Genesis 04:19

Luther 1545
LAmech aber nam zwey Weiber / eine hies Ada / die ander Zilla.
Luther 1912
Lamech aber nahm zwei Weiber; eine hieß Ada, die andere Zilla.

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 04:19

1Mo 4:19 Lamech aber nahm sich zwei Weiber: die eine hieß Ada, die andere Zilla.
1Mo 2:18 Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die ihm entspricht!
1Mo 2:24 Darum wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, daß sie zu einem Fleische werden.
Matt 19:4 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, daß der Schöpfer die Menschen am Anfang als Mann und Weib erschuf
Matt 19:8 Er sprach zu ihnen: Mose hat euch wegen der Härtigkeit eures Herzens erlaubt, eure Frauen zu entlassen; von Anfang an aber ist es nicht so gewesen.

Analyse

Genesis 4,19 ist ein scheinbar nüchterner Vers, der jedoch – richtig gelesen – einen paradigmatischen Umbruch darstellt: Von der Einheit zur Spaltung, von der Ordnung zur Aneignung, von der Schöpfung zur Kulturkritik. Lamech ist weniger ein Einzelfall als ein Urbild des sich selbst genügenden Menschen, der sich zwischen Fortschritt und Fall bewegt. Seine beiden Frauen sind keine bloßen Figuren, sondern Chiffren eines tiefen Wandels im Menschenbild der Bibel.

Biblisches Hebräisch

וַיִּקַּח־לוֹ לֶמֶךְ שְׁתֵּי נָשִׁים שֵׁם הָאַחַת עָדָה וְשֵׁם הַשֵּׁנִי צִלָּה
Wajjiqqaḥ-lô Lemeḵ štê nāšîm, šēm hā'aḥat ʿĀdāh wəšēm haššēnî Ṣillāh
וַיִּקַּח־לוֹ (wajjiqqaḥ-lô): »Und er nahm sich« – Verb im Imperfekt mit Waw-Consecutiv (wajjiqtol), d.h. Erzählform, 3. Pers. mask. Sg. von לקח lāqaḥ (»nehmen«), mit pronominalem Suffix -lô (»für sich«). Das Subjekt folgt erst danach: »Lamech«.
לֶמֶךְ (Lemeḵ): Eigenname; der erste namentlich erwähnte Polygamist der Bibel.
שְׁתֵּי נָשִׁים (štê nāšîm): »zwei Frauen« – štê ist konstruktische Form von »zwei« (fem. dual); nāšîm ist der unregelmäßige Plural von ’iššāh (»Frau«).
שֵׁם הָאַחַת עָדָה (šēm hā’aḥat ʿĀdāh): »Der Name der einen war Ada« – šēm (»Name«), hā’aḥat (»die eine«, fem. Form von ’eḥad), ʿĀdāh (»Ada«).
וְשֵׁם הַשֵּׁנִי צִלָּה (wəšēm haššēnî Ṣillāh): »Und der Name der zweiten war Zilla« – haššēnî (»der zweite«, maskuline Form verwendet auch für gemischte oder formale Bezüge), Ṣillāh (»Zilla«).
Exegetisch:
Dieser Vers markiert eine Wendung in der Menschheitsgeschichte: die Einführung der Polygamie. Lamech bricht mit dem monogamen Ideal Adams und Evas. Die Namensnennung der Frauen betont ihren individuellen Status und bereitet auf die späteren Nachkommen (Künstler, Schmiede etc.) vor.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ ἔλαβεν ἑαυτῷ Λάμεχ δύο γυναῖκας, ὄνομα τῇ μιᾷ Ἀδὰ, καὶ ὄνομα τῇ δευτέρᾳ Σέλλα.
kai élaben heautō̂ Lámech dýo gynaîkas, ónoma tē̂ miai Adà, kaì ónoma tē̂ deuterá Sel̀la.
καὶ ἔλαβεν (kai élaben): »Und er nahm« – Aorist von λαμβάνω (»nehmen«), 3. Pers. Sg.
ἑαυτῷ (heautō̂): Dativ von ἑαυτοῦ, reflexiv »für sich selbst« – hebt die Eigeninitiative hervor.
Λάμεχ (Lámech): Eigenname, wie im Hebräischen.
δύο γυναῖκας (dýo gynaîkas): »zwei Frauen« – gynaîkas ist Akkusativ Plural von gynḗ (»Frau«).
ὄνομα τῇ μιᾷ Ἀδὰ (ónoma tē̂ miai Adà): »der Name der einen war Ada« – μιᾷ ist Dativ Femininum Singular von εἷς (»eins«) – hier: »einer (Frau)«.
καὶ ὄνομα τῇ δευτέρᾳ Σέλλα (kai ónoma tē̂ deuterá Sélla): »und der Name der zweiten war Zilla« – δευτέρᾳ (»zweiten«, Dativ Fem.).
Exegetisch:
Die Septuaginta folgt dem hebräischen Text recht eng, verwendet jedoch klassische griechische Begriffe, die den Akt der Selbstermächtigung betonen (ἔλαβεν ἑαυτῷ). Auch hier steht die bewusste Abweichung von vorheriger monogamer Praxis im Raum.

