Io era tra color che son sospesi,
e donna mi chiamò beata e bella,
tal che di comandare io la richiesi.
nah am Original
Ich war unter jenen, die im Schwebezustand weilen,
da rief mich eine Frau, selig und schön,
so sehr, dass ich sie bat, zu gebieten.
freier, poetisch
Ich weilte unter jenen, die der Hoffnung bar,
da rief mich eine selige, schöne Frau –
so ehrfurchtgebietend, dass ich auf ihren Willen wartete.
interpretierend, erklärend
Ich befand mich unter jenen Seelen, die zwischen Verdammnis und Erlösung schweben,
als mich eine Frau anrief, von solcher Schönheit und Heiligkeit,
dass ich nur noch auf ihre Weisung hörte.
Kontext innerhalb des Canto II
Diese Verse stammen aus Beatrices Rede an Vergil, die er Dante wiedergibt. In Canto II beschreibt Dante seinen anfänglichen Zweifel und seine Angst, die gefährliche Reise durch die drei Reiche des Jenseits anzutreten. Um ihn zu ermutigen, erklärt Vergil, dass er auf Bitten Beatrices zu Dante gesandt wurde – und Beatrice wiederum wurde von Lucia angesprochen, die wiederum von der Jungfrau Maria ausgesandt wurde. Dieser Moment beschreibt die Kette himmlischer Fürsprache, in der Beatrice eingreift, obwohl sie selbst nicht im Himmel ist, sondern sich »tra color che son sospesi« befindet.
Vers 52: »Io era tra color che son sospesi«
Wörtlich: »Ich war unter denen, die im Schwebezustand sind.«
Interpretation: Gemeint ist der Limbus (»Limbo«), jener Ort im Inferno, wo die ungetauften Gerechten wohnen – darunter Vergil selbst. Sie sind nicht verdammt im eigentlichen Sinne, aber auch nicht erlöst – sie »sind ausgesetzt« oder »schweben« zwischen Heil und Verdammnis.
Bezug auf Vergils Zustand: Das ist die Selbstbeschreibung Vergils. Seine Aussage betont seine Ausgeschlossenheit von der göttlichen Seligkeit, was seine Rolle als Führer besonders macht: Er darf Dante begleiten, aber bleibt selbst von der Erlösung ausgeschlossen.
Vers 53: »e donna mi chiamò beata e bella«
Beatrice als Sprecherin: In Wahrheit spricht hier Vergil über die Erscheinung Beatrices. Die Frau, die ihn gerufen hat, ist nicht irgendeine – sie ist »beata e bella«.
Beata: Ein Begriff, der sowohl »selig« als auch »glückselig« bedeutet – eine Heilige, eine im göttlichen Zustand Lebende.
Bella: Schönheit im Sinne der platonisch-christlichen Ideale – äußere Schönheit ist Ausdruck innerer Vollkommenheit.
Theologische Konnotation: Die Kombination dieser zwei Adjektive verweist auf Beatrices Status als himmlisches Wesen – sie ist Teil der göttlichen Ordnung und steht gleichzeitig mit Dante in Beziehung.
Vers 54: »tal che di comandare io la richiesi«
Wörtlich: »so sehr, dass ich sie bat, mir zu befehlen.«
Psychologische Wendung: Vergil, obwohl ein stolzer Vertreter der römischen Tugend und Vernunft, erkennt in Beatrice eine Autorität, die ihn dazu bringt, sich freiwillig unterzuordnen.
Beziehungsstruktur: Das ist ein bemerkenswerter Moment – ein antiker Heide, Symbol der Vernunft, ordnet sich dem göttlich Weiblichen unter, verkörpert durch Beatrice.
Poetische Ironie: Obwohl Vergil selbst nicht erlöst ist, dient er als Werkzeug der göttlichen Barmherzigkeit – und erkennt dies voll demütiger Klarheit.
Theologisch-symbolische Dimension
»color che son sospesi« – die Zwischenzone, die auch sinnbildlich für einen Zustand des Zweifelns, des Noch-nicht-Erwachens stehen kann.
Beatrice als Gnadenvermittlerin – sie agiert als Vermittlerin zwischen göttlichem Willen und menschlicher Schwäche.
Vergils Rolle als Grenzgänger – er selbst bleibt ausgeschlossen vom Heil, darf aber – durch Gnade – Dante begleiten.