Genesis 05:02

Luther 1545
Vnd schuff sie ein Menlin vnd Frewlin / vnd segenet sie / vnd hies jren namen Mensch / zur zeit da sie geschaffen wurden.
Luther 1912
und schuf sie einen Mann und ein Weib und segnete sie und hieß ihren Namen Mensch zur Zeit, da sie geschaffen wurden.

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 05:02

1Mo 5:2 und schuf sie einen Mann und ein Weib und segnete sie und hieß ihren Namen Mensch zur Zeit, da sie geschaffen wurden.
1Mo 1:27 Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib.
Mal 2:15 Also tat der Eine nicht, und war doch großen Geistes. Was tat aber der Eine? Er suchte den Samen, von Gott verheißen. Darum so sehet euch vor vor eurem Geist und verachte keiner das Weib seiner Jugend.
1Mo 2:15 Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn baute und bewahrte.
1Mo 2:23 Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, darum daß sie vom Manne genommen ist.
Apg 17:26 Und er hat gemacht, daß von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen, und hat Ziel gesetzt und vorgesehen, wie lange und wie weit sie wohnen sollen;

Analyse

• Genesis 5,2 zeigt eine theologische Rückschau auf die Erschaffung des Menschen als männlich und weiblich. In allen drei Sprachtraditionen bleibt die strukturelle Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit bestehen, wobei die gemeinsame Benennung »Adam« sowohl im Hebräischen als auch in den Übersetzungen als Ausdruck der Einheit der menschlichen Natur erscheint. Der Segen Gottes gilt beiden Geschlechtern, und ihre Identität wird nicht primär im Geschlecht, sondern im gemeinsamen Namen »Adam/Mensch« verankert.
• Keine bloße Wiederholung der Schöpfungserzählung, sondern ein theologisch-literarischer Rückblick mit starker symbolischer Dichte. Der Vers hebt die Einheit und die segensvolle Bestimmung des Menschseins hervor, ohne die geschlechtliche Differenz zu leugnen. Er erinnert daran, dass Menschsein von Anfang an Beziehung, Gabe und Auftrag ist.
• Diese Grundlegung zieht sich durch die gesamte Bibel: Die Einheit des Menschen in Gott, der Segen als Träger des Lebens und die bleibende Beziehung zwischen Gott, Mensch und Zeit.
• Weit mehr als eine genealogische Notiz. Der Vers verdichtet uralte Einsichten über das Wesen des Menschen: sein Beziehungscharakter, seine Würde, die Einheit von Männlichem und Weiblichem, und seine ursprüngliche Ganzheit. In kulturgeschichtlicher, anthropologischer und allegorischer Tiefe bietet er einen Schlüssel zur biblischen Anthropologie – und bleibt zugleich offen für neue Deutungen, in denen sich jede Generation wiederfinden kann.
• Mehr als ein Bericht über Geschlechterdifferenz. Es ist eine dichterische, psychologische und philosophische Meditation über das Menschsein in seiner ursprünglichen Form. Der Text entfaltet ein Bild des Menschen, der nicht durch Trennung definiert wird, sondern durch Beziehung. Die Geschlechtlichkeit ist nicht hierarchisch, sondern dialogisch. Der Segen, der diesem Doppelwesen zuteilwird, ist kein Zusatz, sondern die Auszeichnung seiner schöpferischen Bedeutung.
• In dieser Stelle liegt bereits der Keim für spätere mystische, ethische und existenzielle Interpretationen: Der Mensch ist von Anfang an mehr als er selbst – er ist das Andere in sich. Und dieser Andere ist kein Feind, sondern der Ursprung des Namens.

