Genesis 04:05

Luther 1545 Aber Kain vnd sein Opffer sahe er nicht gnediglich an / Da ergrimmet Kain seer vnd sein geberde verstellet sich.
Luther 1912 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr, und seine Gebärde verstellte sich.

genesis04

Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 04:05

1Mo 4:5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr, und seine Gebärde verstellte sich.
4Mo 16:15 Da ergrimmte Mose sehr und sprach zu dem HERRN: Wende dich nicht zu ihrem Speisopfer! Ich habe nicht einen Esel von ihnen genommen und habe ihrer keinem nie ein Leid getan.
Heb 11:4 Durch den Glauben hat Abel Gott ein größeres Opfer getan denn Kain; durch welchen er Zeugnis überkommen hat, daß er gerecht sei, da Gott zeugte von seiner Gabe; und durch denselben redet er noch, wiewohl er gestorben ist.
1Mo 31:2 Und Jakob sah an das Angesicht Labans; und siehe, es war nicht gegen ihn wie gestern und ehegestern.
1Mo 31:5 und sprach zu ihnen: Ich sehe eures Vaters Angesicht, daß es nicht gegen mich ist wie gestern und ehegestern; aber der Gott meines Vaters ist mit mir gewesen.
Hiob 5:2 Einen Toren aber erwürgt wohl der Unmut, und den Unverständigen tötet der Eifer.
Ps 20:3 Er sende dir Hilfe vom Heiligtum und stärke dich aus Zion.
Jes 3:10 Predigt von den Gerechten, daß sie es gut haben; denn sie werden die Frucht ihrer Werke essen.
Jes 3:11 Weh aber den Gottlosen! denn sie haben es übel, und es wird ihnen vergolten werden, wie sie es verdienen.
Matt 20:15 Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum so scheel, daß ich so gütig bin?
Lk 15:28 Da ward er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.
Apg 13:45 Da aber die Juden das Volk sahen, wurden sie voll Neides und widersprachen dem, was von Paulus gesagt ward, widersprachen und lästerten.

Biblisches Hebräisch (Masoretischer Text)

וְאֶל־קַיִן וְאֶל־מִנְחָתוֹ לֹא שָׁעָה וַיִּחַר לְקַיִן מְאֹד וַיִּפְּלוּ פָּנָיו׃
Ve’el Qayin ve’el minḥato lo sha‘ah; vayyiḥar leQayin me’od, vayyippelu panav.
וְאֶל־קַיִן וְאֶל־מִנְחָתוֹ – »aber auf Kain und auf sein Opfer«
Das doppelte ve’el (»und auf«) verstärkt die parallele Struktur zu Vers 4 (»und auf Abel und sein Opfer sah er gnädig an«). Hier wird die Zuwendung ausdrücklich verneint.
לֹא שָׁעָה – »schaute er nicht / wandte er sich nicht zu«
Das Verb shaʿah (שָׁעָה) bedeutet »blicken«, aber auch »gnädig beachten«, »Zuwendung zeigen«. Es impliziert mehr als bloßes Sehen – es geht um Anerkennung. Das Präteritum lo shaʿah macht Gottes Zurückweisung deutlich.
וַיִּחַר לְקַיִן מְאֹד – »Da entbrannte Kain sehr \[im Zorn]«
Vayyiḥar kommt von ḥara (חָרָה), »brennen«, im übertragenen Sinn »zornig werden«. Me’od (»sehr«) intensiviert die Reaktion. Die Wendung wird häufig bei göttlichem Zorn verwendet – hier trifft sie den Menschen.
וַיִּפְּלוּ פָּנָיו – »und sein Angesicht fiel«
Wörtlich: »Sein Gesicht fiel«, was eine klassische hebräische Metapher für depressive Verstimmung, Enttäuschung oder Zorn ist. Die Pluralform vayyippelu (von naphal, »fallen«) steht hier mit panav (sein Gesicht) – die Kombination vermittelt eine »gesunkene Miene«, Zeichen von Verachtung, Groll oder seelischem Zusammenbruch.

