Per quest'andata onde li dai tu vanto,
intese cose che furon cagione
di sua vittoria e del papale ammanto.
metrisch klassisch, Endreim
Auf jener Fahrt, die du so hoch ihm preisest,
vernahm er Worte, die zum Sieg ihn führten
und ihm den Papstthron schließlich auch verheißet.
freier Jambus, religiös pathetisch
Auf jener Reise, die du rühmst mit Eifer,
erfuhr er Dinge, die zum Sieg ihn stärkten
und ihm des Papstes Mantel einst bereiteten.
mittelalterlich-klanglich, Binnenreim
Durch jene Bahn, die du besingst mit Recht,
vernahm er Kunde, wahr und nicht nur schlecht,
die ihm den Sieg und Krone hat gebracht.
Analyse
Die Verse sprechen davon, dass Aeneas auf seiner Reise in die Unterwelt (quest'andata) Dinge erfahren habe, die kausal verbunden waren mit seinem Sieg (vittoria) und der Begründung der römischen Herrschaft, die letztlich auch zur sakralen Autorität des Papsttums (papale ammanto) führte. Diese dreifache Lesart – historische, politische und theologische Legitimation Roms – knüpft an klassische Quellen wie Vergil an, aber auch an mittelalterliche und augustinische Rezeptionen.
25: Per quest'andata onde li dai tu vanto,
Wörtlich– : »Wegen dieses Gangs, dessentwegen du ihm Ruhm verleihst«
– Bezieht sich auf die Katabasis (Abstieg in die Unterwelt) des Aeneas in Buch VI der Aeneis.
– »onde li dai tu vanto« richtet sich an Vergil (der Sprecher Beatrices) – Beatrice stellt fest, dass Vergil Aeneas selbst wegen dieser Reise rühmt.
– Die Wendung dai tu vanto unterstreicht das personale Verhältnis: Beatrice übernimmt Vergils Sprache und Argumentation gegen ihn.
26: intese cose che furon cagione
– »er vernahm Dinge, die Ursache waren«
– »intese cose« = mystische oder heilige Offenbarungen, die Aeneas in der Unterwelt hörte (z.B. in Anchises' Rede über das Schicksal Roms).
– »cagione« = metaphysisch wie politisch: das Gehörte wurde zur Ursache für äußere und innere Entwicklung (Sieg, Bestimmung).
27: di sua vittoria e del papale ammanto.
– »seines Sieges und des päpstlichen Mantels«
Der Sieg– : sowohl der militärische (Gründung Roms) als auch der geistige Sieg des römischen Ideals.
– »papale ammanto« (päpstlicher Mantel): metonymisch für die römisch-katholische Kirche, die als geistiger Erbe Roms gesehen wird.
– Aeneas als »progenitor« des römischen Imperiums → translatio imperii → translatio religionis.
Philologisch-theologische Kommentierung
»Andata«:
– Wörtlich »Gang«, aber im Kontext eine Katabasis.
– In Dantes dichterischem Universum ist dies eine sacra rappresentazione: Aeneas' Abstieg ist nicht nur poetisch, sondern heilsgeschichtlich.
»Intese cose«:
– »Er vernahm Dinge« – »intendere« im mittelalterlichen Sinne = »geistig vernehmen, begreifen« (nicht nur akustisch).
– Im Augustinismus bedeutet intendere das Erfassen der göttlichen Ordnung.
– Es geht hier um res divinae, d.h. Wahrheiten über das Schicksal, über Tugend, über göttliche Providenz.
»Cagione di sua vittoria«:
– Sieg als theologisch legitimierte Divina Providentia – Aeneas wird zum Werkzeug der Vorsehung.
– Hinweis auf die augustinische Geschichtstheologie: Gott bedient sich auch Heiden für den Aufbau seines Plans (vgl. De civitate Dei).
»Papale ammanto«:
– Philologisch interessant: »ammanto« = »Mantel«, ein seltenes Wort für Amtszeichen (Amtswürde), verweist auf das liturgische pallium.
– Theologisch: Dante konstruiert eine Linie von Aeneas zu Petrus – das römische Reich als Träger des Heilsplans, der in der Kirche gipfelt.
Stilistische Analyse
Intertextualität
– Die gesamte Terzine ist durchzogen von der Aeneis (VI, 756–892) – speziell Anchises' Prophetie über Rom.
– Dante spielt auf die Idee der sakralen Geschichtlichkeit an: antike Mythen als Vorbild der göttlichen Ordnung.
Rhetorische Struktur
– Anapherische Struktur: »di... e del...« in Vers 27 zeigt die Aufzählung zweier Heilsgüter (Sieg & Mantel).
– Der Konjunktion e verbindet politische und kirchliche Macht – dies ist Dantes Ideologie der zwei Sonnen (Papst & Kaiser).
Ironische Argumentation
– Dante (bzw. Beatrice) benutzt Vergils eigene Verehrung für Aeneas, um Vergil zu überzeugen.
