• Luther 1545 Vnd sie fur fort / vnd gebar Habel seinen bruder / Vnd Habel ward ein Schefer / Kain aber ward ein Ackerman.
• Luther 1912 Und sie fuhr fort und gebar Abel, seinen Bruder. Und Abel ward ein Schäfer; Kain aber ward ein Ackermann.
Parallelstellen zu Genesis (1Mose) 4:02
1Mo 4:2 Und weiter gebar sie seinen Bruder Abel. Und Abel ward ein Schäfer, Kain aber ein Ackersmann.
1Mo 4:25 Und Adam erkannte sein Weib abermal; die gebar einen Sohn und nannte ihn Seth; denn Gott hat mir für Abel einen andern Samen gesetzt, weil Kain ihn umgebracht hat.
1Mo 4:26 Und auch dem Seth ward ein Sohn geboren, den hieß er Enosch. Damals fing man an, den Namen des HERRN anzurufen.
Ps 127:3 Siehe, Kinder sind ein Erbteil vom HERRN, Leibesfrucht ist ein Lohn:
Joh 8:44 Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und was euer Vater begehrt, wollt ihr tun; der war ein Menschenmörder von Anfang an und ist nicht bestanden in der Wahrheit, denn Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben.
1Joh 3:10 Daran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar: Wer nicht Gerechtigkeit übt, der ist nicht von Gott, ebenso wer seinen Bruder nicht liebt.
1Joh 3:12 nicht wie Kain, der von dem Argen war und seinen Bruder erschlug! Und warum erschlug er ihn? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht.
1Joh 3:15 Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Totschläger; und ihr wisset, daß kein Totschläger ewiges Leben bleibend in sich hat.
1Mo 30:29 Jakob sprach: Du weißt, wie ich dir gedient habe, und was aus deinem Vieh unter meiner Pflege geworden ist.
1Mo 37:13 sprach Israel zu Joseph: Weiden nicht deine Brüder zu Sichem? Komm, ich will dich zu ihnen senden! Er aber sprach: Siehe, hier bin ich!
1Mo 46:32 und die Männer sind Schafhirten, sie sind Viehzüchter und haben ihre Schafe und Rinder und alles, was ihnen gehört, mitgebracht.
1Mo 47:3 Und der Pharao fragte seine Brüder: Was treibt ihr? Sie antworteten ihm: Deine Knechte sind Schafhirten, wir und unsre Väter.
2Mo 3:1 Mose aber hütete die Schafe Jethros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe hinten in die Wüste und kam an den Berg Gottes Horeb.
Ps 78:70 Und er erwählte seinen Knecht David und nahm ihn von den Schafhürden weg.
Amos 7:15 Aber der HERR hat mich von den Schafen weggenommen, und der HERR hat zu mir gesagt: Geh, weissage meinem Volk Israel!
1Mo 3:23 Deswegen schickte ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, damit er den Erdboden bearbeite, von dem er genommen war.
1Mo 9:20 Noah aber begann und legte als Landmann einen Weinberg an.
Biblisches Hebräisch
וַתֹּ֣סֶף לָלֶ֔דֶת אֶ֖ת־אָחִ֣יו אֶת־הָ֑בֶל וַיְהִ֤י הֶֽבֶל֙ רֹ֔עֵה צֹ֖אן וְקַ֛יִן הָיָ֥ה עֹבֵֽד אֲדָמָֽה׃
Va-tōsef lāledet 'et-'āḥîw 'et-Hāḇel; vajhî Heḇel rō‘eh ṣō'n, wə-Qayin hāyāh ‘ōḇēd ădāmāh.
וַתֹּ֣סֶף לָלֶ֔דֶת (»Und sie fuhr fort zu gebären«)
– wattōsef ist ein waw-consecutivum + Imperfekt 3. f. sg. von י-ס-ף (jasaf, »hinzufügen«, »fortfahren«), was hier eine fortlaufende Handlung ausdrückt: »Sie gebar erneut / weiterhin«.
