jungfrau), Lucia (die heilige Lucia von Syrakus) und Beatrice. Diese drei Frauen bilden eine Art heiliger Fürbittekette, die es ermöglicht, dass Dante Hilfe erhält und seine Reise durch die drei Jenseitsreiche antreten kann.

Vers 124: »Poscia che tai tre donne benedette«

»tai tre donne benedette« – Diese Formulierung ist zugleich schlicht und erhebend. Tai (tali) weist auf eine besondere Qualität hin: Es sind solche Frauen, Frauen von hoher Heiligkeit und Macht.
»benedette« – Das Adjektiv betont ihre Heiligkeit, aber auch ihre Zugewandtheit. Sie sind nicht bloß erhaben, sondern aktiv segnend.
Die Dreiheit erinnert an trinitarische Ordnungen und spiegelt Dantes strukturelle Liebe zur symbolischen Dreizahl.

Vers 125: »curan di te ne la corte del cielo«

»curan di te« – Sich kümmern um dich: Ein zutiefst persönliches Moment. Die Sphären des Himmels sind nicht fern und abstrakt, sondern konkret zugewandt – für Dante, für den Einzelnen.
»la corte del cielo« – Der »Hof des Himmels« ist höfisch konnotiert. Dante denkt sich den Himmel nicht als bloße spirituelle Sphäre, sondern als hierarchisch gegliederten Kosmos, fast wie ein irdischer Königshof – ein Ort der Gnade, aber auch der Ordnung und Fürsprache.

Vers 126: »e 'l mio parlar tanto ben ti promette?«

»e 'l mio parlar« – Vergil weist auf seine eigene Rede hin, die nicht bloß Trost ist, sondern performativ: seine Worte sind ein Versprechen.
»tanto ben« – So viel Gutes: nicht nur im moralischen Sinne, sondern auch im teleologischen: das höchste Gut, die Rückkehr zu Gott.
»ti promette?« – Die rhetorische Frage macht klar: Nach all dieser göttlichen Fürsorge und dem verheißungsvollen Wort gibt es keinen legitimen Grund mehr, zurückzuweichen. Der Appell an Dantes Mut ist nun vollständig begründet – theologisch wie emotional.

Literarische und theologische Bedeutung

Die drei Frauen sind symbolisch aufgeladen:
▶ Maria als göttliche Gnade und Barmherzigkeit,
▶ Lucia als Licht der erkennenden Seele,
▶ Beatrice als Theologie und göttliche Weisheit in personalisierter Form.
Zusammen repräsentieren sie eine trinitarische Dynamik von Gnade, Erkenntnis und Liebe.
Die Szene spielt sich auf zwei Ebenen ab:
der dramatischen, wo Vergil Dante Mut zuspricht,
und der heilsgeschichtlichen, wo Dante als Mensch durch weiblich konnotierte göttliche Kräfte gerettet wird – ein tiefes Thema der Commedia, in der Frauen immer wieder als Vermittlerinnen zwischen Himmel und Mensch auftreten.

Funktion im Gesamtwerk

Diese Stelle ist ein Wendepunkt:
Dantes anfänglicher Zweifel wird durch eine komplexe Kombination aus himmlischer Ordnung, poetischer Rede und emotionaler Zuwendung überwunden. Die rhetorische Frage am Ende bildet ein ethisch-psychologisches Argument: Wenn selbst der Himmel sich so um dich kümmert, dann bist du zur Pilgerschaft verpflichtet.

Die drei Frauen: Ihre Rollen in Inferno 2

1. Maria (Vers 94: "Donna è gentil nel ciel che si compiange...")
Sie ist die Erste, die sich über Dante »erbarmt« (»si compiange«) und dadurch die ganze Rettungskette in Gang setzt. Als Symbol göttlicher Barmherzigkeit und Gnade steht sie in einer langen marianischen Tradition, in der sie als Vermittlerin zwischen dem Menschen und Gott agiert.
2. Lucia (Vers 97: "Questa chiese Lucia...")
Lucia erhält den Impuls von Maria und wendet sich an Beatrice. Ihr Name bedeutet »die Leuchtende«, was sie als Allegorie für das erleuchtete Gewissen oder die Gnade der inneren Klarheit interpretierbar macht. Zudem ist Lucia eine Heilige, die mit dem Augenlicht assoziiert wird, was bei Dante oft auch für geistige Einsicht steht.
3. Beatrice (Vers 103: "Amor mi mosse, che mi fa parlare")
Beatrice, Dantes geliebte Muse und das Symbol göttlicher Weisheit und Liebe, ist schließlich diejenige, die sich direkt an Vergil wendet und ihn bittet, Dante zu führen. Ihre Rede ist von Liebe durchdrungen, aber nicht weltlich, sondern transzendent.

Rückverweise in späteren Cantos

1. Inferno XX, 130–135
Hier spricht Vergil wieder von der Hilfe, die er auf göttliche Anordnung leistet, und bekräftigt seine Mission als Bote aus der Vorsehung:
"Così per lo tuo mondo poco premi / va la giustizia; ma 'l ciel pur rimira / ogne terrena cosa e la punisce."
▶ Diese Zeilen erinnern daran, dass das göttliche Eingreifen (wie jenes der drei Frauen) kontinuierlich das Jenseits durchwaltet.
2. Purgatorio I, 43–45
Als Dante mit Vergil am Fuß des Läuterungsbergs ankommt, erinnert sich Vergil erneut an die himmlische Herkunft seines Auftrags:
"Io fui mandato da Beatrice a lui: / e troverai là su chi a lui pro'."
▶ Beatrice ist also weiterhin präsent – nicht physisch, sondern als autorisierende Kraft, die Dante begleitet, bis sie selbst in Purgatorio XXX auftritt.
3. Purgatorio XXX, 127–129
Beatrices Auftritt bringt die Erinnerung an die Szene aus Inferno II zurück, als sie Dante aus dem Himmel heraus Hilfe schickte:
"Guardaci ben! Ben son, ben son Beatrice. / Come degnasti d'accedere al monte? / Non sapei tu che qui è l'uom felice?"
▶ Ihre rhetorische Frage rückt den Blick zurück: Warum hast du gezögert? Hatten wir dich nicht schon im Himmel »umsorgt«?
Bedeutung des Motivs
Das Motiv der drei Frauen ist nicht bloß dramatischer Antrieb für den Beginn der Commedia, sondern Grundstruktur: Es stellt die Kette göttlicher Gnade, der weiblichen Fürbitte und der liebevollen Intervention dar – zentral für die ganze Heilsgeschichte, die Dante erzählt. Ihr wiederholtes Auftauchen erinnert daran, dass der Weg zur Erlösung nicht autonom beschritten wird, sondern als Antwort auf ein Geschenk. Die Handlung entspringt einem Akt der himmlischen Sorge, der in Liebe, Erleuchtung und Gnade gründet – das Leitmotiv der gesamten Dichtung.

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