Genesis 04:22

Luther 1545
Die Zilla aber gebar auch / nemlich / den Thubalkain den Meister in allerley ertz vnd eisenwerck / Vnd die Schwester des Thubalkain / war Naema.
Luther 1912
Die Zilla aber gebar auch, nämlich den Thubalkain, den Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk. Und die Schwester des Thubalkain war Naema.

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 04:22

1Mo 4:22 Und Zilla, auch sie gebar den Tubal-Kain, den Meister in allerlei Erz und Eisenwerk. Und die Schwester Tubal-Kains war Naama.
2Mo 25:3 Das sind aber die Gaben, die ihr von ihnen nehmen sollt:
4Mo 31:22 Gold, Silber, Erz, Eisen, Zinn und Blei, und alles,
5Mo 8:9 ein Land, davon du dich nicht kümmerlich nähren mußt, worin es dir an nichts mangelt; ein Land, dessen Steine Eisen sind, wo du Erz aus den Bergen hauen wirst.
5Mo 33:25 Eisen und Erz seien deine Riegel; und wie deine Tage, so sei deine Kraft!
2Chr 2:7 So sende mir nun einen weisen Mann, der zu arbeiten versteht in Gold, Silber, Erz, Eisen, Purpur, in Stoffen von Karmesinfarbe und von blauem Purpur, und der sich auf die Bildhauerei versteht, Damit er arbeite mit den Weisen, die bei mir sind, in Juda und Jerusalem, für welche mein Vater David gesorgt hat.

Analyse

Genesis 4,22 zeigt mit wenigen Worten ein ganzes Panorama menschlicher Kulturentwicklung – Technik, Ästhetik, Geschlechterrollen – im Schatten des göttlichen Verlustes. Der Vers wird so zur stillen Reflexion über Kreativität ohne Transzendenz, Fortschritt ohne Erlösung, und den bleibenden Durst nach Sinn in einer geschaffenen, aber gefallenen Welt.

Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)

וְצִלָּה גַּם־הִיא יָלְדָה אֶת־תּוּבַל קַיִן לֹטֵשׁ כָּל־חֹרֵשׁ נְחֹשֶׁת וּבַרְזֶל וַאֲחוֹת תּוּבַל קַיִן נַעֲמָה׃
Ve-Tzillā gam hī yāldā et-Tūval Qayin, lōtēsh kol-ḥōresh neḥōsheth u-varzel; va-aḥōt Tūval Qayin, Naʿămāh.
וְצִלָּה גַּם־הִיא יָלְדָה
"Und Zilla auch, sie gebar" – Das »gam hī« (»auch sie«) betont die Parallele zur anderen Frau Lamechs, Ada. Die explizite Subjektpronomenform hī ist hier emphatisch.
אֶת־תּוּבַל קַיִן
et-Tūval Qayin – Die Akkusativpartikel et markiert »Tūval Qayin« als direktes Objekt. Der Name ist möglicherweise ein Kompositum oder eine Variante des Namens »Kain« in neuer Generation.
לֹטֵשׁ כָּל־חֹרֵשׁ נְחֹשֶׁת וּבַרְזֶל
lōtēsh kol-ḥōresh neḥōsheth u-varzel –
lōtēsh (»Schmied«, »Bearbeiter«) ist ein Partizip von לָטַשׁ (»meißeln«, »schärfen«, »formen«).
ḥōresh (»Bearbeiter«, »Handwerker«) wird hier im Konstrukt mit neḥōsheth (Kupfer/Bronze) und barzel (Eisen) verwendet.
→ Semantisch handelt es sich um einen Fachmann der Metallverarbeitung – eine Innovation der Kulturtechnik.
וַאֲחוֹת תּוּבַל קַיִן נַעֲמָה
va-aḥōt Tūval Qayin, Naʿămāh –
Wörtlich: »und die Schwester des Tūval Qayin, Naama.« Die Erwähnung Naamas ist ungewöhnlich, da Frauen selten unabhängig genannt werden – ein Zeichen möglicher Bedeutung (später in Midrasch oder Apokryphen gedeutet).

