Inferno 02 / 058-060

dante inferno 02

«O anima cortese mantoana,
di cui la fama ancor nel mondo dura,
e durerà quanto 'l mondo lontana,

poetisch-eleviert
O edle Seele aus Mantua,
deren Ruhm noch immer in der Welt erklingt,
und dauern wird, so lang die Welt sich dehnt.

wörtlich-nah
O höfliche Seele aus Mantua,
deren Ruhm noch in der Welt fortlebt,
und so lange währen wird, wie die Welt fern ist.

frei und sinnentsprechend
O edler Geist aus Mantua,
dein Ruhm lebt weiter unter den Menschen
und wird bestehen, solange die Welt besteht.

Analyse

Diese drei Verse stammen aus dem Gespräch Dantes mit Vergil im zweiten Gesang des Inferno. Hier spricht Beatrice durch Vergil und bittet ihn, Dante zu Hilfe zu kommen. Die Anrede in V. 58 ist ein Lobpreis an Vergil selbst.
»O anima cortese mantoana« (V. 58)
»anima cortese«: Wörtlich »höfliche« oder »edle Seele«.
Im mittelalterlichen Kontext meint cortese mehr als bloße Höflichkeit – es bezeichnet Ritterlichkeit, Tugend, geistige Adelhaftigkeit. Dante spielt hier auf Vergils moralisch-edle Haltung an.
»mantoana«: Vergil stammte aus Mantua. Dies lokalisiert ihn historisch und betont seine Zugehörigkeit zur römisch-italienischen Tradition, die für Dante identitätsstiftend war.
• Kontextuell ist dies nicht nur eine Anrede – es ist eine Verehrung. Dante ehrt Vergil nicht nur als Lehrer, sondern fast als Heiliger.
»di cui la fama ancor nel mondo dura« (V. 59)
»fama«: Ruhm, Nachruhm.
Die Formulierung spielt darauf an, dass Vergils Ruhm in Dantes Zeit (Anfang des 14. Jahrhunderts) ungebrochen ist. Er galt als der bedeutendste lateinische Dichter, als Prophet eines christlichen Zeitalters (vgl. die Ekloge IV) und als Meister der lateinischen Sprache.
»ancor nel mondo«: Noch in der Welt – auch jetzt noch – lebt sein Ruhm weiter.
Dies zeigt Dantes tiefes Geschichtsbewusstsein: Er sieht sich selbst als Nachfolger eines antiken Dichters, der durch die Jahrhunderte hindurch strahlt.
• Der Vers ist ein Zeugnis von kultureller Kontinuität. Vergil ist für Dante nicht Vergangenheit, sondern lebendige Autorität.
»e durerà quanto 'l mondo lontana« (V. 60)
»durerà«: wird dauern – eine klare Zukunftsaussage.
»quanto 'l mondo lontana«: wörtlich: »so lange, wie die Welt entfernt ist« – poetisch formuliert, bedeutet dies: so lange wie die Welt existiert / bis an ihr fernstes Ende.
Es ist eine hyperbolische Wendung, die Vergils Ruhm als unvergänglich darstellt – fast in biblischen Dimensionen.
• Dante verleiht Vergil eine Unsterblichkeit, die jenseits der Zeit liegt – sein Ruhm wird die Welt überdauern, weil er in der göttlichen Ordnung verankert ist.

Interpretation im Gesamtzusammenhang

In Canto 2 steht Dante noch vor der eigentlichen Reise. Er zweifelt, zögert, fürchtet sich – und braucht einen Anstoß. Dieser kommt durch Beatrices Botschaft, die Vergil überbringt. In diesem Abschnitt wird Vergil geehrt, damit er sich dieser Aufgabe würdig zeigt und dem Menschen Dante zur Seite steht.
Diese Verse tragen somit mehrere Ebenen:
Poetologische Ebene: Dante legitimiert seine Dichtung durch die Berufung auf Vergil.
Theologische Ebene: Der »heidnische« Vergil erhält eine Rolle im göttlichen Heilsplan.
Psychologische Ebene: Dantes Selbstzweifel erfordern einen Beistand – Vergils Lob gibt Halt.

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