Genesis 04:21

Luther 1545
Vnd sein Bruder hies Jubal / Von dem sind herkomen die Geiger vnd Pfeiffer.
Luther 1912
Und sein Bruder hieß Jubal; von dem sind hergekommen die Geiger und Pfeifer.

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 04:21

1Mo 4:21 Und sein Bruder hieß Jubal; derselbe wurde der Vater aller Harfen und Flötenspieler.
Röm 4:11 Und er empfing das Zeichen der Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, welchen er schon vor der Beschneidung hatte; auf daß er ein Vater aller unbeschnittenen Gläubigen sei, damit auch ihnen die Gerechtigkeit zugerechnet werde;
Röm 4:12 und auch ein Vater der Beschnittenen, die nicht nur aus der Beschneidung sind, sondern auch wandeln in den Fußstapfen des Glaubens, den unser Vater Abraham hatte, als er noch unbeschnitten war.
1Mo 31:27 Warum bist du heimlich geflohen und hast mich getäuscht und es mir nicht angezeigt? Ich hätte dich mit Freuden begleitet, mit Gesang, mit Pauken und Harfen!
Hiob 21:12 Sie singen laut zur Pauke und Harfe und sind fröhlich beim Klang der Schalmei.
Jes 5:12 An Harfe und Leier, Pauke, Flöte und Wein ergötzen sie sich, aber das Tun des HERRN betrachten sie nicht, und das Werk seiner Hände sehen sie nicht!
Amos 6:5 Sie phantasieren auf der Harfe und dichten sich selbst Lieder wie David!

Analyse

Genesis 4,21 ist in seiner Schlichtheit reich an Bedeutung. Jubal steht als Figur für die Geburt der Musik, als kulturelle, anthropologische und spirituelle Realität. Der Text spiegelt ein tiefes Wissen darum, dass der Mensch nicht nur handelt und überlebt, sondern auch gestaltet – selbst im Schatten der Schuld. Musik ist dabei Ausdruck des inneren Menschen, seiner Zerrissenheit wie seiner Sehnsucht. Jubal ist damit nicht nur ein Ahnherr – er ist ein Archetyp.

Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)

וְשֵׁם אָחִיו יוּבָל, הוּא הָיָה אֲבִי כָּל-תֹּפֵשׂ כִּנּוֹר וְעוּגָב׃
Vešēm āḥîv Yûvāl, hûʾ hāyā ʾăvî kol-tōphēś kinnôr weʿūgāv.
וְשֵׁם אָחִיו – »Und der Name seines Bruders«:
wə-šēm ʾāḥîv besteht aus der Konjunktion wə- (»und«) + šēm (»Name«) + ʾāḥîv (»seines Bruders«), wobei ʾāḥ »Bruder« ist und das Suffix -îv den Possessiv (»sein«) ausdrückt.
יוּבָל – Yûvāl:
Eigenname, möglicherweise verwandt mit dem Verb yāval (»führen, bringen«), was impliziert, dass Jubal ein »Bringer« oder »Leiter« (z. B. musikalischer Tradition) sein könnte.
הוּא הָיָה – »er war«:
Pronominalform hûʾ (»er«) + Imperfekt/Perfekt von hāyāh (»sein«), typisch für Nominalsätze im Hebräischen zur Betonung.
אֲבִי כָּל-תֹּפֵשׂ – »Vater aller derer, die greifen«:
ʾăvî (»Vater von«) in der Konstruktform; kol-tōphēś = »aller, die greifen/spielen« → tōphēś ist ein Partizip Qal von ṭāphas (»ergreifen, handhaben«).
כִּנּוֹר וְעוּגָב – »Harfe und Flöte«:
kinnôr = eine Art Leier oder Harfe, und ʿūgāv wird häufig als eine Art Rohrflöte oder Blasinstrument verstanden. Die genaue Instrumentation ist nicht sicher, aber beide gelten als frühe Musikinstrumente.
→ Exegetisch wird Jubal als »Stammvater« der Musiker beschrieben – also der erste Mensch, der Musik institutionalisiert oder weitergibt. Die Erwähnung von zwei Instrumenten symbolisiert sowohl Saiten- als auch Blasinstrumente, was eine gewisse musikalische Vielfalt andeutet.

