Inferno 02 / 016-018

dante inferno 02

Però, se l'avversario d'ogne male
cortese i fu, pensando l'alto effetto
ch'uscir dovea di lui, e 'l chi e 'l quale

wörtlich orientiert, poetisch
Wenn also der Feind allen Übels ihm hold war,
eingedenk der hohen Wirkung,
die aus ihm hervorgehen sollte – samt dem Wer und Was.

theologisch interpretierend
So war selbst der Widersacher allen Bösen
ihm gnädig – im Blick auf das erhabene Werk,
das aus ihm erwachsen sollte, samt dem Wesen und der Würde des Kommenden.

sprachlich modern, freie Nachdichtung
Selbst der Feind des Guten zeigte Milde,
weil er wusste, was Großes daraus entstehen würde –
und wer es sein sollte, und wie bedeutend er wäre.

Analyse und Interpretation

Diese Verse stammen aus Dantes Dialog mit Vergil, in dem der Dichter noch zögert, dem Weg durch die Hölle zu folgen. Vergil berichtet hier, dass Beatrice in die Unterwelt hinabstieg, um Dante zu helfen. Dabei beschreibt er, dass selbst der Teufel (»l'avversario d'ogne male«) sie nicht daran hinderte – ein Detail, das tiefes theologisches Gewicht trägt.
Ein dichter Ausdruck von Dantes Selbstverständnis als Werkzeug der göttlichen Ordnung. Er, der Zögernde, erfährt durch Beatrices Sendung eine Berufung, die selbst von satanischer Macht nicht gestoppt werden kann. Die theologische Tiefenschicht zeigt die Unterordnung aller Mächte unter das höchste Gut. Poetologisch legitimiert Dante hier – über das Medium Vergils und Beatrices – seine eigene göttliche Mission: das Poema Sacro.
Diese Stelle spielt auf die Barmherzigkeit Luzifers (!) oder besser: auf das Erbarmen Gottes trotz Luzifers an – in dem Sinne, dass selbst der "avversario d'ogne male" (Gegner alles Bösen, d. h. Gott) milde war, weil er den "hohen Ausgang" (alto effetto) bedachte, der aus ihm (Luzifer) hervorgehen sollte – nämlich die göttliche Heilsgeschichte in Christus.

Vers 16: "Però, se l'avversario d'ogne male"

"Der Widersacher allen Bösen" ist eine Umschreibung für Satan oder den Teufel. Interessant ist, dass Dante nicht von einem aktiven Eingreifen des Teufels spricht, sondern von seinem Nicht-Widerstand. Das "Però" (= "dennoch, daher") knüpft an die vorherige Rede Beatrices an, die den göttlichen Ursprung ihrer Mission betont.
Theologisch: Satan wird in gewissem Sinne als Werkzeug des göttlichen Plans dargestellt – seine Macht ist beschränkt, und selbst er kann das Heilswerk nicht hindern.
Poetologisch: Der "Feind alles Bösen" erlaubt die Mission Beatrices, weil das Ziel jenseits seiner Kompetenz liegt: die Rettung eines Menschen aus Gnade.
Psychologisch: Der »avversario« steht zugleich auch symbolisch für die inneren Widerstände Dantes – und selbst diese inneren "Teufel" schweigen angesichts einer höheren Berufung.

Vers 17: "cortese i fu, pensando l'alto effetto"

Dante beschreibt Satan hier paradoxerweise als "cortese", als "höflich" oder "gütig". Dies ist ein dramatischer Kontrast – Satan als höflich? Doch hier zeigt sich Dantes mittelalterlich-christliche Weltordnung: selbst das Böse wird unter göttlicher Ordnung nützlich gemacht.
"l'alto effetto" – das "hohe Ergebnis" oder der "erhabene Effekt" – bezieht sich auf das Heilswerk, das aus Dantes Rettung resultieren soll.
Christologisch: Es schwingt mit, dass Dante – wie ein Prophet – eine größere Berufung hat. Das "hohe Ergebnis" ist letztlich die Commedia selbst, deren Wirkung die Läuterung der Seelen ist.
Philosophisch: Dies zeigt eine ordo amoris (Augustinus) – eine Ordnung der Dinge, in der selbst das scheinbar Widerstrebende dem Guten dienen muss.
Ästhetisch: Die Formulierung zeigt auch Dantes Kunst, gegensätzliche Pole (Satan/Höflichkeit) zu kombinieren, um das Paradoxe der Gnade hervorzuheben.

