Genesis 05:01

Luther 1545
DJS ist das Buch von des Menschen geschlecht / Da Gott den Menschen schuff / machet er jn nach dem gleichnis Gottes /
Luther 1912
Dies ist das Buch von des Menschen Geschlecht. Da Gott den Menschen schuf, machte er ihn nach dem Bilde Gottes;

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 05:01

1Mo 5:1 Dies ist das Buch von des Menschen Geschlecht. Da Gott den Menschen schuf, machte er ihn nach dem Bilde Gottes;?
1Mo 1:27 Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib.
Lk 3:38 der war ein Sohn des Enos, der war ein Sohn Seths, der war ein Sohn Adams, der war Gottes.

Analyse

• Genesis 5,1 ist weit mehr als ein genealogischer Einstieg – er ist ein theologisches Signalwort, das die Würde des Menschen, seine Herkunft von Gott und seine bleibende Gottebenbildlichkeit betont. Im Übergang zwischen Schöpfung und Menschheitsgeschichte stellt der Vers die kontinuierliche Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf in den Vordergrund – eine Beziehung, die durch den Sündenfall zwar belastet, aber nicht zerstört wurde. Die literarische Gestaltung bringt diesen Rückgriff klar und rhythmisch zur Geltung, während die theologische Tiefe den Menschen als Träger einer göttlichen Berufung beschreibt.
• Weit mehr als ein genealogischer Marker. Er ist eine verdichtete theologische Formel: Der Mensch ist Geschichte, Bild, Auftrag, Echo – erschaffen nicht in einem Zustand der Erfüllung, sondern der Spannung. Seine Würde ist gegeben, aber seine Form muss sich erst erweisen. Die Kultur, die Anthropologie und die Allegorie dieses Verses verweisen gemeinsam auf das tiefere Drama der Menschheit: sich selbst zu erkennen als Gottes Bild – und diese Erkenntnis in Geschichte zu entfalten.
• Kein bloß genealogischer Vermerk, sondern eine Verdichtung des Menschseins in wenigen Worten. Psychologisch trägt der Vers die Frage nach Identität und Innerlichkeit, philosophisch die nach Sein und Würde, poetisch die nach Ursprung und Bedeutung. Dieses eine Bild – »nach dem Bilde Gottes« – bleibt als Chiffre zurück: ein Symbol, das jede Generation neu entschlüsseln muss.

Biblisches Hebräisch

זֶה סֵפֶר תּוֹלְדֹת אָדָם בְּיוֹם בְּרֹא אֱלֹהִים אָדָם בִּדְמוּת אֱלֹהִים עָשָׂה אֹתוֹ׃
zeh sêfer tôledôt ’ādām, bəyôm bərô ’ĕlōhîm ’ādām, bidmût ’ĕlōhîm ʿāsâ ’ôtô
זֶה סֵפֶר (zeh sêfer) – »Dies ist das Buch«
sêfer bedeutet »Buch«, »Schriftrolle«, auch »Urkunde« oder »Aufzeichnung«. Es verweist nicht auf ein Buch im modernen Sinne, sondern auf ein offizielles genealogisches oder geschichtliches Dokument. Der Ausdruck »dies ist das Buch« markiert oft eine neue Sektion (vgl. Gen 2,4; Mt 1,1).
תוֹלְדֹת (tôledôt) – »Geschlechter« / »Genealogien«
Wörtlich »Geburten«, aber kontextuell bedeutet es »Abstammung«, »Geschichte einer Linie«, »Chronik«. Das Wort signalisiert den Beginn eines neuen Abschnitts, der genealogische Informationen enthält.
אָדָם (’ādām) – »Mensch« oder »Adam«
Hier doppeldeutig: sowohl Eigenname »Adam« als auch Gattungsbegriff »Mensch«. Die Nähe zur Schöpfungsszene (Gen 1–2) legt nahe, dass beide Bedeutungen mitschwingen.
בְּיוֹם בְּרֹא (bəyôm bərô) – »an dem Tag, da (Gott) schuf«
Wörtlich »am Tag des Schaffens«, idiomatisch eine Formulierung für »als Gott schuf«. Das Verb ברא (bārā’) ist reserviert für das schöpferische Handeln Gottes.
בִּדְמוּת אֱלֹהִים (bidmût ’ĕlōhîm) – »im Abbild Gottes«
bidmût bedeutet »in der Gestalt / Form / Ähnlichkeit«. Dies erinnert stark an Gen 1,26–27. Die Aussage betont die theomorphe Würde des Menschen.
עָשָׂה אֹתוֹ (ʿāsâ ’ôtô) – »machte er ihn«
Das Verb ʿāsâ ist allgemeiner als bārā’, steht aber hier im Parallelismus zu bārā’ und unterstreicht die intentionale Gestaltung des Menschen.
Zusammenfassung: Der hebräische Text eröffnet den Abschnitt mit einer genealogischen Formel und bindet die menschliche Geschichte zurück an die Schöpfung. Die Aussage, dass der Mensch »im Abbild Gottes« gemacht wurde, bekräftigt seine Würde und Bedeutung im göttlichen Plan.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