Biblisches Griechisch (Septuaginta – LXX)

καὶ ὄνομα τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ Ἰουβάλ· οὗτος ἦν ὁ πατὴρ τοῦ ψάλλοντος κιθάραν καὶ ὄργανα.
kai onoma tou adelphou autou Ioubal; houtos ēn ho patēr tou psallontos kitharan kai organa.
καὶ ὄνομα τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ – »Und der Name seines Bruders«:
kai = »und«, onoma = »Name«, tou adelphou autou = »seines Bruders«; klassische Formulierung im Griechischen, die strukturell der hebräischen entspricht.
Ἰουβάλ – Ioubal:
Hellenisierte Form des Namens »Jubal«, ohne Änderung der Bedeutung, lediglich angepasst an die griechische Phonetik.
οὗτος ἦν ὁ πατὴρ – »dieser war der Vater«:
houtos = »dieser«, demonstrativ, + ēn (»war«, Imperfekt von eimi) + ho patēr (»der Vater«) – identisch zur hebräischen Betonung durch das Pronomen hûʾ.
τοῦ ψάλλοντος κιθάραν καὶ ὄργανα – »der die Kithara und Instrumente spielte«:
tou psallontos ist ein Genitiv-Partizip von psallō, ursprünglich »zupfen« (Saiteninstrumente), später auch »singen«; hier musikalisch zu verstehen.
kitharan = »Kithara«, eine Leier oder antikes Saiteninstrument; organa = »Instrumente« allgemein, oft auch Blasinstrumente.
→ Die LXX betont besonders die Rolle des psallō als musikalisches Tun – also das Spielen von Instrumenten (und ggf. das Begleiten durch Gesang). Die Kithara tritt an die Stelle der kinnôr, und organa ist eine eher generische Übersetzung von ʿūgāv, womöglich weil das genaue Instrument im Griechischen unbekannt war.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

Nomen vero fratris eius Iubal: ipse fuit pater canentium cithara et organo.
Nomen vero fratris eius – »Der Name aber seines Bruders«:
vero ist ein adversativer Einschub (»aber«, »indessen«) – eine stilistische Variation gegenüber hebräischem wə-.
fratris eius = Genitiv (»seines Bruders«).
Iubal – wie in der LXX transkribiert; die lateinische Form des Namens.
ipse fuit pater – »er selbst war der Vater«:
ipse hebt das Subjekt besonders hervor (ähnlich wie houtos oder hûʾ), fuit = Perfekt von esse (»sein«).
canentium cithara et organo – »der Singenden/Spielenden mit Kithara und Orgel«:
canentium ist ein Partizip von cano (»singen, musizieren«), das sowohl Gesang als auch Instrumentalmusik umfassen kann.
cithara entspricht der griechischen Kithara/kinnor.
organo ist ein Dativ oder Ablativ von organum, das eine Art Flöte, Blasinstrument oder sogar Vorläufer der Orgel bedeuten kann.
→ Hier liegt der Fokus der Vulgata auf dem canere, also dem musizierenden Menschen. Der Vater der Musik ist nicht nur Instrumentalist, sondern Inbegriff der Musikausübung – im Gesang und mit Instrumenten.

Zusammenfassung der exegetischen Unterschiede:

• Das Hebräische hebt das "Greifen/Handhaben" (תֹּפֵשׂ) von Instrumenten hervor – einen eher handwerklich-praktischen Zugang zur Musik.
• Die Septuaginta bringt mit ψάλλειν eine stärker kultisch-künstlerische Konnotation ins Spiel, orientiert an griechischer Musikpraxis.
• Die Vulgata fokussiert durch canere die allgemein-musikalische Tätigkeit, inkl. Gesang, was die semantische Reichweite nochmals erweitert.

Semantische Analyse (Luther 1912)

Der Vers stellt eine genealogische Notiz dar, eingebettet in die Toledot des Kain (Genesis 4). Der Name »Jubal« wird nicht erläutert, aber etymologisch steht er nahe bei »Jobel«, was mit »Widderhorn« oder »Jubeljahr« in Verbindung gebracht wird. Die Formulierung »von dem sind hergekommen« suggeriert einen Ursprung oder eine Quelle — Jubal ist also nicht nur eine Einzelperson, sondern ein archetypischer Ahnherr. »Geiger und Pfeifer« sind hier ältere Begriffe für Musiker mit Saiten- (Geiger) und Blasinstrumenten (Pfeifer).