Vers 18: "ch'uscir dovea di lui, e 'l chi e 'l quale"

Die Formulierung "il chi e 'l quale" ist besonders bemerkenswert. Wörtlich: "das Wer und das Wie" – ein rhetorischer Doppelausdruck zur Hervorhebung der Identität und Würde der Person, die hervorgehen sollte.
"uscir dovea di lui" – aus ihm (gemeint: aus Dante) sollte etwas entstehen: die Läuterung, das Gedicht, das Zeugnis.
Ontologisch: Die Formulierung hebt die Tiefenstruktur des menschlichen Seins hervor: Wer jemand ist (»il chi«) und was für einer er ist (»il quale«). Es ist eine Anspielung auf die personale Würde Dantes als geistlich Berufener.
Literarisch-selbstreflexiv: Dante ist sich bewusst, dass aus seinem Werk – und somit aus ihm selbst – etwas entsteht, das Weltgeschichte und Heilsgeschichte berührt.
Mystisch: Das "Wer" und "Was" erinnert an mystische Theologien (z. B. Meister Eckhart), in denen das Wesen des Menschen als Bild Gottes zur Sprache kommt.

Vergleich mit Augustinus, De civitate Dei

Augustinus' De civitate Dei (v. a. Buch XI–XIV) entwickelt eine Theologie der Geschichte im Zeichen von Fall und Heil. Wesentliche Parallelen:
a) Der Fall als Voraussetzung der Erlösung
In De civitate Dei XI,12ff. betont Augustinus, dass der Fall der Engel und Adams nicht außerhalb des göttlichen Vorherwissens lag. Gott lässt das Böse zu, weil er weiß, dass er daraus ein höheres Gut hervorbringen kann ("melius de malis benefacere quam mala nulla esse permittere", XI,18).
Dantes "l'alto effetto" (V.17) entspricht diesem Gedanken exakt: Der Sündenfall, in Person Luzifers symbolisiert, ist eingebettet in den Heilsplan.
b) Die "zwei Städte" und das metaphysische Drama
Die civitas terrena (irdische Stadt) entsteht durch den Hochmut des Engels; doch die civitas Dei (himmlische Stadt) wird dadurch umso herrlicher offenbart, als sie Erlösung vollbringt. Dante spiegelt diesen Gedanken, indem er den Fall nicht als bloß tragisch, sondern teleologisch überhöht deutet.

Vergleich mit Meister Eckharts Ontologie des "Wer und Was"

Die Verse "e 'l chi e 'l quale" (V.18) greifen bewusst ontologische Kategorien auf:
Chi"": das Wer – die personale Identität
Quale"": das Was – das Wesen, die Gattung, die ontologische Qualität
a) Eckhart: Das "wer" über dem "was"
Für Eckhart (z. B. in Predigt 2, DW I) ist das "wer" das personale Sein, das im Innersten mit Gott verbunden ist. Das "was" hingegen gehört zur Welt der Bestimmungen, Rollen, Funktionen.
> "Der Mensch soll Gott nicht in einem Was lieben, sondern in einem Wer."
> (Predigt 2)
Dante spiegelt diese Unterscheidung: Gott sieht nicht nur das "Was" (die gefallene Engelgestalt Luzifers), sondern das "Wer" – d. h. die personale Dimension, aus der er Gnade und Heil wirken lässt.
b) Ontologische Tiefe in Dantes Theologie
Dante verbindet hier theologische Heilsgeschichte mit einer beinahe mystisch-ontologischen Sicht, die an Eckhart erinnert: Das göttliche Erkennen durchdringt das Wesen (quale) und Personsein (chi) in einer Tiefe, die selbst den Teufel in den Heilsplan einbindet.
Dantes Verse lassen sich sowohl augustinisch als auch eckhartianisch deuten:
Augustinus sieht im Bösen ein zugelassenes Mittel, um ein größeres Gut zu ermöglichen – Deo ordinante, non creante malum.
Eckhart sieht im "Wer" die personale Tiefe, die über das "Was" hinausgeht – eine Unterscheidung, die Dante ausdrücklich aufnimmt.
Dante integriert beide Sichtweisen: das Böse ist transzendiert, nicht ignoriert; die Gnade erkennt nicht bloß äußerlich (quale), sondern durchdringt personhaft (chi) – eine theologische Poetik höchsten Ranges.
Vergils Antwort an Dante, in der er erklärt, warum er trotz seiner Herkunft aus der Vorhölle dennoch gesandt wurde, um Dante auf seiner Reise zu helfen.