– Es ist eine raffinierte dialektische Wendung: »Wenn du Aeneas bewunderst, warum zweifelst du an mir?«
Metonymie & Symbolik
– Papale ammanto ist nicht bloß ein Kleidungsstück – es steht für die ganze römisch-katholische Amtsstruktur.
– Vittoria steht metonymisch für göttlich legitimierte Herrschaft (nicht nur irdischer Triumph).
Kommentierte lateinische Parallele zu Vergils Textstellen
Dante bezieht sich explizit auf die Aeneis VI, wo Aeneas in die Unterwelt hinabsteigt. Dort hört er prophetische Reden seines Vaters Anchises, die die zukünftige Größe Roms ankündigen. Die relevanten Passagen:
Vergil, Aeneis VI, 756–759:
> tu regere imperio populos, Romane, memento –
> hae tibi erunt artes – pacisque imponere morem,
> parcere subiectis et debellare superbos.
> (»Du, Römer, bedenke, wirst die Völker regieren mit deinem Befehl – das sei deine Kunst: den Frieden zu ordnen, den Unterworfenen zu schonen und die Hochmütigen zu bezwingen.«)
Diese Stelle ist die theologische und politische Mitte von Vergils Aeneis. Dante übernimmt die Idee, dass Aeneas durch seine Reise Weisheit empfängt, die nicht nur persönliches Wissen, sondern geschichtsbildende Bedeutung hat: Die Reise in die Unterwelt dient der Legitimation Roms als weltliches und später sakrales Imperium.
Auch relevant: Vergil, Aeneis VI, 808–812:
> hic vir, hic est, tibi quem promitti saepius audis,
> Augustus Caesar, divi genus, aurea condet
> saecula…
Aeneas' Fahrt in die Unterwelt ist also prophetisch: sie antizipiert Augustus – eine Analogie, die Dante im Mittelalter christologisch überformt.
Verbindung zu Augustinus
Augustinus' ambivalente Haltung zu Rom zeigt sich besonders in De Civitate Dei. Dort unterscheidet Augustinus scharf zwischen der civitas terrena und der civitas Dei. Die römische vittoria, also militärischer und politischer Erfolg, ist bei Augustinus zwar Teil der göttlichen Vorsehung, aber kein Beweis für moralische oder sakrale Überlegenheit.
De Civitate Dei, V, 12:
> Victoria non est in arbitrio hominum sed in arbitrio Dei.
> (»Der Sieg liegt nicht in der Macht des Menschen, sondern in der Macht Gottes.«)
Dante übernimmt diesen Gedanken, wendet ihn jedoch dialektisch an: Aeneas' »vittoria« war ein Werkzeug göttlicher Vorsehung – aber nicht um der Römer willen, sondern um die Bühne für die Ankunft Christi zu bereiten. In Monarchia (siehe unten) sieht Dante darin keine sakrale Legitimation der Kirche, sondern des Kaisertums – ein Bruch mit der augustinischen Distanzierung von irdischer Macht.
Verbindung zu Dante Alighieris Monarchia
In Monarchia I, xi, Dante schreibt:
> «Romanorum princeps non propter fidem sed propter humanum bonum imperator fuit.”
> (»Der Fürst der Römer war nicht wegen des Glaubens, sondern wegen des menschlichen Wohls Kaiser.«)
Und in Monarchia II, iii:
> «Divina providentia Romanum imperium ad pacem mundi praeparavit.”
Dante interpretiert also den Sieg Roms (Aeneas' "vittoria") und seinen »Weg« (per quest'andata) als von Gott gewollt, aber nicht im Sinne des Papsttums – sondern als politische Stiftung, die die weltliche Ordnung für die Menschheit ermöglicht. Der »papale ammanto« (Vers 27) wird hier ironisch-ambivalent: nicht das Papsttum selbst wurde durch Aeneas' Reise legitimiert, sondern die Bühne für Christus wurde bereitet – die Kirche kam später.
Diese Lesart ist ein zentraler ideologischer Kern der Monarchia: die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt, die beide ihre Wurzeln in göttlicher Vorsehung haben, aber unabhängig voneinander legitimiert sind.
Fazit: Komplexes ideologisches Netz
Die drei Verse (25–27) binden Aeneas' Unterweltsfahrt (Vergil), das spätantike Gottesbild (Augustinus) und Dantes eigene politische Vision (Monarchia) zusammen:
1. Vergil liefert das poetische Urbild: Aeneas erfährt durch Unterweltswissen die römische Zukunft.
2. Augustinus warnt vor der sakralen Überhöhung Roms, sieht aber göttliche Vorsehung am Werk.
3. Dante interpretiert Aeneas als Werkzeug göttlicher Ordnung, das nicht das Papsttum, sondern das römische Kaisertum (Monarchie) vorbereitet – eine klare Herausforderung an die päpstlichen Machtansprüche seiner Zeit.