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ Σέλλα ἔτεκεν καὶ αὐτὴ Τουβὲλ, καὶ ἦν χαλκεὺς ὀξυντῶν πᾶν ἐργον χαλκοῦ καὶ σιδήρου· ἡ δὲ ἀδελφὴ Τουβὲλ Ναεμά.
kai Sella eteken kai autē Toubel, kai ēn chalkéus oxyntōn pan ergon chalkou kai sidērou; hē de adelphē Toubel Naema.
καὶ Σέλλα ἔτεκεν καὶ αὐτὴ
Wörtlich: »Und Sella gebar auch sie« – ähnlich wie im Hebräischen durch καὶ αὐτὴ betont. ἔτεκεν ist Aorist von τίκτω (»gebären«).
Τουβὲλ – Der Name wird hier transliteriert.
χαλκεὺς ὀξυντῶν πᾶν ἔργον χαλκοῦ καὶ σιδήρου
chalkéus (»Schmied, Erzarbeiter«) ist das griechische Äquivalent zum hebräischen lōtēsh.
oxyntōn ist ein Partizip von ὀξύνω (»schärfen, spitzen«), wörtlich: »der schärft«.
pan ergon chalkou kai sidērou = »jede Arbeit von Bronze und Eisen«.
→ Der Satz gibt den Beruf des Toubel als Spezialist für Metallarbeiten wieder, allerdings mit einer gewissen semantischen Erweiterung (nicht nur Erz, sondern auch Schärfen allgemein).
ἡ δὲ ἀδελφὴ Τουβὲλ Ναεμά
– Eine klare Parallele zur hebräischen Formulierung: »die Schwester des Toubel war Naema«. Auch hier wird sie als namentlich bekannte Frau erwähnt, was ihre (spätere?) theologische oder kulturelle Bedeutung unterstreichen könnte.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

Sed et Sella peperit Tubalcain, qui fuit malleator et faber in cuncta opera aeris et ferri. Soror vero Tubalcain Noema.
Sed et Sella peperit Tubalcain
– »Aber auch Sella gebar Tubalcain« – sed et entspricht dem hebräischen gam, hebt die Parallele zu Adas Nachkommen hervor. peperit ist das Perfekt von parere (»gebären«).
qui fuit malleator et faber
– Wörtlich: »der war Hämmerer und Handwerker« –
malleator (von malleus, »Hammer«) bezeichnet einen Schmied im engeren Sinn.
faber ist allgemeiner: »Kunsthandwerker, Werkmeister«.
in cuncta opera aeris et ferri
– »in allen Werken aus Kupfer und Eisen« – entspricht genau der hebräischen Wendung; aeris = »Erz/Bronze«, ferri = »Eisen«.
Soror vero Tubalcain Noema
– »Die Schwester aber des Tubalcain \[war] Noema« –
vero (statt einfachem et) hebt die Erwähnung hervor.
Die Nennung ohne Prädikat ist typisch für Nominalsätze im Latein der Vulgata.

Zusammenfassung

Genesis 4,22 zeigt in allen drei Sprachstufen eine frühe Kulturgeschichte der Metallurgie, die genealogisch und theologisch mit den Nachkommen Kains verbunden wird. Besonders bemerkenswert sind:
die emphatische Hervorhebung auch sie gebar (hebräisch gam hī, griechisch kai autē, lateinisch sed et),
die detaillierte Beschreibung des metallverarbeitenden Handwerks,
und die überraschende Nennung der Frau Naʿămāh / Ναεμά / Noema – vermutlich mit symbolischer oder mythischer Bedeutung.

Semantische Analyse (Luther 1912)

Der Satz besteht aus zwei Teilen: Erstens die Geburt Thubalkains, der als »Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk« beschrieben wird, zweitens die bloße Erwähnung seiner Schwester Naëma.
»Zilla gebar auch«: Die Konjunktion »auch« verweist auf eine Parallelität zu Adahs Kindern (Vers 20–21), womit die Linie Lamechs weiter entfaltet wird.
»nämlich den Thubalkain«: Das »nämlich« (hebr. ’et) macht eine Apposition: Zilla gebar einen Sohn – er heißt Thubalkain.
»Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk«: Das hebräische Wort lāṭēš meint »bearbeiten« oder »schmieden«. Thubalkain ist ein Urbild des Schmiedes, ein innovativer Techniker. Die Erwähnung von »Erz« (neḥōšet) und »Eisen« (barzel) weist auf technische und metallurgische Fähigkeiten.
»Die Schwester... war Naëma«: Ihr Name (Naʿămāh, »die Liebliche«) wird genannt, aber nicht kommentiert – was Raum für Deutungen eröffnet.

