Per che, se del venire io m'abbandono,
temo che la venuta non sia folle.
Se' savio; intendi me' ch'i' non ragiono».
literarisch-nah
Deshalb fürchte ich, wenn ich mich dem Gang ergebe,
dass mein Kommen töricht wäre.
Du bist weise – du verstehst besser, als ich es sagen kann.
poetisch-dramatisch
Drum fürchte ich, mich dieser Fahrt zu weih’n –
es wär ein Wahn, sich auf den Weg zu wagen.
Du bist der Weise – du siehst mehr, als ich begreif.
klar und modern
Deshalb zögere ich zu gehen,
aus Angst, es könnte ein verrücktes Unterfangen sein.
Du bist klug – du verstehst besser, als ich’s erklären kann.
Analyse
Diese Stelle ist Teil von Dantes zweifelnder Rede an Vergil, der ihm soeben seine Mission erklärt hat: Ihn aus dem Dunkel des Waldes durch die Hölle führen zu wollen. Dante zögert noch.
1. »Per che, se del venire io m'abbandono«
»Deshalb, wenn ich mich dem Kommen hingebe …«
Das »m'abbandono« (wörtlich: »mich hingebe / überlasse«) ist Ausdruck von Selbstpreisgabe oder Vertrauen, aber auch von Kontrollverlust.
Es signalisiert, dass Dante seine eigene Entscheidungskraft aufgeben müsste, um Vergil zu folgen – was eine existenzielle Schwelle bedeutet.
Die Formulierung ist fast passiv: Die Bewegung ist nicht aktiv »ich gehe«, sondern »ich lasse mich dem Gehen überantworten« – das zeigt seine innere Zerrissenheit.
2. »temo che la venuta non sia folle«
»Ich fürchte, das Kommen wäre töricht / wahnsinnig.«
Das Wort »folle« spielt auf den Wahnsinn, die Torheit, aber auch die Überheblichkeit an.
Dante ist sich seiner eigenen Unwürdigkeit bewusst. Er stellt sich in eine demütige Position gegenüber großen Vorbildern wie Aeneas oder Paulus, die ähnliche Reisen machten (wie im vorherigen Abschnitt erwähnt).
Diese Zeile enthält die Grundspannung: Vernunft vs. Wahnsinn, Mut vs. Vermessenheit.
3. »Se' savio; intendi me' ch'i' non ragiono«
»Du bist weise; du verstehst besser, als ich zu reden vermag.«
Diese Aussage richtet sich an Vergil, der in der Commedia die Inkarnation der menschlichen Vernunft (ratio) ist.
Der Kontrast ist stark: Dante, der Dichter, der seine Welt in Worte fassen will, sagt »ch’i’ non ragiono« – »ich spreche nicht mit Vernunft« oder auch: »ich kann nicht richtig sprechen«.
Damit bringt Dante eine tiefe Einsicht in seine Begrenztheit zum Ausdruck: Sowohl sprachlich als auch existentiell fühlt er sich unfähig, den Weg zu beschreiten – und überantwortet sich dem, der höher steht.
Im Hintergrund klingt Augustinus mit, insbesondere die Unfähigkeit der Seele, sich selbst zu erkennen ohne göttliche Hilfe – und Thomas von Aquin, dessen Auffassung von der ratio sub gratia (Vernunft unter Gnade) sich hier literarisch spiegelt.
Übergreifende Deutung
Diese drei Verse sind ein Höhepunkt der psychologischen Feinzeichnung in Inferno 2.
Dante zeigt, wie tief seine Angst geht, wie sehr er seine Grenzen erkennt, aber auch, welche Rolle Vergil als Vermittler des höheren Weges spielt.
Der Leser erlebt hier nicht einen heroischen Helden, sondern einen innerlich zerrissenen Menschen, der sich erst in einem Prozess der Läuterung selbst annehmen und verstehen lernen muss.
Bezüge zur mittelalterlichen Visionsliteratur
Der Vers »Se' savio; intendi me' ch'i' non ragiono« ist dabei ein Schlüsselsatz der ganzen Commedia – er zeigt, dass Erkenntnis nicht allein aus dem eigenen Verstand kommt, sondern durch das Vertrauen in den Anderen entsteht.
Dante spricht hier zu Vergil, nachdem dieser ihm Hilfe angeboten hat, durch die drei Jenseitsreiche zu reisen. Dante zweifelt an seinem eigenen Wert und fürchtet, dass seine Reise ein vermessener Akt sei, der nur Wahnsinn bedeuten könne. Die Bitte an Vergil, seine Worte besser zu verstehen, als er sie ausdrücken kann, verweist auf Dantes tiefe Unsicherheit und die Hoffnung auf Führung durch eine höhere Vernunftinstanz.
Diese Passage steht in engem Zusammenhang mit der mittelalterlichen Visionsliteratur, etwa den Visionen des Tnugdal, der Visio Pauli oder der Revelatio Baronti. Charakteristisch für diese Werke ist die Darstellung einer Seele, die von einem Führer (meist ein Engel) durch das Jenseits geleitet wird. Häufig zweifelt der Visionär an seinem Wert oder seiner Fähigkeit, das Gesehene zu verstehen – ebenso wie Dante hier.
Dantes Zweifel, ob seine Reise "folle" (wahnsinnig) sei, erinnert an die typische Reaktion von Visionären, die ihre eigene Auserwähltheit oder Tauglichkeit in Frage stellen. Diese Reaktion verleiht der Vision Glaubwürdigkeit, indem sie Demut zeigt. Dantes Furcht knüpft daher an ein literarisches Muster an: Die Berufung zum Visionär wird nicht als Selbstermächtigung inszeniert, sondern als ein Akt, der göttlicher Legitimation bedarf.
Verbindung zur Theologie des Thomas von Aquin
In Thomas von Aquins Summa Theologiae wird das Verhältnis von Gnade, Verstand und Willen systematisch behandelt. Besonders relevant ist hier die Lehre vom ordo naturae et gratiae – der Ordnung von Natur und Gnade.
Dante erkennt an, dass sein natürlicher Verstand nicht ausreicht, um diese Reise zu unternehmen („temo che la venuta non sia folle“). Sein Appell an Vergils Weisheit („Se’ savio“) spiegelt das thomistische Prinzip wider, dass der Mensch zur Erkenntnis der letzten Dinge der übernatürlichen Gnade und Offenbarung bedarf. Vergil, als personifizierte Vernunft, vermag Dante zwar zu leiten, aber nur bis zu einem gewissen Punkt – was später durch die Rolle Beatrices ergänzt wird, die als Gnadenfigur erscheint.
Thomas lehrt auch, dass fides quaerens intellectum (der Glaube, der das Verstehen sucht) zwar den Ausgangspunkt bildet, aber der Zugang zu den göttlichen Mysterien nicht rein rational möglich ist. Dantes Aussage, er spreche schlechter, als er denke („intendi me’ ch’i’ non ragiono“), verweist auf die Grenze sprachlicher Artikulation – ein thomistisches Thema in Bezug auf die Unzulänglichkeit der Sprache bei der Beschreibung göttlicher Dinge (ineffabilitas).
Schlussgedanke
Die Passage ist ein Brennpunkt zentraler Themen der Commedia: die Spannung zwischen menschlicher Vernunft und göttlicher Gnade, zwischen Selbsterkenntnis und göttlicher Berufung, zwischen der Tradition der Visionserzählung und der theologischen Systematisierung des Mittelalters. In wenigen Versen bringt Dante ein tiefes Bewusstsein für seine eigene Stellung als demütiger Pilger und als künstlerisch-theologischer Mittler zum Ausdruck.