– lāledet ist ein Infinitiv konstrukt von י-ל-ד (jalad, »gebären«).
אֶת־אָחִ֣יו אֶת־הָ֑בֶל (»ihren Bruder Abel«)
– Die doppelte Verwendung von 'et (direktes Objektzeichen) hebt die Beziehung hervor: Abel wird als Bruder von Kain explizit vorgestellt.
– 'āḥîw = »seinen Bruder« (Suffix 3. m. sg.). Der Bezug ist auf Kain bezogen.
– Hāḇel = Eigenname »Abel«, wörtlich »Hauch« oder »Vergänglichkeit«.
וַיְהִ֤י הֶֽבֶל֙ רֹ֔עֵה צֹ֖אן (»Und Abel wurde ein Hirt von Kleinvieh«)
– vajhî = waw-consecutivum + Perfekt von hāyāh (»sein«) – hier als Einführung eines Zustands oder Berufs.
– rō‘eh ṣō'n = »Hirt von Kleinvieh«:
rō‘eh = Partizip mask. sg. von ר-ע-ה (ra‘ah, »weiden«),
ṣō'n = »Kleinvieh« (meist Schafe und Ziegen), unbestimmt, kollektives Nomen.
וְקַ֛יִן הָיָ֥ה עֹבֵֽד אֲדָמָֽה (»und Kain war ein Bearbeiter des Erdbodens«)
– hāyāh ʿōvēd ădāmāh = »war ein Arbeiter des Bodens«
ʿōvēd = Partizip aktiv von ע-ב-ד (»arbeiten«),
ădāmāh = »Erdboden«, feminines Nomen (vgl. אדם, Mensch).
Anmerkung:
Die Parallele und Gegenüberstellung von Abel (Nomade) und Kain (Sesshafter) wird durch die Syntax und die Semantik der Partizipien betont.
Biblisches Griechisch (Septuaginta)
καὶ προσέθηκεν τεκεῖν τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ τὸν Ἅβελ· καὶ ἐγένετο Ἅβελ ποιμὴν προβάτων, Κὰϊν δὲ ἦν γεωργὸς τῆς γῆς.
Kai proséthēken tekeîn ton adelphon autou ton Habel; kai egeneto Habel poimēn probátōn, Kaïn dè ēn geōrgòs tēs gēs.
καὶ προσέθηκεν τεκεῖν (»Und sie fügte hinzu zu gebären«)
– proséthēken = Aorist Akt. 3. Sg. von prostíthēmi (»hinzufügen«, »fortfahren«), typisch für Wiederholung oder Fortsetzung einer Handlung.
– tekein = Aorist Infinitiv Aktiv von tíktō (»gebären«).
τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ τὸν Ἅβελ (»ihren Bruder Abel«)
– Doppelte Akkusativform mit Artikel unterstreicht die Identität: »den Bruder, den Abel«.
– ton adelphon autou ton Habel – zeigt die Konstruktion eines doppelten direkten Objekts.
ἐγένετο Ἅβελ ποιμὴν προβάτων (»Abel wurde ein Hirt von Schafen«)
– egeneto = Aorist Medium von gínomai (»werden«), Ausdruck der Zustandsänderung.
– poimēn probátōn = »Schafhirt« – klassische griechische Genitivverbindung.
Κὰϊν δὲ ἦν γεωργὸς τῆς γῆς (»Kain aber war ein Ackerbauer der Erde«)
– geōrgos = »Landarbeiter«, wörtlich: »Erdebearbeiter« (von gē = Erde, ergon = Werk).
– tēs gēs = Genitiv von γῆ, »der Erde«.
Anmerkung:
Die Septuaginta übersetzt recht frei, dabei semantisch präzise: Der Kontrast beider Brüder wird verstärkt durch stilistische Mittel wie Parallelismus und spezifische Berufsbezeichnungen.
Biblisches Lateinisch (Vulgata)
Rursusque peperit fratrem eius Abel. Et fuit Abel pastor ovium, et Cain agricola.