Wörtliche und unmittelbare Auslegung

Vergil sagt: "Wenn sogar der Widersacher alles Bösen (also der Teufel) sich gütig zeigte, als er an das hohe Ergebnis dachte, das aus ihm hervorgehen sollte, und an das wer und das was" – dann sei es kein Wunder, dass er (Vergil) jetzt helfe.
Vergil spielt hier auf die Herabfahrt Christi in die Hölle (descensus ad inferos) an, durch welche die Altvorderen (z. B. Adam, Abel, Noah, Mose, David etc.) befreit wurden. Der avversario d'ogne male (der Teufel) ließ dies "zu", da er, gezwungenermaßen, die Größe und Heiligkeit Christi erkannte: das "alto effetto" ist die Heilstat Christi, das "chi e 'l quale" verweist auf dessen göttliche Natur und Person.

Verbindung mit dem Paradiso

In Paradiso wird dieser Gedanke der göttlichen Gnade, die sogar dem Bösen Schranken setzt, noch umfassender entfaltet, besonders im Hinblick auf Gottes Vorsehung und Weisheit. Ein paar markante Bezugspunkte:
a. Göttliche Allwissenheit und der "transhumanare" Akt
In Paradiso I, 70–72 sagt Beatrice:
"Nell'alta mente che 'l suo voler move,
> vedesi chiaramente ogni torrente,
> pur come in foco in vista semplice l'amore."

Das bedeutet: In Gottes Geist ist alles, was geschieht – selbst das Böse – in der göttlichen Ordnung eingebunden, ohne dass Gott selbst Urheber des Bösen wäre. Dies korrespondiert mit dem Gedanken, dass sogar Satan das "alto effetto" nicht verhindern konnte.
b. Luzifers Rolle im göttlichen Drama
In Paradiso VII, 64–72 erklärt Beatrice die Notwendigkeit der Erlösung. Christus kommt als der neue Adam, um durch Gnade das zu heilen, was durch freien Willen verdorben wurde. Auch hier findet sich der Gedanke, dass das Böse (Sünde, Fall der Engel) in der göttlichen Ökonomie überwunden wird, ohne dass es Gott als Ursache hätte.

Scholastischer Hintergrund

Dante verarbeitet hier klar scholastisches Denken – insbesondere von Thomas von Aquin – zur Theodizee und Gnadenordnung:
a. Das Böse als "privatio boni"
Nach Augustinus und Thomas ist das Böse kein eigenes Sein, sondern Mangel am Guten. Selbst der Teufel erkennt – wenn auch widerwillig – das Gute in Christus. Dantes Formulierung "cortese i fu" (er war gütig) ist ironisch: Der Teufel wird durch das überwältigende Licht Christi zur Duldung gezwungen.
b. Divina Providentia
In der scholastischen Theologie ist selbst das Böse Teil der göttlichen Vorsehung: non quia vult, sed quia permittit. Der alto effetto (die Erlösung) ist von Gott intendiert; das Mittel – die Inkarnation und der Tod Christi – geschieht "auch" wegen des Bösen, aber zum Größeren Guten. In Thomas' Summa Theologiae (III, q.1 a.3) steht: "Convenientissimum fuit Deum incarnari ad redimendum humanum genus."

Poetisch-theologisches Fazit

Die Verse aus Inferno II reflektieren ein tiefes Vertrauen auf die göttliche Ökonomie: Selbst das, was sich als Feind zeigt – der Teufel, die Angst, der Tod –, ist letztlich integriert in einen göttlichen Heilsplan, der auf Christus zentriert ist. Vergil, als "natürliche Vernunft", erkennt dies und ist ein Werkzeug dieser Ordnung, auch wenn er selbst (als Heidenfigur) nicht zur vollen Seligkeit gelangt.
Das "alto effetto" ist damit nicht nur historisch (die Erlösung) oder poetisch (Dantes Reise), sondern metaphysisch-eschatologisch: Es verweist auf den Logos, durch den selbst das Chaos zur Ordnung wird. Dieses Denken kulminiert in Paradiso XXXIII, wo Dante schließlich den inneren Zusammenhang aller Dinge in der "forma general di paradiso" erkennt – l'amor che move il sole e l'altre stelle.