Αὕτη ἡ βίβλος γενέσεως ἀνθρώπων. ᾗ ἡμέρᾳ ἐποίησεν ὁ Θεὸς τὸν ἄνθρωπον, κατ’ εἰκόνα Θεοῦ ἐποίησεν αὐτόν.
Haute hē biblos geneseōs anthrōpōn. hē hēmera epoiēsen ho Theos ton anthrōpon, kat’ eikona Theou epoiēsen auton.
βίβλος γενέσεως (biblos geneseōs) – »Buch der Entstehung / Herkunft«
genesis (von ginomai, »werden«) steht für Entstehung, Geburt, Ursprung. Dies ist derselbe Ausdruck wie in Mt 1,1 (»Βίβλος γενέσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ«), was auf eine bewusste Rückbindung an Genesis 5,1 deutet.
ἀνθρώπων (anthrōpōn) – »der Menschen«
Pluralisch: betont nicht nur Adam als Einzelperson, sondern die Menschheit im Allgemeinen.
ᾗ ἡμέρᾳ ἐποίησεν (hē hēmera epoiēsen) – »an dem Tag, da … machte«
Fast wörtlich vom Hebräischen übernommen. poiein ist das Standardverb für »machen«, nicht exklusiv göttlich, aber im Zusammenhang mit Theos theologisch aufgeladen.
κατ’ εἰκόνα Θεοῦ (kat’ eikona Theou) – »nach dem Bild Gottes«
eikōn ist der Begriff für »Bild«, »Ikone«, also eine sichtbare Repräsentation. Das »κατά« weist auf das Maß oder das Modell hin – der Mensch wurde »entsprechend dem Bild« Gottes geschaffen.
Zusammenfassung: Die Septuaginta gibt den hebräischen Text mit hoher Treue wieder, bietet aber durch Begriffe wie genesis und eikōn Anknüpfungspunkte für späteres christologisches Denken. Der Bezug zur Menschheit (Plural) tritt stärker hervor.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

Hic est liber generationis Adam. In die qua creavit Deus hominem, ad similitudinem Dei fecit illum.
liber generationis Adam – »Buch der Zeugung / Abstammung Adams«
generatio kann sowohl physische Geburt als auch eine genealogische Reihe bedeuten. Im Gegensatz zu »tôledôt« fehlt hier die direkte Pluralität – Adam wird als Ursprung betont.
in die qua creavit Deus hominem – »an dem Tag, an dem Gott den Menschen erschuf«
creavit (von creare) ist der spezifisch theologische Begriff für göttliches Schaffen, analog zu bara. Die Formulierung unterstreicht den einmaligen Akt.
ad similitudinem Dei fecit illum – »nach dem Gleichnis Gottes machte er ihn«
ad similitudinem entspricht dem griechischen kat’ eikona und hebräischen bidmût. Die Wahl dieses Ausdrucks hat kirchengeschichtlich Bedeutung, besonders im Kontext der Gottebenbildlichkeitslehre Augustins und der Scholastik.
Zusammenfassung: Die Vulgata betont stärker Adam als Ursprungsträger. Die Formulierungen sind inhaltlich eng am Hebräischen, aber sprachlich eleganter gefasst. Die »similitudo Dei« hat eine reiche Wirkungsgeschichte in der Theologie.