Biblisches Latein (Vulgata)

Cepit autem Lamech duas uxores: nomen uni Ada, et nomen alteri Sella.
Cepit autem (cepit autem): »Lamech aber nahm« – cepit ist Perfekt von capere (»nehmen, ergreifen«); autem betont den Kontrast oder Übergang: »aber«, »nun«.
Lamech duas uxores (Lamech duas uxores): »Lamech \[nahm] zwei Ehefrauen« – uxores ist Plural von uxor (»Ehefrau«), duas: Akkusativ Plural feminin von duo (»zwei«).
nomen uni Ada (nomen uni Ada): »Der Name der einen war Ada« – uni ist Dativ Singular Feminin von unus (»eine«).
et nomen alteri Sella (et nomen alteri Sella): »und der Name der anderen war Zilla« – alteri ist Dativ Singular Feminin von alter (»die andere«).
Exegetisch:
Hier wird deutlich: Die lateinische Version verdichtet den Satzbau. Der Fokus liegt stärker auf der Anzahl und den Namen. Die Vulgata spiegelt zugleich römisch-rechtliche Kategorien wie »uxor« (im Gegensatz zur bloßen »femina«) – die Frauen erscheinen als legitimierte Ehepartnerinnen, nicht als Nebenfrauen.

Zusammenfassende Beobachtungen

Hebräisch: Stellt durch den Erzählstil und die Reflexivität Lamechs Handlung in den größeren Schöpfungs- und Genealogiekontext. Die Formulierung mit šēm betont die Identität der Frauen.
Griechisch: Übernimmt den Reflexivcharakter und rückt Lamechs Eigenwillen sprachlich in den Vordergrund (ἔλαβεν ἑαυτῷ).
Lateinisch: Kürzer, juristisch-präziser; spiegelt den römischen Sinn für Ordnung und Namenszuweisung.

Vertiefte semantische Analyse des Luther-1912-Textes

Die Formulierung »Lamech aber nahm zwei Weiber« ist sprachlich schlicht, aber bedeutungsschwer. Das »aber« (hebräisch waw) stellt keinen Gegensatz im modernen Sinne dar, sondern markiert einen neuen Abschnitt im Erzählfluss. »Nahm« (hebr. laqach) suggeriert mehr als eine bloße Eheschließung; es kann den Akt des Ergreifens oder Aneignens beinhalten – eine Nuance, die Machtverhältnisse impliziert. Der Begriff »Weiber« (nashim) ist neutral im biblischen Hebräisch, wird aber in der Lutherübersetzung ambivalent rezipiert – teils abwertend, teils archaisierend.
Die Namensgebung »Ada« (möglicherweise: »Schmuck« oder »Schöne«) und »Zilla« (»Schatten« oder »Klang«) legt nahe, dass ihre Identitäten in Beziehung zu Schönheit, Ästhetik oder sinnlicher Präsenz stehen – Aspekte, die später durch ihre Kinder (vgl. Vers 20–22) konkretisiert werden.

Tiefere theologische Deutung

Die Polygamie, hier zum ersten Mal explizit erwähnt, wird weder kommentiert noch moralisch bewertet, sondern schlicht berichtet. Das Schweigen der Genesis an dieser Stelle hat theologische Sprengkraft. In der Schöpfungsordnung von Genesis 2 wird die monogame Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau als Ideal präsentiert: »...darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden sein ein Fleisch.« (Gen 2,24)
Lamechs Tat steht somit im impliziten Gegensatz zu diesem Urbild. Die theologische Tradition sieht hier oft den Beginn der Entartung menschlicher Beziehungen nach dem Sündenfall – eine Entwicklungslinie, die sich in der Gewaltspirale von Kain bis zur Sintflut steigert. Lamech, Nachfahre Kains, wird zum Symbol eines Menschen, der göttliche Ordnungen eigenmächtig überschreibt.

