Gute Nacht, mein Kind!

Achim von Arnim

Gute Nacht, mein Kind!

Guten Abend, gute Nacht,
Mit Rosen bedacht,
Mit Näglein besteckt,
Schlupf' unter die Deck,
Morgen früh, wenns Gott will,
Wirst du wieder geweckt.

Analyse

Variante des bekannten Abendlieds, das auch durch Johannes Brahms’ Wiegenlied weltberühmt wurde

Einordnung und Hintergrund

Der Text ist Teil eines deutschen Wiegenlieds aus der Romantik, das durch verschiedene Bearbeitungen populär wurde. Die hier zitierte Version geht auf Achim von Arnim zurück, ist aber auch in Verbindung mit Des Knaben Wunderhorn überliefert – einer berühmten Volksliedsammlung, die Arnim gemeinsam mit Clemens Brentano herausgab (1805–1808). Es handelt sich um ein Volkslied im Stil der Romantik, das die Grenze zwischen kindlichem Vertrauen, elterlicher Fürsorge und religiösem Trost thematisiert.

Formale Analyse

• Strophenform: 1 Strophe à 6 Verse.
• Versmaß: Trochäus (z. B. „Guten Abend, gute Nacht“) – typisch für Wiegenlieder wegen der wiegenden Rhythmik.
• Reim: Paarreime in den ersten vier Zeilen (`Nacht – bedacht – besteckt – Deck`), dann Bruch mit zwei nicht vollständig gereimten Zeilen (`will – geweckt`), was dem Inhalt (Kontingenz, göttlicher Wille) entspricht.
• Sprache: Schlicht, beruhigend, bildhaft-symbolisch (Rosen, Näglein, Decke = Schutz).

Inhalt und Interpretation

1. Motiv des Schlafs und seine Doppelbedeutung
• Der Schlaf wird liebevoll eingeleitet („Guten Abend, gute Nacht“) und steht symbolisch sowohl für den nächtlichen Schlaf des Kindes als auch allegorisch für den Tod – ein gängiges Motiv in der Romantik.
• Das „Schlupf unter die Deck“ kann als Rückzug ins Geborgene, möglicherweise auch in den Schoß der Erde gedeutet werden.
2. Florale Symbolik (Rosen, Näglein)
• Rosen: Symbol der Liebe, Reinheit, aber auch Leidenssymbol (Dornenkrone Christi).
• Näglein: Wahrscheinlich als „Nelken“ zu lesen, deren Bedeutung in der Blumensprache oft Liebe und Hoffnung ist – gleichzeitig kann der Begriff „Näglein“ (Diminutiv zu Nägel) auch unbewusst an die Passion Christi erinnern.
→ Diese Ambivalenz passt zur Romantik, die Schönheit und Todesnähe oft verschränkt.
3. Religiöse Dimension
• „Wenn’s Gott will“ bringt das Bewusstsein der menschlichen Abhängigkeit vom göttlichen Willen zum Ausdruck – typisch für das christliche Weltbild jener Zeit.
• Der Vers zeigt: Das Erwachen am Morgen ist nicht selbstverständlich, sondern Gnade.
→ Diese Haltung verleiht dem Text Tiefe und Demut.
4. Romantisches Lebensgefühl
• Die Zeile „Morgen früh, wenn’s Gott will“ betont die Unsicherheit des Lebens und gleichzeitig das Vertrauen in eine höhere Ordnung.
• Dies entspricht der romantischen Sehnsucht nach Geborgenheit im Transzendenten und im Ewigen.
• Die Gleichzeitigkeit von Trost und Melancholie, Kindlichkeit und Memento Mori, ist typisch für romantische Lyrik.

Vergleich und Wirkungsgeschichte

Die berühmte Vertonung durch Johannes Brahms (1868) – „Wiegenlied: Guten Abend, gute Nacht“ – machte diese Verse weltbekannt. Die Kombination aus Volksliedform, religiöser Vertrauenshaltung und poetischer Einfachheit führte zu einer universellen Wirkung, die bis heute spürbar ist.
Achim von Arnims „Gute Nacht, mein Kind!“ ist mehr als ein bloßes Kinderlied. Es verbindet in wenigen Zeilen:
• elterliche Zärtlichkeit mit romantischer Todesahnung,
• christlicher Demut mit volkstümlicher Sprachgestalt.
Die Verse wiegen ein Kind in den Schlaf – und zugleich den Menschen ins Vertrauen darauf, dass auch der Tod ein Übergang ist, aus dem man – wenn’s Gott will – am Morgen der Ewigkeit neu erwacht.