Exegetische Perspektive

Theologische Rahmung: Genesis 5,1 ist eine Rückbindung an Genesis 1,26–27, wo die Imago-Dei-Theologie erstmals formuliert wird. Hier wird das Motiv erneut aufgenommen, aber nun in einem genealogischen Rahmen – d. h. die Ebenbildlichkeit betrifft nicht nur Adam, sondern seine Nachkommen.
Christologische Rezeption: Die Formulierung in der Septuaginta findet eine Wiederaufnahme in Mt 1,1, wo Jesus Christus als neuer Adam erscheint – ein Motiv, das Paulus in Röm 5 und 1 Kor 15 ausarbeitet.
Hermeneutischer Brückenschlag: Die explizite Verbindung von »Buch« und »Menschengeschichte« eröffnet eine theologische Linie zur Idee des »Lebensbuches« (vgl. Ps 139,16; Offb 20,12). Die menschliche Geschichte beginnt nicht zufällig, sondern unter der Prämisse der göttlichen Imago und der bewussten göttlichen Erinnerung.

Semantische Analyse

1. »Dies ist das Buch«
Das Wort »Buch« (hebr. סֵפֶר sefer) meint hier nicht unbedingt ein kodifiziertes Werk im heutigen Sinn, sondern eine Aufzeichnung, ein genealogisches Register.
Es steht hier für eine geordnete Darstellung oder Aufzählung des Menschengeschlechts, d.h. ein Stammbaum oder eine Genealogie.
2. »von des Menschen Geschlecht«
Wörtlich: »von Adams Geschlecht«, da das hebräische Original אָדָם (’ādām) sowohl »Mensch« als auch den Namen des ersten Menschen bedeutet.
»Geschlecht« ist hier als Abstammungslinie, aber auch als Gattung Mensch zu verstehen. Es ist doppeldeutig zwischen dem einzelnen Urmenschen und der Menschheit insgesamt.
3. »Da Gott den Menschen schuf«
Das Temporalsatzgefüge »da Gott den Menschen schuf« bezieht sich rückblickend auf Genesis 1,26ff, wo die Schöpfung des Menschen beschrieben wird.
Das Verb »schuf« (hebr. בָּרָא bara’) bezeichnet göttliches Schaffen aus dem Nichts – ein Begriff, der nur in Bezug auf Gottes Schöpfungshandeln verwendet wird.
4. »machte er ihn nach dem Bilde Gottes«
Dies ist ein Verweis auf das Imago-Dei-Motiv aus Genesis 1,26–27. Das Wort »Bild« (hebr. צֶלֶם tselem) bedeutet Abbild, Repräsentation.
Es verweist darauf, dass der Mensch eine gewisse Ähnlichkeit oder Entsprechung zu Gott trägt – keine physische, sondern geistige, moralische, relationale oder funktionale.
Der Ausdruck »nach dem Bilde Gottes« bringt eine besondere Würde und Berufung des Menschen zum Ausdruck.

Theologische Vertiefung

1. Die Struktur der Schöpfungsgeschichte
Genesis 5 beginnt mit einem Rückgriff auf die ursprüngliche Schöpfung des Menschen. Es handelt sich um eine Reflexion über die Herkunft und Natur des Menschen, eingebettet in eine Genealogie, die bis Noah reicht. Der Vers bindet das kommende Kapitel fest in die Theologie der Urgeschichte ein.
2. Das Imago Dei
Die Erwähnung des »Bildes Gottes« betont, dass trotz des Sündenfalls (Genesis 3) die göttliche Würde des Menschen erhalten bleibt. Dies hat tiefe theologische Konsequenzen:
Der Mensch ist Repräsentant Gottes in der Schöpfung.
Die Gottebenbildlichkeit ist Fundament für Ethik und Menschenwürde.
Es gibt eine unaufhebbare Beziehung zwischen Gott und Mensch, auch nach dem Sündenfall.
3. Die Theologie der Erinnerung
Dieser Vers dient als theologische Erinnerung an den Ursprung: Der Mensch ist nicht autonom, sondern von Gott geschaffen und definiert.
Damit wird Gegenposition zur antiken Mythologie bezogen, in der der Mensch oft als Spielball der Götter erscheint.
Genesis 5,1 betont: Der Mensch kommt von Gott – er ist kein Zufallsprodukt, sondern ein bewusst gewolltes Geschöpf.
4. Die Kontinuität trotz des Falls
Die Nennung der Gottebenbildlichkeit in einem genealogischen Kontext macht deutlich:
Der Fall hat die Gottesebenbildlichkeit nicht ausgelöscht, sondern vielleicht verschattet.
Der Mensch bleibt trotz Schuld und Tod Träger des göttlichen Bildes – eine Hoffnungslinie, die sich bis zur neutestamentlichen Anthropologie zieht (vgl. Römer 8,29; Kolosser 3,10).