Rursusque peperit fratrem eius Abel (»Und sie gebar wieder seinen Bruder Abel«)
– rursusque = »und wiederum«, temporal und kausal zugleich.
– peperit = Perfekt von parere, »gebären«.
– fratrem eius Abel = Akkusativobjekt mit Apposition; eius = »seinen« (mask. sg. Gen.), bezieht sich auf Kain.
Et fuit Abel pastor ovium (»Und Abel war ein Hirt der Schafe«)
– fuit = Perfekt von esse (sein), oft im Sinn einer dauerhaften Eigenschaft.
– pastor ovium = »Hirt der Schafe«, klassisches lateinisches Genitivverhältnis.
et Cain agricola (»und Kain ein Ackerbauer«)
– agricola = »Bauer«, »Landmann«, wörtlich »Feldpfleger«, typischer Terminus für sesshafte Lebensweise.
Anmerkung:
Die Vulgata ist besonders knapp und stilistisch elegant. Der Kontrast Abel–Kain wird nicht über syntaktische, sondern lexikalisch-morphologische Mittel (pastor vs. agricola) verdeutlicht.
Schlussbemerkung
In allen drei Sprachstufen zeigt sich:
• Stilistische Parallelität zwischen Abel und Kain.
• Beruflicher Kontrast zwischen dem Nomaden (Abel) und dem Sesshaften (Kain) als symbolischer Gegensatz, der das spätere Drama vorbereitet.
• Die hebräische Version ist formal komplexer (mit direkter Objektmarkierung und partizipialen Formen), während Griechisch und Latein stärker synthetisch und reduktiv arbeiten.
Vertiefte semantische Analyse
Der Vers ist in seiner Form schlicht, doch semantisch dicht. Die beiden Sätze stehen parallel zueinander, und doch öffnet sich zwischen ihnen ein Abgrund.
»Und sie fuhr fort und gebar Abel, seinen Bruder.«
• Der Ausdruck »fuhr fort« (wattōsef, hebräisch: וַתֹּסֶף) legt nahe, dass die Geburt Abels eine Fortsetzung, eine Ergänzung ist – Abel wird nicht einfach geboren, sondern folgt auf Kain. Dies könnte eine semantische Abstufung implizieren: Kain ist der Erstling, der Hoffnungsträger; Abel ist »der Nächste«.
• Der Name Abel (hebr. Hevel, הֶבֶל) bedeutet »Hauch, Nichtigkeit, Vergänglichkeit« – ein Hinweis, der bereits sein kurzes Leben und seine existenzielle Stellung andeutet. Im Gegensatz dazu steht Kain (hebr. Qayin, קַיִן), vermutlich abgeleitet von qanah (»erwerben«), was seinen Anspruch auf Stärke, Besitz oder Bedeutung betont.
»Und Abel ward ein Schäfer; Kain aber ward ein Ackermann.«
• Diese scheinbar neutrale Feststellung birgt kulturelle, symbolische und theologische Spannung:
• Der Schäfer ist Nomade, bewegt sich mit seinen Tieren, ist auf die Natur angewiesen, lebt vom Empfangenen.
• Der Ackermann ist sesshaft, gestaltet das Land, übt Kontrolle und Ordnung aus – er steht für Technik, für Eingriff in die Natur, aber auch für Mühsal (vgl. Gen 3,17-19).
• Die Reihung (»Abel ...; Kain aber ...«) betont subtil den Kontrast – durch das »aber« wird ein Gegensatz eingeführt, obwohl beide lediglich Berufe ausüben. Die Differenz wird damit sprachlich vorgezeichnet, bevor sie sich dramatisch im Opferkonflikt und schließlich im Brudermord zuspitzt.
Theologische Deutung
Der Vers bereitet das erste große Drama der Menschheitsgeschichte vor: die Spannung zwischen zwei Brüdern, die sich in Lebensweise, Gottesbeziehung und Charakter unterscheiden.
