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Johann Wolfgang Goethe
Sämtliche Gedichte

Geniezeit
Gelegenheiten
Jahr der Entscheidung

(An Johann Georg und Rahel d'Orville,
30. 7. oder 3. 9. 1775)

Lieber Hr. Dorville liebe Frau
Ich bitt euch nehmts nicht so genau,
Ihr kennt nun doch einmal den Affen,
Wißt ist nichts gescheuts mit ihm zu schaffen.
Lauft da, was kann wohl tollers sein!5
Wie Kain in die Welt hinein.
Dalür sitzt er auch auf dem Sand,
Die Stadt ist ihm ein ödes Land,
Und ist ihm halt die Welt so leer,
Als wenn er erst 'nein gekommen wär.10
Ihm ist so weh, er schauet nicht
Des liebsten Buben Angesicht,
Hängt nicht dem Mann um Hals und Leib,
Küßt nicht das liebe treue Weib,
Spaziert nicht mehr im Frauenschlepp,15
Und hört auch nicht mehr das Beb! Bepp!
Was hilft mir nun das Glockengebrumm,
Das Kutschengerassel, und Leut Gesumm'
Was tät ich in der Kirche gar?
Da ich schon einmal im Himmel war,20
Ich Hand in Hand mit Engeln saß,
Mich in dem Himmels blau vergaß,
Das aus dem süßen Auge winkt,
Drin Lieb und Treu wie Sternlein blinkt.
Was hört ich an des Pfarrers Lehr25
Die doch nicht halb so kräftig wär
Als wenn ihr Mündlein lieb und mild
Mich über Fluch und Unart schilt.

Was lachst du Sonne daherein?
Ich bitte dich laß mich allein.30
Du lächelst ihren Laden an,
Der heut mir nicht wird aufgetan.
Aha! Du bist so freundlich hier,
Blickst durch die Ritzen schlau nach ihr,
Und meinst du hättst wohl nie so schön35
Dadroben einen Engel ruhen sehn.

Der Tag rückt weiter nun heran
Besuch! — Ach was geht der mich an!
Ich bilde mir so freundlich ein,
Ich säß noch drauß mit euch allein.40
Der Mann raucht seine Pfeif Tobak,
Man fuschelt in dem Arbeitssack,
Man wickelt Seide, es läßt sich an
Als würden Wunderstreich getan.
Ein Medizinisch Dejeuné,45
Mit Selzer Wasser und Kaffee;
Nach Fastenbrezeln wohlgeschmiert,
Kommt Has und Wein hereinspaziert.
Lili muß jeden Lusten stillen,
Das all um ihres Magens willen.50

Die Kinder kommen angehuppt,
Mann wird zur Türe 'naus geschwuppt!
Ist allen so wohl ohn Unterlaß;
Ach lieber Gott, mir auch so was!
Frau Dorville wo mag Lili sein?55
Ist sie in ihrer Stub allein? —
Sie hat die Stirn in ihrer Hand!
Was ist ihr in dem Freuden land?
Soll das ein böses Kopfweh sein?
Oder ach! ist's etwan andre Pein?60

Geh liebes Mufti, ich bitte dich,
Klettr' ihr auf den Schoß, küß sie für mich.
Scheich Daher, Hanne Buzzi du
Küß ihr die Hand, laß ihr nicht Ruh.
Mach Ali Bey dich auch an sie,65
Schmieg dich ihr liebend an das Knie.
Und Abu Dahab komm getrollt,
Sei freundlich bis sie sagt: Du Gold!
Dich herzlich auf dem Arme küßt,
Und hoffend allen Schmerz vergißt.70

Der alte Friedrich kommt und fragt:
Was heut den Damen wohl behagt?
Er soll Kapaun und Wildpret tragen!
Lili hast du ihm nichts zu sagen?
Schon wart ich auf das alte Gesicht,75
Ich bin untröstlich kömmt er nicht.

War der Hr. Doktor noch nicht da?
Sang Andre noch kein Trallallra?
Oho dadraus gehts bunt ja her
Als ob der Teufel ledig wär.80
›Eins, zwei, drei! Kling! Klang! Krack! en garde
Kling! Rompez! Klang! paies ma quarte.‹

So mag es wohl dem Teufel sein
Wenn er in seiner Höll allein
Nach Himmels Freuden seufzt und klagt85
Daß ihn der Unmut r'ausgejagt.
Doch hab ich weit ein besser Los,
Die Kluft ist lange nicht so groß;
Bin euch mit Leib und Seele nah
Pliz! Plaz! So bin ich wieder da90
Goethe

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