Biblisches Hebräisch

זָכָר וּנְקֵבָה בְּרָאָם, וַיְבָרֶךְ אֹתָם; וַיִּקְרָא אֶת-שְׁמָם אָדָם, בְּיוֹם הִבָּרְאָם.
Zāḵār ûnəqēvāh bərā’ām, wayəvāreḵ ’ōtām; wayyiqrā ’eṯ-šəmām ’Āḏām, bəyōm hibbār’ām.
זָכָר (zāḵār) = »männlich« oder »Mann« – biologisches Geschlecht, keine individuelle Bezeichnung.
נְקֵבָה (nəqēvāh) = »weiblich« oder »Weib« – ebenfalls biologisch.
בְּרָאָם (bərā’ām) = »er erschuf sie« – Verb ברא (bara’) steht ausschließlich für göttliches Schaffen aus dem Nichts.
וַיְבָרֶךְ אֹתָם (wayəvāreḵ ’ōtām) = »und er segnete sie« – der Segen ist ein göttlicher Akt, hier als Zeichen der Bestätigung der Geschöpflichkeit in ihrer Zweigeschlechtlichkeit.
וַיִּקְרָא אֶת-שְׁמָם אָדָם (wayyiqrā ’eṯ-šəmām ’Āḏām) = »und er nannte ihren Namen: Mensch« – das hebräische »אָדָם« (’ādām) ist nicht nur ein Eigenname, sondern auch ein Gattungsbegriff für »Mensch«, der hier auf beide Geschlechter angewandt wird.
בְּיוֹם הִבָּרְאָם (bəyōm hibbār’ām) = »am Tag ihrer Erschaffung« – betont die Einheit und Gleichzeitigkeit der Schöpfung.
Exegese (Hebräisch):
Der Vers unterstreicht die gemeinsame Menschlichkeit von Mann und Frau. Sie werden nicht nur zusammen geschaffen, sondern als »’Āḏām« benannt – ein einziger Name für beide. Die Geschlechtsdifferenz bleibt erhalten, ist aber in eine übergeordnete Identität eingebettet. Der Vers wirkt wie ein Rückblick auf Gen 1,27, enthält aber eine stärker kollektive Anthropologie.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

ἄρσεν καὶ θῆλυ ἐποίησεν αὐτούς· καὶ εὐλόγησεν αὐτούς· καὶ ἐπωνόμασεν τὸ ὄνομα αὐτῶν Ἀδάμ, ᾗ ἡμέρᾳ ἐποίησεν αὐτούς.
ársēn kaì thēly epoíēsen autoús; kaì eulogēsen autoús; kaì eponómasen tò ónoma autôn Adám, hē hēméra epoíēsen autoús.
ἄρσεν (ársēn) = »männlich« – rein biologisch, analog zu זָכָר.
θῆλυ (thēly) = »weiblich« – analog zu נְקֵבָה.
ἐποίησεν (epoíēsen) = »er machte« – allgemeiner als ברא; schließt nicht notwendig Schöpfung ex nihilo ein.
εὐλόγησεν (eulogēsen) = »er segnete« – wie im Hebräischen, Segenshandlung Gottes.
ἐπωνόμασεν (eponómasen) = »er benannte« – betont den formellen Akt der Namensgebung.
τὸ ὄνομα αὐτῶν Ἀδάμ (tò ónoma autôn Adám) = »ihr Name (war) Adam« – der Eigenname wird als kollektiver Name beibehalten.
ᾗ ἡμέρᾳ (hē hēméra) = »an dem Tag« – temporal, betont den Schöpfungsmoment.
Exegese (Griechisch):
Die LXX folgt weitgehend dem Hebräischen, aber der Ausdruck ἐπωνόμασεν betont stärker die offizielle, rechtlich-anthropologische Geste Gottes. Die Verwendung von »Ἀδάμ« als Name für beide macht deutlich, dass Menschsein über Geschlecht steht. Das Griechische vermittelt so eine Ontologie des Menschseins, die trotz Unterschiedlichkeit auf Gemeinsamkeit gründet.

Biblisches Latein (Vulgata)

Masculum et feminam creavit eos, et benedixit illis, et vocavit nomen eorum Adam, in die qua creati sunt.
Masculum et feminam = »männlich und weiblich« – biologische Unterscheidung, wie in den anderen Sprachen.
creavit eos = »er schuf sie« – creare ist etwas schwächer als bara, aber betont dennoch göttliches Schaffen.
benedixit illis = »er segnete sie« – klare Parallele zu hebräischem wayəvāreḵ.
vocavit nomen eorum Adam = »er nannte ihren Namen Adam« – das Singular-Nomen für ein Kollektiv ist beibehalten.
in die qua creati sunt = »an dem Tag, an dem sie geschaffen wurden« – betont Zeitlichkeit und Einheit.
Exegese (Lateinisch):
Die Vulgata bleibt dem Hebräischen sehr nahe. Durch die Singularform Adam als »nomen eorum« (ihr gemeinsamer Name) wird erneut die grundsätzliche Einheit der Menschheit vor der Differenz der Geschlechter betont. Das Latein bestärkt damit eine theologisch-anthropologische Sicht: »Adam« ist der Mensch, männlich und weiblich zugleich als Repräsentanten des Menschengeschlechts.