Biblisches Griechisch (Septuaginta)

καὶ ἐπὶ Κάϊν καὶ ἐπὶ ταῖς θυσίαις αὐτοῦ οὐκ ἐπενόησεν· καὶ ἐλύπησεν τὸν Κάϊν σφόδρα, καὶ συνέπεσεν τὸ πρόσωπον αὐτοῦ.
kai epi Káin kai epi tais thysíais autou ouk epenóēsen; kai elýpēsen ton Káin sphodra, kai synépesen to prósōpon autou.
καὶ ἐπὶ Κάϊν καὶ ἐπὶ ταῖς θυσίαις αὐτοῦ – »und auf Kain und auf seine Opfer«
Die Präposition epi (»auf«) mit Dativ drückt Richtung oder Ziel aus, wie im Hebräischen el (»zu«). Thysiai (θυσίαι) bedeutet wörtlich »Opfer«, meist blutige Opfer, doch der Begriff kann auch allgemein verwendet werden.
οὐκ ἐπενόησεν – »er beachtete \[sie] nicht«
Das Verb epenoēsen (ἐπενόησεν) ist Aorist von epinoéō, »bedenken«, »beachten«, »sich zuwenden«. Eine bewusst intellektuelle und emotionale Zurückweisung ist impliziert – Gott ignoriert aktiv Kain.
ἐλύπησεν τὸν Κάϊν σφόδρα – »Kain wurde sehr betrübt«
Lypéō (λυπέω) heißt »betrübt machen« oder im Passiv »betrübt sein«. Es hat einen breiten semantischen Raum von Trauer bis Ärger. Sphodra (σφόδρα) verstärkt die emotionale Heftigkeit.
συνέπεσεν τὸ πρόσωπον αὐτοῦ – »sein Gesicht senkte sich«
Synépesen ist Aorist von synpíptō, eigentlich »zusammenfallen«, »niederfallen«. Die Metapher wird hier vom Hebräischen übernommen – es ist der Ausdruck einer sichtbaren inneren Krise, auch Kränkung oder Scham.

Biblisches Lateinisch (Vulgata)

Cain autem et munera eius non respexit: iratusque est Cain vehementer, et concidit vultus eius.
Cain autem et munera eius non respexit – »Kain aber und seine Gaben sah er nicht gnädig an«
Respexit von respicere bedeutet »ansehen«, im klassischen Latein oft neutral, in der Vulgata jedoch meist im Sinne von »gnädig ansehen«. Munera steht für »Gaben« – eher neutraler als sacrificia.
iratusque est Cain vehementer – »und Kain wurde sehr zornig«
Die Formulierung ist typisch biblisch-lateinisch: iratus est (Perfekt Passiv Deponens) ist reflexiv – »er wurde zornig«. Vehementer ist eine klare Verstärkung, nahe dem hebräischen me’od.
et concidit vultus eius – »und sein Gesicht fiel nieder«
Concidit (Perfekt von concidere) bedeutet »zusammenbrechen«, »stürzen«. Vultus (Gesichtsausdruck) kann auch Stimmung, Würde oder innere Haltung bezeichnen. Diese Wendung reflektiert die hebräische Metapher ziemlich wörtlich.

Fazit

Die drei Texttraditionen drücken mit unterschiedlichen Nuancen das zentrale Motiv aus: Gottes bewusste Zurückweisung von Kains Opfer führt bei Kain zu heftigem innerem Aufruhr, der sich in Zorn und einem »niedergesunkenen Gesicht« äußert – ein symbolischer Ausdruck für seelische Kränkung, vielleicht auch für Neid oder aufkommenden Hass.
Das Hebräische betont Zorn (חָרָה) und seelischen »Niedergang« (פָּנִים נָפַל).
Das Griechische erweitert um λύπη – Traurigkeit –, was die psychologische Tiefe steigert.
Das Lateinische bleibt nahe an beidem, verwendet aber neutralere Begriffe wie munera und respexit, wodurch die emotionale Spannung vielleicht etwas abgeschwächt wird, aber klar bleibt.

Vertiefte semantische Analyse

1. »aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an«
»sah er nicht gnädig an« (hebr. לֹא שָׁעָה ל): Das hebräische Verb shaʿah (»ansehen«, »beachten«, »anerkennen«) weist hier auf ein bewusstes, wertendes Zurückweisen hin. Gottes Blick signalisiert hier keine bloße Abwesenheit von Aufmerksamkeit, sondern die Verweigerung von Anerkennung.
Die Verbindung von Kain und sein Opfer betont eine untrennbare Einheit: nicht nur die Darbringung, sondern die Person Kains selbst wird abgelehnt. Die Ablehnung gilt also nicht bloß dem äußeren Akt, sondern ist eine tiefer liegende, personale Zurückweisung.
2. »Da ergrimmte Kain sehr«
Das hebräische Wort für »ergrimmen« ist חָרָה לְ (charah), das auch »entbrennen«, »zornig werden« bedeutet – häufig im Kontext eines zornigen Aufflammens.
Das Adverb sehr (מְאֹד, meʾod) unterstreicht die Intensität des Zorns – es geht um eine übersteigerte, unkontrollierte emotionale Reaktion.
3. »und seine Gebärde verstellte sich«
Luther übersetzt hier das hebräische וַיִּפְּלוּ פָּנָיו wörtlich: »sein Gesicht senkte sich« oder »sein Angesicht fiel«.
Die semantische Nuance ist entscheidend: es geht nicht primär um Verstellung im Sinne von Maskierung, sondern um einen sichtbaren Ausdruck innerer Niedergeschlagenheit, vielleicht auch Scham, Verletzung, Groll oder Trotz. Es ist eine Reaktion der Kränkung – das Gesicht, als Spiegel der Seele, sinkt herab.