Literarische Vertiefung

1. Genrebeschreibung
Genesis 5 ist ein toledot-Abschnitt – das hebräische Wort toledot (»Geschlechterfolge«) strukturiert das ganze Buch Genesis. Der Satzbeginn »Dies ist das Buch von des Menschen Geschlecht« ist eine formelhafte Einleitung, die auf eine neue Phase der Erzählung verweist.
2. Rückgriff als narrative Brücke
Literarisch ist Genesis 5,1 ein Bindeglied zwischen den Erzählkapiteln 1–4 (Schöpfung und Sündenfall) und der Vorflutgenealogie.
Er erfüllt die Funktion eines Prologs zur Genealogie, stellt sie aber gleichzeitig unter einen theologischen Rahmen.
3. Kontraststruktur
Nach dem Sündenfall und dem Brudermord in Genesis 3–4 wird hier nicht das Negative betont, sondern der ursprüngliche Plan Gottes, wie eine Art literarischer Kontrapunkt:
Der Text kehrt zu Ordnung, Ursprung, Schöpfung zurück – es ist ein Akt der Erinnerung und Rückbesinnung.
4. Sprachrhythmus und Wiederholung
Die Konstruktion »da Gott den Menschen schuf, machte er ihn nach dem Bilde Gottes« ist bewusst parataktisch, fast poetisch.
Die Wiederholung des göttlichen Handelns (»schuf« – »machte«) unterstreicht die Intensität und Bedeutung dieses Moments.
Die Sprache ist einfach, aber dicht bedeutungsvoll, was typisch ist für die alttestamentliche Erzähltradition.

Kulturgeschichtliche Vertiefung

a) Der Begriff »Buch« (ספר, sefer):
Dass die Genealogie als »Buch« bezeichnet wird, weist auf eine frühe Schrifttradition hin. Im Alten Orient waren genealogische Listen nicht nur Mittel zur Geschichtsschreibung, sondern vor allem zur Identitätsstiftung: Sie legitimierten Herrschaft, Priesterwürde oder Erbansprüche. Das »Buch von Adams Geschlecht« (hebräisch: zeh sefer toledot adam) bringt also nicht nur biologische Nachkommenschaft zum Ausdruck, sondern auch eine bewahrte, überlieferte Geschichte. Es ist der erste explizite Hinweis auf eine Schriftkultur im biblischen Text selbst.
b) Die Kultur des Abbilds:
Dass der Mensch »im Bilde Gottes« (beṣelem Elohim) geschaffen wurde, war im altorientalischen Denken revolutionär. Im Mesopotamien etwa war allein der König »Bild Gottes«. Nur er repräsentierte die Gottheit auf Erden. Genesis 1 und 5 demokratisieren diese Würde: Alle Menschen – nicht nur Eliten – tragen das göttliche Bild. Dies kehrt die damalige gesellschaftliche Ordnung um und impliziert eine ethische Gleichstellung aller Menschen, lange bevor diese Idee in der Aufklärung neu gefasst wird.
c) Namensgebung und Autorität:
Im Fortgang der Genealogie spielt die Nennung und Weitergabe von Namen eine zentrale Rolle. In antiken Kulturen bedeutete ein Name Identität, Wirkkraft, oft auch ein spirituelles Programm. Dass der »HERRN Name« nicht direkt genannt wird, sondern mit Ehrfurcht umschrieben, ist Ausdruck der hebräischen Scheu, Gottes Namen auszusprechen. Der Mensch, geschaffen im »Bild«, aber nicht identisch mit Gott, trägt also das Echo, nicht die Substanz des Göttlichen.