Theologische Deutung

Theologisch markiert dieser Vers eine wichtige Stelle: Er zeigt, dass Kultur (hier: Musik) nicht exklusiv aus der Linie Seths stammt, sondern aus der Linie Kains – also aus jener, die durch Brudermord gezeichnet ist. Das stellt eine provokante theologische These dar: Auch aus der Linie des »Verfluchten« erwächst schöpferisches Potential. Musik, als schöpferische Kunst, ist hier keine göttliche Gabe im engeren Sinne, sondern eine menschliche Errungenschaft – und doch wird sie nicht negativ bewertet. Sie zeigt, dass Gottes Ebenbildlichkeit auch im gefallenen Menschen Spuren hinterlässt.

Literarische Einordnung

Genesis 4 ist als eine strukturierte Genealogie mit Einschüben gestaltet. Die Versgruppe um Lamech (V. 19–24) enthält Hinweise auf technische und kulturelle Errungenschaften: Viehzucht (Jabal), Musik (Jubal) und Metallbearbeitung (Tubal-Kain). Diese Form eines »Kulturkatalogs« erinnert an andere altorientalische Traditionen, in denen bestimmte Erfindungen mythischen Ahnherren zugeordnet werden. Jubal wird als Urvater einer ganzen Gattung dargestellt: der Musiker. Stilistisch ist der Text knapp, aber symbolisch aufgeladen.

Kulturgeschichtliche Dimensionen

Musik wird hier als frühe Kulturtechnik dargestellt, gleichrangig mit Viehzucht und Metallurgie. Das verweist auf ein altes Bewusstsein der Wichtigkeit von Kunst für menschliche Gesellschaften. In vielen Kulturen galt Musik als heilig, inspirierend, verbindend oder sogar göttlich. Dass Musik ihren Ursprung in der vor-sintflutlichen Zeit haben soll, weist auf ihren fundamentalen Status im menschlichen Dasein hin. Jubal steht damit an einem Wendepunkt: der Übergang vom nomadischen Leben zu einer komplexeren Kultur mit Künsten.

Anthropologische Dimensionen

Musik ist ein anthropologisches Schlüsselmerkmal: Sie begleitet Rituale, Emotionen, Gemeinschaftsbildung. Jubal als Ur-Musiker steht symbolisch für das kreative Potential des Menschen. Anthropologisch betrachtet zeigt der Text, dass der Mensch über reine Selbsterhaltung hinausgeht – er gestaltet Welt, bringt Klang in das Schweigen der Natur. In dieser Perspektive ist Jubal nicht nur ein Erfinder, sondern ein Symbol des homo musicus – des Menschen als Klangwesen.

Allegorisch-metaphorische Dimensionen

Allegorisch kann Jubal als Typus des »inneren Klangs« gelesen werden. Musik ist nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich – ein Bild für die Seele, für Harmonie und Disharmonie, für den kosmischen oder geistlichen Einklang. Der »Geiger und Pfeifer« verweist metaphorisch auf jene, die zwischen Himmel und Erde vermitteln – ähnlich den Engeln, die in jüdischer Tradition auch Musikanten sind. Jubal könnte damit auch als Chiffre für Inspiration, vielleicht gar Prophetie stehen – das gesungene, tönende Wort.

Psychologische Vertiefung

Psychologisch symbolisiert Musik den Ausdruck innerer Zustände. Jubal steht für das menschliche Bedürfnis, Unaussprechliches in Klang zu verwandeln. Nach dem Trauma des Brudermords (Kain und Abel) folgt hier ein Moment der Sublimierung: Schmerz, Schuld, Hoffnung – all das kann sich in Musik verwandeln. In dieser Linie könnte Jubal als unbewusste Reaktion auf Gewalt gesehen werden: Kunst als Verarbeitung, als Ausdruck des »Nicht-Sagbaren«. Jubal wäre dann Archetyp des Künstlers – getrieben, empfänglich, gestaltend.

Philosophische Vertiefung

Philosophisch steht Jubal am Ursprung der Ästhetik. Musik verweist auf ein menschliches Bedürfnis nach Ordnung und Schönheit – sie entzieht sich dem Nützlichen und spricht das »Zweckfreie« an, wie es Kant später formulieren wird. Der Vers führt uns zur Frage: Warum musiziert der Mensch überhaupt? Was unterscheidet ihn dadurch vom Tier? Ist Musik Ausdruck des metaphysischen Sehnens – nach Einklang, nach Transzendenz? In diesem Licht ist Jubal nicht nur ein Musiker, sondern ein Symbol für den Menschen als metaphysisches Wesen, das durch Klang nach Sinn sucht.

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