Tiefere theologische Deutung

1. Gott als subjektiv wählender Blick
Die göttliche Erwählung ist hier nicht nach menschlicher Logik gerecht. Abel und sein Opfer werden anerkannt, Kain aber wird zurückgewiesen – ohne explizite Begründung.
Das verweist auf das theologische Grundthema der unverdienten Gnade (vgl. Röm 9,15): Gottes Wahl ist nicht Leistungslöhneprinzip, sondern freier Wille. Der Text provoziert, weil er Gerechtigkeitsdenken unterläuft.
2. Kain als Bild des verletzten Menschen
Der Zorn Kains ist nicht bloß Zornausbruch, sondern Spiegel einer existenziellen Kränkung. Er erlebt sich als zurückgewiesen – vielleicht in seiner ganzen Existenz – was in der Folge zur Entfremdung von Gott und Bruder führt.
Seine Reaktion ist die eines innerlich zerrissenen Menschen: er begehrt auf, aber seine Verletzung ist wortlos, stumm, verschlossen – und genau daraus erwächst die Gefahr. In Genesis 4,6–7 wird Gott ihm zureden – das zeigt, dass die göttliche Ablehnung nicht endgültig ist. Die Möglichkeit der Umkehr steht offen.
3. Gebärde als Zeichen der inneren Krise
Das herabsinkende Gesicht verweist auf den Umschlagspunkt: vom inneren Konflikt zur äußeren Tat (Brudermord). Hier liegt ein theologischer Schlüssel: Sünde beginnt im Herzen, in unaufgearbeiteter Kränkung.
Gott erkennt diese Situation und spricht – nicht um zu strafen, sondern um zu retten. Kain ist in einem Zustand, der zwischen Selbstmitleid, Zorn und Entscheidung schwankt.

Rezeptionsgeschichtliche Vertiefung

1. Patristik und Augustinus
Augustinus deutet die Szene allegorisch: Kain als Bild des irdisch gesinnten Menschen (homo carnalis), Abel als der geistlich Gesinnte. Der Zorn Kains wird zur Chiffre für das Aufbegehren des Fleisches gegen den Geist.
Für die Kirchenväter liegt der Akzent häufig auf dem Opferverständnis: Abels Opfer wird als ex corde (aus dem Herzen) dargebracht, Kains hingegen als bloßer äußerlicher Vollzug.
2. Mystische Deutungen
In der mittelalterlichen Mystik (z. B. Meister Eckhart) erscheint Kain als Prototyp des Menschen, der sich selbst zum Maßstab seiner Beziehung zu Gott macht. Seine Kränkung erwächst aus einem ungeklärten Selbstwillen – ein zentrales Thema mystischer Theologie: Gott »sieht« nicht den äußeren Akt, sondern die innere Hingabe.
3. Moderne Exegese
In der neueren Theologie (Gerhard von Rad, Claus Westermann) wird stärker betont, dass der Text nicht psychologisiert, sondern theologisch argumentiert: Es geht nicht darum, dass Kain »schlechter« geopfert hat, sondern dass Gott in seinem freien Gnadenhandeln Maßstäbe setzt, die dem Menschen verborgen bleiben.
Kains Reaktion ist der Anfang einer Erzählung über das Verhältnis von Freiheit, Schuld und göttlichem Anruf: die Möglichkeit der Sünde entsteht nicht im »Mangel«, sondern in der freien Wahl angesichts des göttlichen Blicks.
4. Literarische Rezeption
In der Literatur (etwa bei Lord Byron, Cain: A Mystery, 1821) wird Kain zu einem tragischen, rebellischen Helden, der gegen eine als willkürlich empfundene göttliche Ordnung aufbegehrt.
Solche Deutungen spiegeln ein modernes Unbehagen an der Vorstellung göttlicher Erwählung – Kain wird zum Archetyp des von Gott zurückgewiesenen, suchenden Menschen.

Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung

• Der Vers bildet einen Wendepunkt in der ältesten Geschwistergeschichte der Bibel. Der Zorn des Kain markiert nicht nur eine psychologische Reaktion auf Zurückweisung, sondern kündigt bereits die erste Bluttat der Menschheit an. Der Text arbeitet mit starker Verdichtung: Gottes Missachtung verändert Kains Antlitz – ein Ausdruck innerer Unordnung, der äußerlich sichtbar wird. Dies ist die literarische Geburtsstunde der Schuld als Mimik, als Bruch im Gesicht.
• Kulturgeschichtlich wurde die Kain-Geschichte vielfach zur Chiffre für den Menschen in der Krise seiner Freiheit. Sie steht am Ursprung des westlichen Nachdenkens über Gewalt, Ausgrenzung, Gnade und göttliche Zuwendung. Augustinus sah in Kain und Abel die Allegorie zweier Städte: die civitas terrena (irdische Stadt) und die civitas Dei (Gottesstadt). Kain ist der Prototyp des stolzen, selbstbehauptenden Menschen, der an der Gnade zerbricht, die er nicht versteht.

Resonanz in Dantes Divina Commedia

• In der Divina Commedia erscheint Kain in Inferno, Canto XII (Vers 135ff.), nicht als handelnde Figur, sondern als Mythos: Die Höllenebene der Gewalt ist nach seinem Erbe gezeichnet. Dante erwähnt zudem im Paradiso (Canto II, 52–54) den dunklen »Makel des Mondes« und verweist auf eine mittelalterliche Legende, nach der Kain mit einer Garbe auf dem Rücken als Schatten im Mondbild zu sehen sei – als ewig wandernder, gezeichneter Brudermörder. Das Motiv des Malzeichens (Gen 4,15) wird hier mythopoetisch überhöht.
• Dante interessiert sich weniger für den Neid Kains an sich, sondern für seine metaphysische Dimension: die Verkehrung der Liebe. In seinem moralischen Kosmos (vor allem Purgatorio, Canto XVII) ist invidia nicht bloß ein Affekt, sondern das Gegenteil von caritas – eine Zersetzung der göttlichen Ordnung. Der Zorn Kains ist damit ein Urbild der pervertierten Affekte, die den freien Willen deformieren.

Anthropologische und mystische Perspektiven

• Anthropologisch gelesen, berührt der Vers die Frage: Was macht den Menschen zum Täter? Die Gnade Gottes, scheinbar willkürlich zugeteilt, stellt Kains Selbstverständnis infrage. Seine Reaktion – Grimm, Entstellung, Rückzug – verweist auf eine fundamentale Spannung: Der Mensch als freies Wesen, das Anerkennung sucht, und als verletzbares Wesen, das das »Nicht-Gesehenwerden« nicht erträgt. In Kain begegnet uns der Mensch als leidendes, reagierendes und moralisch entscheidendes Wesen.
• Mystisch gesehen – etwa in Analogie zu Meister Eckhart oder Johannes vom Kreuz – erscheint Kains Zorn als Nicht-Einverstandensein mit der göttlichen Verborgenheit. Wo der Mystiker ins »Nichts« eintritt und sich von der eigenen Vorstellung entleert, klammert sich Kain an das Sichtbare, das Gewürdigtwerden. Er erträgt Gottes Freiheit nicht. Der Mystiker sagt: »Ich will nichts, ich bin nichts, damit Gott alles sei.« Kain hingegen sagt implizit: »Ich will gesehen werden, wie ich mich sehe.«
• Die verstellte Gebärde ist das Gegenbild zur entblößten Innerlichkeit der Mystik. Kain verbirgt – und wird dadurch von sich selbst entfremdet. So gesehen, ist sein Mord nicht primär eine Tat gegen den Bruder, sondern eine Flucht vor dem eigenen Mangel an Hingabe.

Fazit

Genesis 4,5 entfaltet ein Drama, das tief in die literarische, kulturelle und mystische Symbolik des Abendlands eingesickert ist. Der Zorn Kains – geboren aus dem Gefühl göttlicher Zurückweisung – wird zum Archetyp des entfremdeten Menschen. Dante macht daraus ein ewiges Symbol für entstellte Liebe, und die Mystik erkennt darin die Tragik eines Selbst, das sich dem gnadenlosen Spiegel der Gnade nicht öffnen kann.

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