Inferno 02 / 040-042

dante inferno 02

tal mi fec'io 'n quella oscura costa,
perché, pensando, consumai la 'mpresa
che fu nel cominciar cotanto tosta.

nah am Original
So machte ich es mir auf jenem dunklen Hang,
denn durch mein Grübeln zerrann das Unternehmen,
das im Beginnen so kühn gewesen war.

freier, poetisch
So stand ich da am düsteren Berghang,
denn in Gedanken löste sich mein Vorhaben auf,
das einst mit solcher Kraft begonnen hatte.

modernisiert, flüssig
So wurde ich selbst ganz matt an jenem düstern Ort,
denn je mehr ich nachdachte, desto mehr zerrann der Mut
zu dem Entschluss, den ich so entschlossen gefasst hatte.

1. Kontext im Canto II

Diese drei Verse stehen gegen Ende des Zweifelsmonologs Dantes am Anfang des 2. Gesangs der Commedia. Dante, der am Ende von Canto I von Vergil angeboten bekommen hat, ihn aus der selva oscura zu führen, wird in Canto II von Zweifeln übermannt. Er fragt sich, ob er überhaupt würdig ist, diesen Weg zu gehen – ein Weg, den einst große Gestalten wie Aeneas und Paulus beschritten haben.
Hier beschreibt er seine Reaktion: Wie seine Entschlossenheit (l’impresa) sich unter dem Gewicht seiner Gedanken langsam auflöst – eine Mischung aus existenzieller Unsicherheit, Angst und Selbstzweifel.

2. Vers für Vers

Vers 40: „Tal mi fec’io ’n quella oscura costa“
„So machte ich es mir auf jener dunklen Küste (bzw. Abhang)“
„tal mi fec’io“: wörtlich „so machte ich mich“ oder „so wurde ich“ – eine Wendung der inneren Verwandlung, ein Innehalten oder Sich-Zurückziehen.
„oscura costa“: buchstäblich „dunkler Hang“ oder „düstere Küste“ – ist topographisch die Seite des Hügels, die Dante am Ende von Canto I erklimmen will, symbolisch aber immer noch Teil der „selva oscura“, des Zustands der Verirrung.
▶ Interpretation: Dante beschreibt, wie er angesichts seiner inneren Zweifel schwach wird – sein Mut verlässt ihn.
Vers 41: „perché, pensando, consumai la ’mpresa“
„denn, indem ich nachdachte, verzehrte ich das Unternehmen“
„pensando“: das fortlaufende Denken, Grübeln, innere Reflexion.
„consumai“: aufzehren, verzehren – zeigt das langsame Erlöschen des ursprünglichen Feuers, mit dem Dante starten wollte.
„la 'mpresa“: die „Unternehmung“, „Mission“ – also seine Pilgerreise durch das Jenseits.
▶ Interpretation: Der Gedanke an seine eigene Unwürdigkeit (und an die Größe der Aufgabe) zehrt den inneren Entschluss auf.
Vers 42: „che fu nel cominciar cotanto tosta“
„die im Anfang so mutig / entschlossen / fest war“
„tosta“: alttoskanisch für „kühn“, „fest“, „entschlossen“, manchmal auch „hart“.
„cotanto“: „so sehr“, „in solchem Maß“.
▶ Interpretation: Ein starker Kontrast zwischen der ursprünglichen Entschlossenheit und der jetzigen Mutlosigkeit. Es ist ein klassisches Bild der „seelischen Erosion“.

Stilistische und thematische Beobachtungen

Enjambements und fließende Syntax: Die drei Verse sind semantisch und syntaktisch eng verwoben – ein Zeichen dafür, wie der Gedanke Dantes sich „verliert“.
Psychologische Tiefe: Diese Verse sind ein präziser Ausdruck innerer Lähmung – wie Mut durch zu viel Reflexion schwindet. Dante antizipiert hier moderne psychologische Einsichten.
Kontraste: Mut und Angst, Entschlossenheit und Zweifel, Licht (Aufstieg) und Dunkel (Verbleib in der Küste) stehen sich gegenüber.
Poetologische Metaebene: Dantes Zweifel an der eigenen impresa spiegeln sich auch in der dichterischen Aufgabe: die Commedia ist selbst ein Wagnis, das größer erscheint als seine Fähigkeiten.

Theologische Dimension

Der Zweifel Dantes ist nicht einfach menschliche Schwäche – er zeigt das zentrale Thema der göttlichen Gnade: Nur durch übermenschliche Hilfe (etwa durch Beatrice) kann der Mensch den Weg zu Gott gehen.
Die „oscura costa“ ist nicht nur ein Ort, sondern ein geistlicher Zustand – sinnbildlich für die Entfernung von Gott.

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