Anthropologische Vertiefung

a) Der Mensch als imago Dei:
Der Ausdruck »im Bilde Gottes« (ṣelem) legt nahe, dass der Mensch nicht bloß biologisches Wesen ist, sondern eine geistige, repräsentative Gestalt Gottes in der Welt. Anthropologisch gesehen ergibt sich daraus ein Mehrschichtiges Menschenbild:
Leiblich: Der Mensch steht als Körper in der Welt – eine sichtbare Gestalt Gottes.
Sozial: Der Mensch lebt in Beziehung – Gottes Bild kann nur als Mit-Sein verwirklicht werden (vgl. Genesis 2: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei«).
Geistig: Der Mensch kann denken, sprechen, kreativ handeln – wie Gott im Schöpfungsakt.
Die Anthropologie dieses Verses ist also ganzheitlich und relational: Der Mensch ist nicht Gott, aber gottverwandt – eine geistige Kreatur mit schöpferischem Auftrag.
b) Gebrochenes Bild:
Dass dieser Vers am Beginn eines Stammbaums steht, der vom Sündenfall her gezeichnet ist, impliziert: Das Bild ist zwar gegeben, aber gebrochen. Der Mensch ist Ebenbild, aber entfremdet. Der Text verweist somit auf eine Spannung zwischen Ursprung und Gegenwart, zwischen Berufung und Verlust – eine anthropologische Grunddynamik der Bibel: Würde und Schuld.
c) Der Mensch als »Buch« seiner selbst:
Das »Buch von Adams Geschlecht« kann auch anthropologisch metaphorisch gelesen werden: Jeder Mensch ist ein »offenes Buch«, eine lebendige Geschichte. Dieses Verständnis kehrt in der jüdischen Mystik wieder, wo der Mensch als wandelnde Tora gelesen wird – als Zeichen Gottes in der Welt, mit einer Aufgabe, die »entziffert« werden muss.

Allegorisch-Metaphorische Vertiefung

a) Adam als Typus der Menschheit:
Der Begriff »Adam« ist hier nicht nur ein Eigenname, sondern zugleich ein Gattungsbegriff – ha-adam, der »Erdling«, der Mensch schlechthin. Die allegorische Lesung macht aus Adam ein Urbild der Menschheit, jedes Einzelnen. So wie Christus im Neuen Testament als der »neue Adam« erscheint (vgl. Römer 5,14), so steht dieser Adam für eine universale Grunderfahrung des Menschen: Geschaffen zur Gottesähnlichkeit, unterwegs in Entfremdung.
b) Das Bild Gottes als Spiegelmetapher:
In der allegorischen Theologie (besonders bei Origenes und Gregor von Nyssa) gilt das »Bild« als Spiegel – der Mensch spiegelt das göttliche Licht, wenn er sich rein erhält. In dieser Tradition wird das Ziel menschlicher Existenz als »Vergöttlichung« verstanden (theosis). Der Mensch soll wieder zu jenem Lichtbild werden, das er im Ursprung war – eine Entfaltung seiner wahren Natur, nicht bloß moralische Besserung.
c) Das »Buch« als Sinnbild innerer Offenbarung:
Mystiker wie Meister Eckhart oder die Kabbala lesen solche Verse als Hinweis auf die innere Schrift Gottes im Menschen. Das »Buch der Generationen« ist dann nicht nur Historie, sondern eine geistige Topographie: Der Mensch als Träger des göttlichen Wortes, sein Innerstes als Ort der göttlichen Entfaltung. So heißt es im Zohar: »Der Mensch ist das Buch, das Gott geschrieben hat.«