Philologische Analyse des Gedichts

1. Text und Überlieferung
Die Verse stammen aus Des Knaben Wunderhorn (1805–1808), einer volkstümlichen Lied- und Gedichtsammlung, die von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellt wurde. Die Herkunft der Zeilen ist unklar – vieles wurde nach mündlicher Überlieferung bearbeitet oder ergänzt. Das Lied wurde nicht eindeutig einem der beiden Autoren allein zugeschrieben, auch wenn Arnim in diesem Fall häufiger genannt wird.
2. Sprache und Stilmittel
• Volksliedton: Die Sprache ist schlicht, rhythmisch und repetitiv, typisch für Einschlaflieder.
• Reduplikation: „Guten Abend, gute Nacht“ – die Wiederholung unterstreicht Zärtlichkeit und Sanftheit.
• Alliteration: „Mit Näglein besteckt, schlupf' unter die Deck“ – die Wiederholung von s und sch erzeugt eine sanft fließende Klanglinie.
• Diminuierende Diminutive und Koseformen fehlen zwar explizit, doch der liebevolle Ton („mein Kind“) wird durch Rhythmus und Bildsprache vermittelt.
3. Bildsprache
• „Mit Rosen bedacht“ / „mit Näglein besteckt“: florale Metaphorik verweist auf Schutz, Liebe und den Übergang zur Nacht (vielleicht auch eine Anspielung auf den Tod, vgl. Totenschlaf-Metaphorik).
• „Schlupf’ unter die Deck“: vertrauliche Geste, suggeriert Geborgenheit.
• „wenn’s Gott will“: Integration religiöser Alltagsrede in das Vertrauen auf die göttliche Ordnung – typisch für volksfromme Poesie.
4. Metrum und Rhythmus
• Wiegenlied-typischer 4-hebig-tröchischer Vers mit stumpfer Kadenz.
• Kreuzreimform (a-b-a-b) wird angedeutet, aber bleibt unvollständig – typisch für Volksliedstrophen.

Vergleich mit Clemens Brentano

Es existieren Varianten dieses Gedichts, bei denen Brentano stärkeren Einfluss hatte. Eine bekannte Strophe (zweite Strophe in der Brahms-Vertonung) lautet etwa:
> „Guten Abend, gute Nacht,
> Von Englein bewacht,
> Die zeigen im Traum
> Dir Christkindleins Baum,
> Schlaf nun selig und süß,
> Schau im Traum’s Paradies.“
Interpretation: Brentano tendiert stärker zur romantischen Überhöhung und Vision; Arnim zur volkstümlich konkreten Zärtlichkeit.

Vergleich mit der Vertonung von Johannes Brahms (Op. 49 Nr. 4)

Johannes Brahms vertonte dieses Wiegenlied 1868 – und machte es weltberühmt. Es verwendet beide Strophen, also sowohl die (vermutlich) Arnim’sche als auch die (erweiterte) Brentano’sche.
1. Musikalische Umsetzung
• Melodie: einfache, wiegende Bewegung in 6/8-Takt – lullend, fast monotonisch, ideal zum Einschlafen.
• Begleitung: ruhige, gleichmäßige Akkorde, die das Textbild der Ruhe und Geborgenheit stützen.
• Dynamik: sehr leise, meist piano bis pp, unterstützt Intimität.
2. Text und Musik
• Brahms komponiert bewusst auf den Spannungsbogen von irdischer Zärtlichkeit (1. Strophe) zu himmlischer Vision (2. Strophe):
• 1. Strophe: Realraum der Mutter mit Kind.
• 2. Strophe: Traum- und Jenseitsvorstellung.
• Interpretation: Brahms integriert romantische Innenwelt mit metaphysischer Transzendenz, verbindet Brentano’sche Vision mit Arnims Volksliednähe.
Herkunft der Strophe im Detail:
• Autor: Clemens Brentano (1778–1842)
• Titel der Sammlung: Diese Strophe stammt aus „Des Knaben Wunderhorn“ (1805–1808), einer Lied- und Volksliedersammlung, die Brentano gemeinsam mit Achim von Arnim herausgab.
• Konkrete Quelle: Brentano schrieb diese Verse selbst und fügte sie als „Volkslied“ in Des Knaben Wunderhorn ein. Die Zeile „Morgen früh, wenn’s Gott will, wirst du wieder geweckt“ ist ein typisches Element religiös getönter Kindermorgen- und Abendgebete im 18. und frühen 19. Jahrhundert.
• Die bekannte „Brentano-Strophe“ stammt tatsächlich ausschließlich von Clemens Brentano. Auch wenn Des Knaben Wunderhorn ein Gemeinschaftsprojekt mit Achim von Arnim war, handelt es sich hier um ein Originalgedicht Brentanos, das von ihm selbst im Volksliedstil geschrieben wurde.

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