Typologie des Menschen vor Gott:
Abel als Hirt wird oft mit dem Bild des Menschen verbunden, der im Vertrauen lebt – in Beziehung zu Gott und seiner Schöpfung. Das Hirtenmotiv wird später auf David und schließlich auf Christus übertragen (»Ich bin der gute Hirte«, Joh 10,11).
Kain hingegen ist der Arbeiter der Erde, ein Typus des Menschen nach dem Sündenfall: der Schweiß des Angesichts, der Zwang zur Produktion, das Dasein in der Mühsal (vgl. Gen 3). Sein Opfer wird später von Gott nicht angenommen – eine Deutung, die in seiner Haltung, nicht in seiner Arbeit selbst begründet liegt.
Die Frühform menschlicher Differenzierung:
Der Text zeigt: Schon in der zweiten Generation spaltet sich die Menschheit. Hierin sehen viele Ausleger ein Urbild der menschlichen Gesellschaft: der Nomade und der Sesshafte, der Fromme und der Stolze, der Empfangende und der Beherrschende.
Implizite Anthropologie:
Die Aufeinanderfolge der Brüder und ihre symbolisch aufgeladenen Tätigkeiten werfen ein Licht auf die ambivalente Natur des Menschen: zur Beziehung fähig und doch zur Gewalt geneigt. Der Mensch ist nicht neutral – auch der Bruder kann zum Feind werden.
Rezeptionsgeschichtliche Vertiefung
Frühjüdische und christliche Deutung:
Im Frühjudentum wurde Abel oft als erster Märtyrer gesehen – der Gerechte, der von seinem Bruder erschlagen wird. Kain gilt als Prototyp des »Gottlosen«, des in sich verkrümmten Menschen. Das Neue Testament greift diese Linie auf (vgl. Hebr 11,4; 1 Joh 3,12; Judas 1,11).
Augustinus – De civitate Dei:
Augustinus sah in Kain und Abel die zwei Städte: die civitas terrena (irdische Stadt) und die civitas Dei (Gottesstadt). Kain ist der Vater der Weltstadt, gegründet auf Stolz, Gewalt und Selbstbezug; Abel steht für die Gottesstadt, die verborgen, leidend, aber gerecht ist.
Moderne Exegese:
Viele Exegeten erkennen in diesem Vers einen ursprünglichen Mythos der Menschheitsspaltung, der auf ältere Traditionen zurückgeht (z. B. nomadische versus sesshafte Kultur). Auch psychoanalytisch (Freud) wurde die Bruderkonfliktthematik als Archetyp gedeutet.
Literarische Verarbeitung
Zahlreiche Autoren haben die Kain-und-Abel-Erzählung aufgenommen:
Franz Kafka – in seinem kurzen Text Das Stadtwappen evoziert er die Ambivalenz menschlicher Schöpfungskraft mit Anspielung auf Kain.
Albert Camus sah in Kain eine tragische Figur des modernen Menschen: verstoßen, schuldig, aber auch suchend.
Hermann Hesse las in Abel den »inneren Menschen«, in Kain den »äußeren« – ein Dualismus, der das menschliche Ich durchzieht.
Fazit
Genesis 4,2 ist mehr als ein biografischer Hinweis: Er enthält ein symbolisch verdichtetes Urbild menschlicher Differenz, Freiheit und Schuld. Die schlichte Zweiteilung in Schäfer und Ackermann verweist auf tiefere spirituelle und existenzielle Gegensätze, die sich im weiteren Verlauf der Geschichte in Tragödie, Gnade und Ausblick auf Erlösung entfalten.
Literarische und kulturgeschichtliche Einordnung
• Die Differenzierung zwischen Abel, dem »Schäfer«, und Kain, dem »Ackermann«, markiert eine archetypische Gegenüberstellung zweier Menschentypen, die sich über die gesamte Literatur- und Ideengeschichte hinweg verfolgen lässt. Hier stehen sich zwei kulturelle Modelle gegenüber: der nomadisch-pastorale Lebensstil und der sesshafte, agrarische. Diese Unterscheidung ist nicht nur ökonomisch, sondern auch symbolisch bedeutsam:
• Abel als Hüter von Herden steht für ein Leben in Abhängigkeit vom natürlichen Rhythmus, das eng mit Opferkult und Kultus verbunden ist. Der Schäfer wird oft mit dem frommen, gottzugewandten Menschen assoziiert.