Psychologische Vertiefung

Diese scheinbar nüchterne Einleitung zur sogenannten »Toledot-Liste« (Genealogie von Adam bis Noah) birgt eine dichte Tiefe, wenn man sie aus psychologischer, philosophischer und poetischer Perspektive betrachtet. Jede dieser Ebenen enthüllt einen anderen Aspekt dessen, was es bedeutet, »Mensch« zu sein – erschaffen »nach dem Bilde Gottes«.
• Die psychologische Dimension dieser Stelle verweist auf ein archetypisches Urbewusstsein: Der Mensch trägt eine ursprüngliche Vorstellung von sich selbst in sich, die nicht einfach biologisch ist, sondern symbolisch und göttlich geprägt. Die Formulierung »nach dem Bilde Gottes« kann psychologisch als Hinweis auf eine tiefe innere Struktur des Selbst verstanden werden – das »Imago Dei« als psychisches Urbild.
• C. G. Jung etwa sah in solchen Aussagen Hinweise auf das kollektive Unbewusste. Der Mensch ist nicht nur ein Produkt der Evolution oder der Geschichte, sondern trägt eine innere Ordnung in sich, die überindividuell ist. Der göttliche Ursprung verweist auf eine »Ganzheit«, auf ein Selbst, das den Menschen zur Individuation drängt – zur Entfaltung seines wahren Wesens.
• Zugleich impliziert »das Buch von des Menschen Geschlecht« ein kollektives Gedächtnis. Es ist ein psychologischer Akt, eine Erinnerung zu formulieren, die Identität stiftet. Dieses »Buch« ist nicht nur eine Liste von Namen – es ist ein psychischer Stammbaum, in dem jeder Mensch als Teil einer größeren Geschichte erscheint. Die Erinnerung an den Ursprung ist eine Form von Selbstvergewisserung.

Philosophische Vertiefung

• Philosophisch gesehen steht dieser Vers am Schnittpunkt zwischen Ontologie (Lehre vom Sein) und Anthropologie (Lehre vom Menschen). Was heißt es, »nach dem Bilde Gottes« geschaffen zu sein?
• In der jüdisch-christlichen Tradition bedeutet dies nicht, dass der Mensch äußerlich Gott gleicht, sondern dass er Anteil hat an Gottes Vernunft, Freiheit, Moralität – vielleicht sogar an Gottes Kreativität. Die Imago-Dei-Lehre stellt die Würde des Menschen auf ein metaphysisches Fundament: Der Mensch ist nicht bloß Natur, sondern auch Geist, Person, Ebenbild des unendlichen Seins.
• Damit wird eine der Grundfragen der Philosophie aufgeworfen: Was ist der Mensch? Der Vers gibt eine ontologische Antwort: Der Mensch ist ein Geschöpf mit einem Anteil am göttlichen Sein. Das macht ihn zu einem Wesen mit Verantwortung, mit einer ethischen Tiefe. Diese Sicht stellt sich gegen rein naturalistische Auffassungen des Menschen, wie sie etwa in bestimmten Strömungen der Aufklärung oder im Szientismus des 19. Jahrhunderts zu finden sind.
• Auch die Tatsache, dass dies ein »Buch« ist – also eine geordnete, sprachliche Erinnerung – verweist philosophisch auf das Verhältnis von Logos (Vernunft, Wort) und Dasein. Die Welt des Menschen ist nicht bloß Ereignis, sondern Erzählung, Sinn, Struktur.

Poetische Vertiefung

• Poetisch ist dieser Vers ein Prolog zur Geschichte der Menschheit – ein leiser Auftakt, der wie ein altes Siegel die Tiefe von Zeit, Erinnerung und Ursprung in sich trägt. Die Wendung »Dies ist das Buch…« evoziert das Bild eines alten, ehrwürdigen Kodex, in dem nicht nur Namen stehen, sondern Schicksale, Hoffnungen, Linien von Licht und Dunkel.
• Die Poesie liegt hier nicht im Schmuck der Sprache, sondern in der Resonanz ihrer Aussage: Der Mensch, gemacht nach dem Bild Gottes, ist ein Geschöpf der Würde – aber auch der Sehnsucht. Zwischen Staub und Ewigkeit, Geburt und Tod, spannt sich der Bogen dieses Satzes. Er steht wie ein Eingangstor: schlicht in der Form, unergründlich in der Tiefe.
• Das Bild Gottes in uns – das ist poetisch gesprochen wie ein verborgenes Siegel in der Seele. Es ruft nach Entfaltung, nach Erinnerung. In jedem Namen, der in diesem »Buch« folgt, klingt ein Hauch des Göttlichen nach – auch wenn das Leben bricht, auch wenn die Welt ins Wasser der Sintflut stürzt. Die Poesie liegt im leisen Wissen: Der Mensch war mehr als Staub. Er war ein Abglanz Gottes.

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