Semantische Analyse (Luther 1912)

1. »Und schuf sie einen Mann und ein Weib«
»Und schuf«: Das Verb »schaffen« steht hier in der Vergangenheit und verweist auf Gottes schöpferisches Handeln im Anfang. Es ist dasselbe Wort wie in 1 Mose 1,27 (»Gott schuf den Menschen«). Es zeigt einen schöpferischen Akt, der allein Gott zukommt.
»sie«: Ein bemerkenswerter Plural – es ist nicht »ihn«, sondern »sie«, was Adam und Eva einschließt. Der Mensch ist in dieser Perspektive von Beginn an ein Paar.
»einen Mann und ein Weib«: Wörtlich »zakar« und »neqevah« im Hebräischen (Gen 5,2), biologische Geschlechterbezeichnungen, nicht soziale Rollen. Es hebt die komplementäre Bipolarität hervor. Nicht Mann und Frau im modernen Sinne, sondern betont die leiblich-geschlechtliche Unterscheidung.
2. »und segnete sie«
»segnete«: Der Segen ist in der Genesis immer mehr als ein Wunsch; es ist eine schöpferische Kraftzusage, ein Impuls zur Fruchtbarkeit, zum Leben und zur Bestimmung. Auch hier bezieht sich der Segen auf »sie« als Paar.
Der Segen erinnert an Genesis 1,28: »Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar...«
3. »und hieß ihren Namen Mensch«
»hieß ihren Namen«: Diese Wendung zeigt göttliche Autorität über die Benannten. Es ist ein Akt der Identitätsstiftung.
»ihren Namen«: Wieder Plural – es geht um beide. Dennoch folgt ein Singular: »Mensch«.
»Mensch« (hebr. adam) – nicht als Eigenname, sondern Gattungsbegriff: der Mensch als Spezies oder Wesen. Es verweist sowohl auf die adamische Herkunft (von adamah, Erde) als auch auf die grundlegende Einheit der Menschheit.
4. »zur Zeit, da sie geschaffen wurden«
Zeitbestimmung: »Zur Zeit« betont den Moment des Ursprungs. Es ist retrospektiv gedacht – wie ein Rückblick auf den Schöpfungsakt.
»da sie geschaffen wurden«: Die Vergangenheitsform zeigt, dass es sich hier um eine Rückvergewisserung handelt: eine Erinnerung an den ursprünglichen Zustand, bevor die Geschichte der Generationen (die Genealogie Adams) entfaltet wird.

Theologische Vertiefung

Diese Stelle steht am Beginn der sogenannten »Toledot« Adams – der Geschlechterfolge. Sie verweist bewusst zurück auf die Schöpfungserzählung in Genesis 1 und 2. Ihre theologische Tiefe liegt in mehreren Aspekten:
1. Menschsein als Beziehung
Die erste theologische Pointe liegt in der Beziehungshaftigkeit des Menschen. Menschsein ist kein isoliertes Phänomen, sondern konstituiert sich in der Polarität von Mann und Frau. Genesis 5,2 wiederholt und verdichtet das biblische Menschenbild: Der Mensch ist als Gemeinschaftswesen geschaffen.
Das Paar ist gemeinsam »Mensch«. Die menschliche Identität ist nicht geschlechtlich getrennt, sondern integrativ.
2. Segensstruktur der Schöpfung
Der göttliche Segen ist Zeichen der Gunst und Sendung. Die Menschheit ist nicht nur Objekt göttlicher Macht, sondern Subjekt göttlicher Bestimmung.
Das heißt auch: Menschsein ist nie bloß biologische Existenz, sondern mit einem Auftrag verbunden – zur Fruchtbarkeit, zur Vermehrung, zur Verantwortung.
3. Anthropologie im Lichte der Einheit
Die Bezeichnung »Mensch« für beide Geschlechter zeigt, dass das Menschsein nicht durch das Geschlecht definiert ist, sondern durch die Gottebenbildlichkeit.
Dies hat auch Implikationen für spätere theologische Anthropologien – etwa im Neuen Testament (»Da ist nicht Mann noch Weib... denn ihr seid alle einer in Christus«, Gal 3,28).
4. Namensgebung durch Gott
Gott »nennt« den Namen – das bedeutet theologisch: Der Mensch ist nicht autonom in seiner Selbstdefinition. Identität ist nicht einfach verfügbar, sondern empfangen.
Diese Namensgebung kann als ein schöpferischer Akt der Setzung der Gattung gesehen werden: Gott macht aus dem Paar die »Menschheit« im Ganzen.

