Inferno 02 / 004-006

dante inferno 02

m’apparecchiava a sostener la guerra
sì del cammino e sì de la pietate,
che ritrarrà la mente che non erra.

wörtlich-poetisch
Ich rüstete mich, den Kampf zu bestehen,
des Weges wie des Mitleids schweren Lauf,
den nur der Geist erzählt, der nicht verfehlt.

interpretierend-psychologisch
Ich machte mich bereit für einen inneren Streit,
für die beschwerliche Reise und das Mitleid,
das nur ein untrüglicher Geist zu schildern vermag.

theologisch-existenzial
Ich bereitete mich auf die Prüfung vor –
den Weg und das Erbarmen betreffend –,
wie nur ein Geist sie schildert, der nicht irrt.

Detaillierte Analyse

Vers 4: m’apparecchiava a sostener la guerra
„m’apparecchiava“: Reflexiv gebraucht – ich rüstete mich, ich bereitete mich vor; ein Ausdruck entschlossener Vorbereitung, fast ritterlicher Haltung.
„a sostener la guerra“: „den Krieg zu bestehen“ – hier im übertragenen Sinn: der geistige, moralische und spirituelle Kampf der Reise durch das Jenseits.
„guerra“ ist metaphorisch für eine extreme innere wie äußere Herausforderung; sie evoziert Anklänge an geistliche Kämpfe in Bibel und Hagiographie.
Vers 5: sì del cammino e sì de la pietate
Zwei Aspekte der „guerra“ werden genannt:
„cammino“ – der Weg durch das Jenseits, insbesondere die Topografie der Hölle.
„pietate“ – Mitleid, Erbarmen; es betrifft das affektive und theologische Erleben der Reise: das Mitgefühl mit den Verdammten.
Die doppelte Genitivstruktur betont, dass die Herausforderung sowohl äußerlich (Weg) als auch innerlich (Gefühl) ist.
Vers 6: che ritrarrà la mente che non erra.
„che“: Relativpronomen – bezieht sich auf „la guerra“.
„ritrarrà“: erzählen, wiedergibt, darstellen – das poetische Unternehmen.
„la mente che non erra“: wörtlich „der Geist, der nicht irrt“ – gemeint ist die vom göttlichen Licht erleuchtete, vom Irrtum freie Vernunft; man kann dies auf Dante selbst beziehen, aber auch auf die divina mente Gottes oder das intellectus agens, wie Thomas von Aquin es formuliert.

Thematische Einordnung

1. Motiv des geistigen Kampfes
Dante bezeichnet seine dichterische Reise als Krieg, was stark auf die psychomachia (Kampf der Seele) in frühchristlicher und mittelalterlicher Literatur verweist.
2. Erfahrung des Mitleids
Dante wird durch Mitleid tief erschüttert – dies ist kein Mitleid ohne Distanz, sondern ein affektiv-moralischer Impuls, der ihn gleichwohl gefährlich nahe an die „Verirrung“ bringt (vgl. Canto V mit Francesca).
3. Verbindung von Erfahrung und Dichtung
Der „Krieg“ ist nicht nur die Handlung selbst, sondern auch ihr dichterischer Ausdruck: Die „mente che non erra“ ist also auch die poetische Vernunft, die Wahrheit aussprechen kann.

Theologische Einordnung

1. Anspielung auf die Vita activa und vita contemplativa
Der „cammino“ steht für das tätige Leben (Weg, Wanderschaft).
Die „pietà“ für das gefühlsmäßige und kontemplative Element (Mitleid, Gnade).
2. Gnade und Berufung
Die Formulierung legt nahe, dass Dante seine Reise nicht nur als Herausforderung, sondern als göttlich gestifteten Auftrag versteht – in Analogie zu Propheten wie Moses oder Paulus, die ebenfalls Berufungen erfahren haben.
3. „mente che non erra“
Diese Formulierung verweist möglicherweise auf das thomistische Ideal einer vom göttlichen Intellekt erleuchteten Vernunft.
Auch Parallelen zur augustinischen mens illuminata sind denkbar.

Poetologische Einordnung

1. Die Dichtung als sacra rappresentazione
Dante legt seine eigene Dichtung von Anfang an als etwas Sakrales an. Er ist nicht nur Dichter, sondern Prophet – und seine „mente“ ist „inerrant“, also fähig zur absoluten Wahrheit (ein Konzept, das er z. B. auch in Paradiso XXV entfaltet).
2. Selbstreflexivität
Schon im zweiten Canto reflektiert Dante die Natur seines Unternehmens. Er stellt nicht nur die Handlung dar, sondern thematisiert auch deren Darstellung im Akt des Schreibens.
3. Polysemie
Diese Verse sind ein klassisches Beispiel für Dantes mehrschichtige Bedeutungsebene (wörtlich, allegorisch, moralisch, anagogisch), wie er sie in seinem Brief an Cangrande beschreibt.

Fazit

Diese drei Verse bereiten in komprimierter Form das gesamte Unternehmen der Commedia vor:
• Menschlich als Kampf,
• Poetisch als episches und prophetisches Erzählen,
• Theologisch als Gnadenakt und geistliche Reise zur Wahrheit,
• Emotional als zutiefst affektive, mitleidvolle Auseinandersetzung mit der Verdammnis und dem Heil.

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