Ausführliche literarische Einordnung

Der Vers gehört zur sogenannten »Kainiten-Genealogie« (Gen 4,17–24), einer der ältesten Schichten der Genesis. Stilistisch ist der Text lakonisch, fast listenhaft, doch unter dieser Knappheit verbirgt sich ein dichter symbolischer Gehalt. Die Einführung zweier Frauen mit Namen ist ungewöhnlich und lässt vermuten, dass es sich um Repräsentantinnen kultureller Entwicklung handelt. Die Genealogie wirkt wie eine miniaturisierte Kulturgeschichte der Menschheit – mit Lamechs Familie als Trägern von Fortschritt (Musik, Metallurgie, Viehzucht), aber auch von Gewalt.
Die Struktur folgt einer literarischen Kontrasttechnik: Während Seths Linie (Kap. 5) in frommer Kontinuität steht, zeigt Kains Linie (Kap. 4) kulturelle Hochentwicklung bei gleichzeitiger moralischer Regression.

Tiefe kulturgeschichtliche Dimensionen

Lamechs Polygamie verweist auf eine historische Praxis in frühen Stammesgesellschaften des Alten Orients, insbesondere bei sesshaften Viehzüchtern und frühen Stadtgesellschaften. Die Frau als kulturelle Trägerin (Ada und Zilla sind Mütter von Musikern und Schmieden) zeigt eine enge Verbindung von Geschlechterrollen und der Entwicklung von Zivilisation.
Die patriarchale Aneignung von Frauen – hier durch eine »Doppelaneignung« – verweist auf die Herausbildung von Besitzdenken, das sich in sozialen Strukturen verfestigt. Diese Praxis ist auch ein Spiegel der ökonomischen Dimension von Ehe in agrarischen Gesellschaften: Zwei Frauen bedeuten mehr Kinder, mehr Arbeitskraft, mehr Status.

Tiefe anthropologische Dimensionen

Lamech verkörpert einen Menschen, der schöpferisch ist, aber auch selbstherrlich. Die anthropologische Spannung zwischen Kultur und Hybris, zwischen schöpferischer Potenz und moralischem Verfall, wird in seiner Figur gebündelt. Der Mensch wird hier nicht als passives Opfer des Sündenfalls gezeichnet, sondern als aktiver Gestalter – mit ambivalenter Wirkung.
Das Nebeneinander von Kreativität (Musik, Technik) und moralischer Anomie (Polygamie, Gewaltrede in Vers 23f.) zeigt ein tiefes anthropologisches Paradox: Der Mensch entwickelt sich technisch und kulturell, aber nicht notwendig ethisch.

Tiefe allegorisch-metaphorische Dimensionen

Lamech als Typus kann allegorisch für die gespaltene Menschennatur stehen: schöpferisch und zerstörerisch. Die zwei Frauen könnten in dieser Lesart als Symbole dualer Prinzipien gelesen werden – Ada als äußere Schönheit oder äußeres Werk (etwa: Kunst), Zilla als Klang oder Schatten (also: Innerlichkeit oder flüchtige Erscheinung). Beide zusammen bringen kulturelle Hervorbringungen hervor, aber keine spirituelle Tiefe.
Die Zahl Zwei steht in der biblischen Symbolik oft für Spaltung, Gegensatz, Entscheidung – im Gegensatz zur göttlichen Eins. So gesehen markiert die Bigamie eine metaphysische Zersetzung, einen Bruch mit der Einheit, wie sie in Genesis 2 grundgelegt ist.

Ausführliche psychologische Vertiefung

Psychologisch lässt sich Lamech als narzisstische Figur deuten. Die Verdopplung der Ehefrauen spiegelt eine hypertrophe Selbstbezogenheit, eine Erweiterung des Selbst durch Aneignung. In dieser Figur verdichtet sich ein Streben nach Kontrolle, Expansion und Dominanz – Aspekte, die sich später in seiner Rache-Rede (Vers 23–24) offenbaren.
Die Beziehung zu zwei Frauen kann auch auf eine gespaltene Beziehung zur Weiblichkeit hinweisen: eine Seite als Objekt der Schönheit und Lust (Ada), die andere als Klang oder Echo – also als Projektionsfläche innerer Stimmen (Zilla). Es handelt sich um ein patriarchales Begehren, das nicht auf Beziehung, sondern auf Besitz ausgerichtet ist.

Ausführliche philosophische Vertiefung

Philosophisch steht Lamech für den Beginn der Reflexion über Macht, Eigentum und Selbstüberschätzung des Menschen. In einem existenzialistischen Sinne (etwa bei Kierkegaard oder Sartre) zeigt sich hier der Mensch, der sich selbst zum Maßstab macht. Die Wahl, zwei Frauen zu nehmen, ist Ausdruck radikaler Freiheit, aber auch radikaler Entfremdung.
In einer platonischen oder metaphysischen Deutung ließe sich sagen: Der Mensch, der sich vom Einen (dem göttlichen Prinzip) trennt und ins Viele geht, verliert den inneren Bezug zur Wahrheit. Lamech wird zum Symbol der Ausdehnung ins Horizontale (Zivilisation), bei gleichzeitigem Verlust der Vertikalen (Transzendenz).

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