Literarische Vertiefung

1. Rekapitulation und Verdichtung
Der Vers ist literarisch eine Verdichtung der Schöpfungsgeschichte aus Genesis 1–2, mit starker rhythmischer Klarheit: Schaffen – Segnen – Benennen – Verorten in der Zeit.
Er fungiert als literarischer Übergang zwischen Mythos (Kap. 1–4) und Genealogie (Kap. 5–11). Das mythische Urpaar wird zur historischen Ursprungseinheit der Geschlechterreihe.
2. Strukturelle Symmetrie
Die Parallelität der Aussagen (»schuf – segnete – hieß – geschaffen wurden«) gibt dem Vers einen fast liturgischen Charakter.
Der Wechsel vom Plural (»sie«) zum Singular (»ihren Namen«) und wieder zurück (»sie geschaffen wurden«) spielt mit Identität und Differenz – ein typisches Stilmittel der hebräischen Literatur.
3. Rückgriff auf Genesis 1–2
Der Vers steht nicht isoliert. Er ist ein Echo auf Genesis 1,27 und 2,7. Besonders Genesis 1,27 ist fast wörtlich:
»Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde… männlich und weiblich schuf er sie.«
Doch während 1,27 die Imago Dei betont, geht es hier mehr um die Gattungszugehörigkeit und die geschichtliche Einordnung.
4. Poetische Kompression
Der Text komprimiert ein ganzes Welt- und Menschenbild in einem einzigen Vers. Es handelt sich fast um ein Mem oder ein literarisches Prisma, durch das spätere biblische Anthropologie hindurchscheint.
Im Vergleich zu anderen altorientalischen Genealogien bleibt die biblische Fassung bemerkenswert theozentrisch und komprimiert.

Kulturgeschichtliche Vertiefung

a) Patriarchale vs. ursprüngliche Egalität
Dieser Vers knüpft an die Erzählung von Genesis 1,27 an, wo Gott den Menschen »als Mann und Frau« schuf – im Plural und »nach seinem Bild«. Das Spannungsfeld zwischen Genesis 1 (priesterliche Quelle) und Genesis 2–3 (jahwistische Quelle) ist kulturgeschichtlich bedeutsam: Die priesterliche Quelle stellt eine Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit von Mann und Frau dar. Der Vers in Gen 5,2 wirkt wie eine Rückbesinnung auf diesen ursprünglichen Zustand der Gleichheit.
Im antiken Nahen Osten war die Geschlechterordnung stark patriarchal geprägt. Die Betonung, dass Gott »sie schuf – als Mann und Frau« und »Mensch« nannte, kann als Kontrast zu späteren kulturellen Entwicklungen gelesen werden, in denen das Weibliche oft als derivativ (aus dem Männlichen abgeleitet) galt.
b) Namensgebung als Akt der Macht
Die Aussage, dass Gott »ihren Namen Mensch« nennt (hebräisch: adam), verweist auf einen uralten Zusammenhang zwischen Benennung und Herrschaft. In vielen altorientalischen Kulturen hatte der Akt der Namensgebung eine schöpferische und autoritative Funktion. Dass Gott nicht »ihn« oder »sie« nennt, sondern beide gemeinsam »Mensch«, ist kulturgeschichtlich bemerkenswert: Es unterläuft die Tendenz, »Adam« als ausschließlich männlich zu interpretieren.