Deutung

"Wenn also der Widersacher allen Übels (also Luzifer) \[zum Teil] höflich war, da er an die hohe Wirkung dachte,
die aus ihm hervorgehen sollte — und wer dies vollbringen würde und wie (also Christus)."
Es handelt sich hier um eine paradoxe Wendung: Der Teufel selbst wird als "cortese", als höflich oder nachgiebig, bezeichnet – nicht aus Güte, sondern weil er durch seine Niederlage letztlich die Inkarnation und Erlösung ermöglichte. Der Vers verweist implizit auf eine göttliche Vorsehung, die selbst das Böse in das Heilswerk einbindet.

Verbindung zu Paradiso:

Paradiso XXXIII, 38–42 – Die göttliche Absicht im Bösen durchleuchtet:
"Nel suo profondo vidi che s'interna,
legato con amore in un volume,
ciò che per l'universo si squaderna:
sustanze e accidenti e lor costume
quasi conflati insieme, per tal modo
che ciò ch'i' dico è un semplice lume."

Diese Stelle zeigt, wie Dante im Empyreum die göttliche Ordnung erkennt, in der alle Dinge – auch das Böse – ihren Platz haben. Das "legato con amore" impliziert, dass selbst das Böse wie bei Inferno II,16–18 einen Beitrag zur göttlichen Ordnung leisten muss.

Paradiso VII, 19–21 – Göttliche Gerechtigkeit durch den Sündenfall:

"Non potea l'uom ne' termini sue degno
per sé ritornar, s'elli nol volcea
per intero divieto l'alto disdegno."

Beatrice erklärt Dante, dass der Mensch durch eigene Kraft nicht zu Gott zurückkehren konnte und dass nur die Inkarnation Christi, der Gott-Mensch, dies ermöglichen konnte – eine Thematik, die schon in Inferno II vorweggenommen wird.

Scholastische Bezüge:

1. Thomas von Aquin – Summa Theologiae, III, q. 1, a. 3
("Utrum Deus debuerit incarnari post peccatum")
Thomas behandelt die Frage, ob die Menschwerdung nur aufgrund der Sünde erfolgte. Seine berühmte Antwort lautet, dass die Inkarnation propter peccatum (wegen der Sünde) erfolgte, jedoch nicht notwendigerweise. Dante übernimmt diesen Gedanken implizit: das "alto effetto" (die Erlösung) geschieht durch die Menschwerdung, die durch das Böse (den Fall Luzifers, den Sündenfall) veranlasst wurde – aber letztlich aus göttlicher Barmherzigkeit stammt.
2. Augustinus – De Civitate Dei, XIV, 11
Augustinus betont, dass das Böse letztlich in den göttlichen Plan eingebettet ist:
> "Deus omnipotens bene uti etiam malis potest."
> ("Der allmächtige Gott kann auch das Böse zum Guten verwenden.")
Dantes "cortese i fu" ist also ironisch zu verstehen: Nicht weil der Teufel willentlich zur Erlösung beiträgt, sondern weil Gott seine böse Absicht zum höchsten Gut wandelt – ein augustinisches Grundmotiv.

Fazit

Die Verse Inferno II,16–18 stellen ein feines Geflecht aus theologischer Ironie, eschatologischer Hoffnung und vorsehungstheologischer Perspektive dar. Sie verbinden sich organisch mit:
• dem Paradiso, wo die göttliche Ordnung in ihrer totalen Schau sichtbar wird,
• den scholastischen Denkern wie Thomas von Aquin und Augustinus, die die Dialektik von Sünde und Erlösung durch göttliche Vorsehung systematisch entfalteten.
• Diese Verse machen deutlich, dass Dantes göttliche Komödie nicht nur ein poetisches Werk, sondern auch ein tief durchdachtes theologisches Weltbild präsentiert.

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