A le quai poi se tu vorrai salire,
anima fia a ciò più di me degna:
con lei ti lascerò nel mio partire;
poetisch-elegant (literarisch)
Wenn du dann zu höheren Höhen aufsteigen willst,
wird dir eine Seele begegnen, edler als ich;
und bei meinem Weggang werd ich dich ihr überlassen.
modern und flüssig
Und wenn du dann weiter nach oben willst,
wird dich eine Seele führen, die würdiger ist als ich.
Ich werde dich ihr anvertrauen, wenn ich gehe.
theologisch-existenzial (gehoben, kontemplativ)
Willst du später hinauf zu jenen Höhen,
so wird eine Seele dich führen, würdiger als ich;
ihr übergebe ich dich, wenn ich mich zurückziehe.
Vers 121: „A le quai poi se tu vorrai salire,“
Wörtlich: Zu denen (Höhen), wenn du später hinaufsteigen willst...
• Syntax: Konditionalstruktur „se tu vorrai“ – ein hypothetischer Wunsch oder Wille Dantes.
• „le quai“ bezieht sich auf die höheren Regionen des Jenseits, speziell: das Purgatorium und das Paradies. Es ist das Ziel der „ascesis“ (geistigen Aufstieg).
• „poi“ signalisiert eine zeitliche Verschiebung: Jetzt ist noch nicht die Zeit. Erst nach einer bestimmten Vorbereitung.
• Implikation: Virgil erkennt seine eigene Grenze: Er kann Dante nur durch die Hölle führen.
Vers 122: „anima fia a ciò più di me degna:“
Wörtlich: eine Seele wird dafür würdiger als ich sein.
• „anima“: Seele – metaphysischer Begriff, in der Commedia fast immer eine Seelenperson.
• „fia“: Zukunft von essere, archaisch für sarà. Wichtig: der Wechsel in die Zukunftsform betont Vorhersehung und göttliche Ordnung.
• „più di me degna“: stärkste Aussage über die Beschränktheit Virgils – er ist heidnisch, also nicht tauglich, Dante ins Heil (Paradies) zu führen.
• Implikation: Die „anima“ ist Beatrice, Symbol der göttlichen Gnade, Theologie und seligen Weisheit.
Vers 123: „con lei ti lascerò nel mio partire;“
Wörtlich: Mit ihr werde ich dich lassen bei meinem Weggehen.
• „con lei“: mit dieser anderen Führerin – direkte Vorbereitung auf die Einführung Beatrices.
• „ti lascerò“: wörtlich „ich werde dich verlassen“ – ein Motiv des Übergangs: Die Führer wechseln, je nach geistlicher Stufe.
• „nel mio partire“: bedeutet nicht bloß Fortgang, sondern Entschwinden in eine andere Sphäre – Virgil muss zurückbleiben.
• Implikation: Akt der Demut, Dienstbarkeit, aber auch Tragik – Virgil, der große Lehrer, darf das Paradies nicht sehen.
Gesamtkontext und theologische Tiefe
Wendepunkt im ersten Gesang: Hier wird die dramatische Struktur der gesamten Commedia vorgezeichnet: Hölle → Purgatorium → Paradies.
• Doppelte Führung: Dante braucht zunächst die ratio (Vernunft, Virgil), dann die gratia (Gnade, Beatrice).
• Virgil als figura Christi passiva: Er führt, erlöst aber nicht. Seine Rolle ist notwendig, aber begrenzt – Thomistische Anthropologie im Hintergrund: die Vernunft als praeparatio fidei.
• Philosophisch: Der Mensch kann sich durch eigene Vernunft (Virgil) aus der Verirrung befreien, aber zur höchsten Wahrheit (Beatrice) bedarf es göttlicher Offenbarung.