Anthropologische Vertiefung

a) Einheit von Mann und Frau im Menschsein
Die anthropologische Aussage liegt in der Betonung, dass das Wesen des Menschen nicht allein im Mann oder allein in der Frau, sondern in der Vereinigung beider liegt. In der jüdisch-christlichen Anthropologie wird der Mensch als relationales Wesen verstanden – seine Identität entfaltet sich in Beziehung.
Dass sie »Mensch« genannt werden, wenn sie gemeinsam auftreten, impliziert eine tiefe Wahrheit über das Gemeinwesen des Menschlichen: Der Mensch ist nicht isoliertes Individuum, sondern ein Wesen in Beziehung, im Dialog, im Miteinander der Geschlechter. Dies verweist auch auf die theologische Idee von Imago Dei – dass der Mensch das Bild Gottes trägt, gerade in seiner sozialen Natur.
b) Segnung als existenzielle Verankerung
Die göttliche Segnung verweist auf die Anthropologie der Würde: Der Mensch ist nicht Produkt eines blinden Zufalls, sondern gewollt und bejaht. Die Segnung bedeutet mehr als ein ritueller Akt – sie bezeichnet eine Grundausrichtung des Menschseins zur Fruchtbarkeit, zur Lebensentfaltung, zum Guten hin.

Allegorisch-metaphorische Vertiefung

a) Mann und Frau als Polaritäten der Seele
Die allegorische Tradition – etwa bei Origenes, Augustinus oder in der mystischen Auslegung – interpretiert Mann und Frau oft als zwei Prinzipien innerhalb der menschlichen Seele. So steht der Mann für das aktive, formende Prinzip, die Frau für das empfangende, gebärende Prinzip.
In diesem Licht ist die Aussage, dass Gott beide zugleich schuf und »Mensch« nannte, ein Bild für die Ganzheit der Seele, die männliche und weibliche Eigenschaften in sich trägt. Die Seele ist »menschlich« nur dann, wenn beide Pole integriert sind.
b) Mystische Bedeutung des Namens »Mensch«
Der Name »Mensch« (adam) hat im Hebräischen eine tiefe symbolische Bedeutung. Er ist verwandt mit adamah (Erde) – was die Vergänglichkeit, aber auch die schöpferische Verwurzelung des Menschen ausdrückt. In der kabbalistischen Tradition verweist Adam Kadmon (der »Urmensch«) auf eine archetypische Gestalt, in der das Göttliche und das Menschliche noch ungetrennt sind.
So ließe sich sagen: In Genesis 5,2 erscheint der Mensch noch in dieser ursprünglichen, undifferenzierten Ganzheit. Erst mit dem Sündenfall und der Geschichte verlieren sich diese Gegensätze im Konflikt.
c) Zeitpunkt der Schöpfung als Kairos
Der Ausdruck »zur Zeit, da sie geschaffen wurden« verweist nicht bloß auf ein historisches Datum, sondern auf einen mythischen Urzeitpunkt – einen Kairos, in dem der Mensch als solcher ins Dasein tritt. Diese Zeit ist nicht messbare Chronologie, sondern existentielle Gegenwart, die sich in jedem neuen Menschen – in jedem Akt wahrer Menschlichkeit – wiederholt.

Psychologische Vertiefung

»... einen Mann und ein Weib ... und hieß ihren Namen Mensch« – Diese Wendung suggeriert keine bloße Addition zweier Individuen, sondern eine symbolische Einheit. Aus psychologischer Sicht könnte man hier von einer Ur-Identität sprechen, die sowohl das Männliche als auch das Weibliche in sich umfasst. Der Mensch wird nicht als »Mann« oder »Frau« genannt, sondern als »Adam« – als Gattungswesen, nicht als biologisches Subjekt. Dies reflektiert das archetypische Konzept des Androgynen, das in der Tiefenpsychologie, etwa bei Jung, als Symbol für psychische Ganzheit verstanden wird.
Anima und Animus: Die jungianische Psychologie spricht von weiblichen Anteilen im Mann (Anima) und männlichen Anteilen in der Frau (Animus). Das gemeinsame »Mensch«-Sein legt nahe, dass in der ursprünglichen psychischen Struktur des Menschen beide Prinzipien enthalten und gesegnet sind.
Segnung und Differenz: Die Segnung erfolgt vor der vollständigen Ausdifferenzierung der Geschlechterrollen im sozialen Sinn. Das impliziert, dass psychische Ganzheit nicht im Ausschluss, sondern im Zusammenspiel der Gegensätze liegt. Der Mensch als »gesegneter Dualismus« trägt in sich die Anlage zur inneren Integration – ein frühes Echo dessen, was moderne Psychologie als Individuation bezeichnet.
Geburt der Ich-Struktur: Dass »sie« einen Namen erhalten (»Mensch«), markiert einen Akt der symbolischen Identitätsstiftung. Namen sind in der Psychologie entscheidende Marker für Selbstbewusstsein und Anerkennung. Der Mensch wird sich durch die Benennung seiner selbst und des anderen seiner Existenz bewusst – als Teil eines größeren, binären Zusammenhangs.

