Leipziger Witzkultur
Briefgedichte
(An Riese)
(...) Es fehlt sehr wenig (vom Trauerspiel
Belsazar); so ist der fünfte Aufzug fertig. In 5füßigen Jamben.
Die Versart, die dem Mädgen wohl gefiel
Der ich allein, Freund! zu gefallen wünschte.
Die Versart, die, der große Schlegel selbst,
Und meist die Kritiker für's Trauerspiel
Die schicklichste und die bequemste halten.
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Die Versart die den meisten nicht gefällt,
Den meisten deren Ohr sechsfüsige,
Alexandriner noch gewohnt. Freund! die,
Die ists die ich erwählt mein Trauerspiel
Zu enden. Doch was schreib ich viel davon.
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Die Ohren gällten dir gar manches mahl,
Von meinen Versen wieder drum mein Freund,
Erzähl ich dir was angenehmehres.
Ich schaute Gellerten, Gottscheden auch,
Und eile jezt sie treu dir zu beschreiben.
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Gottsched ein Mann so groß als wär er vom alten Geschlechte
Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
Zu der Kinder Ißraels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja so sieht er aus und seines Cörperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.
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Wolt ich recht ihn beschreiben; so müßt ich mit einem Exempel
Seine Gestalt dir vergleichen, doch dieses wäre vergebens.
Wandeltest du geliebter auch gleich durch Länder und Länder,
Von dem Aufgang herauf biß zu dem Untergang nieder,
Würdest du dennoch nicht einen der Gottscheden ähnlichte finden.
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Lange hab ich gedacht und endlich Mittel gefunden
Dir ihn zu beschreiben doch lache nicht meiner Geliebter.
Humano capiti, cervicem jungens equinam
Derisus a Flacco non sine jure fuit.
Hinc ego Kölbeliis imponens pedibus magnis,
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Immane Corpus, crassasque scapulas Augsti [1];
Et magna, magni, brachiaque manusque Rolandi,
Addensque tumidum, morosi Rostii [2] caput.
Ridebor forsan? Ne rideatis amici.
Diß ist das wahre bild von diesem großen Mann,
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So gut als ich es nur durch Beyspiel geben kan.Nun nimm geliebter Freund, die jetzt beschriebnen Stücke,
So zeiget glaub es mir sich Gottsched deinem Blicke.
Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
Ich hörte was er sprach, und muß es dir gestehn,
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Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich den Riesen,
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
So wüßte man es gleich weil er steets prahlend spricht.
Genug er sagte viel von seinem Kabinette
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Wie vieles Geld ihn das und jen’s gekostet hätte.
Und andre Dinge mehr, genug mein Freund
Ich muß schließen. Du weißt doch, er hat eine Frau. Er hat wieder geheurahtet, der alte Bock! Ganz Leipzig verachtet ihn. Niemand gehet mit ihm um.
Apropos. Hast du nicht gehört? Der Hofraht beklagt sich über den Mangel der Mädgen zu Göttingen, zu was will er ein Mädgen?
Um die retohrischen Figuren auszuüben
Und nach der neusten Art recht hübnerisch zu lieben
Zu sehn ob die Protase ein hartes Herz erweicht,
Zu sehn ob man durch Regien der Liebe Zweck erreicht
Zu sehn ob Mimesis, die Ploce, die Sarkasmen,
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So voller Reitzung sind wie Neukirchs Pleonasmen,
Und ob er in dem Tohne, wie er den Ulfo singt,
Mit des Corvinus Versen, das Herz der Schönen zwingt,
Und ob - Mein Blat ist voll ich werde sch(l)ießen müßen.
Die Mädgen eurer Stadt und Kehren sollt ihr grüßen.
10
d. 8 Nov 1765.
Goethe
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*1 Du kennst ihn doch? den dicken Schornsteinfeger.
*2 Du wirst dich noch des Fuchses Vater erinnern.
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