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Johann Wolfgang Goethe
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Geniezeit
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Verstreutes

(Verstreutes)

Rettung

Mein Mädgen ward mir ungetreu,
Das machte mich zum Freudenhasser.
Da lief ich an ein fließend Wasser,
Das Wasser lief vor mir vorbei.

Da stund ich nun verzweifelnd stumm,5
Im Kopfe war mirs wie betrunken,
Fast wär ich in den Strom gesunken,
Es ging die Welt mit mir herum.

Auf einmal hört ich was das rief,
Ich wandte just dahin den Rücken,10
Es war ein Stimmchen zum Entzücken:
Nimm dich in acht! der Fluß ist tief.

Da lief mir was durchs ganze Blut,
Ich seh, so ists ein süßes Mädchen.
Ich frage sie, wie heißt du? Käthchen.15
O schönes Käthchen, du bist gut.

Du hältst vom Tode mich zurück
Auf ewig dank ich dir mein Leben.
Allein das heißt mir wenig geben,
Nun sei auch meines Lebens Glück.20

Und dann klagt ich ihr meine Not;
Sie schlug die Augen lieblich nieder,
Ich küßte sie und sie mich wieder:
Und vor der Hand nichts mehr vom Tod.

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