Theologische Deutung

Dieser Vers steht im Kontext der Genealogie Kains und zeigt, dass auch aus einer verdammten Linie kulturelle Errungenschaften hervorgehen. Theologisch bedeutet das:
Ambivalenz des Fortschritts: Die Kulturleistungen (Musik, Viehzucht, Technik) kommen aus der Linie des Kains, also aus einer Existenz fern von Gott. Der technische Fortschritt ist kein Garant für moralischen Fortschritt.
Gottes allgemeine Gnade: Gott lässt auch in einer sündigen Welt Entwicklung und Begabung zu – das ist Ausdruck seiner »gemeinen Gnade« (vgl. Matth. 5,45).
Naëma als typologische Figur: Manche jüdische und christliche Traditionen deuten sie als Mutter der Riesen oder als Frau Noahs – theologisch ist sie Projektionsfläche für Übergänge zwischen alten und neuen Ordnungen.

Literarische Einordnung

Genealogie als Gattung: Es handelt sich um eine Toledot-Liste (Genealogie), aber mit individuellen Charakterisierungen, was auf literarische Raffinesse hinweist.
Thubalkain als Archetyp: Er ist nicht nur eine historische Figur, sondern ein Typus – der erste Schmied, Begründer des Metallhandwerks. Solche »Urmenschen« sind typisch für mythische Erzählungen.
Naëma – die Schweigende: Ihre bloße Nennung bei völliger Sprachlosigkeit gibt ihr eine poetisch »sprechende« Rolle: Sie steht da als Fragezeichen, als Leerstelle im Text, die spätere Leser zu Deutungen herausfordert.

Kulturgeschichtliche Dimensionen

Beginn der Metallurgie: Der Vers verweist auf eine frühe Form von Technisierung und Spezialisierung – historisch mag er auf die Bronzezeit anspielen.
Handwerk und Zivilisation: Schmiedekunst bedeutet Krieg, Werkzeug, Kontrolle über die Natur – alles Zeichen eines sich differenzierenden Gemeinwesens.
Rolle der Frau: Die Nennung Naëmas könnte auf matrilineare Aspekte oder kultische Rollen hindeuten, auch wenn der Text dies nicht ausführt.

Anthropologische Dimensionen

Der Mensch als »kulturstiftendes Wesen«: Die Figur Thubalkain zeigt, dass der Mensch auch nach dem Fall schöpferisch bleibt. Der homo faber tritt auf.
Entstehung sozialer Rollen: Viehhirte, Musiker, Schmied – hier entsteht eine arbeitsteilige Gesellschaft. Die Individualisierung des Menschen beginnt.
Naëma als Gegengewicht: Ihre Rolle ist vielleicht symbolisch für Schönheit, Beziehung, Weiblichkeit – in einer männlich dominierten Aufzählung.

Allegorisch-metaphorische Dimensionen

Thubalkain als Symbol des Fortschritts: Er steht für das Feuer der Technik – schöpferisch wie zerstörerisch. In ihm spiegelt sich das ambivalente Feuer des Prometheus.
Metall als doppeldeutige Substanz: Es dient dem Werkzeug wie der Waffe. Erz und Eisen tragen die Anlage zum Guten wie zum Bösen in sich.
Naëma als »unsichtbare Kraft«: Sie kann als Verkörperung der Schönheit, Verführung oder Weisheit gelesen werden – je nach Auslegungsschule.

Psychologische Vertiefung

Kreativität als Ausdruck der Selbstbehauptung: In der Welt nach Eden schafft der Mensch Werkzeuge, um sich zu schützen, zu kontrollieren – ein Ausdruck psychischer Autonomie.
Thubalkain als Schattenfigur: In ihm wohnt die dunkle Kraft des Beherrschens – das Schmiedefeuer symbolisiert Aggression wie Inspiration.
Naëma als Anima-Figur: Aus jungianischer Sicht könnte sie die weibliche Seelenkraft im männlichen Stammbaum verkörpern – das Geheimnisvolle, Schöne, Unbewusste.

Philosophische Vertiefung

Technik und Ethik: Schon in der Frühzeit wird sichtbar: Technologische Fähigkeiten lösen keine ethischen Probleme – Lamech tötet trotzdem (V. 23–24).
Zivilisation ohne Gott: Die Linie Kains entwickelt Musik, Viehzucht, Technik – aber ohne Bezug zur Transzendenz. Eine Philosophie des »fortschrittlichen Nihilismus« wird angedeutet.
Naëma als Figur des Eros: Wenn sie als »die Liebliche« gedeutet wird, steht sie philosophisch für das Begehren, das alles bewegt (Platon, Symposion).

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