Philosophische Vertiefung

Ontologie der Beziehung: Die Philosophie kann hier anknüpfen an Grundfragen des Seins: Was heißt es, »Mensch« zu sein, wenn dieses Sein von Anfang an in einer Beziehungsstruktur gedacht ist – »Mann und Weib«, aber mit einem einzigen Namen: Mensch?
Einheit in der Vielheit: Diese Stelle betont die paradoxe Gleichzeitigkeit von Differenz (Mann und Weib) und Einheit (ein Name). Das erinnert an die platonische Vorstellung, dass das Ursprüngliche eine Ganzheit ist, die sich in Zweiheit spiegelt – und an die aristotelische Lehre, wonach das Wesen nicht in der Einzelform, sondern in der Form-Gemeinschaft besteht.
Existenz vor der Trennung: Die Zeit »da sie geschaffen wurden« verweist auf einen Zustand vor der Zerstreuung in Zeit und Geschichte. Die Philosophie fragt hier nach einem ursprünglichen Zustand, einem »vor-ontologischen« Sein, das noch nicht durch Gesellschaft, Sprache oder Machtverhältnisse vermittelt ist. Es ist das, was Heidegger als das »ursprüngliche Dasein« zu denken versuchte – ein Sein im Modus der Unmittelbarkeit.
Segnung als metaphysische Anerkennung: Der Segen ist keine bloße Zuwendung, sondern eine metaphysische Geste: Er macht die Geschöpfe nicht nur existent, sondern auch gut – d.h. als Teil des Ganzen sinnvoll. Das Sein des Menschen ist nicht bloß faktisch, sondern getragen von einem telos, einer Bestimmung.
Anthropologische Universalität: Dass beide Geschlechter mit demselben Namen bezeichnet werden, impliziert eine ursprüngliche Gleichwertigkeit und Ko-Humanität – eine Idee, die gegen spätere patriarchale Lesarten arbeitet. Philosophisch betrachtet: Die Differenz liegt nicht auf der Ebene des Wesens, sondern der Erscheinung – was Immanuel Kant als »phänomenale« Verschiedenheit bei »noumenaler« Einheit bezeichnen könnte.

Poetische Vertiefung

»... und hieß ihren Namen Mensch ...« – Diese Zeile ist in ihrer Hebräischen Originalgestalt (»וַיִּקְרָא אֶת־שְׁמָם אָדָם«) fast wie ein Vers, ein rhythmischer Schlag aus Schöpfung und Erkenntnis. Ihre Poesie liegt nicht in ausgeschmückten Bildern, sondern in der symbolischen Dichte.
Namensgebung als lyrischer Akt: Die Benennung des Doppels (Mann und Weib) mit einem einzigen Namen evoziert ein urpoetisches Bild: Der Name ist nicht bloß Etikett, sondern Schicksal (vergleiche Hölderlins Begriff des »namensmächtigen Wortes«). Die Sprache der Schöpfung ist hier selbst schöpferisch – der Name »Mensch« webt Mann und Weib in ein gemeinsames Narrativ.
Poetik der Einheit: In dieser Stelle liegt eine fast mystische Andeutung einer ursprünglichen Ganzheit. Der Mensch, als »sie«, ist kein Sammelbegriff, sondern ein leiser Akkord – ein Duett, das aus einem Namen klingt. Die Poesie liegt darin, dass Einzahl und Mehrzahl sich nicht widersprechen, sondern umarmen.
Segen als lyrische Lichtung: Das Wort »segnete sie« wirkt wie ein Glanz über der Szene. Es verweist auf ein nicht sichtbares Licht, ein Wohlwollen, das wie ein stilles Gedicht auf der Haut der Worte liegt. In der Tradition biblischer Dichtung ist der Segen selbst ein Gedicht – ein unsichtbares Ornament auf dem Schicksal.
Schöpfung als poetischer Augenblick: »zur Zeit, da sie geschaffen wurden« – diese Zeit ist kein Kalendarium, sondern ein Ewigkeitspunkt, ein kairos. Die Poetik des Anfangs liegt in der gleichzeitigen Unschuld und Tiefe: Alles ist neu, und alles ist schon da.

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