• Kain als Ackermann verkörpert den Eingriff in die Natur, das mühsame Bearbeiten des Bodens – ein Motiv, das später mit dem »Fluch der Erde« nach dem Sündenfall konnotiert ist.
• Die Spannung zwischen diesen beiden Figuren bildet nicht nur den Auftakt zum ersten Mord der Menschheitsgeschichte, sondern auch zum Thema der göttlichen Erwählung und Ablehnung – und somit zu den tiefen Fragen nach Gnade, Gerechtigkeit und menschlicher Freiheit.
Resonanz in Dantes Divina Commedia
Dante bezieht sich auf Kain und Abel mehrfach, vor allem im Inferno:
• In Inferno XX, Zeile 126, nennt Dante »Caina« – den tiefsten Kreis der Hölle, benannt nach Kain – als Ort der Verräter an Verwandten. Caina steht als Synonym für den Brudermord und die Perversion des familiären Bandes.
• Diese Verortung zeigt Dantes klare moralische Deutung: Kain ist nicht nur ein Mörder, sondern der Urtypus des fraternalen Verräters. Die Hölle selbst ist nach ihm strukturiert – ein Zeichen dafür, wie grundlegend die Geschichte für das mittelalterliche Moral- und Weltbild war.
• Im Purgatorio und Paradiso wird Abel nicht direkt genannt, aber seine Unschuld und Opferrolle schwingen mit in der Deutung von Heiligen und Märtyrern. Der Gegensatz zwischen Kain und Abel findet eine tiefere allegorische Entfaltung in der Gesamtdramaturgie des Jenseitswegs.
• Dante transformiert also den biblischen Gegensatz in eine kosmische und ethische Architektur, in der der Brudermörder die tiefste Verdammnis erfährt, während das unschuldige Opfer Teil des göttlichen Heilsplanes bleibt.
Anthropologische und mystische Perspektiven
• Anthropologisch steht die Kain-und-Abel-Geschichte für die erste Differenzierung innerhalb der Menschheitsfamilie – ein Bruch, der nicht nur physisch (der Mord), sondern auch existenziell ist: die Entzweiung von Mensch und Mensch. Kain und Abel sind keine bloßen Figuren, sondern archetypische Spiegel des menschlichen Seins in seiner doppelten Anlage: zur Liebe wie zum Hass, zur Gabe wie zur Gewalt.
• In mystischer Lesart, etwa bei christlichen Mystikern wie Meister Eckhart, wird Abel zum Bild des reinen, auf Gott gerichteten Menschen, der sich nicht durch Leistung (Arbeit am Feld), sondern durch Hingabe (Opfer des Herzens) definiert. Kain hingegen steht für den Menschen, der sich selbst behaupten will, der »Eigenheit« anhängt – ein zentraler Begriff bei Eckhart für das in sich verharrende Ich.
• Auch in der jüdischen Kabbala und im islamischen Sufismus finden sich Lesarten, die Abel als Insan Kamil (vollkommener Mensch) deuten, während Kain derjenige ist, der an der äußeren Form, am Ego, am Besitz haftet. Der Mord wird dann zur äußeren Manifestation eines inneren Bruchs mit der göttlichen Ordnung.
Fazit
Genesis 4,2 wirkt wie ein schlichter Vers über Berufe – in Wirklichkeit eröffnet er ein Panorama aus Urbildern, symbolischen Spannungen und spirituellen Deutungsräumen. Dante erkennt darin nicht nur einen historischen Ursprung des Bösen, sondern auch ein Strukturprinzip der Seele: Wo der Brudermord ist, ist der tiefste Fall des Menschen. Und wo das reine Opfer ist – wie bei Abel – dort beginnt das leise Echo des Himmels.