Inferno 02 / 085-087

dante inferno 02

«Da che tu vuo' saver cotanto a dentro,
dirò ti brievemente”, mi rispuose,
«perch'io non temo di venir qua entro.

wörtlich-nah
»Da du so tief ergründen willst,
will ich es dir kurz sagen«, antwortete er mir,
»warum ich nicht fürchte, hier einzutreten.«

literarisch-elegant
»Wenn du solch tiefes Wissen suchst,
will ich's dir kurz erklären«, gab er mir zur Antwort,
»weshalb mich keine Furcht beschleicht, dies Reich zu betreten.«

modern und zugänglich
»Wenn du's wirklich genau wissen willst,
sag ich's dir in Kürze«, sagte er,
»denn ich hab' keine Angst, hier reinzugehen.«

Kontext

Diese Verse stammen aus dem zweiten Gesang der Divina Commedia, kurz bevor Vergil Dante erklärt, warum und durch wen er beauftragt wurde, ihn durch die Hölle zu führen. Dante ist von Angst und Zweifel überwältigt; er fragt sich, warum gerade er würdig sei, eine solche Reise zu unternehmen. Vergil reagiert darauf mit rationaler Ruhe.

Vers 85: »Da che tu vuo' saver cotanto a dentro«

»Da che«: bedeutet »da du« oder »wenn du«. Es leitet eine Begründung ein.
»vuoi saper cotanto a dentro«: »so sehr ins Innere hinein wissen willst« → das cotanto a dentro betont die Tiefe des Fragens, sowohl geistig als auch emotional.
Der Vers spielt auf Dantes Bedürfnis an, nicht nur den äußeren Ablauf zu verstehen, sondern auch die inneren Beweggründe – eine typisch scholastische Haltung.

Vers 86: »dirò ti brievemente”, mi rispuose

»dirò ti brievemente«: »ich werde es dir kurz sagen« – die Entscheidung zur Kürze betont Klarheit und Didaktik.
»mi rispuose«: wörtlich »antwortete er mir« – der archaische Infinitiv rispuose (statt rispose) betont das klassische Register.
Die Kombination dieser Wendungen stellt Vergil als Lehrerfigur dar, ruhig, gefasst, fast sokratisch.

Vers 87: »perch'io non temo di venir qua entro«

»perch'io non temo«: »weil ich keine Angst habe« – stellt einen Kontrast zu Dantes Zittern dar.
»di venir qua entro«: »hierher einzutreten« – betont das Raumkonzept der Commedia: »hier« ist die Schwelle zur Hölle.
Diese Aussage definiert Vergils Rolle als mutiger und übernatürlich befugter Führer: seine Furchtlosigkeit ist nicht nur charakterlich, sondern auch ontologisch begründet.

Rhetorik & Dramaturgie

Die drei Verse leiten eine rhetorische Wende im Canto ein: von Dantes introspektiver Schwäche zu Vergils rationaler Rechtfertigung.
Vergil übernimmt die Autorität, die im weiteren Verlauf durch Beatrice, Lucia und die Madonna legitimiert wird.
Der dreigliedrige Aufbau (Frage – Antwort – Grund) spiegelt das scholastische Denken wider, das Dante zutiefst geprägt hat.

Philosophisch-spirituelle Bedeutung

Vergils Aussage über seine Furchtlosigkeit ist nicht nur persönlich, sondern symbolisch: die menschliche Vernunft (ratio) fürchtet nicht, wenn sie im Dienst des göttlichen Plans steht.
Dantes Suche nach »cotanto a dentro« Wissen ist ein Verlangen nach transzendenter Wahrheit – ein zentrales Motiv der ganzen Commedia.

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